22.12.2008 um 13:17 Uhr
Geschrieben von Elm
Für Geschichtsbücher
Duracell-Hase gegen Schweizer Uhrwerk
Es gab viel im Jahr 2008, auf das man mit den verschiedensten Gefühlen zurückblicken kann. Vom Champions-League-Finale und dem ewigen Zweiten Michael Ballack über das Herzschlag-Finale der Formel 1und einem geborenen Champion Lewis Hamilton bis hin zum Wetteifern in Peking, das einem phasenweise vorkam, wie ein Wettstreit zwischen Pharma-Konzernen und Ärzten und bei dem nur in großen Momenten wie zwischen der russischen und georgischen Sportschützin zu olympischen Gefühlen kam.
Das Größte war aber das Wimbledon-Finale. Seit drei Jahren hat Rafael Nadal Roger Federer gejagt. Der Spanier, der sich vor jedem Spiel vor dem Spiegel aufbaut, sich selbst pusht und dementsprechend aufgedreht in seine Matches geht gegen die personifizierte Ruhe aus der Schweiz, die in Wimbledon nicht in Sportkleidung einläuft und sich warm spielt, sondern wahlweise im Jacket oder Strick-Pullover auftritt. Der König des Sandes von Paris gegen den Lord von Wimbledon. Der vielleicht beste Tennis-Spieler aller Zeiten gegen den nimmermüden Arbeiter und vielleicht größten Fighter, den das Tennis je zu Gesicht bekommen haben könnte.
Drei Wochen davor hat Nadal Federer aufgezeigt, was passiert, wenn er in Top-Form ist, dazu motiviert und einen Tag erwischt, an dem alles funktioniert. Im Finale von Paris hat der Spanier Federer in drei Sätzen abgewatscht. Es war auch nie spannend. Das einzig Spannende war, ob Federer es schafft, sich reinzukämpfen. Nach 6:1, 6:3 und 6:0 für Nadal hielt sich diese Spannung allerdings auch in einem überschaubaren Rahmen. Jetzt war Nadal auf einmal nicht mehr "nur am Schweizer dran", sondern er wurde ihm brandgefährlich. Jahrelang hat Nadal ihn gejagt, ohne Federer wirklich fassen zu können. Dann dieses Finale von Paris. Nadal hatte ihn in die Enge getrieben und jetzt sollte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis er FedEx überholt.
Nicht die schlechtesten Vorzeichen für ein Wimbledon-Finale. Es sollte einen Showdown geben – dessen waren sich alle sicher. Doch was am 6. Juli kam, toppte die kühnsten Vorfreuden. Das dritte Jahr in Folge spielten die beiden Giganten das Finale des Lawn Tennis Championships gegeneinander aus. Von Jahr zu Jahr wurde es davor spannender. 2006 gewann Federer in vier Sätzen, 2007 waren es dann schon fünf – den letzten entschied der Herr des Rasens aber klar mit 6:2 für sich. 2008 sollte alles anders werden.
Insgesamt jagten die beiden vier Stunden und achtundvierzig Minuten das gelbe Filz die Linien hoch und runter, longline und crosscourt stochen sie sich immer wieder aus. Nadal mit seiner brachialen Topspin-Vorhand, Federer mit überlegten Schlägen – vor allem seine Rückhand fiel wieder und wieder auf die Linien. Zwei Mal wurde das Spiel unterbrochen. England. Regen.
Nadal legte los, wie die Feuerwehr. Die ersten beiden Sätze gewann er jeweils 6:4. Es drohte ungemütlich zu werden auf Federers Rasen. Und es drohte, wie schon in Paris eine Dreisatzniederlage zu werden. Doch auf einmal stemmte sich Federer mit allem, was er an diesem Tag aufbieten konnte, gegen die Niederlage. Mit Erfolg. Dritter Satz. Tie-Break. Federer hat sechs Mal Aufschlag – er schlägt vier Asse. Nadal kann sich auf einmal nicht mehr wehren. Das Blatt scheint sich zu wenden.
Der Spanier bringt seine Aufschlagspiele zwar durch, aber nicht so souverän wie Federer. Bis zum Tie-Break im Vierten. Mit einem unfassbaren Passierschlag erzwingt sich der Spanier einen Matchball. Doch dieses Match war noch nicht zu Ende. Das wussten in diesem Moment alle. Nadal schien es ebenso zu wissen, wie das Publikum. Aber am sichersten war sich Federer. Die Linie runter schlägt er einen Rückhandball, der in Technik, Geschwindigkeit und Präzision von der Perfektion so weit entfernt war, wie ein perfektes Spiel beim Bowling, eine 147 im Snooker, fünf mal zwanzigkommanull beim Skispringen und so weiter – gar nicht. Es war ein perfekter Schlag. Das konnte man am allerbesten aus Nadals Gesicht ablesen. Jetzt schien der Spanier gebrochen. Und Federer war obenauf.
Und dann kam der fünfte Satz. Beide waren müde. Zu müde, um überhaupt noch zu jubeln oder Emotionen zu zeigen. Aber beide waren voll konzentriert. Beide waren da. Die Ballwechsel erinnerten nicht mehr an Tennis. Es war ein Duell zwischen den beiden Größten. Es ging nicht mehr um das Spiel. Es ging darum, wer den größeren Willen zeigt. Weder Federer noch Nadal gebrauchten jetzt noch Gesten, Blicke oder Körpersprache. Die beiden benutzten ihre Schläger und die Bälle, um sich gegenseitig weh zu tun. Und beide genossen es. Nach viereinhalb Stunden Matchdauer war immer noch kein Ende absehbar und es begann zu dämmern.
Manch einer hegte schon die Befürchtung, vielleicht auch die Hoffnung, das Spiel werde abgebrochen und am nächsten Tag fortgesetzt. Wirkliches Licht kam jetzt nur noch aus den hunderten von Digitalkameras. Die letzten 20 Minuten spielten die beiden in einem Blitzlichtgewitter. Für alle anwesenden schien für diese Momente genau dort das Zentrum des Universums zu sein. Das gemeine war: dieses Spiel hatte keinen Verlierer verdient. Nach den ersten beiden Sätzen wäre Federer noch der verdiente Verlierer gewesen. Danach hätte sich Nadal aber auch nicht beschweren dürfen, wenn er das Ding nach Satz vier noch aus der Hand gibt. Aber diese fünfte Satz war mit das besten, was der Tennis-Sport je erfahren durfte.
Der Ausgang ist bekannt. Das Ende des Matches war auch wenig spektakulär. Federer will einen Netzangriff vorbereiten und die Kugel cross mit der Vorhand in die Ecke zimmern. An und für sich keine schlechte Idee, bei Matchball gegen sich, Nadal hatte einen weiten Weg und war schon fix und fertig. Dumm nur, dass der Ball im Netz landete. Also musste Nadal nicht weiterlaufen, sondern konnte zusammensacken und sich freuen.
Tim Henman bezeichnete die Partie als "antikes Drama", McEnroe meinte, es sei das beste Spiel, das er je gesehen habe. Und sogar Federer wusste, was er in diesem Moment verloren hatte: es war mehr als Platz eins der ATP. Es war viel mehr, als das Geld, das er nicht gewann. Es war auch nicht der Pokal, den er dieses Mal nicht hoch halten durfte. "Seine Zeit" schien vorbei. Die Zeit der Nadals, Djokovics und Murrays schien endgültig angebrochen. "Das war die schlimmste Niederlage meiner Karriere – bei weitem." sagte er danach. Er habe sich nur selten schlechter gefühlt.
Und Nadal? Er gewann in der Folge in Peking und war danach einfach zu mitgenommen, um den Rest der Saison noch ernsthaft bestreiten zu können. Bei den US Open kam der Spanier zwar noch einmal ins Halbfinale. Schied dort aber gegen einen Andy Murray aus, der an diesem einen Tag noch dazu unschlagbar schien. Das Finale in New York gewann dann aber Federer. Mit Emotionen, mit Wut, mit Frust und mit Energie. Auch, wenn er das Masters verlor – 2009 verspricht gigantische Duelle. Daran lässt im Moment weder der spanische Duracell-Hase noch das Schweizer Uhrwerk Zweifel aufkommen.
Es gab viel im Jahr 2008, auf das man mit den verschiedensten Gefühlen zurückblicken kann. Vom Champions-League-Finale und dem ewigen Zweiten Michael Ballack über das Herzschlag-Finale der Formel 1und einem geborenen Champion Lewis Hamilton bis hin zum Wetteifern in Peking, das einem phasenweise vorkam, wie ein Wettstreit zwischen Pharma-Konzernen und Ärzten und bei dem nur in großen Momenten wie zwischen der russischen und georgischen Sportschützin zu olympischen Gefühlen kam.
Das Größte war aber das Wimbledon-Finale. Seit drei Jahren hat Rafael Nadal Roger Federer gejagt. Der Spanier, der sich vor jedem Spiel vor dem Spiegel aufbaut, sich selbst pusht und dementsprechend aufgedreht in seine Matches geht gegen die personifizierte Ruhe aus der Schweiz, die in Wimbledon nicht in Sportkleidung einläuft und sich warm spielt, sondern wahlweise im Jacket oder Strick-Pullover auftritt. Der König des Sandes von Paris gegen den Lord von Wimbledon. Der vielleicht beste Tennis-Spieler aller Zeiten gegen den nimmermüden Arbeiter und vielleicht größten Fighter, den das Tennis je zu Gesicht bekommen haben könnte.
Drei Wochen davor hat Nadal Federer aufgezeigt, was passiert, wenn er in Top-Form ist, dazu motiviert und einen Tag erwischt, an dem alles funktioniert. Im Finale von Paris hat der Spanier Federer in drei Sätzen abgewatscht. Es war auch nie spannend. Das einzig Spannende war, ob Federer es schafft, sich reinzukämpfen. Nach 6:1, 6:3 und 6:0 für Nadal hielt sich diese Spannung allerdings auch in einem überschaubaren Rahmen. Jetzt war Nadal auf einmal nicht mehr "nur am Schweizer dran", sondern er wurde ihm brandgefährlich. Jahrelang hat Nadal ihn gejagt, ohne Federer wirklich fassen zu können. Dann dieses Finale von Paris. Nadal hatte ihn in die Enge getrieben und jetzt sollte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis er FedEx überholt.
Nicht die schlechtesten Vorzeichen für ein Wimbledon-Finale. Es sollte einen Showdown geben – dessen waren sich alle sicher. Doch was am 6. Juli kam, toppte die kühnsten Vorfreuden. Das dritte Jahr in Folge spielten die beiden Giganten das Finale des Lawn Tennis Championships gegeneinander aus. Von Jahr zu Jahr wurde es davor spannender. 2006 gewann Federer in vier Sätzen, 2007 waren es dann schon fünf – den letzten entschied der Herr des Rasens aber klar mit 6:2 für sich. 2008 sollte alles anders werden.
Insgesamt jagten die beiden vier Stunden und achtundvierzig Minuten das gelbe Filz die Linien hoch und runter, longline und crosscourt stochen sie sich immer wieder aus. Nadal mit seiner brachialen Topspin-Vorhand, Federer mit überlegten Schlägen – vor allem seine Rückhand fiel wieder und wieder auf die Linien. Zwei Mal wurde das Spiel unterbrochen. England. Regen.
Nadal legte los, wie die Feuerwehr. Die ersten beiden Sätze gewann er jeweils 6:4. Es drohte ungemütlich zu werden auf Federers Rasen. Und es drohte, wie schon in Paris eine Dreisatzniederlage zu werden. Doch auf einmal stemmte sich Federer mit allem, was er an diesem Tag aufbieten konnte, gegen die Niederlage. Mit Erfolg. Dritter Satz. Tie-Break. Federer hat sechs Mal Aufschlag – er schlägt vier Asse. Nadal kann sich auf einmal nicht mehr wehren. Das Blatt scheint sich zu wenden.
Der Spanier bringt seine Aufschlagspiele zwar durch, aber nicht so souverän wie Federer. Bis zum Tie-Break im Vierten. Mit einem unfassbaren Passierschlag erzwingt sich der Spanier einen Matchball. Doch dieses Match war noch nicht zu Ende. Das wussten in diesem Moment alle. Nadal schien es ebenso zu wissen, wie das Publikum. Aber am sichersten war sich Federer. Die Linie runter schlägt er einen Rückhandball, der in Technik, Geschwindigkeit und Präzision von der Perfektion so weit entfernt war, wie ein perfektes Spiel beim Bowling, eine 147 im Snooker, fünf mal zwanzigkommanull beim Skispringen und so weiter – gar nicht. Es war ein perfekter Schlag. Das konnte man am allerbesten aus Nadals Gesicht ablesen. Jetzt schien der Spanier gebrochen. Und Federer war obenauf.
Und dann kam der fünfte Satz. Beide waren müde. Zu müde, um überhaupt noch zu jubeln oder Emotionen zu zeigen. Aber beide waren voll konzentriert. Beide waren da. Die Ballwechsel erinnerten nicht mehr an Tennis. Es war ein Duell zwischen den beiden Größten. Es ging nicht mehr um das Spiel. Es ging darum, wer den größeren Willen zeigt. Weder Federer noch Nadal gebrauchten jetzt noch Gesten, Blicke oder Körpersprache. Die beiden benutzten ihre Schläger und die Bälle, um sich gegenseitig weh zu tun. Und beide genossen es. Nach viereinhalb Stunden Matchdauer war immer noch kein Ende absehbar und es begann zu dämmern.
Manch einer hegte schon die Befürchtung, vielleicht auch die Hoffnung, das Spiel werde abgebrochen und am nächsten Tag fortgesetzt. Wirkliches Licht kam jetzt nur noch aus den hunderten von Digitalkameras. Die letzten 20 Minuten spielten die beiden in einem Blitzlichtgewitter. Für alle anwesenden schien für diese Momente genau dort das Zentrum des Universums zu sein. Das gemeine war: dieses Spiel hatte keinen Verlierer verdient. Nach den ersten beiden Sätzen wäre Federer noch der verdiente Verlierer gewesen. Danach hätte sich Nadal aber auch nicht beschweren dürfen, wenn er das Ding nach Satz vier noch aus der Hand gibt. Aber diese fünfte Satz war mit das besten, was der Tennis-Sport je erfahren durfte.
Der Ausgang ist bekannt. Das Ende des Matches war auch wenig spektakulär. Federer will einen Netzangriff vorbereiten und die Kugel cross mit der Vorhand in die Ecke zimmern. An und für sich keine schlechte Idee, bei Matchball gegen sich, Nadal hatte einen weiten Weg und war schon fix und fertig. Dumm nur, dass der Ball im Netz landete. Also musste Nadal nicht weiterlaufen, sondern konnte zusammensacken und sich freuen.
Tim Henman bezeichnete die Partie als "antikes Drama", McEnroe meinte, es sei das beste Spiel, das er je gesehen habe. Und sogar Federer wusste, was er in diesem Moment verloren hatte: es war mehr als Platz eins der ATP. Es war viel mehr, als das Geld, das er nicht gewann. Es war auch nicht der Pokal, den er dieses Mal nicht hoch halten durfte. "Seine Zeit" schien vorbei. Die Zeit der Nadals, Djokovics und Murrays schien endgültig angebrochen. "Das war die schlimmste Niederlage meiner Karriere – bei weitem." sagte er danach. Er habe sich nur selten schlechter gefühlt.
Und Nadal? Er gewann in der Folge in Peking und war danach einfach zu mitgenommen, um den Rest der Saison noch ernsthaft bestreiten zu können. Bei den US Open kam der Spanier zwar noch einmal ins Halbfinale. Schied dort aber gegen einen Andy Murray aus, der an diesem einen Tag noch dazu unschlagbar schien. Das Finale in New York gewann dann aber Federer. Mit Emotionen, mit Wut, mit Frust und mit Energie. Auch, wenn er das Masters verlor – 2009 verspricht gigantische Duelle. Daran lässt im Moment weder der spanische Duracell-Hase noch das Schweizer Uhrwerk Zweifel aufkommen.
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