10.03.2011 um 14:24 Uhr
Geschrieben von Voegi
Vorschau: FC Bayern – HSV
…oder: Ein bisschen Empathie
Herr Danne war mehr als ein Lehrer. Eine echte Persönlichkeit, ein Vorbild, eine Autorität. Was Danne sagte, war Gesetz. Ihm glaubte man, was er sagte – ob es nun die Feinheiten der Relativitätstheorie betraf oder die praktische Unmöglichkeit der Monogamie. Danne war Physiker, Philosoph und Lebensberater in einem. Sein Wort hatte bei uns Schülern immer Gewicht.
Als Danne mir in einem Gutachten attestierte, über ein hohes Maß an Empathie zu verfügen, wusste ich denn auch, das würde stimmen. Wenngleich ich keinen blassen Schimmer hatte, was das nun war: Empathie. Nach dem obligatorischen Blick in das Wörterbuch war mir dann aber klar: Du musst ein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen haben, du kannst dich gut in andere Menschen hineinversetzen. Musste ja so sein – hatte Danne doch so gesagt.
Ob ich mir diese Fähigkeit bis heute bewahrt habe, weiß ich nicht. Ich habe Herrn Danne lange nicht mehr gesehen. Aber Danne hatte da doch immer etwas erzählt von den verschiedenen Erkenntnismethoden: Deduktion und Induktion. Wenn man nicht mehr weiter kommt, stürzt man sich ins Experiment und versucht aus seinem Ergebnis Rückschlüsse auf das Allgemeine zu ziehen. Ich probiere es also jetzt auch einfach mal induktiv, indem ich versuche, mich in einen HSV-Fan hineinzuversetzen. Sollte das klappen, kann ich ganz induktiv-lässig davon ausgehen, dass es um meine Empathie noch ganz ordentlich bestellt ist.
Wie muss sich also fühlen als HSV-Fan vor dem großen Duell am Samstag – in der Allianz-Arena, der (einstigen) Lieblingsstätte des Hamburger Sportvereins? Die ersten vier Gastspiele in Fröttmanning blieben für die Hanseaten ohne Niederlage; die ersten beiden Matches konnte man dabei jeweils mit 2:1 für sich entscheiden. Eigentlich muss man sich als HSVler also auf den Samstagnachmittag freuen.
Eigentlich! Denn tatsächlich dürfte es mit dem Optimismus der Honks & Co.s nicht so weit her sein. Was weniger mit der Niederlage im Vorjahr zu tun hat, die einen ersten Fleck auf die bis dahin so blütenreiße Arena-Weste gesetzt hat. Irgendwann endet eben mal jede Serie. Nein, es ist wahrscheinlich eher die derzeitige Befindlichkeit des Rautenclubs, die seinen Anhängern die Sorgenfalten auf die hanseatische Stirn treiben lässt. Auf und neben dem Platz gibt der HSV in diesen Tagen ein chaotisches Bild ab. Und in dieser Verfassung will man nun ausgerechnet beim "großen" FC Bayern etwas reißen…?
Will man! Denn die Verhältnisse an der Säbener Straße sind derzeit nicht minder chaotisch. Eine verunsicherte Mannschaft, eine überforderte Vereinsführung, ein demontierter Trainer… Die Beschreibung trifft auf die Lage in Hamburg und München gleichermaßen zu. Auf geradezu mystische Weise haben sich die Umstände der beiden Traditionsvereine im Vorfeld des großen Duells angeglichen. Kaum hatte der FC Bayern van Gaals Demission zum Sommer verkündet, zog der HSV nach und gab die Trennung von Armin Veh bekannt.
Woraus man doch den naheliegenden Schluss ziehen könnte, das Duell am Samstag sei eine Partie auf Augenhöhe. Was dem HSV-Fan durchaus Zuversicht vermitteln könnte. Sollte ich es bei dieser oberflächlichen Einschätzung belassen, wäre es um meine Empathie gewiss nicht gut bestellt. Das will und kann ich Danne aber nicht antun. Und wenn ich mich so ein bisschen tiefer einfühle in das Seelenleben eines HSV-Fans und lese, was da in diesen Tagen so alles geschrieben wird, so stelle ich fest: Von Zuversicht und Optimismus will man momentan nicht viel wissen. Es herrschen Ärger, Frust und Sorge.
Die Ursache dieses Dreiklangs der Enttäuschung liegt vor allem in der Arbeit der Vereinsführung, die es einfach nicht schaffen will, mit einer langfristigen und durchdachten Personalpolitik für Stabilität zu sorgen. Womöglich liegen die Dinge aber noch komplizierter. Fest steht zumindest: Das Versagen der Vereinsführung spiegelt sich in den Leistungen der Mannschaft auf dem Spielfeld wider. Der gelingen zwar immer mal wieder ordentliche Leistungen, von Konstanz kann aber in dieser Saison keine Rede sein. Die Bilanz der letzten Spiele liest sich denn auch wie eine unrunde Sinuskurve.
Genau hierin liegt aber auch eine Hoffnung: Den letzten Niederlagen in der Liga (Leverkusen, Nürnberg, St. Pauli) folgte jeweils ein Sieg. Wieso sollte es jetzt anders sein? Zumal der Gegner diesmal angeschlagener ist als Rocky in Runde 12? Dass angeschlagene Bayern besonders gefährlich sind, ist zudem eine Erkenntnis, die in der Gegenwart keine Gültigkeit beansprucht. Und wenn man bedenkt, wie van Gaal öffentlich demontiert wurde, darf man ernste Zweifel hegen, ob die Bayern wirklich mit aller Macht dagegen halten. Gegen eine Abwehr, die ihren Namen nicht verdient, und eine nominell herausragende Offensive, in deren Getriebe aber ein ganzer Sandsturm geraten ist, hat selbst der unkonstante HSV eine Chance.
Zé Roberto dürfte gegen seinen alten Verein wiedermal topmotiviert sein, Petric trifft gegen Bayern besonders gerne und Frank Rost, der alte Bayern-Liebling, wird seine Mannschaftskollegen schon gepflegt die Hölle heiß machen. Da könnte doch was gehen. Oder?
Das Abschreiten der HSV-Befindlichkeit mit meiner empathischen Wünschelrute führt also zu folgendem Ergebnis: Der HSV-Fan ist unschlüssig, hin- und hergerissen von dem Ärger über das hauseigene Chaos und der Hoffnung auf einen Befreiungsschlag in München, der von den ebenfalls absonderlichen Vorgängen an der Säbener Straße genährt wird. Der HSV-Fan schimpft und hofft, aber weiß nicht so recht, ob er glauben soll. Skepsis und Zuversicht mischen sich zu einem seltsamen Gebräu aus frustrierter Hoffnung und verärgerter Sorge.
So oder so ähnlich stelle ich mir das vor, das Seelenleben eines HSV-Fans in diesen Tagen. So oder so ähnlich fühle ich mich aber eben auch selbst – als bekennender Bayern-Fan. Das, was sich derzeit beim FC Bayern abspielt, enttäuscht und frustriert mich gleichermaßen. Es macht mich skeptisch für den Ausgang des Nord-Süd-Schlagers am Samstag. Und trotzdem glaube ich an einen Bayern-Sieg. Warum? Weil ich das immer tue. Vielleicht ist Empathie also doch nicht meine große Stärke. Aber Optimismus ganz sicher…
Ich freue mich mit Euch HSV-Fans auf ein spannendes Match und hoffe auf ein faires Duell, dessen Ausgang möglichst nicht von fragwürdigen Schiedsrichterentscheidungen beeinflusst ist. Aber wie man bei uns sagt: Schau'n mer mal!
Hummel, Hummel…
Aufrufe: 1370 | Kommentare: 13 | Bewertungen: 13 | Erstellt:10.03.2011
ø 9.9
KOMMENTARE
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10.03.2011 | 14:34 Uhr
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Rheodred :
Ich kann mich Kimosch da wohl nur vollumfänglich anschliessen.
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Schöne Vorschau, auf jeden Fall. Ich halte das Spiel im Moment immer noch für untippbar. Also trifft es das ganz gut: Schau'n mer mal!