22.06.2010 um 19:22 Uhr
Geschrieben von AndreasRenner
Murphy ist Franzose
Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Probleme der französischen Nationalmannschaft bei der WM in Südafrika sind sicher nicht in erster Linie taktischer Natur. Vielmehr stellt sich die Frage, wie ein Trainer seiner Mannschaft eine taktische Ausrichtung geben soll, wenn er jede Autorität im Team verloren hat.
Jedenfalls beeinflusste Domenech das, was er beeinflussen konnte und änderte sein Team auf sechs Positionen: Cissé für den verbannten Anelka, Clichy für den ebenfalls auf die Bank strafversetzten Rädelsführer Evra, Gignac für Govou, Squillaci für Abidal und Alou Diarra für den gesperrten Toulalan. Außerdem begann der vom Team gemobbte Gourcuff für Malouda. Die taktische Grundordnung war, wie bei der Niederlage gegen Mexiko ein 4-2-3-1.
Auch Carlos Alberto Parreira hatte sein Team deutlich verändert. Im Tor begann Josephs für den gesperrten Khune, Ngcongca ersetzte Rechtsverteidiger Gaxa, vor der Abwehr kamen Khubalo für Letsholonyane und Sibaya für den gesperrten Dikgacoi. Mit Parker brachte Parreira zusätzlich einen zweiten Stürmer für Modise und stellte damit von 4-2-3-1 auf 4-4-2 um.
Grundsätzlich bedeutet das Duell dieser beiden Systeme eine Anspielstation mehr im zentralen Mittelfeld für das 4-2-3-1 Team, was meist mit Spielkontrolle gleichbedeutend ist. Allerdings konterte Südafrika die "Leere" im zentralen Mittelfeld damit, dass vor allem Pienaar, aber auch Tshabalala häufig in die Mitte abbogen und die offensive Außenbahn für ihre Außenverteidiger frei machten, was vor allem Ngcongca rechts fleißig ausnutzte.
Beide brauchten ja eigentlich einen deutlichen Sieg, um doch noch auf ein Weiterkommen hoffen zu dürfen. Trotzdem wurde früh klar, dass sie eigentlich lieber auf Konter lauern wollten. Jedenfalls dominierte zunächst die Vorsicht. Südafrika hatte etwas mehr Ballbesitz, die Franzosen verteidigten fließend zwischen 4-2-3-1 und 4-1-4-1, je nachdem, ob Diaby sich in die offensive Dreierreihe eingliederte oder vor die Abwehr zurückfallen ließ. Zudem versuchten die Franzosen, den Gegner frühzeitig im Spielaufbau zu stören.
Südafrika verteidigte mit zwei vorgezogenen Stürmern und zwei Viererketten dahinter. Auffällig war, dass Gourcuff in der Zentrale von Sibaya intensiv bearbeitet wurde und weite Wege gehen musste, um an den Ball zu kommen. Und beide Außenverteidiger rückten sehr weit aus der Abwehr heraus, vor allem Ngcongca, der versuchte, Ribéry so früh wie möglich in Empfang zu nehmen und dabei von Pienaar gut unterstützt wurde. In einigen Situation stellte sich die Südarfrikaner sogar mit vier Mann in der gegnerischen Hälfte auf, ohne aggressiv zu attackieren. Es ging nur um das Zustellen der Passwege und zwang Frankreich zu vielen langen Bällen.
So entstand ein Spiel ohne Torszenen, aber mit leichten Vorteilen für die Südafrikaner. Irgendwie typisch, dass der erste Treffer nach einer Standardsituation fiel und dann auch noch nach einem Torwartfehler von Lloris. Mit Taktik hatte das natürlich nichts zu tun. Genauso wenig wie der zweite Treffer der Bafana Bafana, als die französische Abwehr eigentlich gut genug stand, doch durch individuelle Fehler (Diaby, Clichy) dem Gegner ein Stolpertor ermöglichte.
Wichtiger war natürlich, dass den Franzosen zu diesem Zeitpunkt mit Gourcuff schon die zentrale Anspielstation im Mittelfeld fehlte. Der numerische Vorteil des 4-2-3-1 war damit endgültig zunichte gemacht. Gignac stieß nun in der Offensive entschlossener von rechts in die Mitte, um Cissé zu unterstützen, auch weil die Franzosen meist über links und Ribéry angriffen. Nach der Pause brachte Domenech Malouda für Gignac und spielte nun ein 4-1-3-1, mit Malouda links im offensiven Mittelfeld, Ribéry in der Mitte und Diaby, der sich um die rechte Seite kümmerte. Allerdings setzte Frankreich zu keinem Zeitpunkt auf volle Offensive, um das Spiel noch einmal zu drehen.
Zu diesem Zeitpunkt hingen bei einigen Franzosen auch schon die Köpfe. Exemplarisch Mphelas Pfostenschuss in der 51. Minute, als das Mittelfeld der Franzosen die Abwehr komplett im Stich ließ. Trotzdem: Das war eher eine Ausnahme. Man mag den Franzosen Ideenlosigkeit, mangelnde Durchschlagskraft und einiges andere vorwerfen, doch Arbeitsverweigerung oder gar ein Streik auf dem Spielfeld sieht anders aus. Nach dem Theater der vergangenen Tage (ach was, Jahre!) erst so ein billiges Gegentor kassieren, das die Chancen auf das Achtelfinale praktisch zerstört, dann einen zumindest strittigen Platzverweis (und damit 60 Minuten Unterzahl) wegstecken müssen und vor der Pause noch ein Stolpertor zum 0:2, da hätten auch ganz andere Teams den Kopf mal hängen lassen. Für die Franzosen galt Murphy's Law: Alles was schiefgehen konnte, ging schief.
Die Südafrikaner hatten durchaus eine Chance, Mexiko im Torverhältnis auf die Pelle zu rücken. Nur darf man dann solche Fehler wie beim 1:2 nicht machen, als die meist gut organisierte Bafana Bafana die Abwehr entblößte und Sagna frei auf die Viererkette zulaufen ließ. Dessen Pass legte Ribéry dann auf Malouda vor, der traf zum 1:2.
Und so bleibt nur zu konstatieren, dass die Südafrikaner eben nur beinahe die Gunst der Stunde genutzt hätten, denn ein dermassen verunsichertes französisches Team bekommt man nicht alle Tage vor die Flinte. Beide sind ausgeschieden, doch die Gastgeber haben zumindest alles versucht und können hoch erhobenen Hauptes, nun ja, zu Hause bleiben. Die Franzosen dagegen haben eine Katastrophen-WM gespielt. Nur wurden die Fehler lange vor diesem letzten Spiel gemacht. Das heute war nur der passende (auch unglückliche) Abschluss eines Seuchenturniers.
Bis bald,
Andreas
Jedenfalls beeinflusste Domenech das, was er beeinflussen konnte und änderte sein Team auf sechs Positionen: Cissé für den verbannten Anelka, Clichy für den ebenfalls auf die Bank strafversetzten Rädelsführer Evra, Gignac für Govou, Squillaci für Abidal und Alou Diarra für den gesperrten Toulalan. Außerdem begann der vom Team gemobbte Gourcuff für Malouda. Die taktische Grundordnung war, wie bei der Niederlage gegen Mexiko ein 4-2-3-1.
Auch Carlos Alberto Parreira hatte sein Team deutlich verändert. Im Tor begann Josephs für den gesperrten Khune, Ngcongca ersetzte Rechtsverteidiger Gaxa, vor der Abwehr kamen Khubalo für Letsholonyane und Sibaya für den gesperrten Dikgacoi. Mit Parker brachte Parreira zusätzlich einen zweiten Stürmer für Modise und stellte damit von 4-2-3-1 auf 4-4-2 um.
Grundsätzlich bedeutet das Duell dieser beiden Systeme eine Anspielstation mehr im zentralen Mittelfeld für das 4-2-3-1 Team, was meist mit Spielkontrolle gleichbedeutend ist. Allerdings konterte Südafrika die "Leere" im zentralen Mittelfeld damit, dass vor allem Pienaar, aber auch Tshabalala häufig in die Mitte abbogen und die offensive Außenbahn für ihre Außenverteidiger frei machten, was vor allem Ngcongca rechts fleißig ausnutzte.
Beide brauchten ja eigentlich einen deutlichen Sieg, um doch noch auf ein Weiterkommen hoffen zu dürfen. Trotzdem wurde früh klar, dass sie eigentlich lieber auf Konter lauern wollten. Jedenfalls dominierte zunächst die Vorsicht. Südafrika hatte etwas mehr Ballbesitz, die Franzosen verteidigten fließend zwischen 4-2-3-1 und 4-1-4-1, je nachdem, ob Diaby sich in die offensive Dreierreihe eingliederte oder vor die Abwehr zurückfallen ließ. Zudem versuchten die Franzosen, den Gegner frühzeitig im Spielaufbau zu stören.
Südafrika verteidigte mit zwei vorgezogenen Stürmern und zwei Viererketten dahinter. Auffällig war, dass Gourcuff in der Zentrale von Sibaya intensiv bearbeitet wurde und weite Wege gehen musste, um an den Ball zu kommen. Und beide Außenverteidiger rückten sehr weit aus der Abwehr heraus, vor allem Ngcongca, der versuchte, Ribéry so früh wie möglich in Empfang zu nehmen und dabei von Pienaar gut unterstützt wurde. In einigen Situation stellte sich die Südarfrikaner sogar mit vier Mann in der gegnerischen Hälfte auf, ohne aggressiv zu attackieren. Es ging nur um das Zustellen der Passwege und zwang Frankreich zu vielen langen Bällen.
So entstand ein Spiel ohne Torszenen, aber mit leichten Vorteilen für die Südafrikaner. Irgendwie typisch, dass der erste Treffer nach einer Standardsituation fiel und dann auch noch nach einem Torwartfehler von Lloris. Mit Taktik hatte das natürlich nichts zu tun. Genauso wenig wie der zweite Treffer der Bafana Bafana, als die französische Abwehr eigentlich gut genug stand, doch durch individuelle Fehler (Diaby, Clichy) dem Gegner ein Stolpertor ermöglichte.
Wichtiger war natürlich, dass den Franzosen zu diesem Zeitpunkt mit Gourcuff schon die zentrale Anspielstation im Mittelfeld fehlte. Der numerische Vorteil des 4-2-3-1 war damit endgültig zunichte gemacht. Gignac stieß nun in der Offensive entschlossener von rechts in die Mitte, um Cissé zu unterstützen, auch weil die Franzosen meist über links und Ribéry angriffen. Nach der Pause brachte Domenech Malouda für Gignac und spielte nun ein 4-1-3-1, mit Malouda links im offensiven Mittelfeld, Ribéry in der Mitte und Diaby, der sich um die rechte Seite kümmerte. Allerdings setzte Frankreich zu keinem Zeitpunkt auf volle Offensive, um das Spiel noch einmal zu drehen.
Zu diesem Zeitpunkt hingen bei einigen Franzosen auch schon die Köpfe. Exemplarisch Mphelas Pfostenschuss in der 51. Minute, als das Mittelfeld der Franzosen die Abwehr komplett im Stich ließ. Trotzdem: Das war eher eine Ausnahme. Man mag den Franzosen Ideenlosigkeit, mangelnde Durchschlagskraft und einiges andere vorwerfen, doch Arbeitsverweigerung oder gar ein Streik auf dem Spielfeld sieht anders aus. Nach dem Theater der vergangenen Tage (ach was, Jahre!) erst so ein billiges Gegentor kassieren, das die Chancen auf das Achtelfinale praktisch zerstört, dann einen zumindest strittigen Platzverweis (und damit 60 Minuten Unterzahl) wegstecken müssen und vor der Pause noch ein Stolpertor zum 0:2, da hätten auch ganz andere Teams den Kopf mal hängen lassen. Für die Franzosen galt Murphy's Law: Alles was schiefgehen konnte, ging schief.
Die Südafrikaner hatten durchaus eine Chance, Mexiko im Torverhältnis auf die Pelle zu rücken. Nur darf man dann solche Fehler wie beim 1:2 nicht machen, als die meist gut organisierte Bafana Bafana die Abwehr entblößte und Sagna frei auf die Viererkette zulaufen ließ. Dessen Pass legte Ribéry dann auf Malouda vor, der traf zum 1:2.
Und so bleibt nur zu konstatieren, dass die Südafrikaner eben nur beinahe die Gunst der Stunde genutzt hätten, denn ein dermassen verunsichertes französisches Team bekommt man nicht alle Tage vor die Flinte. Beide sind ausgeschieden, doch die Gastgeber haben zumindest alles versucht und können hoch erhobenen Hauptes, nun ja, zu Hause bleiben. Die Franzosen dagegen haben eine Katastrophen-WM gespielt. Nur wurden die Fehler lange vor diesem letzten Spiel gemacht. Das heute war nur der passende (auch unglückliche) Abschluss eines Seuchenturniers.
Bis bald,
Andreas
Aufrufe: 1826 | Kommentare: 5 | Bewertungen: 6 | Erstellt:22.06.2010
ø 9.3
KOMMENTARE
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23.06.2010 | 10:04 Uhr
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mrpink27 :
Das letzte Spiel war nicht das Problem der Franzosen.Vielleicht hätte der "Knall" schon vor dem Turnier erfolgen müssen, um allen Beteiligten klar zu machen, dass sich vieles ändern muss.
Besser wäre es aber gewesen, diese Probleme wären garnicht erst entstanden, dann hätte es auch nicht ein Desaster gebraucht um die Spieler zu erden.
Blanc muss eh von Vorne anfangen. Ob die Ruine ein Vorteil ist weil er auf nichts Rücksicht nehmen muss oder ob es ein Nachteil ist weil nun wirklich ein neues Fundament gebaut werden muss wird sich zeigen.
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22.06.2010 | 20:06 Uhr
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Dr_D :
Die Taktik war wohl nicht das Problem der Franzosen. Die Mannschaft an sich war es. Selten hatte es aus meiner Sicht eine Mannschfat mehr "verdient" auszuscheiden.Ich kenne ein Völkchen das ebenso denkt und sich heute Abend ein Guiness mehr genehmigen wird.
Schadenfreude ist halt die schönste Freude, wie schon mein Pastor sagte.
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Aber wie heisst es so schön in der französischen Nationalhymne:
Auferstanden aus Ruinen.....
Oder war das wo anders?