09.11.2010 um 20:27 Uhr
Geschrieben von Voegi
FCB-SPOX-Standpunkte (I)
Schweigen ist Silber
An der Säbener Straße streitet man sich bekanntlich gerne über die Feinheiten des Fußballs. Doch eine Erkenntnis steht wie in Stein gemeißelt über jeder leidenschaftlich geführten Debatte: Fußball ist keine Mathematik. Karl-Heinz Rummenigges Statement aus dem November 2007 ist jedoch mehr als ein belangloser Allgemeinplatz, der Erfolg im Sport zur unkalkulierbaren Größe erklärt. Die Verbalattacke des Vorstandsvorsitzenden gegen den damaligen Trainer Ottmar Hitzfeld steht viel mehr stellvertretend für ein Wesensmerkmal des deutschen Rekordmeisters: Beim FC Bayern mischt man sich ein und steht auch in der Öffentlichkeit für seine eigene Meinung ein, selbst wenn dies zu kaum absehbaren Turbulenzen führt. So haben es Rummenigge, Beckenbauer und Hoeneß in den vergangenen Jahren immer wieder gehalten: Wenn ihnen etwas gegen den Strich ging, so haben sie dies deutlich und für jedermann wahrnehmbar artikuliert. Das Presseecho war in aller Regel entsprechend groß – tagelange Diskussionen mit umfangreicher Medienberichterstattung die Folge.
Dieses Phänomen ist eine nicht zu leugnende Facette des FC Bayern, der ob seiner boulevardesken Anekdoten einst als FC Hollywood belächelt wurde. Inzwischen haben sich Eklats und Skandälchen auf ein Minimum reduziert. Und dennoch: Wenn die Vereinsbosse, wie zuletzt Uli Hoeneß bei seinem Affront gegen Louis van Gaal, die Stimme erheben, ist die allgemeine Aufmerksamkeit groß. Über mehrere Tage steht der FC Bayern dann im Fokus der Öffentlichkeit und sieht sich mit heiklen Fragen nach vereinsinterner Loyalität konfrontiert. Umgehend wird daraufhin der Kritiker, ob er nun Rummenigge, Hoeneß oder in den meisten Fällen Beckenbauer heißt, von seinen Kollegen zurückgepfiffen und für seine vermeintlich unbedachte Aussage getadelt. Kritik, so heißt es regelmäßig, solle man intern äußern und sich nicht an die Medien wenden.
Dieses Argument scheint einleuchtend. Jedes gut geführte Unternehmen, das nur ein bisschen Wert auf seine Außendarstellung legt, ist darauf bedacht, in der Öffentlichkeit nicht als zerstritten zu gelten. Es hält seine Mitarbeiter, vor allem seine hochrangigen Verantwortungsträger dazu an, Kritik intern zu äußern. Ein öffentlicher Angriff auf Angestellte des eigenen Unternehmens oder gar das Unternehmen selbst gilt als unternehmensschädigend und ist somit Tabu.
Doch kann man diese Maßstäbe auch an einen Fußballclub wie den FC Bayern anlegen? Gelten hier wirklich die gleichen Grundprinzipien wie im Wirtschaftsleben? Da Fußballvereine heutzutage de facto Wirtschaftsunternehmen darstellen, spricht in der Tat manches dafür, die Grundsätze der Unternehmensführung einszueins auf große Sportvereine zu übertragen. Als Fans eines Fußballclubs (und nicht eines Wirtschaftsunternehmens) sehe ich die Dinge jedoch anders. Mir geht es natürlich – wie jedem Fan auch – um sportlichen Erfolg, der durch solcherlei Eskapaden möglicherweise gefährdet wird. Ich sehne mich aber auch nach Unterhaltung. Und ich weiß, Fußball bietet mehr Unterhaltung als die Dramatik auf dem Feld. Fußball lebt auch von seinen Geschichten rund um das Spiel. Das ist gilt für den FC Bayern mehr als für jeden anderen Verein in Deutschland. Den 1. FC Köln vielleicht einmal ausgenommen.
Zänkereien und Theater gehören zum FC Bayern wie das Weißbier zu München. Sie sind fester Bestandteil des Corporate Identity des meistgeliebten und –gehassten Fußballvereins in Deutschland. Ein stromlinienförmiger FC Bayern ohne Misstöne und öffentliche Differenzen wäre nicht der Verein, in den ich mich seinerzeit verliebt habe. Ich kann und will ihn mir inzwischen gar nicht mehr anders vorstellen. Mein FC Bayern ist genauso streitbar wie streitlustig.
Natürlich definiert sich der FC Bayern über weit mehr als nur über seine Außendarstellung, in der er mitunter als konflikt- und disktutierfreudig wahrgenommen wird. Gleichwohl ist und bleibt der öffentliche Disput eine Art Identitätskriterium. Aber wahrscheinlich ist er sogar mehr als das, nämlich der Garant für den Erfolg von Morgen. So liegt eine der entscheidenden Weichenstellungen beim FC Bayern darin, einstige Spieler in verantwortungsvoller Position langfristig an den Verein zu binden. Man mag dies als Ausdruck der Bayern-Familie sehen oder schlicht als kluge unternehmerische Entscheidung. In jedem Fall profitiert der Verein von der Kompetenz seiner ehemaligen Akteure, die dem Club ihr in vielen Jahren erworbenes Know-How zur Verfügung stellen. Dazu gehört es eben auch, konstruktive Kritik zur rechten Zeit zu artikulieren – was in aller Regel intern geschehen sollte. Doch nicht immer ist es mit einer diskret geäußerten Stellungnahme getan. Manchmal bedarf es eines markerschütternden Signals, um einen Verein aus seinem Winterschlaf zu wecken.
Dieses Argument wird bei jedem Sportverein gerne herangezogen, um eine öffentlich geäußerte Kritik im Nachhinein zu rechtfertigen. Doch nirgendwo ist es so berechtigt wie beim FC Bayern, wo das eigene Anspruchsdenken die Grundlage für den sportlichen Erfolg bildet. An der Säbener Straße gibt man sich nicht mit zweiten Plätzen zufrieden – man sinnt kontinuierlich auf Titel, ohne sich jemals wirklich zufrieden zu geben. Genau dies unterscheidet den Rekordmeister von anderen Fußballclubs in Deutschland. Und genau dies erklärt, weshalb die Bayern in den letzten 30 Jahren dauerhaft erfolgreich waren. Doch eben dieser Anspruch an sich selbst muss deutlich ausgesprochen werden. Und das funktioniert eben nicht nur durch interne Kommunikation. Der Erfolgsanspruch muss öffentlich artikuliert werden, um permanent Druck aufzubauen – Druck als Basis des eigenen Erfolgsstrebens.
Deshalb darf man beim FC Bayern auch zukünftig nicht vor dem Weg in die Öffentlichkeit zurückschrecken. Selbstverständlich sollten öffentliche Provokationen nicht die Regel sein – aber hier und da können sie reinigend wirken und hilfreich sein. Auf einem anderen Blatt steht indes die Frage, ob die jeweilige Kritik in der Sache berechtigt ist. Optimal wäre es, wenn nur sachlich fundierte und angemessene Kommentare in die Öffentlichkeit gelangen. Dies wird allerdings Wunschdenken bleiben. Andererseits liefern gerade überzogene und provokative Statements doch den höchsten Unterhaltungswert. Und das ist ja auch etwas Schönes.
Machen wir uns also nichts vor: Ein FC Bayern braucht öffentliche Diskussionen, kleine und große Eklats und eine gute Portion Boulevard. Er muss deshalb ja nicht gleich in die Zeiten des FC Hollywood zurückfallen. Tagtägliche Schlammschlachten nerven nicht nur, sie sind auch in der Tat schädlich für den Verein. Aber ab und zu ein gepflegtes, offen ausgesprochenes Machtwort kann nie schaden – auch und gerade dem FC Bayern nicht.
In unserer neuen Reihe "Standpunkte" meldet sich alle zwei Wochen ein Bayern-Fan mit einem Kommentar rund um unseren Lieblingsclub zu Wort.
Aufrufe: 5029 | Kommentare: 11 | Bewertungen: 26 | Erstellt:09.11.2010
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