13.09.2011 um 20:00 Uhr
Geschrieben von Voegi
FCB-Augenblicke (XII)
Als die Einblendemaschine streikte
Wenn man uns Bayern-Anhänger nach der dunkelsten Stunde unseres Fan-Seins fragt, pflegen wir gemeinhin Barcelona 1999 anzuführen. Die Wunde der "Mutter aller Niederlagen" sitzt eben nach wie vor tief im kollektiven Bewusstsein. Trotz der Wiedergutmachung durch den CL-Sieg 2001. Auch ich hatte lange an dem Last-Minute-Tod von Barcelona zu knabbern. Brauchte mehrere Tage, um das Unfassbare zu verstehen und fühle noch heute die Leere nach der wohl größten Enttäuschung, die man als Bayern-Fan in den letzten 20 Jahren erleben musste.
Doch nicht immer sind es die großen Endspielniederlagen, die verpassten Triumphe, die mich hadern lassen. Auch ein verspielter Sieg in einem vermeintlich so unwichtigen Bundesligaspiel kann mich noch Jahre später zum Verzweifeln bringen. So wie der vom 3. Oktobers 1992.
An jenem Samstag stand der 9. Spieltag der Saison 1992/1993 an. Für den FC Bayern ging es gegen den einstigen Erzrivalen aus Mönchengladbach. Eine vermeintliche lockere Angelegenheit, hatten die Borussen in den ersten acht Spielen doch lediglich einen Sieg einfahren können, der nur zu einem enttäuschenden 17. Platz (umrahmt vom HSV und dem 1. FC Köln) reichte. Unsere Bayern dagegen hatten ein Saisonauftakt nach Maß hingelegt. Sechs Siege und zwei Remis bedeuteten für die Ribbeck-Elf die Tabellenführung.
Der 3. Oktober 1992 war nicht nur der Tag der Deutschen Einheit, sondern bedeutete für mich vor allen Dingen einen jener bittersüßen Einblendesamstage. Einblendesamstage, so nannte ich die Sonnabende, an denen ich das Spiel meiner Bayern nicht live auf Premiere schauen konnte, sondern mich über die Einblendungen am unteren Bildrand auf dem Laufenden hielt. Diese aus heutiger Sicht nostalgisch wirkende Form der Informationskultur hatte dabei einen ganz besonderen Charme, der mich über die Enttäuschung, das Bayern-Match nicht live sehen zu können, hinweg zu trösten vermochte. Denn die ausgefeilte Choreografie der Einblendungen war mitunter aufregender als es die dramatischste Live-Übertragung sein konnte:
So verstand es die Premiere-Redaktion die Zuschauer mit geradezu betulicher Vorsicht auf die bevorstehende Meldung des jüngsten Torereignisses vorzubereiten, indem sie zunächst das gelb-rot leuchtende Banner "PREMIERE BUNDESLIGA" im unteren Bilddrittel einblendete. Ein untrügliches Zeichen, das die Herzen von Millionen (wahrscheinlich eher tausenden) Fußball-Fans höher schlagen ließ. Für einen kurzen Augenblick des Hoffens und Bangens gab es nur noch eine Frage von Belang: Ist in dem Spiel meines Vereins ein Tor gefallen? Und wenn ja: Auf der richtigen Seite? Gefühlte Minuten später (tatsächlich waren es wohl nur drei Sekunden) folgte dann die erlösende oder eben ernüchternde Gewissheit:
Wie von Geisterhand schob sich von der rechten Seite die Tormeldung in die Bildschirmmitte und von dort in das angespannte Großhirn des Zuschauers. Die Frage nach Freud oder Leid war dabei rasch beantwortet, pflegte Premiere doch seinerzeit die Buchstaben der erfolgreichen Mannschaft gelb einzufärben. Ob sich der Pulsanstieg, den die Einblendung des torverheißenden Premiere-Banners ausgelöst hatte, gelohnt hatte, war damit schnell erklärt. Was blieb, war die gleichfalls spannende, aber eben nicht so nervenaufreibende Frage nach dem Torschützen.
Am 9. Spieltag der Saison 1992/1993 nun durfte ich diesen Nervenkitzel wieder einmal auskosten. Premiere übertrug Dynamo Dresden gegen Werder Bremen als Topspiel (eine durchaus fragwürdige Entscheidung) und informierte mittels der unwiderstehlichen Einblendungen über den Spielstand in München. Nachdem ich eine halbe Stunde lang erwartungsvoll auf den unteren Bildschirmrand gestiert (und dabei das Spiel in Dresden fast ignoriert hatte) hatte, erschien um Punkt 16 Uhr endlich das begehrte Banner und wenig später die ernüchternde Gewissheit. "MÜ…" in Weiß… Ich wusste, was das hieß: Gegentor. Führung Gladbach. Die gelbe "BORUSSIA" gab mir die endgültige Sicherheit. 0:1! Torschütze: Criens. Auch egal!
Nun begann sie, die schier unendliche Zeit des Wartens auf die nächste Bayern-Einblendung mit der erlösenden Nachricht des Ausgleichs. Doch es passierte… nichts. Keine Meldungen von irgendwo. Schlussfolgerung: Die Einblendemaschine (so nannte ich den Vorgang in Ermangelung technischer Kenntnisse) musste kaputt sein. Und in der Tat schien irgendetwas nicht zu stimmen. Denn die erlösende Mitteilung vom Ausgleichstreffer erreichte mich und die Premiere-Zuschauer auffällig spät. Doch ich war nicht nachtragend. Hauptsache Tor. Die Nachricht von Olaf Thons Elfmetertor sorgte für Erleichterung und nährte die Hoffnung, dass die Bayern das Spiel noch würden drehen können.
Doch wieder einmal tat sich lange nichts. Fast nichts, um genau zu sein. Die Mitteilung von Treffern in Wattenscheid und Köln zeigten mir, dass die "Einblendemaschine" funktionieren würde. Es musste wohl also an meinen Bayern gelegen haben, die sich als unfähig erwiesen, der Borussia ein zweites Gegentor einzuschenken. Und so wartete ich und wartete – bis gegen viertel nach fünf. Das Spiel in Dresden stand unmittelbar vor dem Abpfiff, da wischte das gelb-rote Premiere-Banner und nachfolgend das gelbe "München" alle Zweifel hinweg: "MÜNCHEN" in Gelb! 2:1 Helmer 88.! Jaaaa! Hatte doch noch geklappt. Das Spiel in Dresden wurde wenige Sekunden später abgepfiffen, Einblendungen würde es danach nicht geben, selbst wenn noch das eine oder andere Tor gefallen wäre. Hieß im Umkehrschluss, dass ich mich bis zur Ergebnisübersicht gedulden musste, um endgültige Gewissheit über den Spielausgang zu erlangen.
Ich weiß nicht, ob es die seltsamen Umstände der streikenden Einblendemaschine waren, die mir das Gefühl gaben, dem Braten nicht trauen zu können. Eine ungute Eingebung sagte mir aber, dass die Bayern wohl noch einen kassiert hatten. An diesem Samstag war alles möglich. Wenig später erlebte ich dann, wie fies und hinterhältig so eine selbsterfüllende Prophezeiung sein kann. "Bayern – Gladbach 2:2" – ich hatte es ja geahnt. Ein Nachmittag voller Bangen, Zweifel und Hadern mit der Technik für den A…! Ich war frustriert. Wütend. Desillusioniert. Und dabei wusste nicht einmal, auf welche haarsträubend dämliche Weise der Ausgleich gefallen war: Martin Max nach Vorlage des vorgerückten Torhüters Dirk Heyne. Lächerlich.
Noch heute könnte ich diesen Einblendesamstag verfluchen. Noch heute tut mir das Unentschieden weh. Vielleicht weil ich glaube, dass wir bei einem Sieg am Ende auch den Meistertitel geholt hätten. Vielleicht weil ich Last-Minute-Ausgleichtstreffer einfach hasse. Wahrscheinlich aber, weil ich schon glaubte, den Kampf gegen die streikende Einblendemaschine gewonnen zu haben und dann auf so feige Weise hintergegangen wurde. Denn den Ausgleichstreffer anzuzeigen, hätte sich die Einblendemaschine an diesem Samstag sicher nicht getraut…
Aufrufe: 5996 | Kommentare: 14 | Bewertungen: 6 | Erstellt:13.09.2011
ø 10.0
KOMMENTARE
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14.09.2011 | 16:41 Uhr
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Schnumbi :
@ moephi: nun ist gut
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14.09.2011 | 16:36 Uhr
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Schnumbi :
@ moephi schon klar aber der liveticker im fernsehen ist okay ,da kann ich nebenbei fernsehe schauen und muss nicht immer auf den PC gucken
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14.09.2011 | 16:31 Uhr
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Schnumbi :
@ moephi: wobei ich videotexttafel heute noch nutze, wenn ich keine chance habe fußball live zu sehen und der stream mal wieder hängt weil er illegal ist
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14.09.2011 | 16:10 Uhr
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moephi :
einblendungen das waren noch zeiten!
die konferenz wurde erst damit erfunden, dass an den letzten spieltagen die spiele der kontrahenten um die meisterschaft in einer konferenz gezeigt wurden.
die einblendungen haben fast schon retrocharakter. ähnlich waren die zeiten, in denen man 90 minuten vor einer videotexttafel verbrachte
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14.09.2011 | 15:18 Uhr
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Schnumbi :
@ büchse: jetzt wo du es erwähnst fällts es mir wie schuppen von den augen
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14.09.2011 | 14:21 Uhr
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Und über diesen Blog habe ich auch keine bekommen
SKAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAANDAL !!!!
Toller Blog Voegi aber ich kanns nicht richtig nachvollziehen
weil ich mir erst Premiere angeschafft habe als ich in festen
Händen war
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14.09.2011 | 14:05 Uhr
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Schnumbi :
@ voegi: das mit der nicht benachrichtigung hatte zu letzt schon mal jemand angebracht. bei mir hat es aber geklappt
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14.09.2011 | 14:05 Uhr
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Damit wäre meine Frage beantwortet!
Die Benachrichtigung über den dann später gelöschten Text hat mich erreicht!
Alles Klar!
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