Mein erstes Mal war 1988. Ich war gerade niedliche neun Jahre alt. Von der Welt kannte ich noch nicht viel. Und vom Fußball auch nicht. Ein großes Turnier hatte ich, der irgendwann im Herbst 1986 seine Leidenschaft für den Fußball entdeckte, noch nicht miterlebt. So fieberte ich mit der für Kinder typischen Mischung aus Ungeduld und Vorfreude auf das Spektakel hin, für das der Fußballgott oder womöglich doch der damalige UEFA-Präsident Jacques Georges ausgerechnet Deutschland als Ausrichter vorgesehen hatte.
Die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland! Was Schöneres konnte es doch nicht geben, glaubte ich in meiner vorpubertären Naivität und störte mich dabei auch nicht daran, dass das Turnier gerade einmal zwei Wochen dauern und dabei lediglich 15 Partien aufzubieten haben würde. Doch EM ist EM, erkannte ich schon damals und legte mein Augenmerk auf das erste große Highlight, das Eröffnungsspiel in Düsseldorf.
Mit vier Schritten zum Remis
Deutschland gegen Italien, ein Klassiker zum Auftakt, der jedoch wenig Spektakuläres, dafür viel zähen Rasenschach im Angebot hatte. Beinah wäre der Start ins Turnier für die deutsche Mannschaft dabei zum Desaster geworden. Nach einer torlosen ersten Halbzeit brachte Roberto Mancini die Azzurri wenige Minuten nach Wiederanpfiff in Führung. Wahrscheinlich wäre es bei diesem Ergebnis auch geblieben, hätte der englische Referee Keith Hackett nicht einen ganz tiefen Blick ins Regelbuch geworfen und dabei eine Bestimmung ausfindig gemacht, die selbst den kundigsten Zuschauern in diesem Moment wohl kaum präsent war. Italiens Keeper Walter Zenga sollte vor seinem Abschlag in der 55. Spielminute angeblich vier (statt der an sich erlaubten drei) Schritte gemacht haben. Klare Konsequenz für Keith Hackett: Indirekter Freistoß. Andreas Brehme tat, was er immer tat: Er hinterfragte die Dinge nicht und semmelte die Kugel ins italienische Gehäuse. 1:1 - so sollte es bis zum Abpfiff bleiben. Ein Fehlstart konnte, nicht zuletzt dank unparteiischem Wohlwollen, gerade so noch vermieden werden.
Es sollte nicht die letzte fragwürdige Schiedsrichterentscheidung des Turniers bleiben. Beim abschließenden Spiel der Gruppe B erzielte Wim Kieft einen Treffer, der bei Spielern, Zuschauern und Medien so viel Irritation stiftete, das man beim ZDF kurzerhand entschied, FIFA-Referee Dieter Pauly in einer Telefonschalte um seine Expertise zu bitten. Abseits oder kein Abseits, passiv oder aktiv - das war hier die Frage, die der österreichische Unparteiische Horst Brummeier zu Gunsten der Niederländer entschied und ihnen so den Weg in die Vorschlussrunde ebnete.
Revanche gelungen
In jener sollte die Elftal ausgerechnet auf den Gastgeber treffen. Deutschland gegen Niederlande, diese Paarung hatte es bekanntlich schon mal bei einem Turnier auf deutschem Boden gegeben. Wenig verwunderlich also, dass das Match in den Niederlanden zur großen Revanche erhoben wurde. Für die deutsche Mannschaft, die nach dem holprigen Auftakt zwei souveräne 2:0-Siege gegen Dänemark und Spanien eingefahren hatte, sollte die Begegnung dagegen nur ein weiterer Schritt auf dem Weg zum nächsten Titel im eigenen Land werden. Doch es kam anders. Nach dem von Lothar Matthäus verwandelten Elfmeter glich eine Viertelstunde vor Schluss Ronald Koeman - ebenfalls per Strafstoß - aus und schaffte die Ausgangslage für den dramatischen Schlussakkord: Jürgen Kohler, der bis zwei Minuten vor Ende eine grandiose Partie als Manndecker gegen Marco van Basten abgeliefert hatte, verlor einen einzigen Zweikampf gegen den niederländischen Torjäger, der die Kugel am verdutzten Eike Immel zum entscheidenden 2:1 einschob. Niederlande im Finale, Deutschland raus. Die Enttäuschung im Gastgeberland war grenzenlos und wurde begleitet von einer ordentlichen Portion Empörung über Ronald Koeman, der sich mit provokativer Geste das Trikot Olaf Thons über den Allerwertesten gezogen haben sollte.
Die Winkelgesetze außer Kraft gesetzt
Für Fußballdeutschland war Trübsal-Blasen angesagt, während die Niederlande auf die zweite Chance hinfieberte: Zum zweiten Mal stand die Elftal in einem internationalen Finale, das im Münchener Olympiastadion stattfand. Doch anders als 1974, als man im WM-Finale gegen die spielerisch unterlegene Nationalmannschaft verlor, sollte die Michels-Elf 1988 die Oberhand behalten. Am 25. Juni errang Oranje den ersten großen internationalen Titel: Mit 2:0 schlug man die Auswahl der Sowjetunion und setzte so der goldenen Generation, aus der vor allem Ruud Gullit und Marco van Basten herausragten, ein sportliches Denkmal. Die Beiden waren es denn auch, die im Finale von München die Tore erzielten. Nach Gullits hübschem Kopfballtreffer war es van Basten vorbehalten, die Entscheidung mit einem Schuss zu erzielen, der Eingang in alle Geschichtsbücher finden sollte: Arnold Mührens butterweiche Flanke nahm der niederländische Superstürmer aus ca. zwölf Metern volley ab, befand sich dabei aber bereits so nah an der Torauslinie, dass ein Torerfolg nach allen Regeln der Physik ausgeschlossen schien. Doch Marco van Basten setzte in diesem magischen Moment der Fußballgeschichte alle Winkelgesetze außer Kraft und brachte die Kugel an Rinat Dassajew vorbei im Kasten der UdSSR unter. Wusch! Ein im wahrsten Sinne des Wortes unmögliches Tor.
Marco van Bastens Sensationstor bildete denn auch nicht nur den Abschluss, sondern auch den Höhepunkt einer ansonsten eher höhepunktarmen Europameisterschaft, die bei 2,3 Toren pro Spiel nicht gerade mit hemmungslosem Offensivfußball aufwartete und auch sonst die ganz großen Schmankerl vermissen ließ. In Erinnerung blieb vor allem die Unbekümmertheit, in der der Underdog aus Irland auftrat und dabei dem großen Kontrahenten aus England eine schmerzhafte 1:0-Niederlage zufügte, die die irischen Fans in freudiger Ausgelassenheit zu feiern wussten.
Akrobatik auf Irisch
Für die Iren reichte es trotz des Bilderbuchauftakts gleichwohl nicht zum Erreichen des Halbfinales. Was die grüne Insel nicht in Trauer und Depression stürzte. Im Gegenteil, man hatte sich als würdiger EM-Teilnehmer präsentiert und ein starkes Turnier abgeliefert. Als Trost blieb zudem die Erkenntnis, das neben Marco van Bastens Zaubertreffer schönste Tor der Europameisterschaft geschossen zu haben. Ronnie Wheelans Seitfallzieher im Match gegen die Sowjetunion lässt sich auch mit knapp 30 Jahren Abstand noch immer wunderbar anschauen:
So enttäuschend das Turnier aus deutscher Sicht letztlich verlaufen war, so sehr zog es mich als neunjährigen Fußballnovizen doch in den Bann. Der 2:0-Sieg gegen Spanien - nach zwei schön herausgespielten Treffern von Rudi Völler - versetzte mich dabei in eine mehrtätige Ekstase, aus der mich nur Marco van Basten mit seinem humorlosen Siegtreffer im Halbfinale herauszuholen vermochte.
Keine märchenhafte Premiere
Fanmeilen, allgegenwärtige Deutschland-Fahnen, kollektive Begeisterung - all das, was wir gemeinhin mit dem Sommermärchen von 2006 verbinden, suchte man 1988 in Deutschland (noch) vergebens. Die Europameisterschaft war ein kleines Turnier, das ohne medialen Hype und nationale Euphorie auskam und dementsprechend keine große Nachwirkung zeitigte. Mir jedoch ist diese EM als meine persönliche Turnier-Premiere bis heute in bester Erinnerung geblieben. Vielleicht (oder besser wahrscheinlich) verklärt der nostalgische Blick auf die fast 30 Jahre zurückliegende Vergangenheit vieles. Doch für mich war die Euro 1988 etwas ganz Besonderes, Unvergessliches. Es war eine tolle, erste Erfahrung, auf die zwei Jahre später ein ungleich größeres und emotionaleres Highlight folgen sollte.
Was für ein Tor! Immer wieder schön, es zu sehen.
Das Tor von vB im Finale und sein ewiges Duell gegen Kohler im HF sind bei mir noch in Erinnerung. So bitter das Aus im HF war, aber 2 Jahre später gab es in Italien die Genugtuung!
Obwohl, das Holland bei der EM trotz 24 Mannschaften nicht dabei ist, hat auch etwas
Gelungener Blog bzw Einstieg zur EM!!
10 Punkte