Ich bin eigentlich ein nüchterner Mensch. Selbst wenn es um Sportteams geht denen ich die Daumen drücke bleibe ich meist realistisch oder eher pessimistisch. Dieses Jahr packte mich aber die Euphorie. In der vom Lockout verstümmelten Saison spielten die Raptors so gut wie seit langem nicht mehr. Die Defense stimmte. War zwar nicht überragend, aber besser als alles, was man seit Jahren in Kanada bewundern durfte. Andrea Bargnani war lange verletzt und zeigte vor seiner Wadenverletzung den besten Basketball seiner Karriere. In den anderen Spielen kämpften die Raptors und verloren meist nur knapp. Als dann noch der Lowry-Trade bekannt gegeben wurde dachte ich mir: „Das kann was werden." Nicht mit dem Titel, aber mit den Playoffs. Mir war klar, dass man Glück brauchen würde, aber bessere Ergebnisse als letztes Jahr, eine allgemeine Leistungssteigerung, das war drin. Dachte ich.

Letzte Nacht durfte ich anschauen was ich so oder so ähnlich nun schon mehrfach sehen musste. Toronto schlägt sich gut und das Spiel ist knapp im vierten Viertel. Der Gegner gewinnt - die Raptors verlieren. Bis auf die Niederlage gegen die Thunder waren die Raptors bei allen Spielen im vierten Viertel knapp im Rückstand oder knapp in Führung und verloren sie. Lediglich die Wolves ohne Love und Rubio konnte man besiegen. Ist es zu früh sich deswegen aufzuregen? Nach nur sieben Spielen? Ich weiß es nicht. Deswegen versuche ich endgültige Urteile hier zu vermeiden und tarne diese geschickt als „Tendenzen".


Tendenz 1: Andrea Bargnani wird immer ein Bust bleiben.

Für die meisten außerhalb der Fanbase Torontos stand das schon länger fest. Man kann von den Raptorsfans vieles sagen, aber kritisch sind sie auf jeden Fall. Bargnani wurde verbal schon mehrfach in die Wüste geschickt. Sein Aufwärtstrend in den letzten beiden Saisons? Statistisch belegbar. Sogar Fortschritte in der Defense wurden ihm attestiert. Diese Saison: 17 Punkte, 37% aus dem Feld. Laut 82games produziert er in der Crunchtime bisher eine FG-Quote von 12,5%. Gibt es eine peinlichere Statline? Okay, Biedrins von der Freiwurflinie. Aber sonst? Mit mir gibt es jetzt einen Menschen mehr der der festen Überzeugung ist, dass Il Mago den Raptors mehr schadet als hilft. Da man ja immer positiv denken soll: Das bleibt mir in Zukunft erspart. Hurra!

Tendenz 2: Casey schafft es nicht die Offensivprobleme Torontos zu lösen.

In den sieben bis jetzt absolvierten Spielen produzieren die Raptors ein Offensivrating von 103,9. Das ist tatsächlich besser als letztes Jahr. Es bedeutet einen Sprung von Rang 29 auf 11. Man erzielt die siebtmeisten Punkte der Liga. Einen Schritt nach vorne kann ich nicht wegdiskutieren. Aber sobald es ins vierte Viertel geht wird es finster. Platz 20 belegt Toronto was die erzielten Punkte im Schlussviertel anbelangt. Der Eindruck, dass die Raptors die Hosen voll haben sobald es drauf ankommt drängt sich nicht nur als Zuschauer auf, auch die Gegner spüren das und nutzen es aus.

Tendenz 3: Der beste Small Forward des Rosters ist Alan Anderson.

Wer? Alan Anderson? Ja, der hat letztes Jahr noch D-League gespielt. Für Landry Fields und Linas Kleiza gab Colangelo zwar ordentlich Geld aus, doch sie als Enttäuschung zu bezeichnen wird ihren Leistungen nicht gerecht. Besonders Fields „Leistung" ist erschreckend. 2,4 Punkte, kein verwandelter Dreier und ein Defensivrating von 111. Ja, es ist wahr. Seine Defensive ist noch schlechter als die von Bargnani. Ihn trösten knapp 7 Millionen pro Jahr und seine Freundin wohl darüber hinweg. Ich überlege währenddessen, ob es sich lohnt ein Trikot von AA6 zu bestellen.

Tendenz 4: Defense? Back to the roots.

Nachdem sich letztes Jahr die Beobachter verwundert die Augen rieben erinnert diese Saison wieder an die Bosh-"Ära". Vorne okay, hinten offen wie ein Scheunentor. Statistisch erlaubt Toronto die zweitmeisten Punkte pro Spiel und hat das viertschlechteste Defensivrating. Diesen Kollaps zu erklären fällt nicht schwer. Im letzten Jahr bekamen Amir Johnson und James Johnson viel Einsatzzeit von Dwane Casey. Der Erste ist in der Rotation hinter Bargnani gefallen, der Zweite wurde getradet. Natürlich sind die beiden keine Defensivmonster die Tornto allein auf ein neues Niveau geholfen haben, aber statt diesen beiden joggt jetzt ein Fields oder ein Bargnani über den Court. Dazu kommt noch, dass JV in seinem ersten Jahr bitter Lehrgeld bezahlt. „Toronto vermisst den Einfluss von James und Amir Johnson". Hätte nie gedacht, dass ich das mal ernsthaft schreiben würde.

Tendenz 5: Es kann ja nicht alles schlecht sein.

Zwei Spieler sind in John Hollingers PER-Rating momentan vor LeBron. Anthony Davis und Kyle Lowry. Ja gut, Lowry hat nur 3,5 Spiele gemacht, aber trotzdem war es beeindruckend was er gezeigt hat. Man hat sofort gesehen, dass es einen neuen Leader in Toronto gibt. Gegen einen Draftpick aus Houston losgeeist? Gutes Geschäft Mr. Colangelo. Jetzt noch die medizinische Abteilung der Suns aufkaufen und Lowry wird 55% aller Saisonspiele bestreiten. An seiner Seite blühte auch DeMar DeRozan auf. Sein PER stieg von 13 auf 17, sein Punkteschnitt erhöhte sich um 4 pro Spiel, seine Rebounds um fast 2 und die FG-Quote um knapp 3 Prozent. Weiter so, dann ist diese Saison vielleicht noch zu retten.