Auch hier auf SPOX.com entbrannte ja in letzter Zeit öfter die Debatte, welcher Spieler ist am besten als alleiniger 6er geeignet.
Deshalb bin ich heute ganz besonders Stolz, dass es mir gelungen ist, Rene Maric von der Seite "Spielverlagerung.de" für unseren Gastblog des Monats zu gewinnen.
Seit dem Amtsantritt Pep Guardiolas spielen die Münchner Bayern nahezu durchgehend in einer 4-1-4-1-Formation. Dabei betrifft die größte Veränderung natürlich die Sechser-Position; statt einer geteilten Aufgabenteilung muss der nunmehr alleinige defensive Mittelfeldspieler den Raum vor der Abwehr alleine sichern. Phasenweise agieren die Bayern gar in einem 4-1-3-2 im Pressing, wo der Sechser einen enormen Raum mit schwieriger Entscheidungsfindung treffen muss.
Gleichzeitig muss der Sechser aber nicht nur defensiv komplexe Aufgaben erfüllen, sondern auch das Offensivspiel organisieren, ankurbeln und absichern und dies alles auf einmal. Vermutlich kommen wegen dieser Vielfältigkeit auch so viele mögliche Alternativen in Frage.
Die Kreativspieler: Thiago Alcantara und Toni Kroos
Die zwei offensivsten Varianten dürften Thiago und Kroos sein, die beide in der Vorbereitung schon auf dieser Position gespielt haben. Beide haben die Position als tiefster Sechser vor der Ära Guardiola noch nie gespielt: Thiago spielte beim FC Barcelona und bei der spanischen U21 meist als Achter oder Zehner, ähnliches trifft auf Kroos zu. Wenn sie auf der Sechs agieren, dann sollen sie von hinten gefährliche Pässe in die Spitze spielen, dem Gegner keine Angriffsfläche für ein effektives Pressing bieten und mit ihrer technischen Stärke enge Räume auflösen.
Defensiv können sie aber mitunter für Probleme sorgen. Ihnen fehlt noch die Abstimmung, wann sie aus ihrer Position am besten herausrücken und für ein effektiveres (Gegen-)Pressing sorgen können und wann sie tiefer bleiben müssen. Dieser Mangel an defensiver Qualität ist wohl die Ursache, wieso sie bei den meisten Fandiskussionen aktuell keine Rolle spielen gepaart mit den Mängeln in den klassischen Defensivfähigkeiten wie z.B. dem Defensivzweikampf, der Lufthoheit, der Schnelligkeit im defensiven Umschalten und der Effektivität ihrer Grätschen.
Das Experiment mit diesen beiden hat sich wohl aktuell ad acta gelegt; Guardiola sprach nach Saisonbeginn, dass die Bundesliga eine Konterliga sei, wo nach Ballgewinnen enorm schnell umgeschaltet wird. Hierzu benötigt man eine Sechs, die solche Konter mit Mitteln wie perfektem Stellungsspiel, hoher Erfolgsquote im Zweikampf oder der intelligenter Beteiligung am Gegenpressing vermeiden kann. Insbesondere Letzteres kann ein Spieler im Kader hervorragend.
Der Balancegeber: Philipp Lahm
Die Medien wunderten sich: Philipp Lahm auf der Sechs? Seit dem Spiel gegen Hannover 96 ist Lahm mehr oder weniger Stammspieler auf der Sechs, zuvor hatte diese Rolle Bastian Schweinsteiger innegehabt. Bis zur Partie gegen Hoffenheim, insgesamt also sechs Mal in Folge, hat Lahm diese Position in der Bundesliga ausgeübt mit Bravour. Er machte wie zuvor als Rechtsverteidiger kaum einen Fehler, verteilte die Bälle intelligent, sicherte die Ausflüge seiner Mitspieler ab und sorgte für mehr Stabilität im Mittelfeld.
Mit dieser Stabilität ging auch eine taktische Veränderung einher, Guardiola sprach von einer taktischen Anpassung. So hatte sich die Formation im Aufbauspiel gewandelt. Zuvor kippte der Sechser zwischen die Innenverteidiger ab und ließ eine flache Dreierkette entstehen. Diese Dreierkette blieb fixiert, um im Defensivspiel bei Kontern Briete zu haben. Allerdings mangelte es dadurch oftmals an Präsenz im Sechserraum und beim Gegenpressing, weswegen nun das Abkippen deutlich situativer praktiziert wird. Spätestens wenn der Ball ins gegnerische Spielfelddrittel kommt, dann rückt Lahm ins Mittelfeld auf und orientierte sich weiter nach vorne.
Dank seiner enormen Spielintelligenz kann er antizipieren, wie sich der eigene Angriff entwickelt, wann er scheitern könnte, was das für die Defensive bedeutet und reagiert dann nach Abwägung dieser drei Faktoren auf jede Situation. Defensiv bedeutet dies mehrere Möglichkeiten:
- Er bietet sich an und verhindert, dass der Ball verloren wird.
- Er bewegt sich näher zum Ballführenden, um im Gegenpressing den Ball zu erobern.
- Er bewegt sich zurück oder zur Seite, um dem gegnerischen Konter entgegenzuwirken, ihn abfangen zu können oder die effektivste Passoption des gegnerischen Balleroberers zu versperren.
Durch Antizipation, Spielintelligenz und seinen Fähigkeiten in Defensive ist Philipp Lahm aktuell die Idealbesetzung als alleiniger Sechser. Im Spiel nach vorne überzeugt durch seine Pressingresistenz und intelligente Pässe, wodurch Bayern den Ball selten verliert. Ein weiteres Plus für die Defensive.
Allerdings wird Lahm auch auf dem rechten Flügel benötigt und hat als Sechser mit seiner Physis ein gewisses Manko nicht nur in Zweikämpfen und Luftduellen, sondern auch beim Verhindern von gegnerischen Fouls oder beim Herausschinden eines Pfiffes bei aggressivem gegnerischen Pressing. Dies kommt zwar nicht in jeder Partie vor, könnte aber in Zukunft eine wichtige Rolle spielen.
Der Abräumer: Javi Martinez
In den vergangenen Spielen agierte Javi Martinez in der Vorbereitung noch einige Male als Innenverteidiger eingesetzt als Sechser. Philipp Lahm spielte dabei höher. Dies ist durchaus passend: Martinez konnte in der vergangenen Saison als tiefster Sechser im 4-2-3-1 der Bayern mehr als überzeugen und legte reihenweise Weltklassepartien an den Tag. Obgleich er gelegentlich etwas ungelenk erscheint, so ist er in puncto Pressingresistenz und Passgenauigkeit ein hervorragender Spieler.
Im Gegensatz zur Technik eines Toni Kroos, der Koordination und Dynamik mit Ball von Thiago Alcantara oder Lahms geschmeidiger Fehlerfreiheit ist es bei Martinez die Paarung aus Intelligenz und Physis, welche ihm das ermöglicht. Dies ist an sich fast schon spektakulär: Kaum ein anderer Spieler schafft es, dass er Spielintelligenz und körperliche Stärke defensiv und offensiv miteinander zu einem synergetischen Ganzen verbindet. Martinez kann das.
Wird er gepresst, kann er seinen Körper enorm gut zwischen Ball und Gegner bringen, wodurch er noch zusätzliche Zeit am Ball erhält. Dadurch schafft er in Bedrängnis noch Pässe an den Mitspieler zu bringen und kann auch den Ball unter Druck halten, wenn er keine Anspielstationen hat. Das sieht nicht so elegant aus wie bei seinen Teamkollegen, hat aber (fast) den gleichen Effekt. Zwar ist er ihnen wohl in puncto Kreativität und strategischem Gespür in der Ballverteilung etwas unterlegen, ist hier aber keineswegs schwach, bringt seine Pässe an und kann seine Vordermänner so anspielen, dass diese die Kreativität im letzten Drittel übernehmen können.
Im Verbund mit diesen Fähigkeiten ist Martinez defensiv schlicht eine Allzweckwaffe. Er verkörpert auch hier die Symbiose aus Spielintelligenz und Physis, ist vielleicht bei Ersterem nicht ganz auf dem Niveau wie Philipp Lahm, dennoch aber Weltklasse. Zusätzlich bringt der Baske mit seiner enormen Kopfballstärke und Aggressivität eine zusätzliche wertvolle Komponente mit ein.
Theoretisch hätten die Bayern übrigens einen zweiten Abräumer-Typ mit Fähigkeiten in der Ballzirkulation im Kader. Doch Jan Kirchhoff spielt aktuell keine Rolle er verkörpert zwar einen ähnlichen Typ, ist aber nicht so dynamisch, nicht so spielintelligent, nicht soalles wie Martinez. Aktuell dürfte er maximal als Einwechselspieler oder Rotationsoption gegen tiefstehende, individuell klar unterlegene und mit langen Bällen auf einen Zielspieler agierenden Mannschaften eine Rolle spielen. Allerdings ist Kirchhoff keineswegs ein schwacher Spieler. Er verfügt über eine gute Ballzirkulation, ist spielintelligent und lässt sich variabel zwischen die Innenverteidiger fallen, dazu verfügt er über Kopfballstärke. Ob es für die Bayern reicht, bleibt dennoch zu bezweifeln - einigen anderen Mannschaften aus dem oberen Tabellenmittelfeld könnte er aber sicherlich helfen.
Bastian Schweinsteiger: Die richtige Mischung?
Eine realistischere Option dürfte der aktuell wieder verletzte Schweinsteiger werden. Dieser agierte schon zu Saisonbeginn als Sechser und könnte dabei dem Anforderungsprofil Guardiolas am ehesten entsprechen: Er ist spielintelligent, strategisch hervorragend, ein sehr guter Techniker und Passgeber, kopfballstark, physisch präsent und verfügt über ein sehr gutes Stellungsspiel. Zwar fehlte es den Bayern mit Schweinsteiger als alleiniger Sechs bisweilen etwas an Stabilität, theoretisch müsste sich das mit mehr Spielpraxis auf dieser neuen Position und verbesserten Abläufen im Gegenpressing legen.
Allerdings könnte es auch sein, dass Schweinsteiger wegen einzelnen Aspekten auf lange Sicht womöglich doch für diese Rolle suboptimal sein könnte. Zwar verfügt er auf dem Papier über alle nötigen Fähigkeiten und bringt diese eigentlich im Gesamtpaket am meisten mit, aber im Vergleich mit seinen jeweiligen Konkurrenten benötigt er ein kleines Fünkchen mehr Zeit am Ball. Eigentlich ist dies kein Problem, teilweise wird dies sogar sehr gefährlich, da er den Ball hervorragend abschirmen kann, wodurch seine Mitspieler sich freilaufen können.
Auf der Sechs ist aber eine sehr schnelle und präzise Ballzirkulation gefragt. Schweinsteiger ist hier verglichen mit dem internationalen Standard zwar ebenfalls überdurchschnittlich, aber verschenkt dann seine strategischen Fähigkeiten und verschenkt er diese, dann ist er nicht mehr der im Gesamtpaket stärkste für diese Position. Somit müsste Schweinsteiger eine enorm schnelle Ballzirkulation mit seiner strategischen Passdistribution verbinden, was aber wie eine Mammutaufgabe anmutet. Auch seine Vertikalläufe in die Spitze, sein Besetzen von freien Räumen in der Offensive sowie sein Abschirmen von schwierigen Abspielen in engen Räumen im offensiven Zwischenlinienraum kommen auf der tiefen Sechserposition kaum zum Tragen.
Defensiv kann diese mangelnde Einbindung seiner Fähigkeiten ebenfalls Früchte tragen; in negativer Hinsicht. Bei seinen Spielen auf der Sechs schien Schweinsteiger manchmal ein bisschen zu hoch oder zu tief zu stehen, verglichen mit Martinez und Lahm fand er sich seltener auf der jeweiligen Idealposition zur Absicherung für die jeweilige Spielsituation wieder. Im Defensivspiel rückte er im Gegensatz zu Lahm sehr aggressiv nach vorne und ging in Zweikämpfe, war dabei aber nicht immer so perfekt im Timing wie Martinez, was dann einige Lücken öffnete.
Hier stellt sich die Gretchenfrage: Waren dies Abstimmungsprobleme, weil Schweinsteiger sehr oft mit klarer Absicherung in einem tieferen und kompakteren System agierte, oder ist dies ein Aspekt des Spielercharakters von Schweinsteiger? Ersteres wäre mit Spielpraxis auf Kosten einer kurzfristigen Stabilität einfach behebbar, bei Letzterem müsste komplexe Basisarbeit geleistet werden.
Fazit und eine große Unbekannte
Wie man sehen kann lässt sich die Frage nach der Zukunft der bayrischen Sechs bzw. einem Stammspieler nicht endgültig beantworten. Die Spieler bringen jeweils unterschiedliche Qualitäten mit. Im Idealfall werden sie je nach Gegner und Situation rotiert: Kroos und Thiago (eventuell sogar andere Offensivspieler) könnten diese Position bei einem passiven hochstehenden Gegner übernehmen, Philipp Lahm ist die Idealbesetzung, wenn es um das Bespielen eines tiefen Gegners geht, Schweinsteiger dürfte der ideale Akteur für einen im Sechserraum aggressiv pressenden und sehr hohen Gegner sein.
Allerdings gibt es noch eine weitere Option, die zurzeit wohl niemand auf dem Schirm hat. Der Name lautet Pierre-Emile Höjbjerg, in der Vorbereitung und im Training durfte er bereits an dieser Position üben. Langfristig könnte er diese Rolle wohl übernehmen, wenn er sein enormes Potenzial erfüllt. Er ist für sein Alter körperlich schon enorm weit, ist technisch hervorragend und spielintelligent. Seine Zukunft könnte aber mittelfristig vielleicht noch eine Ebene höher, auf der Acht oder Zehn, liegen.
Die Sechser-Frage bleibt also spannend; falls sie noch lange existiert. Es sagt auch niemand, dass die Bayern sich nicht auch formativ wieder verändern werden, Guardiola sei Dank
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Hochinteressanter Blog, der teilweise bekanntes und teilweise neues enorm gut und übersichtlich zusammenfasst und die Stärken und Schwächen, die Vorteile und Nachteile der Spieler perfekt zusammenfasst. Chapeau und vielen Dank dafür!
Ich persönlich sehe Kroos und Thiago aus den aufgeführten Gründen weiter vorne, da bei ihnen in meinen Augen die defensive Sicherheit nicht 100% gegeben ist, meine Wahl fiele auf Martinez, ich halte ihn nach wie vor auf dieser Position für unersetzbar. Wenn er dort in Topform dichtmacht, sind wir unglaublich schwer zu schlagen.
Philipp ist natürlich immer eine Option, wie du es ja beschrieben hast und aufgrund seiner Spielintelligenz in manchen Bereichen sogar besser geeignet als Martinez, im Gesamtpaket würde ich aber Javi vorziehen.
Also danke für den Blog, sowas würd ich hier sehr gerne viel öfters lesen.
PS: Super Schnum dass du Rene für diesen Blog gewinnen konntest, richtig stark!