03.01.2011 um 17:49 Uhr
Geschrieben von Voegi
FCB-Kultkicker (V)
Thomas Strunz
…oder: Mein Müngersdorf
Wirklich schön war es sicher nicht. Ich mochte es dennoch, hatte ich hier doch mein erstes Mal erlebt, im Mai '88 beim Spiel zwischen dem 1. FC Köln und Werder Bremen. Zum ersten Mal in meinem Leben besuchte ich ein großes Fußballstadion und atmete die herbe Luft der großen weiten Fußballwelt. Die unüberschaubaren Menschenmassen, das irritierende Duftgemisch aus Reibekuchen, Gras und Schweiß, die unwirkliche Nähe zu den Littbarskis und Riedles – meine kindliche Seele kapitulierte vor der Unmenge der auf sie einströmenden Eindrücke. Ich wusste nicht, wie mir geschah, und doch war mir eines sehr schnell klar: Hier gefiel es mir. Hier wollte ich öfter sein. Hier war meine Welt.
Doch so schön die Euphorie des Augenblicks auch war, so schnell wich sie der Ernüchterung. Ich befand mich in einem kaum lösbaren Gewissenkonflikt, hatte sich mein Fußballherz doch längst dafür entschieden, für den FC Bayern zu schlagen. Dabei sollte es auch bleiben. Aber ein kleiner Platz war doch noch frei für dieses gemütliche Fußballstadion mit dem morbiden Charme der 70er Jahre, dessen makelloses Oval mir so vollkommen erschien. So verliebte ich mich ein wenig in das Müngersdorfer Stadion von Köln und bewahrte mir fortan diese Zuneigung, wenngleich ich lernen musste, dass es noch viele andere sehenswerte und womöglich noch beeindruckende Arenen auf dieser Welt gab. Aber das war mir egal. Müngersdorf war mir – als Bayern-Fan – heilig.
Im September 1997 sollten sich dann meine große Leidenschaft (für die Bayern) und meine kleine (für Müngersdorf) auf geradezu magische Weise verbinden. Denn so archaisch wie das Kölner Stadion auch war, so bot es mir als Rollstuhlfahrer doch einen beträchtlichen Luxus. Ich durfte die Spiele von der unbedachten Tartanbahn aus verfolgen, was bei Regenwetter den zugegebenermaßen wenig luxuriösen Nachteil mit sich brachte, die Folgewoche mit einer ekligen Erkältung verbringen zu dürfen. Von der Laufbahn aus war jedoch der Weg zu den Protagonisten nicht weit. Das Spiel trug sich nur wenige Meter vor meinen Augen entfernt zu und vermittelte selbst mir als passioniertem Gehlegastheniker den untrüglichen Eindruck, mitten im Geschehen zu sein. Was für einen Menschen, dessen Oberschenkelmuskulatur in ihrer Konsistenz an geronnenen Grießbrei erinnert, bei all den durchtrainierten Vollprofis durchaus erhebend sein kann.
Vor allem aber – und hierin liegt der wahre Vorteil der spielfeldnahen Unterbringung – betrat und verließ man das Stadion als Rollstuhlfahrer durch den gleichen Ein-/Ausgang wie die prominenten Akteure, mit der zwangsläufigen Folge, die kleinen oder großen Stars aus nächster Nähe beobachten zu können. So weiß ich nun zumindest, dass Reporter Tom Bayer ein hoffnungsloser Kettenraucher ist – und Uli Hoeneß ein durchaus höflicher Zeitgenosse.
Am 20. September 1997 nun waren meine Bayern in Köln zu Gast und ich verfolgte den schmeichelhaften 3:1-Sieg meines Leib-und-Magen-Teams aus unsicherer Tartanbahn-Entfernung. Unmittelbar nach Abpfiff machte ich mich in Richtung Marathontor auf, also just an die Stelle, wo ich auf einen Kahn oder Scholl würde treffen sollen. Denn an diesem 20. September hatte ich mir eines vorgenommen: Ich wollte etwas mitnehmen. Torwarthandschuhe, ein Trikot oder notfalls eben nur die schwärmerische Erinnerung an einen feuchten Händedruck. Diesmal würde ich alle Register ziehen und sogar auf den von mir so verhassten Mitleidseffekt setzen.
Ein Fußballprofi würde einem treudoof grinsenden Fußballfan im Rollstuhl doch nichts abschlagen können, zumal wenn er für den FC Bayern spielt, wo man es mit der sozialen Verantwortung bekanntlich sehr genau nimmt. Die soziale Verantwortung war diesmal ich. Diesmal wollte ich eiskalt Profit schlagen aus dem allgegenwärtigen Mitleidseffekt, der mir sonst doch wie jedem körperlich Minderbemittelten so abgrundtief zuwider war. Mitleid ist der Nährborden für einen gepflegten Minderwertigkeitskomplex, Mitleid verführt zu Überheblichkeit, Mitleid ist zum Kotzen, aber Mitleid kann eben auch manchmal sehr nützlich sein – jedenfalls wenn man es gewinnbringend einzusetzen vermag.
Und das wusste ich an jenem 20. September 1997. Mein Opfer hieß Thomas Strunz und war zu diesem Zeitpunkt ein angesehener Bundesligaprofi mit vorzeigbarer Nationalmannschaftskarriere, der aber nur selten im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stand. Zu unspektakulär waren seine Auftritte als Mittelfeldspieler.
Ein knappes halbes Jahr später sollte sich dies grundlegend geändert haben. Giovanni Trapattonis legendäre Brandrede macht aus dem unscheinbaren Musterprofi Thomas Strunz einen unbequemen Revoluzzer mit Kultstatus. Wenngleich es wohl weniger die Schimpftirade des Bayern-Trainers war, als vielmehr die nachfolgende kabarettistische Aufbereitung durch Harald Schmidt, die dem Bayern-Spieler in den Mittelpunkt des Boulevard rückte. "Was erlaube Struuuuunz?" wurde zum geflügelten Wort und Strunz selbst zum neuen Popstar der Bundesliga, der in sämtlichen Arenen der Republik mit einem seltsam ironisch-bittersüßen "Struuuuuunz" begrüßt wurde.
Was erlaube Struuuuuunz?!
Ein einziger Satz hatte aus dem unscheinbaren Thomas Strunz eine Ikone gemacht. Die Karriere an sich hätte dazu wohl kaum Anlass gegeben. In seinen gerade einmal 235 Bundesliga-Spielen (für den FC Bayern und den VfB Stuttgart) schoss Strunz 32 Tore und holte dabei fünf Meistertitel. Hinzu kommen zwei Pokalsiege sowie der Gewinn des Uefa-Pokals und der Champions League – letzteres erlebte Strunz allerdings nur von der Tribüne aus. Mit der Nationalmannschaft, für die er insgesamt 41 Einsätze absolvierte, errang er 1996 den Europameistertitel.
Doch trotz all dieser Erfolge hätte Thomas Strunz ohne die legendäre rhetorische Frage seines damaligen Trainers niemals den Bekanntheitsgrad erlangt, der ihm bis heute innewohnt. Selbst der spätere "Spielerwechsel" seiner Frau Claudia mit den anschließenden Anschuldigungen über die Presse erzeugten kein vergleichbares Medienecho. Thomas Strunz schwieg und beugte so einer langwierigen öffentlichen Schlammschlacht vor.
Bei Thomas Strunz denkt man also unwillkürlich an Giovanni Trapattoni. Ich hingegen denke an den 20. September 1997, den Tag, an dem mir Thomas Strunz am Marathontor des Müngersdorfer Stadions begegnete und Opfer meiner perfiden Mitleidsmasche wurde. Meine knapp formulierte, aber doch so eindeutige Bitte "Thomas… Trikot?!" konnte auch er nicht missverstehen. Kurz entschlossen streifte er sein Dress ab, legte es mir auf den Schoss und gab mir einen Klaps – Mission Mitleid hatte funktioniert.
Noch heute hängt das Trikot in meinem Kleiderschrank – inzwischen sogar gewaschen. Sein Wert dürfte zwischenzeitlich um einiges gestiegen sein. Aber das interessiert mich nicht. Es ist mein persönliches Andenken an einen Kultkicker des FC Bayern.
…oder: Mein Müngersdorf
Wirklich schön war es sicher nicht. Ich mochte es dennoch, hatte ich hier doch mein erstes Mal erlebt, im Mai '88 beim Spiel zwischen dem 1. FC Köln und Werder Bremen. Zum ersten Mal in meinem Leben besuchte ich ein großes Fußballstadion und atmete die herbe Luft der großen weiten Fußballwelt. Die unüberschaubaren Menschenmassen, das irritierende Duftgemisch aus Reibekuchen, Gras und Schweiß, die unwirkliche Nähe zu den Littbarskis und Riedles – meine kindliche Seele kapitulierte vor der Unmenge der auf sie einströmenden Eindrücke. Ich wusste nicht, wie mir geschah, und doch war mir eines sehr schnell klar: Hier gefiel es mir. Hier wollte ich öfter sein. Hier war meine Welt.
Doch so schön die Euphorie des Augenblicks auch war, so schnell wich sie der Ernüchterung. Ich befand mich in einem kaum lösbaren Gewissenkonflikt, hatte sich mein Fußballherz doch längst dafür entschieden, für den FC Bayern zu schlagen. Dabei sollte es auch bleiben. Aber ein kleiner Platz war doch noch frei für dieses gemütliche Fußballstadion mit dem morbiden Charme der 70er Jahre, dessen makelloses Oval mir so vollkommen erschien. So verliebte ich mich ein wenig in das Müngersdorfer Stadion von Köln und bewahrte mir fortan diese Zuneigung, wenngleich ich lernen musste, dass es noch viele andere sehenswerte und womöglich noch beeindruckende Arenen auf dieser Welt gab. Aber das war mir egal. Müngersdorf war mir – als Bayern-Fan – heilig.
Im September 1997 sollten sich dann meine große Leidenschaft (für die Bayern) und meine kleine (für Müngersdorf) auf geradezu magische Weise verbinden. Denn so archaisch wie das Kölner Stadion auch war, so bot es mir als Rollstuhlfahrer doch einen beträchtlichen Luxus. Ich durfte die Spiele von der unbedachten Tartanbahn aus verfolgen, was bei Regenwetter den zugegebenermaßen wenig luxuriösen Nachteil mit sich brachte, die Folgewoche mit einer ekligen Erkältung verbringen zu dürfen. Von der Laufbahn aus war jedoch der Weg zu den Protagonisten nicht weit. Das Spiel trug sich nur wenige Meter vor meinen Augen entfernt zu und vermittelte selbst mir als passioniertem Gehlegastheniker den untrüglichen Eindruck, mitten im Geschehen zu sein. Was für einen Menschen, dessen Oberschenkelmuskulatur in ihrer Konsistenz an geronnenen Grießbrei erinnert, bei all den durchtrainierten Vollprofis durchaus erhebend sein kann.
Vor allem aber – und hierin liegt der wahre Vorteil der spielfeldnahen Unterbringung – betrat und verließ man das Stadion als Rollstuhlfahrer durch den gleichen Ein-/Ausgang wie die prominenten Akteure, mit der zwangsläufigen Folge, die kleinen oder großen Stars aus nächster Nähe beobachten zu können. So weiß ich nun zumindest, dass Reporter Tom Bayer ein hoffnungsloser Kettenraucher ist – und Uli Hoeneß ein durchaus höflicher Zeitgenosse.
Am 20. September 1997 nun waren meine Bayern in Köln zu Gast und ich verfolgte den schmeichelhaften 3:1-Sieg meines Leib-und-Magen-Teams aus unsicherer Tartanbahn-Entfernung. Unmittelbar nach Abpfiff machte ich mich in Richtung Marathontor auf, also just an die Stelle, wo ich auf einen Kahn oder Scholl würde treffen sollen. Denn an diesem 20. September hatte ich mir eines vorgenommen: Ich wollte etwas mitnehmen. Torwarthandschuhe, ein Trikot oder notfalls eben nur die schwärmerische Erinnerung an einen feuchten Händedruck. Diesmal würde ich alle Register ziehen und sogar auf den von mir so verhassten Mitleidseffekt setzen.
Ein Fußballprofi würde einem treudoof grinsenden Fußballfan im Rollstuhl doch nichts abschlagen können, zumal wenn er für den FC Bayern spielt, wo man es mit der sozialen Verantwortung bekanntlich sehr genau nimmt. Die soziale Verantwortung war diesmal ich. Diesmal wollte ich eiskalt Profit schlagen aus dem allgegenwärtigen Mitleidseffekt, der mir sonst doch wie jedem körperlich Minderbemittelten so abgrundtief zuwider war. Mitleid ist der Nährborden für einen gepflegten Minderwertigkeitskomplex, Mitleid verführt zu Überheblichkeit, Mitleid ist zum Kotzen, aber Mitleid kann eben auch manchmal sehr nützlich sein – jedenfalls wenn man es gewinnbringend einzusetzen vermag.
Und das wusste ich an jenem 20. September 1997. Mein Opfer hieß Thomas Strunz und war zu diesem Zeitpunkt ein angesehener Bundesligaprofi mit vorzeigbarer Nationalmannschaftskarriere, der aber nur selten im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stand. Zu unspektakulär waren seine Auftritte als Mittelfeldspieler.
Ein knappes halbes Jahr später sollte sich dies grundlegend geändert haben. Giovanni Trapattonis legendäre Brandrede macht aus dem unscheinbaren Musterprofi Thomas Strunz einen unbequemen Revoluzzer mit Kultstatus. Wenngleich es wohl weniger die Schimpftirade des Bayern-Trainers war, als vielmehr die nachfolgende kabarettistische Aufbereitung durch Harald Schmidt, die dem Bayern-Spieler in den Mittelpunkt des Boulevard rückte. "Was erlaube Struuuuunz?" wurde zum geflügelten Wort und Strunz selbst zum neuen Popstar der Bundesliga, der in sämtlichen Arenen der Republik mit einem seltsam ironisch-bittersüßen "Struuuuuunz" begrüßt wurde.
Was erlaube Struuuuuunz?!
Ein einziger Satz hatte aus dem unscheinbaren Thomas Strunz eine Ikone gemacht. Die Karriere an sich hätte dazu wohl kaum Anlass gegeben. In seinen gerade einmal 235 Bundesliga-Spielen (für den FC Bayern und den VfB Stuttgart) schoss Strunz 32 Tore und holte dabei fünf Meistertitel. Hinzu kommen zwei Pokalsiege sowie der Gewinn des Uefa-Pokals und der Champions League – letzteres erlebte Strunz allerdings nur von der Tribüne aus. Mit der Nationalmannschaft, für die er insgesamt 41 Einsätze absolvierte, errang er 1996 den Europameistertitel.
Doch trotz all dieser Erfolge hätte Thomas Strunz ohne die legendäre rhetorische Frage seines damaligen Trainers niemals den Bekanntheitsgrad erlangt, der ihm bis heute innewohnt. Selbst der spätere "Spielerwechsel" seiner Frau Claudia mit den anschließenden Anschuldigungen über die Presse erzeugten kein vergleichbares Medienecho. Thomas Strunz schwieg und beugte so einer langwierigen öffentlichen Schlammschlacht vor.
Bei Thomas Strunz denkt man also unwillkürlich an Giovanni Trapattoni. Ich hingegen denke an den 20. September 1997, den Tag, an dem mir Thomas Strunz am Marathontor des Müngersdorfer Stadions begegnete und Opfer meiner perfiden Mitleidsmasche wurde. Meine knapp formulierte, aber doch so eindeutige Bitte "Thomas… Trikot?!" konnte auch er nicht missverstehen. Kurz entschlossen streifte er sein Dress ab, legte es mir auf den Schoss und gab mir einen Klaps – Mission Mitleid hatte funktioniert.
Noch heute hängt das Trikot in meinem Kleiderschrank – inzwischen sogar gewaschen. Sein Wert dürfte zwischenzeitlich um einiges gestiegen sein. Aber das interessiert mich nicht. Es ist mein persönliches Andenken an einen Kultkicker des FC Bayern.
Aufrufe: 15077 | Kommentare: 28 | Bewertungen: 35 | Erstellt:03.01.2011
ø 9.4
KOMMENTARE
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03.01.2011 | 19:21 Uhr
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UliFan : @ voegi
Ich halte es da eher mit Sammy Kouffour:"Wir wolle rot weiße Trikot, roooot weiße Trikots"
Aber bei einem vom Spieler selbst getragenen, wär´s mir dann auch egal gewesen *Neid*
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03.01.2011 | 19:16 Uhr
-2
Voegi :
@ ulifandoch es war dieses dunkelblaue (!) trikot. mir selbst hat es eigentlich ganz gut gefallen.
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03.01.2011 | 19:13 Uhr
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Bailey :
Sehr schöne Story!Ich mochte Strunz eigentlich, als er bei uns war. Trotz seines Ausspruchs: "Das Beste an Stuttgart ist die A8 nach München".
Jeder hat halt so seine Prioritäten
Ich versteh auch bis heute nicht, warum er damals von Trap so unter den Senkel gestellt wurde...aber naja, was solls.
Hat Spaß gemacht zu lesen!
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03.01.2011 | 19:01 Uhr
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UliFan :
Schöner Blog und schöne Geschichte.Ich hoffe nur es war nicht das Trikot vom Foto, dieses seltsame dunkle Teil hat mir nie besonders gefallen
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Da gabs schon deutlich schlimmere!
BTW schöner Blog.