27.06.2010 um 18:58 Uhr
Geschrieben von AndreasRenner
Offene Messer
Ein beeindruckender Sieg des deutschen Teams, der mit Sicherheit wieder Lobeshymnen in der ausländischen Presse nach sich ziehen wird. Und völlig überschwängliche Euphorie in Deutschland sowieso. Aber ein solch spektakuläres Spiel kann eben nur entstehen, wenn sich beide einigermaßen auf Augenhöhe wähnen und deshalb niemand besonders defensiv spielen lässt.
Beide Mannschaften begannen fast unverändert, Deutschland also mit dem angeschlagenen Schweinsteiger und Boateng wieder als linkem Verteidiger. Die einzige Änderung: der zuletzt gesperrte Klose kam ins Team zurück. Die Formation war das gewohnte 4-2-3-1, wobei in der Rückwärtsbewegung eher im 4-4-2 verteidigt wurde, mit Klose und Özil in vorderster Front und zwei Viererketten dahinter. Auffällig, dass die Abwehrkette sehr eng gestaffelt und zentral stand, um die Mitte dicht zu machen. Dadurch mussten Müller und Podolski viel nach hinten arbeiten, um die Seiten dicht zu halten.
England im Vergleich zum 1:0 gegen Slowenien unverändert und im gewohnten 4-4-2. Gerrard, nominell auf links, turnte allerdings ständig in der Zentrale herum. Die englischen Mittelfeldspieler tauschten ständig die Positionen, mal tauchte Barry auf links auf, dann Gerrard rechts, Milner im Sturmzentrum. Nur Lampard blieb konsequent in der Zentrale, Stürmer Rooney ließ sich häufig tief fallen, um im Mittelfeld am Spiel teilzunehmen.
Trotzdem beherrschte Deutschland die Partie im Mittelfeld. Weil die deutsche Mannschaft die numerische Überzahl in der Zentrale hatte, die immer entsteht, wenn ein 4-2-3-1 Team auf ein 4-4-2 Team trifft. In diesem Fall hieß das Schweinsteiger, Khedira und Özil gegen Lampard und Barry. Die Engländer entschlossen sich häufig, Schweinsteiger frei zu lassen, der hinter Khedira und Özil spielte und so viele Freiheiten hatte. Aber auch Özil durfte immer wieder eingreifen und das deutsche Spiel diktieren. Der ständig in die Zentrale ziehende Kapitän Gerrard sorgte allerdings dafür, dass die numerische Überlegenheit der Deutschen etwas relativiert wurde. Als Folge ging bei England über links wenig und all die Positionswechsel im Mittelfeld schienen eher die Engländer als die Deutschen zu verwirren.
Beide Mannschaften entschieden sich dazu, nicht aggressiv zu pressen und ließen den Gegner erst einmal gewähren. Deutschland griff an der Mittellinie konsequenter an, die Engländer sogar erst 30 Meter vor dem eigenen Tor. Wie Joachim Löw nach dem Spiel sagte, war der Plan, den Engländern Ballbesitz zu gewähren und dann schnell nach vorne zu spielen. Eine Kontertaktik, die voll aufging. Weil die Engländer, wie vom deutschen Trainerteam vorhergesehen, tatsächlich nicht gut genug auf Defensive umschalteten, das Mittelfeld die englische Abwehr häufig im Stich ließ und so Deutschland ins offene Messer lief.
Trotzdem, das 1:0 für Deutschland war richtig billig: Neuer mit dem Assist, weil Terry den Ball unterschätzte, Klose sich physisch gegen Upson durchsetzte und die Situation in Weltklassemanier abschloss. War das der Klose, dem Spielpraxis fehlt? Symptomatisch am ersten Tor war nur, dass die Engländer nicht so gut verteidigten, wie man das eigentlich von ihnen gewohnt ist. Typischer war die Entstehung des 2:0, als das englische Mittelfeld in einer Umschaltsituation zu langsam in die Defensive rückte. Dazu kam, dass die deutsche Kombination auch einfach herausragend war. Wenn eine Abwehr von den eigenen Mitspielern so im Stich gelassen wird und der Gegner dermaßen präzise kombiniert, dann muss es einschlagen.
In diesen Situationen zeigte sich, wie man gegen Deutschland nicht spielen darf: Hinten offen nämlich. Wer dieser deutschen Elf Platz lässt, der wird bestraft und zwar mit einer ziemlich beeindruckenden Konsequenz. Spielt man dagegen vorsichtig und defensiv, macht die Räume eng und lässt keinen Platz im Rücken der Abwehr, dann wird es auch für unser Team schwer. Siehe Serbien, siehe Ghana. So betrachtet waren die Engländer natürlich der richtige Gegner zur richtigen Zeit, andere werden Deutschland das Leben sicher schwerer machen.
Der englische Anschlusstreffer nach einer deutschen Fehlerkette (Neuer, Boateng, plus wer auch immer Gerrard am Flanken hindern sollte) zeigte natürlich, dass die Mannschaft hinten verwundbar ist, auch wenn ein Gegentor nach Standardsituation immer mal passieren kann. Trotzdem war das deutsche Team beeindruckt und hätte bis zur Pause durchaus noch ein Gegentor kassieren können. Eins, das der Schiedsrichter, bzw. sein Assistent auch sieht, meine ich.
Nach dem Seitenwechsel war beiden Mannschaften zunächst daran gelegen, das wilde Offensivfeuerwerk etwas einzudämmen. England attackierte früher und konnte das deutsche Team durch dieses Pressing zu Ballverlusten zwingen und so einige kritische Situationen heraufbeschwören. Auch wenn die gefährlichste Szene, Lampards Lattentreffer, aus einem Freistoss entsprang und nicht etwa aus einer Kombination. Siehe Gegentor. Denn aus dem Spiel heraus waren die Engländer sogar in dieser Phase nur mäßig gefährlich.
Die zwei Treffer durch Müller waren dann wieder symptomatisch: Einer fiel nach einem abgeblockten englischen Freistoss am deutschen Strafraum, der andere nach einer abgefangenen Flanke der Engländer. Dann ging es zwei Mal ganz schnell in die andere Richtung und schon hatte es eingeschlagen. Beeindruckend effizient vom deutschen Team, und mit einer unglaublichen (und vorher selten so gesehenen) Selbstverständlichkeit. Mich hat es etwas an die Konter-Demonstrationen der Holländer in der Vorrunde der letzten EM erinnert.
Und genau da liegt eben auch das Problem: Wer Deutschland Platz zum Kombinieren gibt, der schaufelt sein eigenes Grab. Wer dagegen kompakt in der eigenen Hälfte verteidigt, der hat durchaus eine Chance, diesem jungen Team den Spaß am Spiel zu verderben. Das werden irgendwann auch die Anderen merken und entsprechend reagieren. Deshalb sei bei aller (durchaus berechtigten) Euphorie noch einmal darauf hingewiesen: Weltmeister sind wir noch nicht.
Bis bald,
Andreas
Beide Mannschaften begannen fast unverändert, Deutschland also mit dem angeschlagenen Schweinsteiger und Boateng wieder als linkem Verteidiger. Die einzige Änderung: der zuletzt gesperrte Klose kam ins Team zurück. Die Formation war das gewohnte 4-2-3-1, wobei in der Rückwärtsbewegung eher im 4-4-2 verteidigt wurde, mit Klose und Özil in vorderster Front und zwei Viererketten dahinter. Auffällig, dass die Abwehrkette sehr eng gestaffelt und zentral stand, um die Mitte dicht zu machen. Dadurch mussten Müller und Podolski viel nach hinten arbeiten, um die Seiten dicht zu halten.
England im Vergleich zum 1:0 gegen Slowenien unverändert und im gewohnten 4-4-2. Gerrard, nominell auf links, turnte allerdings ständig in der Zentrale herum. Die englischen Mittelfeldspieler tauschten ständig die Positionen, mal tauchte Barry auf links auf, dann Gerrard rechts, Milner im Sturmzentrum. Nur Lampard blieb konsequent in der Zentrale, Stürmer Rooney ließ sich häufig tief fallen, um im Mittelfeld am Spiel teilzunehmen.
Trotzdem beherrschte Deutschland die Partie im Mittelfeld. Weil die deutsche Mannschaft die numerische Überzahl in der Zentrale hatte, die immer entsteht, wenn ein 4-2-3-1 Team auf ein 4-4-2 Team trifft. In diesem Fall hieß das Schweinsteiger, Khedira und Özil gegen Lampard und Barry. Die Engländer entschlossen sich häufig, Schweinsteiger frei zu lassen, der hinter Khedira und Özil spielte und so viele Freiheiten hatte. Aber auch Özil durfte immer wieder eingreifen und das deutsche Spiel diktieren. Der ständig in die Zentrale ziehende Kapitän Gerrard sorgte allerdings dafür, dass die numerische Überlegenheit der Deutschen etwas relativiert wurde. Als Folge ging bei England über links wenig und all die Positionswechsel im Mittelfeld schienen eher die Engländer als die Deutschen zu verwirren.
Beide Mannschaften entschieden sich dazu, nicht aggressiv zu pressen und ließen den Gegner erst einmal gewähren. Deutschland griff an der Mittellinie konsequenter an, die Engländer sogar erst 30 Meter vor dem eigenen Tor. Wie Joachim Löw nach dem Spiel sagte, war der Plan, den Engländern Ballbesitz zu gewähren und dann schnell nach vorne zu spielen. Eine Kontertaktik, die voll aufging. Weil die Engländer, wie vom deutschen Trainerteam vorhergesehen, tatsächlich nicht gut genug auf Defensive umschalteten, das Mittelfeld die englische Abwehr häufig im Stich ließ und so Deutschland ins offene Messer lief.
Trotzdem, das 1:0 für Deutschland war richtig billig: Neuer mit dem Assist, weil Terry den Ball unterschätzte, Klose sich physisch gegen Upson durchsetzte und die Situation in Weltklassemanier abschloss. War das der Klose, dem Spielpraxis fehlt? Symptomatisch am ersten Tor war nur, dass die Engländer nicht so gut verteidigten, wie man das eigentlich von ihnen gewohnt ist. Typischer war die Entstehung des 2:0, als das englische Mittelfeld in einer Umschaltsituation zu langsam in die Defensive rückte. Dazu kam, dass die deutsche Kombination auch einfach herausragend war. Wenn eine Abwehr von den eigenen Mitspielern so im Stich gelassen wird und der Gegner dermaßen präzise kombiniert, dann muss es einschlagen.
In diesen Situationen zeigte sich, wie man gegen Deutschland nicht spielen darf: Hinten offen nämlich. Wer dieser deutschen Elf Platz lässt, der wird bestraft und zwar mit einer ziemlich beeindruckenden Konsequenz. Spielt man dagegen vorsichtig und defensiv, macht die Räume eng und lässt keinen Platz im Rücken der Abwehr, dann wird es auch für unser Team schwer. Siehe Serbien, siehe Ghana. So betrachtet waren die Engländer natürlich der richtige Gegner zur richtigen Zeit, andere werden Deutschland das Leben sicher schwerer machen.
Der englische Anschlusstreffer nach einer deutschen Fehlerkette (Neuer, Boateng, plus wer auch immer Gerrard am Flanken hindern sollte) zeigte natürlich, dass die Mannschaft hinten verwundbar ist, auch wenn ein Gegentor nach Standardsituation immer mal passieren kann. Trotzdem war das deutsche Team beeindruckt und hätte bis zur Pause durchaus noch ein Gegentor kassieren können. Eins, das der Schiedsrichter, bzw. sein Assistent auch sieht, meine ich.
Nach dem Seitenwechsel war beiden Mannschaften zunächst daran gelegen, das wilde Offensivfeuerwerk etwas einzudämmen. England attackierte früher und konnte das deutsche Team durch dieses Pressing zu Ballverlusten zwingen und so einige kritische Situationen heraufbeschwören. Auch wenn die gefährlichste Szene, Lampards Lattentreffer, aus einem Freistoss entsprang und nicht etwa aus einer Kombination. Siehe Gegentor. Denn aus dem Spiel heraus waren die Engländer sogar in dieser Phase nur mäßig gefährlich.
Die zwei Treffer durch Müller waren dann wieder symptomatisch: Einer fiel nach einem abgeblockten englischen Freistoss am deutschen Strafraum, der andere nach einer abgefangenen Flanke der Engländer. Dann ging es zwei Mal ganz schnell in die andere Richtung und schon hatte es eingeschlagen. Beeindruckend effizient vom deutschen Team, und mit einer unglaublichen (und vorher selten so gesehenen) Selbstverständlichkeit. Mich hat es etwas an die Konter-Demonstrationen der Holländer in der Vorrunde der letzten EM erinnert.
Und genau da liegt eben auch das Problem: Wer Deutschland Platz zum Kombinieren gibt, der schaufelt sein eigenes Grab. Wer dagegen kompakt in der eigenen Hälfte verteidigt, der hat durchaus eine Chance, diesem jungen Team den Spaß am Spiel zu verderben. Das werden irgendwann auch die Anderen merken und entsprechend reagieren. Deshalb sei bei aller (durchaus berechtigten) Euphorie noch einmal darauf hingewiesen: Weltmeister sind wir noch nicht.
Bis bald,
Andreas
Aufrufe: 11374 | Kommentare: 35 | Bewertungen: 26 | Erstellt:27.06.2010
ø 9.3
KOMMENTARE
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29.06.2010 | 17:03 Uhr
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mr_bickle :
ich weiß,daß hat hier nichts zu suchen. aber kann mir vielleicht jemand sagen wo ich lustige bilder vom spiel deutschland- england runterladen kann?
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28.06.2010 | 19:35 Uhr
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Nur der Punkt, dass sich Deutschland gegen defensiv organisierte Mannschaften schwerer tut als gegen mitspielende, erscheint mir etwas obsolet weil offensichtlich.
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28.06.2010 | 19:32 Uhr
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Denn das die deutsche NM grandios kontern kann (was ich in der Form übrigens noch nicht bei einer DFB-Auswahl beobachten konnte) hat sie ja gezeigt, warum nicht gleich so? Man darf eine so stolze Fußballnation nicht so in die Ecke treiben und sich dann wundern, dass man gebissen wird. Noch mal Glück gehabt dieses Mal, gegen Argetinine sollte man sich da ein Beispiel an z.B. Spanien nehmen. Die ein 2:0 wie am Sonntag wohl ziemlich emotionslos in die Halbzeit gerettet hätten.
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28.06.2010 | 17:13 Uhr
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mrpink27 :
Gut, dann habe ich die Aussage von der anderen Seite betrachtet.Es ist nicht notwendig gegen jeden Gegner zu mauern und mauern ist nicht das einzige Erfolgsrezept gegen spielstarke Mannschaften.
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28.06.2010 | 17:00 Uhr
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Rolando :
Ein Blog "Wie werde ich TV-Kommentator"!Super Aufhänger, setz ich mich die Tage glaub ich mich mal ran, bietet einiges
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28.06.2010 | 16:56 Uhr
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AndreasRenner : @mrpink27
Die entscheidende Aussage ist ja auch: Jede Mannschaft tut sich schwer gegen kompakte Gegner. Aber: Nicht jede Mannschaft nutzt angebotene Räume so gut aus wie die deutsche.
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28.06.2010 | 16:51 Uhr
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mrpink27 : @AndreasRenner
Dann war diese Erkenntnis wohl bedeutend bei der Analyse.Ich glaube aber nicht, dass es für jedes Team zutrifft. Zum einen gibt es Teams, die ihre Stärken nicht beim Kombinieren haben und daher kann ihnen etwas Platz zugestanden werden. Zumindest solange wie ein Torabschluss verhindert wird.
Zum anderen kann man auch den Spaß am Spiel nehmen in dem man schon in der gegnerischen Hälfte drauf geht.
Ich hab irgendwie das Gefühl man bewegt sich mit solchen hypothetischen Aussagen im Franz Beckenbauer (oder Breitner, Netzer und Co.) TV Experten gewäsch. Klar ist es unangenehm wenn ein Team hinten drin steht oder wenn ein Team presst, oder wenn ein Team einfach besser ist als man selbst.
Konkret sind diese Aussagen aber nicht.
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28.06.2010 | 16:50 Uhr
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AndreasRenner : @fabikus
Wenn Du meinen Blog durchwühlst wirst Du unter "Berufsberatung" etwas zu diesem Thema finden.
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28.06.2010 | 16:48 Uhr
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matondo :
sehr gute analyse, vor allem das verhalten des englischen mittelfeld wird hier sehr gut dargestellt. 10P.ehrlich gesagt glaube ich eher, dass die argentinier zu beginn der partie wirklich sehr tief stehen werden, um hinten die räume eng zu machen und den deutschen die spiellust zu nehmen, und vorne auf die qualität ihrer weltklasse einzelspieler setzen. ich glaube im vorfeld des ger -arg testspiels im märz einen artikel auf spox gelesen zu haben über maradonas assi oder scout oder so ähnlich.......ein echter taktikfuchs, der scheinbar für jeden gegner die passende strategie zurechtlegt...und so wie sich das damals gelesen hat, wird der diegos jungs nicht so planlos bzw mit offenen visier aufs spielfeld schicken....
und was die gauchos maßgeblich von den engländern unterscheidet ist meiner meinung nach der teamspirit und der absolute glaube in die eigenen fähigkeiten...das wird ein ganz anderes kaliber.
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28.06.2010 | 16:43 Uhr
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Boggler :
Zum Thema "Spiel machen" muss man sich doch nur die Ergebnisse anschauen. Wenn ich mich richtig erinnere hat es bisher doch nur Gricechenland geschafft einen Rückstand zu drehen. Und da war ne Rote Karte im Spiel.
Das zeigt doch schon wie schwierig sich alle tun wenn ein Gegner konzentriert verteidigt.
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