28.11.2010 um 21:13 Uhr
Geschrieben von Zac
Unbeantwortete Charakterfrage
Fremdschämen wäre das richtige Wort gewesen. Fußballdeutschland lacht über den FC Schalke 04. Auch wenn Kaiserslautern schon 97/98 bewiesen hat, dass es als Aufsteiger Wunderdinge verbringen kann: die aktuellen "roten Teufel" sind weiß Gott keine Topmannschaft in der BuLi. Aber es reichte am Samstag, um den amtierenden Vize-Meister (der ganz nebenbei in der CL vorzeitig in der nächsten Runde ist) wie eine Vorschulmannschaft dastehen zu lassen. Oder haben die Schalker einfach nur Humor bewiesen und sich 90 Minuten auf dem Platz selber karikiert? Die Abwehr als das "Slalomstangen-Quartett" und der Sturm als das "Duo der unsichtbaren Gefahr". Sollten sie dies tatsächlich vorgehabt haben - Respekt, die Umsetzung ist hervorragend gelungen, der Witz war aber flach und die Schublade unter der alleruntersten Schublade. Unter den S04-Fans haben zumindest die wenigsten gelacht, die meisten haben eher verzweifelt nach der versteckten Kamera am Betzenberg gesucht. Die Vermutung, dass sich anstatt den Schalker Fußball-"Profis" Comedians wie Frank Elstner in den blau-weißen Jerseys befanden, lag ja auch nicht all zu fern. Doch als Günter Perl die Partie abpfiff, wurde die fehlende Pointe in dieser Kabarett-Laiendarstellung bittere Gewissheit. Die Schalker meinten diese Vorstellung tatsächlich ernst. Fußballdeutschland lacht also nicht mit, sondern über Königsblau. Fremdschämen wäre die andere Alternative. Aber für mich als Schalke-Fan fällt nun auch noch das "fremd" weg...
Wanted! Elf Schalke-Spieler, zuletzt am Mittwochabend in der Arena auf Schalke gesichtet! Bei Hinweisen umgehend bei der Kripo Gelsenkirchen melden! Es sollen auch (zugegebenermaßen sehr lächerliche) Doppelgänger unterwegs sein!
Doch neben der Schamesröte, die es mir in mein Gesicht treibt, schweben mir auch Fragezeichen über dem Kopf. Wo zur Hölle sind die zehn Feldspieler vom Spiel unter der Woche gegen Lyon geblieben? Und: wer steckte am Samstag in den Trikots der blau-weißen Fußballprofis? Für den Leser, der am Mittwochabend verhindert war, ein kleiner Rückblick zum Verständnis: Schalke fertigte in der Champions League den Vorjahres-Halbfinalisten Olympique Lyon mit 3:0 ab. Raúl, Huntelaar, Jurado mit glänzendem Kombinationsfussball, wie ich ihn nicht mal in der vorigen Vizemeister-Saison gesehen habe. Die Jungs können Fußball spielen, wenn sie denn wollen. Dazu Uchida und Farfan als Duo auf dem rechten Flügel, das zu keinem Zeitpunkt in den Griff zu bekommen war. Als Fan hoffte man, dass dieses Spiel nach einem bereits positiven Trend endgültig das Zeichen war: "Wir sind zurück!" Drei Ligaspiele in Serie ungeschlagen, dazu passable Leistungen in der Champions League.
Dass man nach dem verkorksten Saisonstart nun nicht gleich mit einer Superserie rechnen konnte, war zu erwarten. Vielleicht hätte man sogar in Kaiserslautern verlieren können. Das hätte gezeigt, dass Schalke auch weiterhin weit unter den eigenen Ansprüchen kleben bleiben würde. Man wäre als Schalker auf den Boden herunter geholt worden. Am Samstag wurden wir nicht nur runtergeholt, wir sind mit voller Wucht im Tabellenkeller aufgeschlagen. Ich könnte die Partie hier von Mannschaftsteil zu Mannschaftsteil, von Spieler zu Spieler analysieren – aber ich spare mir das. Nein, diese Mannschaft kann man bis auf unseren Keeper, der mal wieder als einzige Figur seine Schicht in der Schießbude mit erhobenem Haupt beendet hat, im Kollektiv übers Knie legen. Von Jones über Kluge bis hin zu Edu oder Metzelder: durch die Bank indiskutabel. Coach Magath ziehe ich für seine Fehlentscheidung Jurado für Edu auf der Bank zu lassen in die Verantwortung. Schuldlos ist Magath an der mangelhaften Einstellung des Spaniers, der sich nach seiner Einwechslung anscheinend dachte: "0:2 zur Halbzeit? Da kann ich ja gleich mal meine Siesta im zweiten Spielabschnitt einlegen." Hier griff anscheinend ein Rädchen ins andere. Die Maschine funktionierte bestens, leider produzierte sie an diesem Tag aber nur S******. Aber man kann schon sagen, dass alle an einem Strang gezogen haben: Man wollte sich auf kein Kampfspiel einlassen. Das Problem war, die Partie am Betzenberg war eins. Doch wie eine Kindergartengruppe wollte man dies aus Naivität oder einfach nur aus Trotz nicht wahrhaben. "Dann macht doch fünf Tore, bei sowas machen wir nicht mit", soll aus den Schalker Reihen gegenüber der Lauterer Mannschaft gefallen sein.
Morávek, der Schalke(r)-Schreck!
Den ersten Treffer gab es nach einer Ecke – kann passieren. Den zweiten auch – kann, zweimal darf es einem BuLi-Team aber eigentlich nicht passieren. Aber auch zwischen den Toren gab es keine Reaktion der Mannschaft, nach der Halbzeit genauso wenig. Die Lauterer hatten ja nicht nur bei Standards Möglichkeiten. Es war eigentlich Zufall, dass die ersten Buden nach Ecken gefallen sind. Sie hätten genauso gut aus den zahlreich herausgespielten Möglichkeiten resultieren können. Schalkes Passivität war als reine Provokation gegenüber den "Roten Teufeln" zu verstehen, sogar Lauterer Fans forderten nach dem Spiel aufgrund der Leistung der Gäste ihr Geld zurück. "Ich bezahle den Preis für ein Freundschaftsspiel, alles andere würde jeder Beschreibung spotten", so ein Heim-Fan. Und der Mann hatte recht. Die Ehre der Schalker hielt neben Manuel Neuer nur noch Jan Morávek ein wenig am Leben, denn immerhin er traf - zum überfälligen 0:5. Leider ist er eine Leihgabe an den FCK, aber er hat gezeigt, dass immerhin ein Vertragsspieler aus Gelsenkirchen sich eine Winterpause verdient hat. Magath hat diese seinen Mannen nun nämlich gestrichen. Die Spieler hätten mit ihrer Leistung um diese Konsequenz gebettelt. Wenn es darum ging, dass die Spieler ihre Familien über die Feiertage nicht sehen wollten: Hut ab, geschickt aus der Affäre gezogen. Keine endlosen Telefonate mit den Verwandten, warum man dieses Jahr mal nicht ein paar Tage zu Besuch kommt. Die können nun schon in der Zeitung lesen, warum ihr Liebster keine Zeit hat. Und ich vermute, "Quälix" holt dafür wieder die Medizinbälle raus.
Charakterfrage? Die Schalke-Spieler fragten sich am Samstag höchstens: "Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele?"
Was bleibt ist die Hoffnung, dass die fünf ausstehenden Spiele in der Bundesliga und Champions League noch einigermaßen passabel über die Bühne gebracht werden. Die Lyon-Gala ist schon längst aus den Köpfen der Fans, die Spieler haben ihren Kredit verspielt und gleichzeitig mit einem Schlag wieder einiges gutzumachen. Wie ich schon sagte, man kann mal verlieren. Aber gegen einen Aufsteiger stellt sich allerspätestens nach dem 0:3 automatisch die Charakterfrage. Und die haben die Schalker gegen Kaiserslautern nicht beantworten können...
Aufrufe: 4686 | Kommentare: 24 | Bewertungen: 24 | Erstellt:28.11.2010
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Aber was solls, wir sind Schalker, wir stehen immer wieder auf!