Jetzt schließen wir einen Moment die Augen. Die Wolken ziehen vorbei, es wird dunkler, es wird kälter. Nicht so kalt wie es eigentlich im Januar sein sollte und von Schnee ist auch keine Spur, aber doch ist es etwas kühler.

Jetzt öffnen wir sie wieder und realisieren, dass wir mitten in der Kurve stehn. Die Stimmung kocht an diesem Mittwochabend, etwas elektrisierendes, etwas aufregendes liegt in der Luft, ein glorreicher Ligafight neigt sich dem Ende. Eins eins steht es zwischen dem glorreichen FC Bayern München und dem strauchelnden VfB. Eins eins nach einem tollem und ausgeglichenem Spiel. Doch noch ist es nicht vorbei, die 93. Minute läuft, nur noch wenige Sekunden. Thomas Müller kommt an den Ball, flankt ihn noch einmal in die Mitte, dort, sträflich allein gelassen taucht plötzlich Thiago Alcantara auf, hebt ab, er liegt diagonal in der Luft, die Zuschauer halten den Atem an, er trifft den Ball dort, vielleicht dreizehn Meter halblinke Position voll, der Ball fliegt, Ulreich fliegt hinterher, quälend langsam nähert sich das Leder der Linie und streichelt nur den Pfosten. Und dann ist es aus, aus und vorbei. Der besten Mannschaft der Welt wurde ein hochverdienter Punkt abgerungen.

Was folgt ist ein Rausch der Gefühle, ein feuriger Sturmlauf. Dem schwäbischen Team wurde in Südafrika die nötige Präzision eingeimpft und Schneiders junge Mannen trumpfen mit spektaktulärem Offensivfußball. Platz um Platz pirschen sie sich näher an das internationale Geschäft heran, Woche und Woche rückt der große Traum näher. Leverkusen wurde niedergerungen, Hoffenheim wurde erneut abgeschossen, der HSV und Nürnberg in tiefste Krisen gestürzt. Jetzt kommt die Borussia aus Dortmund und mit einem Sieg kann das Team bis auf einen Punkt herankommen! Wahlers Vision, in vier bis fünf Jahren Champions League? Der pure Pessimismus, schon jetzt ist der Erfolg zum greifen nahe.

Doch schon längst wird hinter den Kulissen die neue Saison vorbereitet. Das junge, hungrige Team rund um den Capitano Christian Gentner soll in Spitze und Breite verstärkt werden, Wahler versprach bereits Investitionen, Mercedes sicherte Millionen zu. Ganz oben auf der Liste: André Hahn. Schläppische 2,25 Millionen soll der Neu-Nationalspieler kosten, Flügelflitzer Traore ersetzen und Martin Harnik mittelfristig verdrängen.

Für die große Schwachstelle hinten rechts konnte endlich nach zahllosen Anläufen in der Vergangenheit Sebastian Jung verpflichtet werden. Der Frankfurter scheint die Geduld mit der Eintracht verloren haben und möchte endlich dauerhaft ins internationale Geschäft einziehen. Schwaab wird wohl zunächst nach innen gezogen und der junge und immer noch unsichere Rüdiger darf sich in Ruhe weiterentwickeln.

Aber auch ganz vorne in der Spitze drin tut sich etwas. Der entäuschende Abdelloue möchte Stuttgart wieder verlassen und Florenz macht bei Ibisevic ernst. Rechnet man sich zwar nur Außenseiterchancen auf den aktuell besten Stürmer im Ländle, Kevin Volland von der TSG, aus, nimmt man bei einem anderen die Pole-Position ein. In Liga zwei möchte Lassoga nicht mitgehen, zur Hertha und Luhukay nicht zurückkehren, da erinnert er sich, wer bereit war vier Millionen in ein langzeitverletztes Talent zu investieren. Die Vertrag soll schon beinahe unterschriftsreif sein.

Plan B und C sind königlich: Joselu, im Schwabenländle geboren und ehemaliger Stürmer von Real Madrid, möchte nicht nach Hoffenheim zurückkehren, die Frankfurter können ihn nicht finanzieren. Und schließlich lässt Bobic noch alte Kontakte aufwärmen und befindet sich scheinbar in intensiven Gesprächen um Nachwuchsstürmer Morata. Sollte die Champions League noch erreicht werden, stünde ein Kauf inklusive der obligatorischen Rückkaufklausel für Real im Raum.

Es scheint, als könnte der VfB endlich das schlummernde Potential wecken, endlich die wiederholt schwache Liga ausnutzen um sich wieder jene Position zurückzuholen und zu sichern, die dem Verein am besten liegt: Das obere Viertel und in Schlagdistanz nach ganz oben!

Und wisst ihr, was jetzt passiert? Jetzt realisieren wir, dass wir die Augen gar nicht geöffnet hatten, sondern das wir sie erst jetzt wieder öffnen. Das wir für einen kurzen Moment eingedöst sind, ein Moment, in den wir von dem aktuellen Transfermarkt fasziniert waren, von den Möglichkeiten die das Stuttgarter Umfeld und die allgemeine Schwäche der Liga bietet geblendet. Und dann machen wir die Augen wirklich auf und erkennen einen Verein am Abgrund. Eine Mannschaft mit großen sportlichen Möglichkeiten aber ohne den Willen diese zu gebrauchen. Ein verunsichertes Team, das alles über den Fußball zu vergessen haben scheint, das nicht mehr weiß, wie es den Kampf annehmen und austragen soll. Ratlosigkeit, wie man in diese Krise schlittern soll und vor allem wie man sie wieder beenden kann.

Und wir erkennen, das sich die Zeichen der Zeit geändert haben. Nicht das internationale Geschäft ist die realistische Option, nicht die obere Tabellenhälfte, nicht einmal der Ligaverbleib. Realistisch ist einzig und allein der Abstieg.

Und doch bleibt da noch ein Funken Hoffnung.

Der Kampf hat jetzt begonnen, der Kampf muss mit allen Mitteln fortgeführt werden. Und zur Not, muss dann halt der FC Bayern geschlagen werden.