01.12.2010 um 10:46 Uhr
Geschrieben von Bailey
Unaufhaltsam
Nachdem ich ja schon in jungen Jahren mit dem VfB in Berührung kam, trat ich selbstredend auch selbst gern gegen den Ball. Zwar mit einer eher überschaubaren Technik, dafür aber mit umso mehr Einsatz.
Besonders in Erinnerung blieben mir dabei die Gelegenheiten, bei denen ich im Garten meiner Großeltern den Ball immer und immer wieder gegen den damals schon altersschwachen Gartenzaun gedroschen habe und dabei im Laufe der Jahre immer neue Rollen angenommen habe. Je nachdem, wer beim VfB gerade der Topspieler war.
Mein Großvater beobachtete dies immer mit einem leicht verklärten Blick und kommentierte meine Personalwahl meist mit den Worten: "Abr so guat wie dr Schlienz wird der au net."
Schlienz…Robert Schlienz. Damals konnte ich mit dem Namen eher wenig anfangen. Erst Jahre später bin ich auf eine Geschichte gestoßen, die ich heute erzählen möchte. Eine Geschichte von Schicksalsschlägen und eine Geschichte des Willens.
Die Anfänge
Robert Schlienz wurde am 3. Februar 1924 in Zuffenhausen geboren.
Seine fußballerische Karriere begann er beim örtlichen SV Zuffenhausen, bei dem er schon im Alter von 16 Jahren in der ersten Mannschaft spielte. Mit dieser Mannschaft gewann er 1942 die Württembergische Gebietsmeisterschaft.
Doch der zweite Weltkrieg machte seiner Karriere zunächst einen Strich durch die Rechnung. Schlienz wurde zur Wehrmacht eingezogen und an die Ostfront versetzt. Dort traf ihn während eines Gefechtes eine russische Gewehrkugel am Unterkiefer und hinterließ, zum Glück, "nur" eine große Narbe.
Schlienz wurde infolge dieser Kriegsverletzung aus der Armee entlassen und auch der Krieg war kurz darauf zu Ende. Er konnte seine fußballerische Karriere wieder aufnehmen. Da aufgrund des Krieges ein Mangel an geeigneten Fußballern herrschte, wurde es den Vereinen gestattet, Gastspieler einzusetzen. Und so begann Robert Schlienz, zur Saison 1945/46 das Trikot mit dem Brustring zu tragen.
Schon in seiner ersten Saison in der neu gegründeten süddeutschen Oberliga (damals die höchste Spielklasse im Südwesten) erzielte er in 46 Spielen 30 Tore, eine Marke, die bis heute Bestand hat.
Schicksalstag
Der 14. August 1948 sollte das Leben von Robert Schlienz grundlegend ändern. Es war ein heißer Sommertag. Der VfB bestritt an diesem Tag ein Auswärtsspiel in Aalen. Am Vortag war Schlienz' Mutter gestorben, daher musste er selbst zum Spiel anreisen.
Da Klimaanlagen damals noch nicht in Mode waren fuhr er mit offenem Fenster, um die Hitze im Fahrzeug ein wenig erträglicher zu machen. Dann passierte es. Auf der holprigen Straße rumpelt sein Wagen plötzlich in ein Schlagloch und gerät ins Schleudern. Der Wagen überschlägt sich und zerschmettert seinen linken Unterarm, den er aus dem Fenster hatte hängen lassen. Den Ärzten bleibt nur noch die Amputation, zu schwer sind die Verletzungen.
Eine vielversprechende Karriere scheint auf einen Schlag beendet.
Auch Schlienz glaubt kurz nach der Operation nicht an eine Fortsetzung seiner Karriere. Wie soll er sich als Einarmiger im Kampf- und Laufsport Fußball durchsetzen?
Doch der damalige Trainer, Georg Wurzer, hat die zündende Idee. Schlienz soll nicht mehr länger als Mittelstürmer im Zentrum des Geschehens auftreten, sondern vielmehr als Flügelspieler eingesetzt werden. Und so stand Schlienz nur 5 Wochen nach der Amputation schon wieder auf dem Trainingsplatz.
Und er arbeitete wie besessen. Studierte gemeinsam mit Wurzeer stundenlang neue Bewegungsabläufe ein, lernte richtig zu fallen und sich richtig abzurollen.
Und das, woran niemand hatte glauben können, weder Ärzte noch Presse noch Fans noch Mitspieler war nur 4 Monate später Realität geworden.
Schlienz steht im Heimspiel gegen den FC Bayern wieder auf dem Platz. Und wer immer noch glaubte, ein Versehrter könne nicht mehr im Profifußball bestehen, wird spätestens im Jahre 1952 eines Besseren belehrt. Im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft stehen sich der VfB und der 1. FC Saarbrücken gegenüber. Der VfB liegt schnell mit 1:0 zurück, doch dann hat Schlienz seinen großen Auftritt. Schlienz grätscht in der Defensive, er verteilt Bälle im Mittelfeld und erzielt per Volley ins Kreuzeck den Augleich. Am Ende ringt der VfB den Gegner mit 3:2 nieder und der VfB ist zum ersten Mal in der Geschichte Deutscher Meister.
Das "Sport-Magazin" sollte später schreiben: "Ohne Schlienz wäre der VfB nie Deutscher Meister geworden."
Eine weitere Meisterschaft sowie zwei Pokalsiege sollten noch hinzukommen.
Auch Bundestrainer Sepp Herberger wurde auf den ungewöhnlichen Spieler aufmerksam und berief ihn für 3 Spiele in die deutsche Nationalmannschaft berufen. Als bislang erster und einziger Amputierter.
Schlienz war für den VfB das, was die Engländer "Matchwinner" oder die Franzosen "Gagneur" nennen. Er war der Mann, der auf dem Platz den Unterschied machte. Spielte Schlienz, gewann der VfB, spielte er nicht, verlor er in der Regel. Er war nicht nur Teil der Mannschaft, er war das Herz der Mannschaft. Bezeichnend dafür, was sein ehemaliger Mitspieler Lothar Weise über ihn sagte: "Wenn man bei ihm nicht marschiert ist, dann ist er über das Feld geflitzt und hat gesagt: "Junge, aber jetzt geht's los. Sonst kannste was erleben". Und wenn wir ein großes Turnier im Ausland hatten, haben wir vorher auch immer ein bisschen was getrunken. Danach hat der Robert gesagt: "Aber eins sage ich euch: Wenn morgen beim Spiel keiner marschiert, dann gibt's Theater." Und da haben wir uns alle dran gehalten."
Jähes Ende
So glorreich die Karriere des Robert Schlienz verlaufen ist, so unverständlich war sein Abschied. Denn es war eigentlich kein Abschied. Nach einem Spiel gegen die tschechische Elf im Jahre 1959 kam sein damaliger Trainer und Förderer Georg Wurzer zur Mannschaft in die Kabine, die noch auf Schlienz gewartet hatte und verkündete zur Überraschung aller, Schlienz werde nicht mehr für den VfB auflaufen. Alle Proteste der Mannschaft und der Fans nutzten nichts, Schlienz war draußen. Abgeschoben in die Alte-Herren-Mannschaft, bis er schließlich 1961 seine Karriere vollends beendete. Ohne offiziellen Abschied, ohne Verabschiedung, einfach so. Ganz leise.
Über die Gründe kann man heute noch nur spekulieren, weder Wurzer noch Schlienz verloren jemals ein Wort darüber.
Dennoch bleibt er bis zu seinem Tod 1995 Mitglied des VfB. Auch der Umgang mit ihm hat ihn nicht mit seinem Verein brechen lassen.
Späte Ehrung
Es sollte bis nach seinem Tod dauern, bis Robert Schlienz von Seiten des VfB die Anerkennung zukommen sollte, die er verdient hatte. Noch im Jahr 1995 wurde das bislang namenlose Amateurstadion des VfB direkt neben der Geschäftstelle in "Robert-Schlienz-Stadion" benannt.
Eine späte Ehre für den wahrscheinlich besten Fußballer, den der VfB je hervorgebracht hat.
Aufrufe: 9540 | Kommentare: 26 | Bewertungen: 34 | Erstellt:01.12.2010
ø 9.7
KOMMENTARE
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01.12.2010 | 11:34 Uhr
0
Flitzle :
Und dass Schlienz immer die Einwürfe gemacht hat, versteht sich von selbst
3
01.12.2010 | 11:26 Uhr
0
don_skandro : @ Bailey
kennst du das gefühl....du liest etwas verstehst es und merkst wie du ganz elciht glasige augen bekommst??
nein?? Ich jetzt ja!!!
Genialer Blog, genialer Fußballer!!!
Vielen Dank....
irgendwann werd ich meinen Kinder den Blog zeigen und mal sehen ob sie verstehen was Schlienz für den VfB geleistet hat.
2
01.12.2010 | 11:09 Uhr
0
xxlhonk :
That s it.Das will ich beim BP lesen.
Geschichten.
Gute und schöne Geschichten, die man auch nicht unbedingt kennt.
Sehr stark!
und wenn dann noch eine persönliche Note dazu kommt, ist die Nummer perfekt.
So wie die hier.
Sehr stark, Bailey.
Aber das ist bei Dir, im Gegensatz zum Schlienz, nichts Neues!
Glatte 10.
Und ein herzhaftes:
Stark!
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01.12.2010 | 10:48 Uhr
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Bailey :
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