Prolog
Und plötzlich stand der Trainer vor mir, er wirkte gestresst und nervös. Auch irgendwie traurig. Er blickte mir in die Augen, guckte aber durch sie durch. Er suchte etwas in meinem Schädel. Dabei wirkte er ratlos. Unsicher. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter: "Schon gut" sagte ich zu ihm und lächelte ihn an.
Drama
Es war ja wirklich nicht das Schlechteste, was mir mit diesem Tag passieren konnte. Ich setzte mich also in meine Karre und knatterte los. Dabei hörte ich Jay-Z, so laut es meine Boxen zuließen. Zu Hause angekommen, warf ich meinen Kulturbeutel aufs Bett und setzte mich auf den Barhocker in der Küche. Erst mal chillen. Dann kramte ich mein Handy hervor und scannte mich durch meine Facebook-Seite. Hatte sich offenbar noch nicht rumgesprochen das alles. Also selbst mal etwas für die eigene Promo machen. "Heute Trainingsfrei. LOL" schrieb ich an meine eigene Pinnwand. Dann löschte ich den Eintrag wieder. Neuer Versuch: "Liebe Fans, wie ihr vielleicht schon mitbekommen habt..." nee, das war zu förmlich. Also wieder gelöscht. Dann doch eher lustig sein: "Trainingsfrei heute. LOL." Zack. Das wars. Hehe. Voll derbe. Dann ging ich zum Kühlschrank und blickte in ein helles Nichts. Hier lag eine etwas trockne Gurke, daneben lag ein Becks. Kurzer Zeitencheck: 10:22 Uhr. Naja, ich hatte ja frei. Also: Flasche auf, ansetzen, beperlen lassen, Kopf in den Nacken, Augen schließen, genießen, frei sein, glücklich sein, laufen lassen, Mann sein, eigene Welt besitzen, GluckGluckGluck.
Anschließend ein kleines Fluppchen. Wenn schon, denn schon. Blauer Dunst. Einatmen, ausatmen. Der Freiheit nahe sein.
Etwas später klingelte mein Handy.
Meine Mutter war dran: "Hallo, mein Hase. Was ist denn da bei Dir schon wieder los?"
"Wieso? Weißt Du schon Bescheid?"
"Natürlich. Du weißt doch, wie das mit den Medien funktioniert heutzutage. Und dann noch dieser blöde Facebook-Eintrag von Dir gerade eben. Was soll das? Machst Du Dich jetzt noch über Dich selbst lustig?"
"Mama..."
"Nein, nichts Mama. Das ist echt Mist, was Du da machst. Du bist ein Vorbild, verdammt. Was ist denn genau passiert?"
"Ach, nichts. Du kennst das doch. Die haben mich einfach auf dem Kieker. Haben behauptet, ich wäre angetrunken zum Training erschienen und haben mich dann einfach suspendiert. Diese Penner."
"Und da war nichts dran? Komm schon, Hase, das ist ja nicht das erste Mal, dass die so etwas behaupten!"
"Mach Dir keine Sorgen, Mama. Ich bin Harrinho, ich komme da schon wieder raus..."
"Sag nicht immer Harrinho. Du heißt nicht Harrinho!"
Die Sache mit dem Harrinho hatte mit Harald Juhnke zu tun und seinen Ursprung in der B-Jugend. Das bezog sich allerdings weniger auf mein Gesangstalent. Wir hatten damals eine Tour mit der Mannschaft nach Griechenland unternommen. Natürlich haben wir da alle heimlich geraucht und nachts haben wir uns das erste Mal am Bier und am Schnaps versucht. Weil ich die Flasche Apfelkorn, die ich in meinen Stutzen geschmuggelt hatte, an einem Abend alleine und recht zügig geleert hatte, nannten mich meine Mitspieler fortan Harrinho. Meine Mutter hasste das.
In den Folgejahren stachelte mich dieser Name immer wieder an. Wenn wir Mannschaftsabende hatten, riefen mir die Jungs immer ein Komm schon, Harrinho! oder ein auf Ex, Harrinho! zu. Was mich motivierte, denn ich hatte einen Ruf zu verlieren. Aber war da irgendwas außergewöhnlich dran? Machen junge Leute nicht immer etwas Party und schlagen über die Stränge?
Ein, an, auf: Ich goss mir einen Barcadi Cola ein, machte mir noch eine Zigarette an, drehte die Musik auf. Dann schlurfte es mich zum Spiegel. Dort blickten mich Augen an, die etwas gerötet waren, ansonsten sah ich aber absolut top aus. Ich begann, Jubelposen einzustudieren, für das nächste Spiel, irgendwann. Mit dem Zeigefinger auf den Lippen rannte ich immer wieder an meinem Spiegel vorbei. Sollte das Publikum doch die Fresse halten, wenn ich ein Tor erzielen würde. Warf verächtliche Blicke in den Spiegel. Dann zeigte ich auf meine imaginäre Rückennummer. Wahlweise übte ich, auch drohend auf die Trainerbank zu deuten. Ich studierte unterschiedliche Fingerzeichen ein, die ich alle für den nächsten Torjubel parat haben wollte. Manche waren zu kompliziert. Aber so viel stand fest: Ein Harrinho ließ sich von so einer kleinen Suspendierung nicht unterkriegen. Ich würde zurückkommen. Und wie!
Schließlich hatte ich Erste Liga gespielt. Was meine Kollegen nun wirklich nicht von sich behaupten konnten. Hatte bei einem Spiel in der Allianz Arena zumindest auf der Reservebank gesessen. Ich war wer, aber wer war ich?
Als ich 18 Jahre alt war, wurde mir nachgesagt, ich wäre der neue Thomas Hässler. Meine Flanken waren zum Niederknien, meine Dribblings zum Verrücktwerden. Dann ging alles schnell, bald schon war ich in der ersten Liga angekommen. In der Glückseligkeit. Alle wollten etwas von mir, Foto hier, Interview da. Ich war ein Star zum Anfassen. Der Rummel um mich herum geilte mich auf. Der Boulevard liebte mich. Abends waren wir häufig unterwegs, lernten Soap-Sternchen kennen, mal etwas knutschen, mal etwas feiern. Am nächsten Morgen dann das große Kramen in den Erinnerungsruinen.
Auf dem Platz habe ich dennoch immer gut funktioniert. Mein Körper hat das alles immer weggesteckt. Ich habe weiter an meiner großen Karriere gebastelt, vielleicht würde ich ja eines Tages mal in Spanien spielen. Oder in England.
Viele wollte ein Stück von meinem Kuchen. Der Druck war immens, aber ich kam damit gut zurecht. Hin und wieder eckte ich an, hatte Streit. Aber wer will schon diese seitenscheitelgeduckten Austauschfußballer sehen? Die druckreife Interviewbausteine in die Mikrofone säuseln? Ich war immer schon anders. Ich wusste, was ich wollte, und wer mich wollte, bekam eben das komplette Paket.
Die Sache mit den Partys hatte ich eigentlich auch immer gut im Griff. Hin und wieder bekam ich etwas Beef mit meinen Trainern, manche meinten, ich würde zu oft und zu tief ins Glas schauen. Aber wenn ich doch trotzdem meine Leistung brachte? Was sollte das dann alles? Heulsusen.
Irgendwann kam ich in der ersten Liga nicht mehr weiter. Nach dem einen oder anderen Wechsel fand ich mich immer öfter auf den Ersatzbänken der Belletage wieder. Es machte mir zunehmend weniger Spaß, ich verlagerte meinen Schwerpunkt auf meine Freizeit. Schwänzte hin und wieder ein kleines Training, machte auch schon mal um 14 Uhr ein Weizen auf. Wieso auch nicht? Harten Alkohol trank ich aber selten. Zumindest selten nachmittags. Hier mal ein kleiner Jägermeister nach einem Mittagessen war schon drin, aber Longdrinks, die gabs definitiv erst abends.
Als ich einmal etwas angeheitert von der Polizei kontrolliert wurde, saß ich leider hinter dem Steuer meines Autos. Das muss ich vorher irgendwie gefahren haben. Das gab Stress, meine Güte! Der Führerschein war erst einmal weg, und dann kam der Spießrutenlauf. Die Medien, sonst meine Freunde, hatten ihr gefundenes Fressen, der Präsident kam auf mich zu und meinte, das würde nichts werden mit uns. Am Ende der Saison lief mein Vertrag aus, ich war plötzlich arbeitslos. Das war eine traurige Zeit. Ich bin eigentlich nie vor 5 Uhr morgens ins Bett, habe dann meistens bis in den Nachmittag geschlafen. Dann bin ich meist runter, in meinen Fitnesskeller und hab erst einmal zehn Liegestütze gemacht, um mich fit zu halten. Dann gabs ein kleines Belohnungsbier, ganz selten mit einem Klaren hinterher.
Über meine Kontakte fand ich dann doch den Weg zurück in den Profifußball. Ich war 29 Jahre alt, meine Flanken suchten immer noch ihresgleichen. Ich musste nun in die 3. Liga, in der bekanntlich nur Pseudokicker rumrumpeln. Da musste ich eigentlich nicht viel tun, um zu überragen. Brutal trainieren war nicht nötig, das ging mit Standgas.
In der neuen Stadt hab ich mich dann auch schnell zurechtgefunden. Die Clubszene war auch besser als ihr Ruf. Ich lernte schnell viele Leute kennen, ging auf Partys und war aber ansonsten eigentlich immer ganz diszipliniert. Mein Trainer meinte, er würde mich schon hinkriegen, aber ich habe nie verstanden, wie er das meinte. Bei seiner Geburtstagsfeier kam es dann zu einem kleinen Disput mit unserem Sportdirektor. Ich hatte Rotwein getrunken, Schnaps gab es nicht. Als ich ansetzte, um mit blankem Oberkörper unseren Präsidenten nachzuahmen, fauchte er mich blöd von der Seite an. Dabei war das alles doch ganz harmlos und lustig gemeint. Weniger lustig war aber der Sportdirektor, der mich besoffene Sau nannte. Da habe ich ihm den Rotwein über sein schickes Hemd geschüttet. Fast aus Versehen. Danach ist bei mir etwas gerissen, denn in der nächsten Szene liege ich auf meinem Bett. Meine Mitspieler meinten, sie hätten mich dazwischen in ein Taxi gesetzt, aber ich habe noch die Quittung von der Tanke gefunden, unterzeichnet von Johnnie Walker.
Am nächsten Tag bat der Sportdirektor mich in sein Büro. Er faselte etwas von einer dunkelgelben Karte, die er mir zeigen würde und dass jetzt Schluss sei mit dem Klimbim. Abends hatte mein Nachbar Geburtstag. Wir feierten wirklich nur ein kleines bisschen, denn um 9 Uhr hatte ich am nächsten Morgen Training. Weil er noch die Karaokemaschine anschmiss (ich sang u.a. Bon Jovis Living on a Prayer!), kam ich dann zwar doch erst um 6 ins Bett, aber eigentlich hatte ich nicht so viel getrunken. Dann der verhängnisvolle nächste Morgen, von dem ich berichtete. Der Vorwurf mit der Alkoholfahne. Lächerlich das alles.
Das war vor fünf Monaten, seitdem bin ich suspendiert. In zwei Monaten läuft dann mein Vertrag aus, mein Berater hat schon gefragt, ob auch Oberliga ginge.
Epilog
Dr. Lanz: "Das ist eine bewegende Geschichte, die Du da erzählt hast. Aber Du weißt, dass Du ES sagen musst. Du musst ES sagen, damit wir Dich hier in der Gruppe aufnehmen können!"
Harrinho: "Ok. Ich habe verstanden. Nun gut. Dann schauen wir mal. Also: Ich bin Harrinho. Nennt mich ruhig Harry. Ich bin ehemaliger Bundesligafußballer, aktuell noch 3. Liga. Bald wohl Oberliga. Offensives Mittelfeld, ein klassischer Zehner, Instinktfußballer, Regisseur. Und ich bin Alkoholiker."
Meine Stimme geht daher an donluka!
Dass beide Kandidaten im Kommentarbereich groß angelegte Interpretationshilfen vom Umfang der guten alten „Oldenbourg Interpretationen" mitliefern, wirkt auf mich, wie ein Komiker, der nach der Show auf die Bühne zurückkehrt und den Waldorfschülern die Pointen erklärt...
Das ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass beide Texte schlicht und einfach supergeil sind! Hätte Gerosimo hier seinen Text aus der vergangenen Runde ins Rennen geschickt (meinetwegen auch zum zweiten Mal), dann hätte ich wohl auf eine Wertung verzichtet und beide zu meinen diesjährigen Blogpokal-Lieblingstexten erklärt (das sind sie auch so…). Da er das aber nicht getan und „nur" einen weiteren sehr guten Text ins Rennen geschickt hat, gebe ich meine Punkte knapp an donluka und ärgere mich darüber, dass ihr beiden so früh aufeinandergetroffen seid!
Lass dich nicht beeinflussen! Ich inhaliere deine Analysen regelrecht!
Das war natürlich nie meine Absicht.
*hust* Her mit dem Banner *hust*
Ne, aber ich wenn das gewünscht ist, kann ich auch gerne das nächste Mal einen Einzeiler hinterlassen und mir meinen Teil dann einfach denken
ich weiß nicht, aber hier:
Und ich hätte dann jetzt gerne mein Eis und mein Kuscheltier!
Klare Fall!!!
Oder zählt da etwa die BP-Frauenquote!