Schwarz.Rot.Gold. Der DFB bei MySpox.
14.02.2012 um 17:40 Uhr
Geschrieben von Zac
Tremmel for One!
oder: Ein Problem, das keines ist.
„Frauen und Fußball", murmelte mein Kollege neben mir auf dem Sofa. Diese Worte begleitete ein Kopfschütteln, gefolgt von einem tiefen Schluck aus dem x-ten Bier dieses späten Samstagabends. Es war Sportstudio-Zeit. Moderation: Katrin Müller-Hohenstein. Nichts für schwache Nerven. Die Aussage meines Kollegen als Geschlechterfrage in der Sportberichterstattung zu pauschalisieren, liegt mir fern. Doch selbst nach einigen Tagen Abstand, an denen ich mich vom Stammtisch-Niveau wieder akklimatisiert habe, denke auch ich mit Kopfschütteln an das Interview zwischen Müller-Hohenstein und ihrem Studiogast zurück. DFB-Torwarttrainer Andy Köpke nahm an diesem Abend auf dem heißen Stuhl Platz. Die heiße Luft wehte ihm allerdings eher aus Richtung der Moderatorin entgegen. Diese wollte ihm unbeirrt einen erbitterten und hochspannenden Konkurrenzkampf um die Torhüter-Plätze im DFB-Team aufschwatzen. Nach den ihrerseits angelegten Maßstäben fordere ich nun die Berücksichtigung eines ehemaligen Keepers von Energie Cottbus. Aber der Reihe nach.
Dass Müller-Wohlfahrt in dem Gespräch mit Köpke ein Ziel verfolgte, stellte sich recht zeitig heraus. „Neuer ist die Nummer 1, dahinter gibt es einen offenen Kampf um die zwei weiteren EM-Tickets", preschte sie vor. Köpke blickte eher verdutzt drein. So erklärte er im weiteren Verlauf, dass man sich aktuell auf Wiese und Zieler als Ersatzkeeper festgelegt habe. Doch die Moderatorin ließ sich nicht beirren, zog schon früh ihren „großen Trumpf" und ihre einzige Argumentationsgrundlage: Bundesliga-Statistiken der aktuellen Saison.
Vor Köpke blinkte nun eine hübsche Grafik auf: Bilder von Leno, Neuer, Wiese, Ulreich, Zieler – und ter Stegen. Für fünf Statistiken gab es fünf Plaketten: Abgewehrte Torschüsse, vereitelte Großchancen, abgefangene Flanken, angekommene lange Pässe und Ballkontakte pro Spiel. Erwartungsfroh begann die Moderatorin die Plaketten auf die Keeper zu verteilen. Den Ausgang ahnte der blitzgescheite Köpke schon früh: „Ich glaub alle fünf Statistiken führt ter Stegen an." Der Gast hat es begriffen, die Moderatorin sah sich nun vollends auf der Überholspur.
Und sie drückte nun kräftig aufs Gas: „Aufgrund der statistischen Werte gibt es eine klare Nummer 1. Können Sie es sich leisten, den – rein statistisch – besten Mann zu Hause zu lassen?" Der geneigte Zuschauer sollte spätestens jetzt die Kompetenzfrage stellen. Ums vorweg zu nehmen: Es steht gar nicht zur Diskussion, dass ter Stegen eine überragende Saison spielt. Sein Teil zur aktuellen Erfolgsgeschichte der Fohlen ist maßgeblich. Wie dünn die Argumentation Müller-Hohlsteins aber war, grenzte schon an Peinlichkeit.
Beispiel: Hätte sich Nationaltrainer Löw schon vor drei Jahren an Statistiken gehalten – wie hätte es dann im DFB-Tor ausgehen? Die Entscheidung wäre wohl eindeutig gewesen. Und nein: Sie wäre nicht zugunsten Manuel Neuers ausgefallen, schließlich war Europas bester Keeper 08/09 ein anderer. Kein geringerer als die lebende Torwart-Legende Gerhard Tremmel hätte nach Müller-Einsteins Theorie das DFB-Tor hüten müssen. Tremmel glänzte mit 171 Paraden, als Einziger hielt er im Schnitt mehr als fünf Schüsse pro Spiel, parierte alle 18 Minuten einen Ball und war auch Ligaspitze bei der Fangsicherheit. Was die abgewehrten Torschüsse anging, war er besser als die deutschen Nationaltorhüter. Kein Witz: Damit sicherte er sich den inoffiziellen Titel „European Super Saver". Dass er in dieser Saison mit Cottbus abstieg und dabei 57 Gegentore kassierte, steht ja auf einem anderen Blatt. Und wer weiß: Experten vermuten bis heute, dass mit Tremmel der WM-Titel in Südafrika drin gewesen wäre. 171 Paraden im DFB-Dress hätten vermutlich locker gereicht, um den Kasten über mehrere Welt- und Europameisterschaften sauber zu halten. Doch Löw ließ die „Katze" im Sack und entschied sich für einen Neuer, der bei manchen Bundesliga-Partien kaum einen Schuss parieren musste. So kam es, wie es kommen musste: Puyol nickte im WM-Halbfinale zum Siegtreffer ein. Tremmel, der sicher schon unhaltbarare Bälle gehalten hat, musste sich das Aus der Deutschen von zuhause aus anschauen.
Doch zurück ins Sportstudio: Köpke erklärte seinem Gegenüber mittlerweile, dass der DFB bei jedem Spiel ein bis zwei neue Keeper nominieren müsste, wenn es rein nach Statistiken ginge. Die Moderatorin spulte ihr Programm aber unbeeindruckt ab. Sie schien ohnehin auf Durchzug geschaltet zu haben. Frage an Köpke: „Zucken Sie da nicht zusammen, wenn Neuer so einen Fehler wie vor dem 0:1 in Gladbach unterläuft?" Der DFB-Torwarttrainer verneinte. Es ginge auch um Vertrauen, das man einem Keeper gegenüber aufbringen müsse. Das Problem: Sowas ist schlecht in Zahlen auszudrücken, sodass der Moderatorin wohl nicht ganz klar wurde, was damit gemeint war. „Vertrauen hat auch noch keinen Ball gehalten", mag sie sich gedacht haben.
Köpke musste sich vorkommen wie ein Jugendtrainer, der seiner Kreisklassen-C-Jugend das Pressing beibringen möchte: Erstmal bei null anfangen – und Ruhe bewahren. Er erklärte, dass die Statistiken ein verzerrtes Leistungsbild wiedergeben würde. Ein Neuer bekommt bei den Bayern selten was zu tun. Allein zur Statistik "Ballkontakte": Wenn die Bayern nicht hinten rum spielen, bekommt er keinen Ball. Gegen Lautern hatte er seinen ersten Ballkontakt erst nach einer Stunde. Aber ist das ein Kriterium für ein schlechtes Torwartspiel?
Obwohl sich Köpke gar nicht auf die Diskussion einließ, legte sich Müller-Meier-Schulze fest: „Auf ter Stegen kann man glaube ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht verzichten." Spätestens jetzt hatte ich meine Fernbedienung durchgeladen. Unverzichtbar? Worüber reden wir hier? Für mich stehen die Keeper 1 und 2 fest: Neuer und Wiese. Ob nun Zieler oder ter Stegen im Sommer zur EM fahren ist für die Spieler selbst sicher nicht egal, jedoch keine öffentliche Diskussion wert. Nun soll der dritte Keeper für ein DFB-Team auch noch „unverzichtbar" sein?
Dortmund zeigt aktuell, dass sie Götze ersetzen können. Die Bayern beweisen, dass man auch ohne Robben und Schweinsteiger gewinnen kann. Aber die deutsche Nationalmannschaft kann auf einen Marc-André ter Stegen nicht verzichten? Diese Torwart-Diskussion im Sportstudio thematisierte ein Problem, das gar keines ist.
Ich wühle mal in den Statistiken der Reserve-Liga Englands. Sollte die Abwehr von Swansea Citys Reserveteam nicht ganz sattelfest sein, so könnte ich dort womöglich die neue Nummer 1 für die anstehende EM finden. Deutsch, erfahren und bereits für seine Leistungen ausgezeichnet: Gerhard Tremmel! Natürlich nur, wenn seine aktuellen Statistiken noch den Ansprüchen des Sportstudios entsprechen.
Das Video vom Müller-Hohenstein-Köpke-Gipfel:
„Frauen und Fußball", murmelte mein Kollege neben mir auf dem Sofa. Diese Worte begleitete ein Kopfschütteln, gefolgt von einem tiefen Schluck aus dem x-ten Bier dieses späten Samstagabends. Es war Sportstudio-Zeit. Moderation: Katrin Müller-Hohenstein. Nichts für schwache Nerven. Die Aussage meines Kollegen als Geschlechterfrage in der Sportberichterstattung zu pauschalisieren, liegt mir fern. Doch selbst nach einigen Tagen Abstand, an denen ich mich vom Stammtisch-Niveau wieder akklimatisiert habe, denke auch ich mit Kopfschütteln an das Interview zwischen Müller-Hohenstein und ihrem Studiogast zurück. DFB-Torwarttrainer Andy Köpke nahm an diesem Abend auf dem heißen Stuhl Platz. Die heiße Luft wehte ihm allerdings eher aus Richtung der Moderatorin entgegen. Diese wollte ihm unbeirrt einen erbitterten und hochspannenden Konkurrenzkampf um die Torhüter-Plätze im DFB-Team aufschwatzen. Nach den ihrerseits angelegten Maßstäben fordere ich nun die Berücksichtigung eines ehemaligen Keepers von Energie Cottbus. Aber der Reihe nach.
Dass Müller-Wohlfahrt in dem Gespräch mit Köpke ein Ziel verfolgte, stellte sich recht zeitig heraus. „Neuer ist die Nummer 1, dahinter gibt es einen offenen Kampf um die zwei weiteren EM-Tickets", preschte sie vor. Köpke blickte eher verdutzt drein. So erklärte er im weiteren Verlauf, dass man sich aktuell auf Wiese und Zieler als Ersatzkeeper festgelegt habe. Doch die Moderatorin ließ sich nicht beirren, zog schon früh ihren „großen Trumpf" und ihre einzige Argumentationsgrundlage: Bundesliga-Statistiken der aktuellen Saison.
Vor Köpke blinkte nun eine hübsche Grafik auf: Bilder von Leno, Neuer, Wiese, Ulreich, Zieler – und ter Stegen. Für fünf Statistiken gab es fünf Plaketten: Abgewehrte Torschüsse, vereitelte Großchancen, abgefangene Flanken, angekommene lange Pässe und Ballkontakte pro Spiel. Erwartungsfroh begann die Moderatorin die Plaketten auf die Keeper zu verteilen. Den Ausgang ahnte der blitzgescheite Köpke schon früh: „Ich glaub alle fünf Statistiken führt ter Stegen an." Der Gast hat es begriffen, die Moderatorin sah sich nun vollends auf der Überholspur.
Und sie drückte nun kräftig aufs Gas: „Aufgrund der statistischen Werte gibt es eine klare Nummer 1. Können Sie es sich leisten, den – rein statistisch – besten Mann zu Hause zu lassen?" Der geneigte Zuschauer sollte spätestens jetzt die Kompetenzfrage stellen. Ums vorweg zu nehmen: Es steht gar nicht zur Diskussion, dass ter Stegen eine überragende Saison spielt. Sein Teil zur aktuellen Erfolgsgeschichte der Fohlen ist maßgeblich. Wie dünn die Argumentation Müller-Hohlsteins aber war, grenzte schon an Peinlichkeit.
Beispiel: Hätte sich Nationaltrainer Löw schon vor drei Jahren an Statistiken gehalten – wie hätte es dann im DFB-Tor ausgehen? Die Entscheidung wäre wohl eindeutig gewesen. Und nein: Sie wäre nicht zugunsten Manuel Neuers ausgefallen, schließlich war Europas bester Keeper 08/09 ein anderer. Kein geringerer als die lebende Torwart-Legende Gerhard Tremmel hätte nach Müller-Einsteins Theorie das DFB-Tor hüten müssen. Tremmel glänzte mit 171 Paraden, als Einziger hielt er im Schnitt mehr als fünf Schüsse pro Spiel, parierte alle 18 Minuten einen Ball und war auch Ligaspitze bei der Fangsicherheit. Was die abgewehrten Torschüsse anging, war er besser als die deutschen Nationaltorhüter. Kein Witz: Damit sicherte er sich den inoffiziellen Titel „European Super Saver". Dass er in dieser Saison mit Cottbus abstieg und dabei 57 Gegentore kassierte, steht ja auf einem anderen Blatt. Und wer weiß: Experten vermuten bis heute, dass mit Tremmel der WM-Titel in Südafrika drin gewesen wäre. 171 Paraden im DFB-Dress hätten vermutlich locker gereicht, um den Kasten über mehrere Welt- und Europameisterschaften sauber zu halten. Doch Löw ließ die „Katze" im Sack und entschied sich für einen Neuer, der bei manchen Bundesliga-Partien kaum einen Schuss parieren musste. So kam es, wie es kommen musste: Puyol nickte im WM-Halbfinale zum Siegtreffer ein. Tremmel, der sicher schon unhaltbarare Bälle gehalten hat, musste sich das Aus der Deutschen von zuhause aus anschauen.
Doch zurück ins Sportstudio: Köpke erklärte seinem Gegenüber mittlerweile, dass der DFB bei jedem Spiel ein bis zwei neue Keeper nominieren müsste, wenn es rein nach Statistiken ginge. Die Moderatorin spulte ihr Programm aber unbeeindruckt ab. Sie schien ohnehin auf Durchzug geschaltet zu haben. Frage an Köpke: „Zucken Sie da nicht zusammen, wenn Neuer so einen Fehler wie vor dem 0:1 in Gladbach unterläuft?" Der DFB-Torwarttrainer verneinte. Es ginge auch um Vertrauen, das man einem Keeper gegenüber aufbringen müsse. Das Problem: Sowas ist schlecht in Zahlen auszudrücken, sodass der Moderatorin wohl nicht ganz klar wurde, was damit gemeint war. „Vertrauen hat auch noch keinen Ball gehalten", mag sie sich gedacht haben.
Köpke musste sich vorkommen wie ein Jugendtrainer, der seiner Kreisklassen-C-Jugend das Pressing beibringen möchte: Erstmal bei null anfangen – und Ruhe bewahren. Er erklärte, dass die Statistiken ein verzerrtes Leistungsbild wiedergeben würde. Ein Neuer bekommt bei den Bayern selten was zu tun. Allein zur Statistik "Ballkontakte": Wenn die Bayern nicht hinten rum spielen, bekommt er keinen Ball. Gegen Lautern hatte er seinen ersten Ballkontakt erst nach einer Stunde. Aber ist das ein Kriterium für ein schlechtes Torwartspiel?
Obwohl sich Köpke gar nicht auf die Diskussion einließ, legte sich Müller-Meier-Schulze fest: „Auf ter Stegen kann man glaube ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht verzichten." Spätestens jetzt hatte ich meine Fernbedienung durchgeladen. Unverzichtbar? Worüber reden wir hier? Für mich stehen die Keeper 1 und 2 fest: Neuer und Wiese. Ob nun Zieler oder ter Stegen im Sommer zur EM fahren ist für die Spieler selbst sicher nicht egal, jedoch keine öffentliche Diskussion wert. Nun soll der dritte Keeper für ein DFB-Team auch noch „unverzichtbar" sein?
Dortmund zeigt aktuell, dass sie Götze ersetzen können. Die Bayern beweisen, dass man auch ohne Robben und Schweinsteiger gewinnen kann. Aber die deutsche Nationalmannschaft kann auf einen Marc-André ter Stegen nicht verzichten? Diese Torwart-Diskussion im Sportstudio thematisierte ein Problem, das gar keines ist.
Ich wühle mal in den Statistiken der Reserve-Liga Englands. Sollte die Abwehr von Swansea Citys Reserveteam nicht ganz sattelfest sein, so könnte ich dort womöglich die neue Nummer 1 für die anstehende EM finden. Deutsch, erfahren und bereits für seine Leistungen ausgezeichnet: Gerhard Tremmel! Natürlich nur, wenn seine aktuellen Statistiken noch den Ansprüchen des Sportstudios entsprechen.
Das Video vom Müller-Hohenstein-Köpke-Gipfel:
Aufrufe: 11301 | Kommentare: 32 | Bewertungen: 32 | Erstellt:14.02.2012
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