05.07.2012 um 06:39 Uhr
Geschrieben von vanGaalsNase
Taktiktrends 2008-2012 III
Vor allem in Deutschland wird das sinnvoll sein. Während Italien das Spiel mit Dreierkette ebenso souverän beherrscht wie die Viererkette, hat Deutschland arge Probleme beim 3:3 gegen die Ukraine offenbart. Auch kam die DFB-Elf nicht mit der Doppelspitze der Squadra Azzurra klar. Um diese taktischen Rückstände aufzuholen, bedarf es einer noch stärkeren Ball- oder Raumorientierung.
2. Pressing vs. Raumorientierung
Aus diesen Umständen ergibt sich die Frage, ob sich das raumorientierte Deckungsverhalten weiter durchsetzen oder ob das Pressing wieder vorherrschend wird. Schließlich praktizieren Borussia Dortmund, Barca, die spanische und nunmehr auch die italienische Nationalmannschaft das aktive Pressing und waren in den vergangenen Jahren äußerst erfolgreich. Da der Großteil der europäischen Mannschaften zumindest in den internationalen Wettbewerben aber eher das passive und raumorientierte Verteidigen bevorzugt und damit ebenfalls Erfolg haben, wie der FC Chelsea (2011/12) und Inter Mailand (2009/10) in den Halbfinals gegen Barcelona und im Finale gegen Bayern München, wird daraus wohl eine Art "Glaubensfrage" werden.
3. Flanken
In Verbindung des zugestellten Zentrums mit den immer seltener werdenden Flanken wird sich der Trend wohl bald wieder umkehren und das Flügelspiel wieder zunehmen. Große Stoßstürmer und auf Flanken spezialisierte Akteure à la David Beckham könnten die Folge sein. England machte dieses Angriffsschema bei der EURO bereits zum wesentlichen Bestandteil des eigenen Torabschlusses.
4. Vielseitigkeit
Da das ballorientierte Spiel mit seinen universellen Anforderungen aber weiter voranschreiten wird, bleiben solch einseitige Spieler wie ein Beckham weiter außen vor. Vielmehr müssen inverse Spieler stärker in der Beidbeinigkeit geschult werden, um variabel und je nach Situation entweder präzise zu flanken oder den Ball wieder flach zurück ins Zentrum zu bringen. Diese Unberechenbarkeit könnte dazu führen, dass die Abwehrverbände wieder stärker ballorientiert verschieben müssen, um den Ball jederzeit unter Druck setzen zu können. Dabei könnten Dreierketten, die bei gegnerischem Ballbesitz zu Vierer- oder gar Fünferketten werden, wieder häufiger anzutreffen sein.
5. Postmoderne
Im Fußball ist es wie in der Mode: die Trends kommen und gehen und selbst wenn etwas "out" ist oder nicht mehr aktuell, kann es mit den richtigen Ideen und Kombinationen der Moderne zu einem innovativen Fortschritt werden. Das Mitte der 2000er Jahre enorm wichtige Konterspiel wandte Herbert Chapman, der Erfinder der Taktiktafel und des WM-Systems, schon in den 1920er und 30er Jahren als Trainer von Arsenal London an und holte so mehrere Titel in Meisterschaft und Pokal, obwohl zu jener Zeit kaum verteidigt wurde. In den 2000er Jahren war die Bedeutung eines spielstarken Sechsers wie Pep Guardiola, Paul Scholes oder Andrea Pirlo beinahe gleich Null. Stattdessen wurde diese Position von robusten und vornehmlich zweikampfstarken Spielern dominiert. Erst ab dem Jahre 2008 nahm die Wichtigkeit dieser Position für den Spielaufbau wieder zu. Auch der bereits in den 60er Jahren entstandene Catenaccio und der Totale Fußball der 70er feiern regelmäßig große Comebacks.
Nach Aussage vieler Experten wird es keine revolutionären Neuerungen mehr im Fußball und seiner Taktik geben. Eine erste Bestätigung dieser These lieferte die WM 2010, in der es zwar zahlreiche voneinander abweichende Spielideen und -interpretationen gab, aber eben keine neuen. Somit hat schließlich auch der Fußball eine Art Postmoderne erreicht. Nach Jean-Francois Lyotard, der den Begriff der Postmoderne endgültig popularisierte, gibt es in den Wissenschaften, der Ethik und der Moral keine allgemeinverbindlichen Wahrheiten oder Lösungen. Jede Disziplin steht für sich und kann mit den anderen nicht vollends vereinheitlicht werden.
So gilt es nun für den Fußball, dass es kein System gibt, welches alles Positive derart in sich vereint, dass andere Spielauffassungen gänzlich abzulehnen sind. Zumal auch die großen Titel in den Meisterschaften und Pokalwettbewerben nicht ständig an Mannschaften einer bestimmten Spielphilosophie gehen. Mal sind es aktive, auf Ballbesitz ausgerichtete Teams, mal passive Teams, die erfolgreich sind. Entscheidend dabei ist, dass man seine Vorstellungen rigoros umsetzt, ohne fremde Ideen völlig abzulehnen.
Die Postmoderne wird im Kern dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr die Innovation im Mittelpunkt steht, sondern eine neue Anwendung bereits bestehender Ideen. Denn schon Goethe wusste: „Alles Gescheite ist schon gedacht worden. Man muss nur versuchen, es noch einmal zu denken." (Wilhelm Meisters Wanderjahre)
Auch Frank Wormuth meinte in seinem jüngsten Spox-Interview: "Die Italiener setzten noch einen drauf. Ihre Rückkehr zu der alten 3-5-2-Grundordnung gepaart mit der Ballorientiertheit im modernen Fußball war richtig angenehm anzuschauen. Natürlich ist das alles nichts Neues, es spiegelt das Verlangen des Trainers nach Veränderung oder nach Gegentrends wieder. Also keine Innovation, sondern eher eine Neuinterpretation früheren Verhaltens." Im Prinzip definiert er hier die Postmoderne.
Es gibt also kein Konzept, was ewig falsch oder ewig richtig sein wird. Aus den Systemen, sowohl aus der Gegenwart und der Vergangenheit, kann und sollte man lernen und daraus die bestmöglichen Ansätze suchen. Grenzen gibt es dabei nicht.
2. Pressing vs. Raumorientierung
Aus diesen Umständen ergibt sich die Frage, ob sich das raumorientierte Deckungsverhalten weiter durchsetzen oder ob das Pressing wieder vorherrschend wird. Schließlich praktizieren Borussia Dortmund, Barca, die spanische und nunmehr auch die italienische Nationalmannschaft das aktive Pressing und waren in den vergangenen Jahren äußerst erfolgreich. Da der Großteil der europäischen Mannschaften zumindest in den internationalen Wettbewerben aber eher das passive und raumorientierte Verteidigen bevorzugt und damit ebenfalls Erfolg haben, wie der FC Chelsea (2011/12) und Inter Mailand (2009/10) in den Halbfinals gegen Barcelona und im Finale gegen Bayern München, wird daraus wohl eine Art "Glaubensfrage" werden.
3. Flanken
In Verbindung des zugestellten Zentrums mit den immer seltener werdenden Flanken wird sich der Trend wohl bald wieder umkehren und das Flügelspiel wieder zunehmen. Große Stoßstürmer und auf Flanken spezialisierte Akteure à la David Beckham könnten die Folge sein. England machte dieses Angriffsschema bei der EURO bereits zum wesentlichen Bestandteil des eigenen Torabschlusses.
4. Vielseitigkeit
Da das ballorientierte Spiel mit seinen universellen Anforderungen aber weiter voranschreiten wird, bleiben solch einseitige Spieler wie ein Beckham weiter außen vor. Vielmehr müssen inverse Spieler stärker in der Beidbeinigkeit geschult werden, um variabel und je nach Situation entweder präzise zu flanken oder den Ball wieder flach zurück ins Zentrum zu bringen. Diese Unberechenbarkeit könnte dazu führen, dass die Abwehrverbände wieder stärker ballorientiert verschieben müssen, um den Ball jederzeit unter Druck setzen zu können. Dabei könnten Dreierketten, die bei gegnerischem Ballbesitz zu Vierer- oder gar Fünferketten werden, wieder häufiger anzutreffen sein.
5. Postmoderne
Im Fußball ist es wie in der Mode: die Trends kommen und gehen und selbst wenn etwas "out" ist oder nicht mehr aktuell, kann es mit den richtigen Ideen und Kombinationen der Moderne zu einem innovativen Fortschritt werden. Das Mitte der 2000er Jahre enorm wichtige Konterspiel wandte Herbert Chapman, der Erfinder der Taktiktafel und des WM-Systems, schon in den 1920er und 30er Jahren als Trainer von Arsenal London an und holte so mehrere Titel in Meisterschaft und Pokal, obwohl zu jener Zeit kaum verteidigt wurde. In den 2000er Jahren war die Bedeutung eines spielstarken Sechsers wie Pep Guardiola, Paul Scholes oder Andrea Pirlo beinahe gleich Null. Stattdessen wurde diese Position von robusten und vornehmlich zweikampfstarken Spielern dominiert. Erst ab dem Jahre 2008 nahm die Wichtigkeit dieser Position für den Spielaufbau wieder zu. Auch der bereits in den 60er Jahren entstandene Catenaccio und der Totale Fußball der 70er feiern regelmäßig große Comebacks.
Nach Aussage vieler Experten wird es keine revolutionären Neuerungen mehr im Fußball und seiner Taktik geben. Eine erste Bestätigung dieser These lieferte die WM 2010, in der es zwar zahlreiche voneinander abweichende Spielideen und -interpretationen gab, aber eben keine neuen. Somit hat schließlich auch der Fußball eine Art Postmoderne erreicht. Nach Jean-Francois Lyotard, der den Begriff der Postmoderne endgültig popularisierte, gibt es in den Wissenschaften, der Ethik und der Moral keine allgemeinverbindlichen Wahrheiten oder Lösungen. Jede Disziplin steht für sich und kann mit den anderen nicht vollends vereinheitlicht werden.
So gilt es nun für den Fußball, dass es kein System gibt, welches alles Positive derart in sich vereint, dass andere Spielauffassungen gänzlich abzulehnen sind. Zumal auch die großen Titel in den Meisterschaften und Pokalwettbewerben nicht ständig an Mannschaften einer bestimmten Spielphilosophie gehen. Mal sind es aktive, auf Ballbesitz ausgerichtete Teams, mal passive Teams, die erfolgreich sind. Entscheidend dabei ist, dass man seine Vorstellungen rigoros umsetzt, ohne fremde Ideen völlig abzulehnen.
Die Postmoderne wird im Kern dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr die Innovation im Mittelpunkt steht, sondern eine neue Anwendung bereits bestehender Ideen. Denn schon Goethe wusste: „Alles Gescheite ist schon gedacht worden. Man muss nur versuchen, es noch einmal zu denken." (Wilhelm Meisters Wanderjahre)
Auch Frank Wormuth meinte in seinem jüngsten Spox-Interview: "Die Italiener setzten noch einen drauf. Ihre Rückkehr zu der alten 3-5-2-Grundordnung gepaart mit der Ballorientiertheit im modernen Fußball war richtig angenehm anzuschauen. Natürlich ist das alles nichts Neues, es spiegelt das Verlangen des Trainers nach Veränderung oder nach Gegentrends wieder. Also keine Innovation, sondern eher eine Neuinterpretation früheren Verhaltens." Im Prinzip definiert er hier die Postmoderne.
Es gibt also kein Konzept, was ewig falsch oder ewig richtig sein wird. Aus den Systemen, sowohl aus der Gegenwart und der Vergangenheit, kann und sollte man lernen und daraus die bestmöglichen Ansätze suchen. Grenzen gibt es dabei nicht.
Aufrufe: 5549 | Kommentare: 13 | Bewertungen: 12 | Erstellt:05.07.2012
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KOMMENTARE
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05.07.2012 | 10:12 Uhr
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Was den Punkt mit den Flanken angeht, bin ich gespannt, ob du recht behältst. Wobei es da ja eigentlich nur noch bergauf gehen kann. Mir fallen momentan maximal eine Hand voll Spieler ein, die flanken können und nicht viel mehr, die die Flanken dann auch verwerten können.
Denkst du mit mehr Flanken könnte der Trend auch wieder mehr zu Systemen mit zwei Stürmern gehen?
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Das sieht man ja immer wieder an England. Die sind einfach nicht davon abzubringen, mit langen Bällen über die Außen und Doppelspitze zu agieren. Die verschlafen oder ignorieren jeden Trend. Aber jetzt könnten sie wieder auf Höhe der Zeit gelangen. Es ist dabei wie mit einer Uhr, die stehengeblieben ist. Denn auch eine stehengebliebene Uhr, geht zweimal am Tag richtig