Blogpokal.
Daran denk ich grad. MGoedderz heißt mein Gegner. Favorit. Setzliste. Und dann ich als Spontan-Nachrücker. Er Leverkusen, ich Stuttgart. Das kann ja was werden.
Eine Stimme reißt mich wieder in die Realität.
"Bismarckstrasse. BayArena"
Der Bus, in dem ich gerade sitze ist am Stadion angekommen.
In Leverkusen.
In der BayArena.
Heute.
Sonntag.
Leverkusen gegen Stuttgart.
Bald geht es also los.
Ich stehe auf und bewege mich Richtung Ausgang. Gemeinsam mit den anderen Fans. Beide Lager sind vertreten. Aber alle sind friedlich. Klar, warum auch nicht?
Stuttgart gegen Leverkusen, das ist in Duell ohne jede Brisanz.
Das ist Pillendreher gegen Spätzlesschaber.
Außer Öko-Aktivisten oder Karlsruher kann eigentlich niemand etwas gegen einen der beiden haben.
Ich stehe an der Haltestelle, schaue mich um, um mich zu orientieren. Eigentlich bräuchte ich nur dem Strom folgen, aber da ich eine Orientierung wie eine Bockwurst habe, merk ich mir lieber, wo ich angekommen bin. Sonst komm ich nach dem Spiel in Köln oder schlimmer Düsseldorf raus, und das will ja wohl niemand!
Ich hänge mich an eine Traube Gleichgesinnter in Weiß und Rot, mit unüberhörbarem schwäbischem Dialekt.
Meine Gedanken schweifen wieder ab.
Zurück zu letztem Dienstag.
Glasgow.
2:0 Auswärtssieg.
Seit langem mal wieder! Endlich! Was war das für ein Spiel! So muss es heute auch laufen! Dann hat Vizekusen keine Chance!
Wie letztes Jahr.
Da war Bayer kein Tabellenführer und eh auf dem absteigenden Ast, aber diesen Verlauf könnte man heute ja auch wieder einläuten. 4:2 hieß es da. Für uns. Krachertor von Hitze. 126 km/h. Wär Adler nicht rechtzeitig weggekommen, Lehmann könnte sich berechtigte Hoffnung auf Südafrika machen.
Wir kommen zum Eingangsbereich der BayArena.



An der Wand sitzt ein alter Mann…offenbar ein Obdachloser. Becher vor ihm.
Ich hab meinen sozialen Tag.
Suche in meiner Hosentasche und finde sogar was.
Hm.
50 Cent. Das ist 1 DM!
Als Schwabe überlegt man da zweimal!
Egal.
Ich beuge mich runter um die Münze in seinen Becher zu legen.
Blitzschnell fährt sein Arm vor, packt mich am Ellenbogen.
Was soll das?
Ich will mich losreißen, doch der Alte hat mehr Kraft als man denkt!
Stuttgart? Fragt er.
Schwer zu erkennen an meinem Trikot.
Ich bejahe.
Er kenne die Gegend, sagt er.
Na super. Bitte erzähl mir deine Lebensgeschichte!
Was ich vom VfB halte.
Zurzeit ist die Hoffnung alles.
Er grinst. Ich solle mir keine Sorgen machen.
Hä?
Was ich von der aktuellen Mannschaft halte will er wissen.
Mir wird gerade die Situation klar, in der ich mich befinde.
Ich stehe im Eingangsbereich der BayArena und werde von einem offensichtlich Obdachlosen festgehalten.
Ganz in Ordnung, antworte ich ihm. Ich weiß nur nicht, warum wir kein Spiel mehr gewinnen! Chancen sind da, nur der Ball will nicht rein!
Langsam tut mir der Rücken weh. Weiter so gebückt dastehen ist nicht. Und da mich der Alte in absehbarer Zeit wohl nicht loslassen wird, setzte ich mich einfach neben ihm. Schon besser.
Was wollt ich sagen?
Ach ja.
Die Mannschaft hat das Potential, sie ruft es nur nicht ab! Ich hoffe, dass das heute besser wird, nachdem man in der Champions League mal wieder gewonnen hat.
Jetzt frag er nach den Spielern.
Was der alles wissen will!
Manche spielen unter ihrem Niveau. Weit unter ihrem Niveau.
Manche hatten nie ein Niveau.
Marica zum Beispiel. Der Knoten, der da platzen könnte wurde damals nicht mal mitgeliefert! Langsam komm ich in Fahrt.
Hleb! Mister "Ich-will-Iniesta, Xavi-oder-Messi-verdrängen" hat gerade einmal Luft für 30 Minuten! Nach 5 Monaten, in denen er bei uns ist, kommt der nicht über eine Mario-Basler-Gedächtnis-Kondition hinaus!
Und Magnin! Das einzige, zu was man den gebrauchen kann, ist als Glöckner in der Olgakirche! Aber nicht als Verteidiger!



Der Alte grinst und nickt. Und dann fragt er nochmal, was ich mir vom heutigen Spiel erwarte. Nicht viel, entgegne ich. Vielleicht einen Punkt wenns hochkommt, aber mehr wird schwer. Jetzt fängt er an zu kichern.
Ja, sagt er, ein Unentschieden…aber heute wird es ein Sieg für den VfB. Das wisse er!
Ganz sicher!
Sie heißen nicht zufällig Cichon, frage ich ihn? Kann ich mir nicht verkneifen.
Er schaut mich fragend an.
Hoyzer?
Auch nix.
Offenbar nicht mein Humor.
Naja, auch egal.
Kann der mich jetzt bitte loslassen?
Die anderen Fans ziehen vorbei, keiner kümmert sich um uns beide.
Er kramt einen zerfledderten Zettel aus seiner Manteltasche und drückt ihn mir in die Hand. Den soll ich nach dem Spiel lesen. Dann werde ich schon sehen.
Mit diesen Worten lässt er mich los und schaut demonstrativ in die andere Richtung.
Soll ich ihn mir auch noch in den Socken stecken, wie man das mit Zetteln macht?
Aber er antwortet mir nicht mehr. Ich werde hier wohl nicht mehr gebraucht! Gut, auch recht.
Ich stecke den Zettel in meine Jeans und wende mich wieder in die Richtung, in die sich immer noch die Masse bewegt.
Aber der Alte lässt mich jetzt gedanklich nicht mehr los.
Was war das für Einer?
Und vor allem, was wollte der von mir? Und was soll das mit dem Zettel? Ich soll ihn erst nach dem Spiel lesen…aber die Neugier ist schon da!
Ach, ich schau ihn jetzt an!
Ich bleibe ruckartig stehen, was der direkt hinter mir laufende Fan mit einer blumigen Bemerkung betreffend seiner Bierflasche und meine Hintern quittiert.
Ich ziehe den Zettel raus.
Halte ihn in der Hand.
Will ihn öffnen.
Im Hintergrund dröhnt schon die Aufstellung von Bayer 04. Ich muss mich beeilen. Stecke den Zettel wieder ein. Ich halte mich an das, was er mir gesagt hat.
Warum?
Keine Ahnung. Innere Stimme. Ich laufe Richtung meines Blocks.

90 Min. später.

Meine Ohren dröhnen. Das gibt nen Tinnitus, der sich gewaschen hat.
Was ein Spiel!
Ich taumle in der Masse Richtung Ausgang. Da fällt mir der Zettel wieder ein.
Ich angle den Zettel raus. Jetzt kann ich ihn ja anschauen.
Ich falte ihn auf.
Lese, was da in zittriger Handschrift steht.
Ich glaub es nicht.
Das kann nicht sein!
Wie zum nackt badenden Erwin Teufel?!
Ich muss es wissen.
Jetzt!
Ich bahne mir den Weg durch die anderen Fans, versuche so schnell wie möglich zu dem Alten zu kommen…ich erreiche den Platz…leer.
Als wäre da nie was gewesen.
Ein Polizist steht in der Nähe. Ich renne zu ihm. Ob er hier einen alten Bettler gesehen hat?
Hier? Er schaut mich entgeistert an. Hier werde darauf geachtet, dass keine Bettler reinkommen bescheidet er mir. Sowas gibts hier nicht! Völlig unmöglich! Er war die ganze Zeit hier! Kein Bettler! Nie!
Ich lass ihn stehen.
Seine Diskussionsbereitschaft scheint eher überschaubar zu sein.
Ich bin verwirrt.
Was war das dann vorher?
Ich schaue wieder auf den Zettel.
Ich brauche ihn als Beweis, dass ich mir das alles nicht eingebildet hab. Hab ich nicht. Ich bin sicher!
Komische Sache.
Aber den Zettel gibt es.
Nochmal lese ich das Geschriebene.
Verrückt.



Aber wahr.