11.02.2012 um 18:49 Uhr
Geschrieben von funkbarrio
Spielfrei zum 20er II/II
5 Maghju 1992
Die Korsen sind ein stolzes Volk, das Spiel gegen Marseille eine Art Derby. Das Halbfinale gewinnt noch ein wenig mehr an Bedeutung als es ohnehin schon hat. Der Ansturm auf die Karten ist immens, die Wette scheint gewonnen, das Rennen jedoch nicht. Wie Augenzeugen in der Dokumentation „Furiani: La mort en tribune" des Fußballsender CFoot berichten, wird sogar wenige Stunden vor dem Anpfiff noch an der imposanten Stahlkonstruktion geschraubt. Thierry Roland, auch bei diesem Spiel Kommentator, sitzt mit seinem Kollegen Jean-Michel Larquée wie die restliche Presse ganz oben auf der neugebauten Tribüne. Sie wechseln jedoch den Platz um besser kommentieren zu können.
Um 20h20 schaltet Poivre d’Arvor aus dem Nachrichtenstudio live ins Stadion. Die Stimmung ist wie angekündigt explosiv. Auf den Tribünen skandieren und springen die Fans von Bastia, schwenken ihre Fahnen mit dem Symbol Korsikas, der „Tête de Maure". Journalisten und Zeugen berichten in der CFoot-Doku von einem ständigen "schiffsähnlichen" Wanken der Tribüne. Manche ahnen bereits die Katastrophe, wollen sie aber nicht wahrhaben. Während die Fans mit ihren Füßen auf den Boden trommeln, lösen sich bereits Teile der Stahlkonstruktion. Statt sofort zu evakuieren, ermahnt der Stadionsprecher zur Ruhe und bittet die "Füße still zu halten". Zu spät wird wohl einigen bewusst, dass eine olympische Eröffnungsfeier etwas anderes ist als ein wichtiges Fußball-Derby.
Die Mannschaften wärmen sich gerade auf, als Thierry Roland das Wort ergreift und der obere Teil der Tribüne mit rund 3.000 Menschen einstürzt. Sie fallen fast 20 Meter in ein ungewisses Etwas aus Stahlrohren, Plastiksitzen und dem harten Boden. Sofort beginnen die Rettungsarbeiten. Das Spielfeld wird zum improvisierten Lazarett und Hubschrauberlandeplatz. Die Spieler helfen die Zäune runterzureißen und Verletzte zu transportieren. Eine Massenpanik wird glücklicherweise verhindert. Währenddessen ist das Krankenhaus von Bastia überfüllt. Militärmaschinen evakuieren schließlich auch nach Marseille. Insgesamt sterben an diesem Abend und in der Folge 18 Menschen und 2.357 werden verletzt.
Erinnerungsvideo eines Fans auf Youtube (etwas tragischer korsischer Gesang)
Vergiss mein nicht!
Wie immer drängelt sich niemand auf, als sich die Frage nach den Verantwortlichen stellt. Nachdem Stück für Stück der unglaubliche Zustand der Tribüne(Fotos) aufgedeckt wird, werden schließlich insgesamt 18 Menschen angezeigt. Fast drei Jahre später kommt es zu den Urteilssprüchen, die von den Korsen und besonders den Opfern und Hinterbliebenen als „Beleidigung" verstanden werden. Zunächst werden nur zwei Angeklagte zu 2Jahren Haft verurteilt, der Rest kriegt weniger. In der Berufung werden selbst diese Urteile abgeschwächt und zu Bewährungs- und kleineren Geldstrafen. Der ehemalige Präsident, Jean-Francois Filippi, ist da längst schon tot. Er wird am 26. Dezember 1994, vor seinem Haus mit einem Jagdgewehr per Schuss in den Brustkorb getötet. Ob der Mord mit dem Drama in Verbindung steht ist bis heute nicht geklärt.
Wieder einmal werden Opfer und Angehörigen alleingelassen. Statt durch eine Verurteilung der Verantwortlichen eine Illusion der Kompensation zu erleben, die Sinnlosigkeit des Verlustes ein wenig erklärbar zu machen, wird ihnen auch von Seiten des französischen Fußballverbands wenig Respekt gezollt. Im Zuge des Schocks hatte die „FFF" angekündigt, dass in Frankreich am 5. Mai eines jeden Jahres nie wieder ein Fußballspiel stattfinden würde. Seither hat es bereits mehrere Spiele und sogar Spieltage gegeben, die an diesem Tag ausgetragen wurden. Zweimal „musste" sogar der SC Bastia selbst antreten. Besonders fragwürdig ist hierbei aber das Verhalten von Olympique Marseille: am 5. Mai 2010 feiert der Verein mit einem 3:1-Sieg im Velodrome ihren ersten Meistertitel seit 1992(!). Damals noch auf dem Spielfeld, achtzehn Jahre später als Trainer am Spielfeldrand ist ein gewisser Didier Deschamps.
Doch pünktlich zum Jubiläum, springt das kollektive Gedächtnis und die Betroffenheit der Gesellschaft wieder an. Nach Verhandlungen zwischen den Angehörigen der Opfer und dem Verband wird entschieden, dass es keine Profi- wie Amateurspiele an besagtem Tag geben wird. Es wird auch gleich eingetütet, dass es in den folgenden Jahren nur „starke Zeichen der Erinnerung" geben wird. Dann heißt es aber auch wieder vergessen, denn am 29. Mai jährt sich das Heysel-Drama bereits zum 27. Mal. Wobei es reicht vermutlich eh, sich erst in drei Jahren zu erinnern...
UN STADE A BASTIA von Dume-solubastia
Ein neues Stadion für Bastia (immer noch nicht fertig, aber schon 32 Mio € investiert!)
Zurück zum ersten Teil!
Die Korsen sind ein stolzes Volk, das Spiel gegen Marseille eine Art Derby. Das Halbfinale gewinnt noch ein wenig mehr an Bedeutung als es ohnehin schon hat. Der Ansturm auf die Karten ist immens, die Wette scheint gewonnen, das Rennen jedoch nicht. Wie Augenzeugen in der Dokumentation „Furiani: La mort en tribune" des Fußballsender CFoot berichten, wird sogar wenige Stunden vor dem Anpfiff noch an der imposanten Stahlkonstruktion geschraubt. Thierry Roland, auch bei diesem Spiel Kommentator, sitzt mit seinem Kollegen Jean-Michel Larquée wie die restliche Presse ganz oben auf der neugebauten Tribüne. Sie wechseln jedoch den Platz um besser kommentieren zu können.
Um 20h20 schaltet Poivre d’Arvor aus dem Nachrichtenstudio live ins Stadion. Die Stimmung ist wie angekündigt explosiv. Auf den Tribünen skandieren und springen die Fans von Bastia, schwenken ihre Fahnen mit dem Symbol Korsikas, der „Tête de Maure". Journalisten und Zeugen berichten in der CFoot-Doku von einem ständigen "schiffsähnlichen" Wanken der Tribüne. Manche ahnen bereits die Katastrophe, wollen sie aber nicht wahrhaben. Während die Fans mit ihren Füßen auf den Boden trommeln, lösen sich bereits Teile der Stahlkonstruktion. Statt sofort zu evakuieren, ermahnt der Stadionsprecher zur Ruhe und bittet die "Füße still zu halten". Zu spät wird wohl einigen bewusst, dass eine olympische Eröffnungsfeier etwas anderes ist als ein wichtiges Fußball-Derby.
Die Mannschaften wärmen sich gerade auf, als Thierry Roland das Wort ergreift und der obere Teil der Tribüne mit rund 3.000 Menschen einstürzt. Sie fallen fast 20 Meter in ein ungewisses Etwas aus Stahlrohren, Plastiksitzen und dem harten Boden. Sofort beginnen die Rettungsarbeiten. Das Spielfeld wird zum improvisierten Lazarett und Hubschrauberlandeplatz. Die Spieler helfen die Zäune runterzureißen und Verletzte zu transportieren. Eine Massenpanik wird glücklicherweise verhindert. Währenddessen ist das Krankenhaus von Bastia überfüllt. Militärmaschinen evakuieren schließlich auch nach Marseille. Insgesamt sterben an diesem Abend und in der Folge 18 Menschen und 2.357 werden verletzt.
Erinnerungsvideo eines Fans auf Youtube (etwas tragischer korsischer Gesang)
Vergiss mein nicht!
Wie immer drängelt sich niemand auf, als sich die Frage nach den Verantwortlichen stellt. Nachdem Stück für Stück der unglaubliche Zustand der Tribüne(Fotos) aufgedeckt wird, werden schließlich insgesamt 18 Menschen angezeigt. Fast drei Jahre später kommt es zu den Urteilssprüchen, die von den Korsen und besonders den Opfern und Hinterbliebenen als „Beleidigung" verstanden werden. Zunächst werden nur zwei Angeklagte zu 2Jahren Haft verurteilt, der Rest kriegt weniger. In der Berufung werden selbst diese Urteile abgeschwächt und zu Bewährungs- und kleineren Geldstrafen. Der ehemalige Präsident, Jean-Francois Filippi, ist da längst schon tot. Er wird am 26. Dezember 1994, vor seinem Haus mit einem Jagdgewehr per Schuss in den Brustkorb getötet. Ob der Mord mit dem Drama in Verbindung steht ist bis heute nicht geklärt.
Wieder einmal werden Opfer und Angehörigen alleingelassen. Statt durch eine Verurteilung der Verantwortlichen eine Illusion der Kompensation zu erleben, die Sinnlosigkeit des Verlustes ein wenig erklärbar zu machen, wird ihnen auch von Seiten des französischen Fußballverbands wenig Respekt gezollt. Im Zuge des Schocks hatte die „FFF" angekündigt, dass in Frankreich am 5. Mai eines jeden Jahres nie wieder ein Fußballspiel stattfinden würde. Seither hat es bereits mehrere Spiele und sogar Spieltage gegeben, die an diesem Tag ausgetragen wurden. Zweimal „musste" sogar der SC Bastia selbst antreten. Besonders fragwürdig ist hierbei aber das Verhalten von Olympique Marseille: am 5. Mai 2010 feiert der Verein mit einem 3:1-Sieg im Velodrome ihren ersten Meistertitel seit 1992(!). Damals noch auf dem Spielfeld, achtzehn Jahre später als Trainer am Spielfeldrand ist ein gewisser Didier Deschamps.
Doch pünktlich zum Jubiläum, springt das kollektive Gedächtnis und die Betroffenheit der Gesellschaft wieder an. Nach Verhandlungen zwischen den Angehörigen der Opfer und dem Verband wird entschieden, dass es keine Profi- wie Amateurspiele an besagtem Tag geben wird. Es wird auch gleich eingetütet, dass es in den folgenden Jahren nur „starke Zeichen der Erinnerung" geben wird. Dann heißt es aber auch wieder vergessen, denn am 29. Mai jährt sich das Heysel-Drama bereits zum 27. Mal. Wobei es reicht vermutlich eh, sich erst in drei Jahren zu erinnern...
UN STADE A BASTIA von Dume-solubastia
Ein neues Stadion für Bastia (immer noch nicht fertig, aber schon 32 Mio € investiert!)
Zurück zum ersten Teil!
Aufrufe: 2696 | Kommentare: 8 | Bewertungen: 3 | Erstellt:11.02.2012
ø 10.0
KOMMENTARE
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27.02.2012 | 02:08 Uhr
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YM89 :
Noch eine Tragödie von der ich nichts wusste. Der Blog klärt auf und ist total kurzweilig geschrieben. Danke dafür.
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26.02.2012 | 14:16 Uhr
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Auf jeden Fall danke ich Dir für die Kritik!
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26.02.2012 | 14:09 Uhr
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xxlhonk :
Ja. Die Einleitung ist zu lang.Und dadurch hat man zwischendurch Probleme, den Faden zu halten.
Ich dachte manchmal: komm jetzt auf den Punkt.
Und das "Aufgesetzte".
Es ist sowohl die Sprache als auch die Art wie du versuchst neutral an das Thema heranzugehen.
Ich hätte mehr Emotion, Wut oder was auch immer du dabei fühlst gut gefunden. Und weniger den Versuch und den Anspruch journalistisch daher zu kommen.
Da gibt es zahlreiche Beispiele für.
"Statt durch eine Verurteilung der Verantwortlichen eine Illusion der Kompensation zu erleben, die Sinnlosigkeit des Verlustes ein wenig erklärbar zu machen, wird ihnen auch von Seiten des französischen Fußballverbands wenig Respekt gezollt.."
Ist so ein Satz.
Was genau willst du sagen? Und warum sagst du es nicht?
In klaren Worten.
Das ist nureiner von einigen Sätzen ...
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26.02.2012 | 13:56 Uhr
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Ich musste mich teilweise etwas kurz halten um nicht gesetzten Rahmen von zwei Teilen zu sprengen... Von den Fakten her sollte aber nichts verwässert sein, auch wenn ich vielleicht die Einleitung hätte kürzen und mehr auf die tatsächliche Katatsrophe eingehen können. Weiß aber nicht, ob Du das meinst...?
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26.02.2012 | 13:50 Uhr
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xxlhonk :
Wie? Vor zwei Awochen Online gestellt und seitdem kaum gelesenen und nicht kommentiert?Das ist ja Fasten Skandal.
Auch wenn die das ganze etwas zu sehr verwässerst und manchesmal zu aufgesetzt daher kommst, istdas Nummer echt stark geschrieben. Ich kann mich an die Nachrichten damals gut erinnern.
Und das ich damals dachte:
Wie oft müssen noch Menschen sterben, bevor man diesen Mist mit den provisorieschen Tribünen endlich lässt?
Stark.
Wie gesagt, etwas zu aufgesetzt, aber dennoch zwei klare 10. Verbunden mit der Hoffnung, dass da noch ein paar Leute lesen und kommentieren.
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12.02.2012 | 11:33 Uhr
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11.02.2012 | 19:07 Uhr
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UliFan :
Ich mag deine Schreibe. Da "quälen" einen auch keine Mehrteiler, ganz im GegenteilGut dass du an dieses entsetzliche Ereignis erinnerst, in meinem Gedächtnis war es leider auch nicht mehr.
Super Blog!
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