05.07.2012 um 06:17 Uhr
Geschrieben von vanGaalsNase
Taktiktrends 2008-2012 I
Der Fußball ist in einem ständigen Wandel. Die Trends verschieben sich, verschwinden, tauchen in neuem Gewand wieder auf oder gehen nie weg. Vor allem die letzten vier Jahre (Taktikrückblick 2010, 2011)waren eine Zeit voller neuer Erkenntnisse und Entwicklungen, die dem Fußball einen neuen Schub verschafften und einige Strömungen hervorbrachten, die teilweise sogar übertrieben erscheinen. Aufgrund dieser Entwicklungen, von denen die 5 wichtigsten und auffälligsten hier erläutert werden sollen, lassen sich auch Vermutungen (keine Prognosen!) über die nächsten Trends im Weltfußball anstellen. Auffällig bei allen Punkten ist die enge Verknüpfung untereinander.
1. Trend oder Notwendigkeit?
"Falsche Neun", inverse Außenbahnspieler, sowie polyvalente Spieler sind in den letzten Jahren immer wiederkehrende Begriffe gewesen, wenn es um die Frage ging, welche neuen Strömungen der Fußball gerade durchläuft. Dabei sind sie nicht nur Trends, sondern vielmehr notwendig gewordene Interpretationen von Positionen, die bislang vorwiegend von technisch-taktisch einseitigen Spielern bekleidet wurden. Denn wegen des zunehmend ballorientierten Spiels, in welchem die Spieler immer umfangreichere Anforderungen erfüllen müssen, ist es unabdingbar, an möglichst sämtlichen Handlungen von Offensive und Defensive teilzunehmen.
Während etwa die Sturmspitzen früher primär zum Toreschießen da waren, sind sie seit geraumer Zeit die ersten Störspieler, wenn der Gegner in Ballbesitz ist. Durch das immer wichtiger werdende Kurzpassspiel (siehe unten) sind sie nun ferner dazu angehalten, sich Richtung Ball fallen zu lassen, um eine weitere Anspieloption zu kreieren. Der dadurch entstehende quantitative Nachteil im vorderen Zentrum muss natürlich ausgeglichen werden. Hier kommen die inversen Außen ins Spiel, die zunehmend Torgefahr ausstrahlen sollen, indem sie wegen der Postierung auf der Seite ihres schwachen Fußes in die Mitte ziehen.
Auf diese Weise verfahren sowohl der FC Barcelona, als auch die spanische Nationalmannschaft mit Lionel Messi und/oder Fabregas als falsche Neun und dominier(t)en den Weltfußball. Da wegen dieser Ausrichtung auch ein Ausbleiben von Torraumszenen einhergehen kann, wenn der Fokus zu sehr auf die Sicherung des eigenen Ballbesitzes gelegt wird, wird dieser Ansatz oft kritisiert. Jose Mourinho etwa beschrieb Spaniens Spielweise als steril.
2. deutsche Tugenden
Das Thema schlechthin nach dem Scheitern des FC Bayern im CL-Finale gegen Chelsea im eigenen Stadion und nach dem EM-Halbfinalaus gegen Italien. Die dt. Tugenden - Motivation, Kampf, (Sieges)Wille - werden auch heute noch immer wieder als Allheilmittel angesehen, wenn Mannschaften etwa um den Klassenerhalt oder wie hier um den Turniersieg spielen.
Festzuhalten ist, dass Kampf und Wille Grundvoraussetzungen eines jeden Profisportlers sind, ohne die er niemals Erfolg haben wird. Fest steht aber auch, dass Kampf und Wille noch keine Mannschaft in technisch-taktischer Hinsicht weitergebracht haben. Doch sind genau diese Aspekte im heutigen Fußball entscheidend. Bei den beiden Europameisterschaften von 2008 und 2012, sowie der WM 2010 flogen alle fünf Gastgeber nach der Vorrunde raus. Während die Ausrichtung eines solchen Turniers im eigenen Land früher große Kräfte freisetzte (1958 wird Schweden Vizeweltmeister; Südkorea erreicht 2002 das Halbfinale; Uruguay, Italien, England, Dtl., Argentinien und Frankreich siegen im eigenen Land), ist dieser Bonus nunmehr kaum noch von Belang.
Ohne eine gewisse spielerische Qualität gewinnt man heute gar nichts mehr. Ohne einen ausgeprägten Willen zum Sieg, allerdings auch nicht. Matthias Sammer bezeichnet die dt. Tugenden als "die letzten 10%" zum Erfolg.
Wenn man bedenkt, dass Spanien noch immer die großen Titel gewinnt, obwohl sie doch eigentlich schon satt sein müssten, wird einem klar, dass sie diese 10% zweifellos besitzen. Ob das bei der dt. N11 fehlt, lässt sich weniger an den Ergebnissen auf Nationalmannschaftsebene erschließen, als vielmehr an dem Resultat im diesjährigen CL-Finale. Denn selbst wenn die DFB-Elf ein oder zwei Spieler mit dem Charakter eines Oliver Kahn gehabt hätte, wären die Turniere mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht besser verlaufen. Denn rein taktisch sind uns die Spanier und bei der EURO 2012 auch die Italiener noch um einiges voraus. Es fehlen also noch ein bisschen mehr als nur 10%.
3. Passspiel
Bei der EURO 2008 gewann die spanische Nationalmannschaft, wobei ihr auf Kurzpässen basierendes Ballbesitzspiel als Hauptgrund für den Triumph angesehen wurde. Spanien passte durchschnittlich etwa 450 mal je Partie; häufiger als jedes andere Team. Den höchsten Wert erreichten die Iberer mit 510 im Vorrundenspiel gegen Schweden. Bereits drei Jahre später lag die durchschnittliche Passquote in der CL 2010/11 bei 502 pro Spiel je Mannschaft. Der Trend ging also zunehmend in Richtung eines kontrollierten Aufbauspiels mit Hilfe von Kurz- und Flachpässen. Denn auch bei der EM 2012 lag die durchschnittliche Passquote bei circa 450 Pässen pro Team. Spanien passte zwischen 600 und 700 mal. Während also die übrigen Nationen zu den Spaniern von 2008 aufschlossen, schaffte es der alte und neue Europameister, sein eigenes Passspiel zu intensivieren und war damit wiederum erfolgreich.
Damit einhergehend änderte sich auch die Art der Torentstehung: In den CL-Spielzeiten von 2004/05 und 2005/06 lag die Torquote der aus dem Spiel heraus erzielten Toren bei etwa 40% durch Konter. Nach 2010/11 betrug dieser Wert nur noch 21%. Während die gut organisierten Abwehrverbände in der Mitte des letzten Jahrzehnts vorwiegend nur dann überwunden werden konnten, wenn sie nach Ballverlust unorganisiert waren, so können diese noch immer gut organisierten Verteidigungen auch mittels Kurzpässen durchs Zentrum auskombiniert werden.
So sank auch die Torausbeute nach über die Außen vorgetragenen Angriffen kontinuierlich ab. Stattdessen fielen immer mehr Treffer nach Flachpässen in den Strafraum aus dem Zentrum heraus (technischer Bericht zur UEFA CL 2010/2011, Seite 11). Dieses Fortschreiten im Bereich des Offensivspiels führte zu Veränderungen im allgemeinen Defensivverhalten:
Teil 2
1. Trend oder Notwendigkeit?
"Falsche Neun", inverse Außenbahnspieler, sowie polyvalente Spieler sind in den letzten Jahren immer wiederkehrende Begriffe gewesen, wenn es um die Frage ging, welche neuen Strömungen der Fußball gerade durchläuft. Dabei sind sie nicht nur Trends, sondern vielmehr notwendig gewordene Interpretationen von Positionen, die bislang vorwiegend von technisch-taktisch einseitigen Spielern bekleidet wurden. Denn wegen des zunehmend ballorientierten Spiels, in welchem die Spieler immer umfangreichere Anforderungen erfüllen müssen, ist es unabdingbar, an möglichst sämtlichen Handlungen von Offensive und Defensive teilzunehmen.
Während etwa die Sturmspitzen früher primär zum Toreschießen da waren, sind sie seit geraumer Zeit die ersten Störspieler, wenn der Gegner in Ballbesitz ist. Durch das immer wichtiger werdende Kurzpassspiel (siehe unten) sind sie nun ferner dazu angehalten, sich Richtung Ball fallen zu lassen, um eine weitere Anspieloption zu kreieren. Der dadurch entstehende quantitative Nachteil im vorderen Zentrum muss natürlich ausgeglichen werden. Hier kommen die inversen Außen ins Spiel, die zunehmend Torgefahr ausstrahlen sollen, indem sie wegen der Postierung auf der Seite ihres schwachen Fußes in die Mitte ziehen.
Auf diese Weise verfahren sowohl der FC Barcelona, als auch die spanische Nationalmannschaft mit Lionel Messi und/oder Fabregas als falsche Neun und dominier(t)en den Weltfußball. Da wegen dieser Ausrichtung auch ein Ausbleiben von Torraumszenen einhergehen kann, wenn der Fokus zu sehr auf die Sicherung des eigenen Ballbesitzes gelegt wird, wird dieser Ansatz oft kritisiert. Jose Mourinho etwa beschrieb Spaniens Spielweise als steril.
2. deutsche Tugenden
Das Thema schlechthin nach dem Scheitern des FC Bayern im CL-Finale gegen Chelsea im eigenen Stadion und nach dem EM-Halbfinalaus gegen Italien. Die dt. Tugenden - Motivation, Kampf, (Sieges)Wille - werden auch heute noch immer wieder als Allheilmittel angesehen, wenn Mannschaften etwa um den Klassenerhalt oder wie hier um den Turniersieg spielen.
Festzuhalten ist, dass Kampf und Wille Grundvoraussetzungen eines jeden Profisportlers sind, ohne die er niemals Erfolg haben wird. Fest steht aber auch, dass Kampf und Wille noch keine Mannschaft in technisch-taktischer Hinsicht weitergebracht haben. Doch sind genau diese Aspekte im heutigen Fußball entscheidend. Bei den beiden Europameisterschaften von 2008 und 2012, sowie der WM 2010 flogen alle fünf Gastgeber nach der Vorrunde raus. Während die Ausrichtung eines solchen Turniers im eigenen Land früher große Kräfte freisetzte (1958 wird Schweden Vizeweltmeister; Südkorea erreicht 2002 das Halbfinale; Uruguay, Italien, England, Dtl., Argentinien und Frankreich siegen im eigenen Land), ist dieser Bonus nunmehr kaum noch von Belang.
Ohne eine gewisse spielerische Qualität gewinnt man heute gar nichts mehr. Ohne einen ausgeprägten Willen zum Sieg, allerdings auch nicht. Matthias Sammer bezeichnet die dt. Tugenden als "die letzten 10%" zum Erfolg.
Wenn man bedenkt, dass Spanien noch immer die großen Titel gewinnt, obwohl sie doch eigentlich schon satt sein müssten, wird einem klar, dass sie diese 10% zweifellos besitzen. Ob das bei der dt. N11 fehlt, lässt sich weniger an den Ergebnissen auf Nationalmannschaftsebene erschließen, als vielmehr an dem Resultat im diesjährigen CL-Finale. Denn selbst wenn die DFB-Elf ein oder zwei Spieler mit dem Charakter eines Oliver Kahn gehabt hätte, wären die Turniere mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht besser verlaufen. Denn rein taktisch sind uns die Spanier und bei der EURO 2012 auch die Italiener noch um einiges voraus. Es fehlen also noch ein bisschen mehr als nur 10%.
3. Passspiel
Bei der EURO 2008 gewann die spanische Nationalmannschaft, wobei ihr auf Kurzpässen basierendes Ballbesitzspiel als Hauptgrund für den Triumph angesehen wurde. Spanien passte durchschnittlich etwa 450 mal je Partie; häufiger als jedes andere Team. Den höchsten Wert erreichten die Iberer mit 510 im Vorrundenspiel gegen Schweden. Bereits drei Jahre später lag die durchschnittliche Passquote in der CL 2010/11 bei 502 pro Spiel je Mannschaft. Der Trend ging also zunehmend in Richtung eines kontrollierten Aufbauspiels mit Hilfe von Kurz- und Flachpässen. Denn auch bei der EM 2012 lag die durchschnittliche Passquote bei circa 450 Pässen pro Team. Spanien passte zwischen 600 und 700 mal. Während also die übrigen Nationen zu den Spaniern von 2008 aufschlossen, schaffte es der alte und neue Europameister, sein eigenes Passspiel zu intensivieren und war damit wiederum erfolgreich.
Damit einhergehend änderte sich auch die Art der Torentstehung: In den CL-Spielzeiten von 2004/05 und 2005/06 lag die Torquote der aus dem Spiel heraus erzielten Toren bei etwa 40% durch Konter. Nach 2010/11 betrug dieser Wert nur noch 21%. Während die gut organisierten Abwehrverbände in der Mitte des letzten Jahrzehnts vorwiegend nur dann überwunden werden konnten, wenn sie nach Ballverlust unorganisiert waren, so können diese noch immer gut organisierten Verteidigungen auch mittels Kurzpässen durchs Zentrum auskombiniert werden.
So sank auch die Torausbeute nach über die Außen vorgetragenen Angriffen kontinuierlich ab. Stattdessen fielen immer mehr Treffer nach Flachpässen in den Strafraum aus dem Zentrum heraus (technischer Bericht zur UEFA CL 2010/2011, Seite 11). Dieses Fortschreiten im Bereich des Offensivspiels führte zu Veränderungen im allgemeinen Defensivverhalten:
Teil 2
Aufrufe: 5456 | Kommentare: 0 | Bewertungen: 3 | Erstellt:05.07.2012
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