15.06.2010 um 19:09 Uhr
Geschrieben von AndreasRenner
Torchancen verzweifelt gesucht!
Wenn man sich überlegt, dass Portugal und die Elfenbeinküste in Gruppe G zusammen mit Brasilien spielen, so war das Unentschieden zwischen beiden Teams fast schon zwangsläufig. Beide müssen gegen die Brasilianer mit einer Niederlage rechnen und eine zweite im heutigen Spiel wäre schon das sichere WM-Aus gewesen. Folglich darf niemand überrascht sein, dass beide nicht alles auf eine Karte gesetzt haben.
Trotzdem war es ein interessantes Spiel. Die Elfenbeinküste begann im erwarteten 4-3-3, allerdings ohne Superstar Didier Drogba. Im Gegensatz zu den vorher verbreiteten Aufstellungen kam zwar Dindane für Drogba ins Team, doch er übernahm nicht dessen zentrale Sturmposition. Stattdessen spielte Gervinho in der ivorischen Sturmzentrale, unterstützt von Dinande rechts und Kalou links. Ob dieser Schachzug von Trainer Sven-Göran Eriksson allerdings glücklich war, sei dahingestellt. Dindane zeigte jedenfalls nichts von dem, was ein Flügelspieler bringen muss und verlor das Duell gegen Portugals linken Außenverteidiger Fabio Coentrao turmhoch.
Ansonsten hatte Eriksson, wie schon vorher erwartet, den Sechser Zokora als zweiten Innenverteidiger neben Kolo Touré zurückgezogen. Guy Demel vom HSV lief als Rechtsverteidiger auf, Arsenals Emmanuel Eboué startete dafür im Mittelfeld.
Die Portugiesen begannen mit einer ähnlichen Formation. Liedson war die zentrale Sturmspitze, unterstützt von Danny (Zenit St. Petersburg), der statt Simao begann. Über rechts attackierte Cristiano Ronaldo, der allerdings im Lauf der Partie mehrfach die Seiten mit Danny tauschte. Außerdem stieß Ronaldo in einigen Situationen auch ganz nach vorne und spielte neben Liedson. Diese Offensivrochaden sollten offensichtlich den Gegner verwirren. Deco bekleidete die Zehnerposition, hinter ihm spielten Meireles als Achter und Mendes auf der Sechs. Conentrao begann hinten links, wo einige eher Duda erwartet hatten.
Der große taktische Schachzug der Partie kam von Sven-Göran Eriksson. Der schwedische Chefcoach der Ivorer wollte offenbar ein Schicksal wie 2006 vermeiden, als die Afrikaner begeisternden Offensivfußball geboten hatten, aber mit 6 Gegentoren in drei Spielen folgerichtig nach der Vorrunde ausschieden. Also straffte er die Defensive und attackierte Portugal auf ungewöhnliche Weise.
In vorderster Linie ließ er nämlich nicht nur einen oder zwei Stürmer verteidigen, sondern stellte alle drei Offensive auf eine Linie. Schon in der gegnerischen Hälfte ließ er sie konsequent Mittelfeldpressing spielen. Dazu stießen immer wieder abwechselnd die beiden Mittelfeldspieler Tioté und Eboué nach vorne, um die erste portugiesische Anspielstation im Mittelfeld (meistens Mendes) zuzustellen. Dadurch sah sich Portugal im Spielaufbau schon in der eigenen Hälfte einer ivorischen Wand gegenüber, die teilweise aus vier Mann bestand. Die ivorische Abwehr rückte hoch heraus und hielt die Abstände zwischen den Mannschaftsteilen klein. Die Mitte war schon in der portugiesischen Hälfte vollkommen dicht und die ivorischen Flügelspieler stellten auch noch die Außen zu, so dass Portugals Aufbauspiel zu Ballgeschiebe in der eigenen Hälfte verkam. Bezeichnend, dass Portugals einzige Chance vor der Pause durch eine Einzelaktion von Ronaldo per Fernschuss zustande kam.
Portugal war nie in der Lage, Ballbesitz in der gegnerischen Hälfte zu etablieren und verlor die Bälle häufig früh. Daraus hätten sich in der Theorie Kontergelegenheiten für die Elfenbeinküste ergeben müssen, doch die litten darunter, dass die Offensiven der Ivorer oft zu eigensinnig waren (Kalou, Gervinho), sich im eins-gegen-eins nicht durchsetzen konnten (Dindane) und generell wenig Lust auf Kombinationsspiel hatten (alle). Konsequenterweise sahen wir also (mal wieder) eine Halbzeit fast ohne Torszenen. Ich denke, daran werden wir uns gewöhnen müssen. Alle, die auf eine offensive WM gehofft hatten, müssen diese Hoffnungen inzwischen begraben. Die Frage der WM lautet nämlich nicht: Spiele ich mit einem, zwei oder drei Stürmern? Stattdessen müssen sich die Trainer fragen: Wie bringe ich den Ball überhaupt vor das gegnerische Tor?
Nach der Pause gaben die Ivorer ihr Defensivkonzept auf, zogen sich tiefer in die eigene Hälfte zurück und attackierten nur noch mit ihrem Stoßstürmer (erst Gervinho, später Drogba) auf Höhe der Mittellinie. Dahinter stand eine Fünferlinie aus Mittelfeldspielern, die ihre Viererkette abschirmte. So entstand mehr Raum auf dem Feld, doch beide Teams machten daraus ziemlich wenig, obwohl sich nun die Außenverteidiger auf beiden Seiten etwas mehr in die Offensive einschalteten, was vor der Pause gar nicht passiert war. Die Elfenbeinküste spielte etwas konsequenter nach vorne, doch wirklich klare Torchancen gab es auch der Pause fast gar nicht.
Nach Drogbas Einwechselung in der 66. Minute wurde auch klar, dass seine Abwesenheit zuvor nicht der Grund für das ungefährliche Angriffsspiel der Ivorer gewesen war. Auch er konnte kaum etwas bewirken. Erneut zeigt sich hier also das zentrale Thema dieser ersten WM-Woche: Wie setze ich meine Stürmer in Szene? Eine Antwort fanden beide Teams jedenfalls nicht, auch weil sie aufgrund der Konstellation nicht allzu intensiv nach einer suchten. Für mich bleibt allerdings eins unklar: Was machen die eigentlich, wenn sie mal ein Tor schießen müssen?
Bis bald,
Andreas
Aufrufe: 4272 | Kommentare: 14 | Bewertungen: 9 | Erstellt:15.06.2010
ø 6.1
KOMMENTARE
Um bewerten und sortieren zu können, loggen Sie sich bitte ein.
16.06.2010 | 22:20 Uhr
0
tstone1 :
ok, mein kommentar eben war etwas dünn, deshalb hier noch mal meine meinung:
ich schaue Fußball leidenschaftlich gerne und ich finde spiele die 0:0 ausgehen toll, WENN da eine taktische Leistung dahinter steckt. ( Inter - Barca als beispiel, auch wenn es 1:0 für barca ausging sei genannt)
ABER, was ich bei dieser WM sehen muss, ist teilweise einfach nur unvermögen und keine taktische Leistung. deshalb bin ich so frustriert.
Ich habe aber hoffnung das es besser wird, irgendwie.
0
16.06.2010 | 22:12 Uhr
0
tstone1 :
sorry zu deinem kommentar, lieber andreas, fällt mir nur ein: getroffene Hunde bellen. ehrlich...
0
16.06.2010 | 14:53 Uhr
0
Boggler :
also ich finde diesen Blog wirklich gelungen. Er zeigt deutlich was das Problem der beiden Mannschaften war und erklärt wunderbar die Ausrichtung der beiden Mannschaften.
Natürlich ist es immer einfacher eine Analyse über ein Spiel zu schreiben bei dem es Chancen en masse gibt, da die Gründe für die Menge an Chancen offensichtlich ist.
Wenn man über das Niveau der Partie sprechen möchte kommt man einfach an der Situation in dieser Gruppe nicht vorbei. Mit Brasilien ist einer der Favoriten bereits in der Gruppe und mit Spanien wartet der nächste bereits im Achtelfinale.
Da man davon ausgehen muss das Spanien seine Gruppe gewinnt geht es also nicht nur darum weiter zu kommen sondern es geht darum die Gruppe zu gewinnen.
Daher durften beide nicht verlieren und das wurde umgesetzt.
Es ist im Fußball einfach so das verteidigen einfacher als angreifen ist und da wohl alle Mannschaften, bis auf Spanien, sich leichter tun wenn sie reagieren können wird sich an der Grundeinstellung dieser Teams nicht viel ändern.
Das Problem bei dieser WM ist doch nicht die Partie POR - CIV, bei der sich die Mannschaften auf Augenhöhe befinden, sondern es sind die Begegnungen Groß gg. Klein bei denen der Favorit keine Mittel find.
0
16.06.2010 | 13:43 Uhr
0
La_Pulga :
@AndresRenner: Okay... Prinzipiell ein interessanter Blog, wobei ich das ganze dann doch völlig anders sehe:Die Tatsache, dass das Spiel nun wirklich ein grusliger Kick war, lag nicht daran, dass die Mannschaften Gruppentaktisch gut verteidigt haben! Das lag daran, dass beide nicht nach vorne gespielt haben! Wenn niemand nach vorne läuft, kann auch kein Tor fallen, ganz einfach!
Man hätte sich bei der Analyse von dem Spiel nicht auf die Defenive konzentrieren sollen, sondern auf das, was die Mannschaften Offensiv zu Stande gebracht haben bzw. eher was sie nicht zu Stande gebracht haben und warum nicht!
Denn, wenn eine Defensive nicht gefordert wird, kann sie keine Fehler machen, ganz einfach! Und wenn (wie bei dieser gesamten WM) anscheinend nur 4 Spieler für die Offensive zuständig sind, kann man 10 Verteidiger eben nicht unter Druck setzten! Es rückt ja auch bei Flanken etc. überhaupt keiner nach!
Angsthasenfussball trifft es ganz gut, dass hat nur sehr bedingt was damit zu tun, wie die Mannschaften defensiv organisiert sind!
Als die Elfenbeinküste in den letzten 5 Minuten nur ein bisschen Druck gemacht hat, hatten sie sofort 3 Halbchancen, das bestätigt das, was ich hier geschrieben habe...
0
16.06.2010 | 13:27 Uhr
0
GNetzer :
@Voegi Vielleicht muss ich an dieser Stelle einwerfen, dass Andreas und ich die Auswahl der zu analysierenden Partien schon vor der WM getroffen haben. (besser Planbarkeit) Da konnte noch niemand ahnen, was uns erwartet.
0
16.06.2010 | 13:15 Uhr
0
midget :
ich konnte das spiel leider nicht sehen, von daher kann ich hier auch nicht sagen ob es ein "grottenkick" war.das einzige was ich mitbekam, auch in den aufzeichnungen, war dass die "ivorer" in der 2. hälfte einen tick mutiger waren als die portugiesen und was ich da sah fand ich nun nicht wirklich unattraktiv.
außerdem ist es ja auch nun mal so, dass beide teams auf ein sieg gegen nordkorea spekulieren. brasilien wären zusatzpunkte. von daher hat andreas ja auch recht, dass dieses unentschieden nicht von ungefähr kommt.
wahrscheinlich wird es darauf hinauslaufen, dass die TD platz 2 entscheiden wird.
ich fand den blog interessant.
PS. voegi, ich bin ja fc fan. da findet man die spiele der WM schon perse attraktiv. :)
0
16.06.2010 | 13:10 Uhr
-1
Voegi :
@ andreasverstehe ich. aber muss man denn unbedingt so ein gruseliges gekicke wie por-elf noch taktisch auseinander nehmen? finde ja taktische analysen sehr gut - gerade von dir, weil du ne menge ahnung hast. aber in dem fall fand ich es echt etwas deplatziert. für mich war es so, als wenn guide michelin eine feingeschmeckeranalyse über eine imbissbude schreibt.
nix für ungut: freue mich auf deine analysen analysewürdiger spiele. ;)
0
16.06.2010 | 13:01 Uhr
0
AndreasRenner : @tstone1
Gelesen! Wie Befohlen! Und weiter? Ich vermute mal, Du willst mir zeigen, dass meine Betrachtung der WM falsch ist. Nur: Ich schreibe keine Texte darüber, wie unterhaltsam die Spiele sind. Ich habe den Auftrag, hier taktische Analysen zu verfassen. Wenn die Dich nicht interessieren, dann tut es mir leid. Nur: Meine Schuld ist das nicht. Aber mich interessiert eben nicht nur, dass die Spiele größtenteils unattraktiv sind, sondern ich will auch wissen warum. Wenn Dich das auch interessiert, dann kannst Du mit meinen Texten vielleicht etwas anfangen. Wenn Dir als Analyse: Die müssen mehr kämpfen und mutiger spielen reicht, dann lies eben etwas Anderes.
0
16.06.2010 | 11:51 Uhr
0
tstone1 :
lieber andreas renner:
http://www.spox.com/myspox/group-blogdetail/grillparty-mit-gemuese,85361.html
lesen, bitte.danke
0
COMMUNITY LOGIN
Statistik
Wartet mal erstmal ab, war erst der erste Spieltag!