12.12.2010 um 19:59 Uhr
Geschrieben von Voegi
Liga-Lehren XVI
Einstürzende Vanbuyten
In Hamburg liest man Goethe, in München spricht man Fußball und in Frankfurt steht man zu seinen kleinen Scheinen. Die Liga-Lehren diesmal mit einer ordentlichen Portion Kulturpessimismus:
Castor
Traurig, aber wahr: Die Entwicklung der letzten Jahre hat dem Effzeh inzwischen den Ruf des Castor-Transports der Liga eingebracht: Kommt nur schleppend voran, verfolgt keinen vorhersehbaren Kurs, verfügt aber nach wie vor über eine Menge Ausstrahlung – und innen brodelt's gewaltig. Und dennoch ginge es zu weit, das RheinEnergie-Stadion als Endlager für gescheiterte Fußballer-Existenzen zu bezeichnen. Denn selbst der alte Brennstab Mondragon sucht sich, weit nach Überschreiten der Halbwertszeit, noch eine neue Lagerstätte. Zu seinem Abschied gab's aber wenigstens den ersten Kölner Zunull-Heimsieg seit Entdeckung des Urans. Da können einem schon mal die (Freuden-)Tränen kommen.
Goethe
Frank Rost gilt ja bekanntlich nicht unbedingt als Verkörperung des Feinsinnigen. Wer zu 95% aus Galle und zu 10% aus Halsschlagader besteht, kann eben kein tiefgründiger Feingeist sein. Umso überraschender kam seine Schlussbemerkung zur Befindlichkeit des HSV. Die rhetorische Frage des verkannten Literaturfreunds ro-ro-Rost, ob wir den "Zauberlehrling" kennen, erwischte uns wohl alle auf dem falschen Fuß. Denn auch wenn man rhetorische Fragen gemeinhin nicht zu beantworten pflegt, gestehen wir: Zauberlehrling? Nie gehört. Wir schauen lieber Rost, statt Goethe zu lesen. Aber wir haben recherchiert und zitieren aus Goethes Ballade:
Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben.
Bliebe die Frage, was uns Hamburgs Vorzeige-Intellektueller mit diesem literarischen Verweis sagen will. Naheliegendste Deutung: Armin Veh macht bald die Biege und Allround-Genie Rost schmeißt den Laden ganz alleine. Vielleicht ist die Mannschaft aber auch nur vom Dämon einer ausrangierten Klobürste besessen. Frank Rost wird's schon wissen.
Anmut
Die zweifellos schwerwiegendste Meldung erreichte uns dieser Tage aber aus dem Gastronomiegewerbe. Calli Calmund, unser emeritierter Manager ohne Punkt und Komma mit Vorliebe für holländische Ekelpakete, soll eine "Gastrolle bei Holiday On Ice" erhalten. Was man nur uneingeschränkt begrüßen kann. Das Aufeinanderprallen zweier Welten besitzt eben noch immer einen absolut einzigarten Charme. Welch Anmut und Grazie werden doch stets offenbar, wenn das zusammen kommt, was eben nicht zusammen passt. Man kennt das von Martin Demichelis und dem Ball, Ralf Rangnick und einem Witz oder aber Stefan Effenberg und den Dativ. Und auch dieser Spieltag lieferte uns weitere Beispiele unglückseliger, aber eben doch so anmutiger Verbindungen, als da wären: Huntelaar und der Pfosten, Armin Veh und der HSV, die TSG Hoffenheim und eine Torchance sowie Michael Born und die Kommentierung eines Bayern-Spiels. Letzteres lehrt nicht nur die Bayern-Fans: Anmut und Unmut liegen eben manchmal doch nah beieinander.
Sissi Graf
Irgendwann einmal galt Franck Ribéry ja als der König von München. Ob seines ausgeprägten Liebesbedürfnisses ist er inzwischen aber wohl eher so etwas wie die junge Kaiserin. Als Sisséry dieser Tage jedenfalls eine sanfte Sonderbehandlung einforderte, empfahl ihr ihr Coach, es doch einfach mal mit Tennis zu versuchen. Und da Bayerns junge Kaiserin zwar anspruchsvoll, aber auch gehorsam ist, folgte sie dem Rat und zeigte im Match gegen St. Pauli, dass in ihr eine durchaus brauchbare Tennis-Spielerin steckt. Zugegeben, der erste Satz wirkte ein wenig unbeholfen: Doppelfehler, Unforced Errors und eine Menge verlorene Grundlinienduelle. Aber wie sie die Kugel im zweiten Satz mit einem gefühlvollen Vorhand-Slice ins Netz schob, das gefiel sogar dem gestrengen General. Und zwar so gut, dass er sich mit ihr bereits zum gemischten Doppel verabredet haben soll.
Fußballen
Halten wir fest: Louis van Gaal hat die Bundesliga zweifelsohne bereichert. Sein größter Verdienst liegt aber weder in Ribérys Bekehrung zum Tennis noch in der Einführung des Kempa-Tricks in den Fußballsport, sondern in der Kreation einer völlig neuen Sprachkultur, in der die Grenzen von Substantiv, Verb und Adjektiv mitunter so verschwommen sind wie die Steuerpolitik unserer Bundesregierung. So wissen wir nunmehr, dass man das Leder statt zu kicken auch einfach fußballen kann. Und in dem Sinne halten wir nun fest: Borussia Dortmund tort durch die Bundesliga. Hannover championsleaguet dank Ya Konan, der Barbar, auf Platz 3. Wolfsburg wirkt weiterhin dze-k.o. Sahin freistößt Werder vor den Kopf. Leverkusen präsentiert sich – hinten wie vorne – in vidaler Verfassung. Und Gladbachs Perspektiven erscheinen unverändert hertha.
VfB
Auch die sportliche Befindlichkeit des VfB Stuttgart lässt sich mit herkömmlichen Verbalkonstrukten nur unzureichend umschreiben. Denn das, was unser Verein für Bestattungsspiele Woche für Woche zu Tage fördert, erfordert schon ein gerüttelt Maß schöpferischer Sprachgewalt. Sagen wir es daher so: Die Abwehr gleicht einstürzenden Vanbuyten, die Chancenauswertung bleibt verzicklert und die Aufholjagd wirkt irgendwie effzäh. Allein die taktische Einstellung kann man in geläufiger Sprache skizzieren. Die ist schlicht und einfach im Keller. Und das wird sich wohl auch unter dem Problembären nicht ändern.
Emotionen
Fazit: Der vorletzte Spieltag dieses Jahres hielt noch einmal die gesamte Bandbreite menschlicher Emotionen für uns parat. Unbändige Freude kam beispielsweise über Schweinis Prager Botschaft an die eigenen Fans auf ("Ich bin zu euch gekommen, um euch mitzuteilen, dass heute meine Ausreise verweigert wurde.") Aber auch Melancholie (angesichts Mondra-Gone) und Mitleid (mit Werder und dem VfB) gehören irgendwie ja zum Leben dazu. Nur auf die Abscheu ob des menschenrechtswidrigen Gekickes von Kaiserslautern hätten wir ohne weiteres verzichten können. Ein Spiel mit dem Ekelfaktor einer Anmoderation von Marco Schreyl – braucht die Welt nicht wirklich.
Und was gab's noch?
Werder Bremen hat sich den ersten (und letzten) Pokal dieser Saison gesichert. Herzlichen Glückwunsch! Die Goldene Ananas wird sich in der Vereinsvitrine sicher gut machen neben dem Fuji-Cup '90 und dem Friedensnobelpreis für Werders Defensivabteilung. Und da sonst nix los war, hier die Fragen, die die Welt beschäftigen: Was ist der Unterschied zwischen der FIFA und dem DFB? Bei der FIFA wechseln die Hunderter, beim DFB bleibt ein Zwanziger. Ja, und was haben Stuttgart 21 und die Liga-Lehren gemeinsam? Beide ziemlich unterirdisch? Vielleicht. Ganz sicher aber haben beide einen eigenen Facebook-Auftritt. Die Liga-Lehren findet man jetzt nämlich hier!
Aufrufe: 10832 | Kommentare: 29 | Bewertungen: 39 | Erstellt:12.12.2010
ø 8.8
KOMMENTARE
Um bewerten und sortieren zu können, loggen Sie sich bitte ein.
13.12.2010 | 01:06 Uhr
0
heino63 :
Ganz großes Damentennis, voegi. Genial von vorne bis hinten, wobei man in deiner Aufzählung statt Rangnick auch Frontzeck hätte nehmen können.
0
12.12.2010 | 21:39 Uhr
0
mamö99 :
Was soll ich sagen.. einsame klasse? Ja. Okay: einsame klasse! Aber für dich ist das ja unter den Liga-Lehren schon traditionell so, dass du sowas liest. Egal.. 10 Punkte!
3
12.12.2010 | 20:28 Uhr
0
"...man kennt das ja von Stefan Effenberg und DEN dativ"
genial.... den Humor muss man einfach lieben!
1
12.12.2010 | 20:15 Uhr
0
xxlhonk :
Saustark, Voegi.Saustark
Das ausgerechnet DU den Zauberlehrling nicht kennen sollst, kann ich mir echt nicht vorstellen.
Es geht da mehr darum, dass man am Ende unter den geistern die man rief, zu Grunde geht.
Aber sonst:
Alles Robben!
2
COMMUNITY LOGIN
Statistik
Satz, Ball, Sieg für Voegi.... 10 Punkte kommen vom Balljungen natürlich!