24.10.2012 um 11:08 Uhr
Geschrieben von Voegi
FCB-Augenblicke (XIX)
Der Tritt in die Tonne
Die 90er Jahre müssen einem als Bayern-Fan wie ein verlorenes Jahrzehnt vorkommen. Das von Uli Hoeneß lauthals proklamierte Ziel, die europäische Spitze zu erklimmen, wurde gnadenlos verfehlt, wirkliche Konstanz blieb die Ausnahme und der Boulevard interessierte sich zeitweilig mehr für den Verein als die Sportmedien. Von dem UEFA-Cup-Triumph 1996 und dem CL-Finale 1999 abgesehen blieben die Bayern in diesem Jahrzehnt zumeist weiter hinter ihren eigenen Ansprüchen zurück. Wenn man zurückschaut auf die 90er des FCB, so denkt man denn auch wohl vor allem an den FC Hollywood und das Dream-Tream mit Klinsmann, Scholl und Herzog – einer Mannschaft, die keine war und die nicht zuletzt an Eigensinn und gekränkter Eitelkeit scheiterte.
Eine Tonne als Sinnbild
Es gibt wohl keine andere Szene, die den FC Bayern dieser Zeit so eindrucksvoll versinnbildlicht, wie Jürgen Klinsmanns legendärer Tonnentritt. Ein emotionaler Ausbruch, mit dem der Bayern-Stürmer seinem Frust Luft machte und jedermann zeigte, was er im tiefsten Inneren seines Herzens von Coach Trapattoni und dem FC Bayern insgesamt hielt. So war der Club Mitte der 90er vor allen Dingen eine Ansammlung von Individualisten, von starrsinnigen Stars, die nur selten den Teamgeist lebten, der eine große Mannschaft ausmacht.
Am 10. Mai 1997, kurz nach fünf, kam es also zu jenem Eklat, der nicht nur den Bayern-Fans noch heute in Erinnerung sein dürfte. Im Heimspiel gegen den Sportclub aus Freiburg spielte sich die Trapattoni-Elf eine Chance nach der anderen heraus, ohne jedoch ein einziges Mal den Ball im gegnerischen Kasten unterbringen zu können. Die Fans wurden allmählich ungeduldig und zeigten den Spielern mit immer lauter werdenden Pfiffen, was sie von ihrer Leistung hielten. Als es zehn Minuten vor Schluss noch immer 0:0 stand, sah sich Trainer Trapattoni zum Handeln gezwungen und entschied sich für eine fast liebgewonnene Gewohnheit: Jürgen Klinsmann auswechseln.
Dem Bayern-Stürmer war an diesem Nachmittag wieder einmal nicht viel gelungen, seine Auswechslung erschien daher fast folgerichtig. Doch der eigensinnige Bayern-Star hatte für die Entscheidung seines Trainers, dessen vorsichtiger Spielstil ihm ohnehin nicht sonderlich behagte, wenig übrig. Der gesamte Frust, der sich in den vorangegangenen Wochen aufgestaut hatte, brach sich in diesem einen Moment Bahn. Klinsmann hatte die Schnauze voll und wollte das auch nicht mehr für sich behalten.
Lakies, die ultimative Demütigung
Wild gestikulierend verließ er das Spielfeld und schlug die Arme mehrfach so übereinander, als wollte er der ganzen Welt signalisieren: „Nichts geht mehr. Mit diesem Verein bin ich durch." Klinsmanns zornige Scharade galt dabei aber natürlich vor allen Dingen dem Trainer, dessen Wechselstrategie der Bayern-Stürmer wie üblich nicht nachvollziehen konnte. Aber dass er nun plötzlich für einen unbekannten Spieler namens Carsten Lakies Platz machen sollte, eine jungen Amateurkicker, der an diesem Mainachmittag sein erstes und letztes Spiel für die Bayern bestreiten sollte, gab ihm den Rest. Eine offensichtliche Provokation, die er so nicht auf sich sitzen lassen konnte.
Klinsmann beließ es denn auch nicht bei seiner unmissverständlichen Gestik und beschloss in einer Mischung aus Affekt und Rache, dem ersten, der ihm auf seinem Weg in die Kabine begegnen würde, einen Tritt vors Schießbein zu verpassen. Zum Glück waren es aber weder Trapattoni noch der Vierte Offizielle, den es im Jahre 1997 freilich noch gar nicht gab, die sich Klinsmann in den Weg stellten. Zum Glück war es bloß eine unschuldige Werbetonne, die den ganzen klinsmannschen Frust in Form eines beherzten Tritts zu spüren bekam.
Zeugnis eines Wutausbruchs
Der unscheinbare Werbezylinder, der übrigens den Kauf japanischer Batterie-Erzeugnisse anpries, musste also dran glauben. All seine Wut und Empörung legte Klinsmann in seinen rechten Unterschenkel, der die bunte Tonne mit der Wucht eines Schlagbohrers durchschlug und da wohl noch heute steckte, hätte ihn der rasende Jürgen nicht mit eben solchem Schmackes gleich wieder herausgezogen. Was blieb, war ein fußgroßes Loch als Zeugnis eines einzigartigen Wutausbruchs, dessen historische Dimensionen die Zuschauerschaft im Olympiastadion unmittelbar zu verstehen schien. Ein zwar nicht lautes, aber doch klar vernehmbares Entsetzen ist in Form eines erschrockenen „Oh" erfasste die Ränge der Arena und bildete den Geräuschteppich für eine der wohl denkwürdigsten Szenen der Bundesliga-Geschichte.
Noch am gleichen Abend folgte die öffentliche Entschuldigung Klinsmanns, der im gleichen Atemzug die Missstände beim Rekordmeister anprangerte. Ins Detail wollte er mit seinen Äußerungen nicht gehen; doch jedem Beobachter war klar, was der Bayern-Stürmer meinte: Der FC Bayern, so wie er sich im Frühjahr 1997 präsentierte, war das Gegenteil von dem, was sich Klinsmann unter einem modernen Fußballverein vorstellte.
Trotz aller Missstimmungen holten die Münchener zwei Wochen später mit einem 4:2-Heimsieg gegen den VfB Stuttgart die Meisterschale wieder zurück nach München. Der Tonnentritt Klinsmanns geriet denn auch vorerst in Vergessenheit, wohl auch weil der unangepasste Kicker mit der Rückennummer 18 die Bayern zum Saisonende verlassen sollte. An eine Rückkehr an die Isar verschwendete Klinsmann im Mai 1997 ganz sicher keinen Gedanken. Elf Jahre später sollte er gleichwohl wieder in Diensten der Münchener stehen. Aber das ist bekanntlich eine ganz andere Geschichte…
Die 90er Jahre müssen einem als Bayern-Fan wie ein verlorenes Jahrzehnt vorkommen. Das von Uli Hoeneß lauthals proklamierte Ziel, die europäische Spitze zu erklimmen, wurde gnadenlos verfehlt, wirkliche Konstanz blieb die Ausnahme und der Boulevard interessierte sich zeitweilig mehr für den Verein als die Sportmedien. Von dem UEFA-Cup-Triumph 1996 und dem CL-Finale 1999 abgesehen blieben die Bayern in diesem Jahrzehnt zumeist weiter hinter ihren eigenen Ansprüchen zurück. Wenn man zurückschaut auf die 90er des FCB, so denkt man denn auch wohl vor allem an den FC Hollywood und das Dream-Tream mit Klinsmann, Scholl und Herzog – einer Mannschaft, die keine war und die nicht zuletzt an Eigensinn und gekränkter Eitelkeit scheiterte.
Eine Tonne als Sinnbild
Es gibt wohl keine andere Szene, die den FC Bayern dieser Zeit so eindrucksvoll versinnbildlicht, wie Jürgen Klinsmanns legendärer Tonnentritt. Ein emotionaler Ausbruch, mit dem der Bayern-Stürmer seinem Frust Luft machte und jedermann zeigte, was er im tiefsten Inneren seines Herzens von Coach Trapattoni und dem FC Bayern insgesamt hielt. So war der Club Mitte der 90er vor allen Dingen eine Ansammlung von Individualisten, von starrsinnigen Stars, die nur selten den Teamgeist lebten, der eine große Mannschaft ausmacht.
Am 10. Mai 1997, kurz nach fünf, kam es also zu jenem Eklat, der nicht nur den Bayern-Fans noch heute in Erinnerung sein dürfte. Im Heimspiel gegen den Sportclub aus Freiburg spielte sich die Trapattoni-Elf eine Chance nach der anderen heraus, ohne jedoch ein einziges Mal den Ball im gegnerischen Kasten unterbringen zu können. Die Fans wurden allmählich ungeduldig und zeigten den Spielern mit immer lauter werdenden Pfiffen, was sie von ihrer Leistung hielten. Als es zehn Minuten vor Schluss noch immer 0:0 stand, sah sich Trainer Trapattoni zum Handeln gezwungen und entschied sich für eine fast liebgewonnene Gewohnheit: Jürgen Klinsmann auswechseln.
Dem Bayern-Stürmer war an diesem Nachmittag wieder einmal nicht viel gelungen, seine Auswechslung erschien daher fast folgerichtig. Doch der eigensinnige Bayern-Star hatte für die Entscheidung seines Trainers, dessen vorsichtiger Spielstil ihm ohnehin nicht sonderlich behagte, wenig übrig. Der gesamte Frust, der sich in den vorangegangenen Wochen aufgestaut hatte, brach sich in diesem einen Moment Bahn. Klinsmann hatte die Schnauze voll und wollte das auch nicht mehr für sich behalten.
Lakies, die ultimative Demütigung
Wild gestikulierend verließ er das Spielfeld und schlug die Arme mehrfach so übereinander, als wollte er der ganzen Welt signalisieren: „Nichts geht mehr. Mit diesem Verein bin ich durch." Klinsmanns zornige Scharade galt dabei aber natürlich vor allen Dingen dem Trainer, dessen Wechselstrategie der Bayern-Stürmer wie üblich nicht nachvollziehen konnte. Aber dass er nun plötzlich für einen unbekannten Spieler namens Carsten Lakies Platz machen sollte, eine jungen Amateurkicker, der an diesem Mainachmittag sein erstes und letztes Spiel für die Bayern bestreiten sollte, gab ihm den Rest. Eine offensichtliche Provokation, die er so nicht auf sich sitzen lassen konnte.
Klinsmann beließ es denn auch nicht bei seiner unmissverständlichen Gestik und beschloss in einer Mischung aus Affekt und Rache, dem ersten, der ihm auf seinem Weg in die Kabine begegnen würde, einen Tritt vors Schießbein zu verpassen. Zum Glück waren es aber weder Trapattoni noch der Vierte Offizielle, den es im Jahre 1997 freilich noch gar nicht gab, die sich Klinsmann in den Weg stellten. Zum Glück war es bloß eine unschuldige Werbetonne, die den ganzen klinsmannschen Frust in Form eines beherzten Tritts zu spüren bekam.
Zeugnis eines Wutausbruchs
Der unscheinbare Werbezylinder, der übrigens den Kauf japanischer Batterie-Erzeugnisse anpries, musste also dran glauben. All seine Wut und Empörung legte Klinsmann in seinen rechten Unterschenkel, der die bunte Tonne mit der Wucht eines Schlagbohrers durchschlug und da wohl noch heute steckte, hätte ihn der rasende Jürgen nicht mit eben solchem Schmackes gleich wieder herausgezogen. Was blieb, war ein fußgroßes Loch als Zeugnis eines einzigartigen Wutausbruchs, dessen historische Dimensionen die Zuschauerschaft im Olympiastadion unmittelbar zu verstehen schien. Ein zwar nicht lautes, aber doch klar vernehmbares Entsetzen ist in Form eines erschrockenen „Oh" erfasste die Ränge der Arena und bildete den Geräuschteppich für eine der wohl denkwürdigsten Szenen der Bundesliga-Geschichte.
Noch am gleichen Abend folgte die öffentliche Entschuldigung Klinsmanns, der im gleichen Atemzug die Missstände beim Rekordmeister anprangerte. Ins Detail wollte er mit seinen Äußerungen nicht gehen; doch jedem Beobachter war klar, was der Bayern-Stürmer meinte: Der FC Bayern, so wie er sich im Frühjahr 1997 präsentierte, war das Gegenteil von dem, was sich Klinsmann unter einem modernen Fußballverein vorstellte.
Trotz aller Missstimmungen holten die Münchener zwei Wochen später mit einem 4:2-Heimsieg gegen den VfB Stuttgart die Meisterschale wieder zurück nach München. Der Tonnentritt Klinsmanns geriet denn auch vorerst in Vergessenheit, wohl auch weil der unangepasste Kicker mit der Rückennummer 18 die Bayern zum Saisonende verlassen sollte. An eine Rückkehr an die Isar verschwendete Klinsmann im Mai 1997 ganz sicher keinen Gedanken. Elf Jahre später sollte er gleichwohl wieder in Diensten der Münchener stehen. Aber das ist bekanntlich eine ganz andere Geschichte…
Aufrufe: 6693 | Kommentare: 11 | Bewertungen: 6 | Erstellt:24.10.2012
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