22.02.2011 um 20:24 Uhr
Geschrieben von Voegi
FCB-Augenblicke (V)
Mein erstes Mal
Nur mühsam und ohne echte Freude schlang ich den letzten Bissen herunter. Dabei war Mailänder Schnitzel schon damals eines meiner absoluten Lieblingsessen. Doch die Aufregung an diesem Donnerstagnachmittag war einfach zu groß, als dass sie einen gesunden Appetit zugelassen hätte. Den ganzen Tag über schon hatte ich schweißnasse Hände und spürte ein quälendes Grummeln irgendwo zwischen Magen und Dickdarm, welches ich so bis dahin nur von der Nervosität vor der Rückgabe eine Klassenarbeit kannte.
Mit meinen gerade einmal neun Jahren besaß ich schon eine ausgeprägte Sensibilität. Eine Empfindlichkeit, wie sie für die Seele eines naiven Grundschülers bedenklich ist. Vieles machte mir Angst, ob es nun der grimmig dreinblicke Schulbusfahrer war oder das subtile Schreckensszenario eines nächtlichen Einbruchs in unser unscheinbares Reihenhaus. Ich hatte noch nicht viel von der Welt gesehen und war im Grunde genommen schon unheilbar paranoid.
Doch so sehr ich mich auch von allem und jeden schrecken ließ, so nachhaltig und grenzenlos konnte ich mich auch begeistern. Und meine größte Begeisterung galt schon damals dem Fußball, der mich irgendwann im Jahre 1986 in seinen Bann gezogen haben musste. Den genauen Zeitpunkt kann ich heute seltsamerweise nicht mehr erinnern. Was mich selbst sehr irritiert, glaube ich ansonsten doch, sämtliche Ereignisse, die auf irgendeine mysteriöse Weise mit meiner Fußballbegeisterung verbunden sind, aus den verwinkeltsten Ecken meines Großhirns hervorkramen zu können. Doch ausgerechnet der Beginn meiner Leidenschaft bleibt wohl auf ewig nebulös.
Wann und wie es also dazu kam, dass mich der Fußball plötzlich so faszinierte, weiß ich nicht. Genauso wenig wie ich ergründen kann, weshalb ich denn nun mit dem FC Bayern fieberte. Auch hier bleiben die Anfänge auf seltsame Weise diffus. Doch es muss wohl auch im Jahre 1986 gewesen sein, dass mich das Bayern-Virus befiel. Denn bereits die Meisterschaft 1987 verfolgte ich mit einer Anspannung, wie ich sie ansonsten eben nur als Symptom meiner zahlreichen Neurosen kannte. Der FC Bayern war für mich denn auch so etwas wie ein Gegenpol zu meinen vielfältigen Ängsten, erfuhr ich durch ihn doch, dass ein aufregungsbedingtes Herzklopfen auch schön und belebend sein kann.
Jeden Samstag erlebte ich diese positive Anspannung, wenn ich mir mit schwitzigen Händen und 180 Puls das Spiel meiner Bayern in der Sportschau anschaute. Der Ausgang des Spiels war mir dabei stets unbekannt. Den Radioreportagen ging ich systematisch aus dem Weg, dem Mitteilungsbedürfnis informierter Fußballfreunde pflegte ich mit einem eindeutigen „Sag nichts!" vorzubeugen – nur um mir den ultimativen und kaum aushaltbaren Spannungshöhepunkt bis 18 Uhr aufzubewahren.
So ging das mehr als zwei Jahre lang. So lebte ich meine höchst eigenwillige und nervenaufreibende Begeisterung für den FC Bayern aus, ohne die Subjekte meiner Begierde jemals persönlich in Augenschein genommen zu haben. Ein Makel, den ich am Abend jenes Donnerstags endlich beseitigen wollte – bei dem zweiten Stadionbesuch meines Lebens.
Der 25. Mai 1989 war ein warmer Tag, viel zu heiß für den mitteleuropäischen Frühling. Doch die unwirkliche Hitze passte zu jenem Tag des großen Duells, dem High Noon von Müngersdorf. Die beiden Kontrahenten aus Köln und München, die sich in den Vorwochen einen sportlichen, vor allem aber verbalen Zweikampf geleistet hatten, sollten am Christi Himmelfahrts-Tag die Meisterschaft untereinander ausfechten. Denn auch wenn der Ausgang der Partie keine definitive Entscheidung mit sich bringen sollte, war jedem doch klar: Der Sieger würde die besten Karten für den Gewinn des Meistertitels haben.
Dass diese Partie merkwürdigerweise an einem Donnerstagabend stattfand, erscheint mir aus heutiger Sicht nur folgerichtig. Denn an diesem Spiel war einfach alles ungewöhnlich. Es war mehr als ein bloßes Fußballspiel. Es war die sportliche Entscheidung einer Privatfehde, die längst die Dimensionen von Hass und Missachtung angenommen hatte. Daum gegen Heynckes, Hoeneß gegen Daum, Lattek gegen Hoeneß – die Feindeslinien waren spätestens seit dem legendären Zusammentreffen im Sportstudio abgesteckt.
So geriet ein vermeintlich unscheinbares Bundesligaspiel zum nationalen Großereignis, dem selbst der Bundespräsident und die damalige Word-Team-Cup-Crew um Boris Becker und Eric Jelen nicht fernbleiben konnten. Die Tennisstars nahmen für ihren Besuch in Müngersdorf sogar unbequeme Platze auf der Tartanbahn in Kauf. Da hatte ich es schon besser, hatte mein Vater uns beiden doch schon frühzeitig Plätze im Oberrang der Südkurve und damit einen perfekten Ausblick gesichert.
Für mich waren es denn auch weniger von Weizsäcker und Becker und auch nicht der vorausgegangene mediale Schlagabtausch, die dieses eine Spiel zu einem ganz besonderen machten. Es war ich selbst. Zum ersten Mal in meinem Leben würde ich die Männer, die mich ich in den Vorjahren unzählige Liter Schweiß und ganze Nervenbündel gekostet hatten, leibhaftig sehen. Zum ersten Mal war ich dabei – in einer Anspannung, die mir weder der böse Busfahrer noch die Vorstellung eines nächtlichen Einbruchs eintreiben konnten.
Dass es in diesem Spiel (sportlich gesehen) um alles ging, dass es der vermeintliche Schlusspunkt eines bis dato nie dagewesenen Privatkriegs war, löste meine Nervosität zwar nicht aus, machte sie aber noch schlimmer. So saß ich also nun da, der kleine 9jährige Steppke, vollkommen überfordert mit der Anspannung des Augenblicks und ließ meinen Blick schweifen über die prall gefüllten Reihen des Stadions, während ich innerlich nur einen Wunsch hegte: Lass es endlich vorbei sein! Lass dieses Spiel vorübergehen. Und wenn möglich mit einem glücklichen Ausgang.
Der Fußballgott, so es ihn denn gibt, hatte ein Einsehen mit den Nöten des kleinen Jungen und leistete seinem Gebet Folge. Jedenfalls was den glücklichen Ausgang betrifft. Denn Bayern gewann am Ende dank dreier Tore des von mir grenzenlos angehimmelten Roland Wohlfarth mit 3:1 und sicherte sich denn auch letztlich den Meistertitel. Doch der Verlauf meines persönlichen Premierenmatches dürfte meinem wild pochenden Herzchen nicht gut bekommen sein. Nach der Führung und dem schnellen Ausgleich stand es lange Zeit 1:1, bis fünf Minuten vor Schluss. Alles schien möglich, von einer für mich kaum verkraftbaren Niederlage bis zum glückspendenden Sieg. Doch dann erbarmte sich der Fußballgott endlich und erlöste mich von meinen Leiden.
Zwei Konter, zwei Tore, zweimal Roland Wohlfarth. Und das alles nur wenige Meter vor meinen eigenen Augen entfernt. Bayern hatte gewonnen. Mein erstes Mal hatte ein gutes Ende genommen. All die Anspannung war wie von Geisterhand entschwunden. Was blieb, war pures kindliches Glück. Und ein Augenblick, den ich nie vergessen werde.
Aufrufe: 4689 | Kommentare: 8 | Bewertungen: 13 | Erstellt:22.02.2011
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KOMMENTARE
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23.02.2011 | 17:16 Uhr
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donluka :
Das ist einer Deiner allerschönsten Blogs, wenn nicht sogar Dein schönster, mein lieber Voegi!
Lassen wir mal völlig außer Acht, wie das eigentliche Spiel ausgegangen ist (was mir natürlich nicht so gefallen hat), versprühst Du mit diesem kleinen Meisterwerk so viel Gefühle und hast das dann noch in solch schöne Worte verpackt!
Großartig!
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23.02.2011 | 15:38 Uhr
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midget :
das ist traumhaft geschrieben.sehr sehr schön.
aber das sage ich ja immer. nur hier:
ist es das tatsächlich.
voegi ich war 19, kurz vorm abi und ich kotzte im strahl nach dieser niederlage!
ich werde dieses frühjahr 89 nie vergessen!
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23.02.2011 | 09:49 Uhr
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Kaiser01 :
Nein, niemals darf da ein schlechter Blog kommen! Das bringt ansonsten meine Weltanschauung komplett durcheinander. 0
23.02.2011 | 09:32 Uhr
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fcbm007 :
stimmt.... ganz großes Kino mal wieder und ich möchte mal von Voegi nur einen, ja, nur einen Blog lesen, der ihm mal misslingt^^
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22.02.2011 | 20:34 Uhr
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UliFan :
Schöner Blog VoegiIch hoffe du hast deine Neurosen mittlerweile im Griff, klingt ja nach einer schreckhaften Kindheit
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