Vom 22. Februar bis zum 5. März finden im finnischen Lahti die zweijährig ausgetragenen nordischen Ski-Weltmeisterschaften statt. Im Folgenden soll im Vorlauf dieses Saisonhighlights ein Überblick über die Gemengelage im Skispringen und in der Nordischen Kombination gegeben werden. Viel Spaß beim Lesen!
Skispringen
Saisonverlauf
Die neue Saison war lediglich 50 Sprünge alt, da war die Ernüchterung bereits groß: Erneut dominierte Peter Prevc nach Belieben, führte schon nach einem Durchgang in Kuusamo wieder mit 8 Punkten Vorsprung vor dem Zweitplatzierten. Es deutete sich ein erneuter Durchmarsch des Vorjahresdominatoren an, als dieser auch im zweiten Durchgang nichts anbrennen zu lassen schien. Doch kurz nach der Landung kam Prevc ins Straucheln und brachte sich mit einem Sturz um den Sieg, der aber in der Familie blieb. Sein Bruder Domen sicherte sich vor Freund und Peter den Triumph.
Was anfangs als bloßer Betriebsunfall abgetan wurde, sollte sich schnell als tiefer Einschnitt in den Saisonverlauf darstellen. Peter Prevc war fortan nicht mehr der Alte, sein siebter Platz beim zweiten Springen in Kuusamo blieb bis Mitte Februar sein bestes Einzelergebnis.
Stattdessen schien das Momentum für Severin Freund günstig, der mit einem dominanten Sieg in Finnland überraschte, da dem 28-Jährigen nach einer sommerlichen Hüft-OP noch Trainingsrückstand attestiert wurde. Dies bestätigte sich allerdings schnell, denn lediglich ein einziges Mal kam der deutsche Vorzeigeathlet seither wieder in die Top-10 - Platz 9 in Engelberg. Nach dem Tourneespringen am Bergisel sollte vorerst Schluss sein für Freund: Eine Grippe setzte den Rastbücheler außer Gefecht. Tourneeende, geplanter Wiedereinstieg: Das Heimspringen in Willingen. Doch Pustekuchen, im Training erlitt Freund einen Kreuzbandriss sowie weitere Schäden im Knie - Saisonende, Olympia 2018 in Gefahr. Bitterer geht es kaum.
Die Absenz der beiden Top-Athleten der Vorjahre nutzte die Konkurrenz zu einer der spannendsten Saisons seit Jahren: In Klingenthal und Lillehammer triumphierte erneut Domen Prevc, wiederum in Lillehammer meldete sich plötzlich Kamil Stoch mit einem Sieg in der absoluten Weltspitze zurück und die Tournee-Generalproben in Engelberg entschieden dann Michael Hayboeck sowie einmal mehr Domen Prevc für sich. Der Slowene reiste dementsprechend auch im Gelben Trikot zur Tournee. Diffus wie lange nicht gestaltete sich also die Gemengelage vor dem Traditionsevent des Skispringens: Sollte man wirklich einem 17-Jährigen den großen Wurf zutrauen? Setzt sich Kamil Stochs Erfahrung durch? Oder doch eher die Konstanz Daniel Andre Tandes, welcher zwischen dem zweiten Springen in Ruka und Engelberg nie schlechter als Platz 4 platziert war? Und welcher Österreicher trumpft dieses Mal groß auf bei der Tournee - Kraft oder Hayboeck?
Die Gemenelage hielt, was sie versprach, denn die Tournee wurde spannend wie lange nicht: Zur Tournee-Halbzeit führte Kamil Stoch nach zwei zweiten Plätzen knapp vor Stefan Kraft, welcher in Oberstdorf obsiegte, und Daniel Andre Tande, dem Selbiges in Garmisch gelang. Ebenfalls noch im erweiterten Kreis hielt sich der formstarke Markus Eisenbichler mit Rang 6 in Oberstdorf und Rang 4 in Garmisch. Verabschiedet aus dem Tourneerennen hatte sich bereits in Oberstdorf Domen Prevc, der dem Druck noch nicht gewachsen war, und sich am Schattenberg satte 54 Punkte Rückstand einhandelte.
Mit dem Wechsel über die deutsch-österreichische Grenze ging dann ein radikaler Favoritenschwund einher: Bei hochgradig unfairen Windbedingungen am Bergisel erwischte Daniel Andre Tande den glücklichsten Sprung und errang in einem Durchgang seinen zweiten Sieg in Serie, womit er sich an die Spitze der Tourneewertung vor Kamil Stoch, der Vierter wurde, setzte. Der überdies grippegeschwächte Stefan Kraft und Markus Eisenbichler wurden vom Winde auf Rang 18 bzw. 29 verweht und damit ihrer Tourneechancen beraubt.
Beim Showdown in Bischofshofen krönte sich dann Kamil Stoch zum Herr der Lüfte. Sein Sieg auf der Schanze mit dem charakteristischen Anlauf bescherte ihm den ersten Tourneesieg seiner ohnehin schon illustren Karriere. Weltmeister, Olympiasieger, Gesamtweltcupsieger und nun auch Tourneesieger - chapeau! Bitter endete die Tournee für Daniel Andre Tande, der nach dem ersten Durchgang noch knapp hinter Kamil Stoch lag: Bei seinem letzten Tourneesprung löste sich ein Clip an Tandes Bindung, so dass Tande die Kontrolle über den Ski verlor und den Sprung bei 117m absetzen musste. Die Trauer über dieses Malheur überwog selbstredend die Erleichterung, es unbeschadet überstanden zu haben, und so vergoß der Norweger im Auslauf bittere Tränen.
Den Schwung des Tourneesieges nahm Stoch dann auch noch mit zu seinen Heimspringen in Wisla und Zakopane: Drei Einzelwettbewerbe in der Heimat, drei Siege für Stoch - es schien, als würde die Saison nach der Tournee den eintönigen Verlauf der vergangenen Jahre nehmen.
Einher mit dem scheinbaren Absetzen des amtierenden Olympiasiegers ging auch ein deutlicher Aufwärtstrend des deutschen Teams. Wurden Wellinger und Freitag nach der schwachen Tournee einmal mehr von den enttäuschten deutschen Fans gescholten, so konnte Wellinger in Wisla einen dritten Platz und in Zakopane einen zweiten Platz verbuchen, Freitag komplettierte das Podium in Zakopane auf Rang 3. Der vorläufige Höhepunkt dieses Aufwärtstrends folgte dann beim Heimspiel in Willingen: Mit der Winzigkeit von 0,3 Punkten Vorsprung vor Stefan Kraft sicherte sich Wellinger den zweiten Weltcupsieg seiner Karriere.
Wo also in den Wochen zuvor alles auf einen Durchmarsch von Kamil Stoch hindeutete, so entwickelten sich die folgenden Springen plötzlich zu einem Dauerduell zwischen Kraft und Wellinger - meist mit dem besseren Ende für den Österreicher: Bei den Skifliegen in Oberstdorf verwies Kraft Wellinger jeweils auf Rang 2, ebenso beim ersten Springen auf der Olympiaschanze in Pyeongchang. Beim zweiten Springen in Pyeongchang war es dann der dritte Platz, den Wellinger hinter Kraft beim Sieg von Macjei Kot einnahm, beim ersten Springen in Sapporo, als Peter Prevc und Maciej Kot ex-aequo siegten, der vierte. Lediglich beim zweiten Springen in Japan konnte Wellinger Kraft mal wieder schlagen, wurde Zweiter hinter Kamil Stoch.
Generell erleben die Polen unter dem ehemaligen deutschen Co-Trainer, dem Österreicher Stefan Horngacher eine wahre Renaissance: 8 Einzel-Saisonsiege schlagen bereits für unsere Nachbarn zu Buche, 6 für Kamil Stoch, 2 für Maciej Kot. Auch Piotr Zyla und Dawid Kubacki zeigen sich enorm verbessert. Dementsprechend entschieden die Polen auch zwei der drei bisherigen Teamspringen für sich, triumphierten auf deutschem Boden in Klingenthal und Willingen - im Vogtland vor dem deutschen Quartett, im Sauerland vor dem österreichischen Vierer. Ironie des Schicksals, dass dann beim polnischen Heimspringen in Zakopane das deutsche Quartett, bestehend aus Eisenbichler, Leyhe, Wellinger und Freitag, um 5 Punkte vor den Lokalmatadoren siegte. Slowenien blieb der dritte Rang.
Favoriten
Kamil Stoch, 29, Polen
Als Top-Favorit in die Titelkämpfe in Lahti geht ohne Zweifel der Tournee-Sieger und Gesamtweltcup-Führende. Niemand unter den aktuellen Weltklasse-Athleten kann auf einen ähnlichen Fundus an Titelerfahrung zurückgreifen wie der 29-Jährige. Weltmeister ist er schon, gewann den Titel auf der Großschanze in Val di Fiemme, Gesamtweltcup-Sieger ist er ebenfalls, triumphierte in der Saison 2013/14 und nach seinem Triumph in dieser Saison darf sich der Pole auch Vierschanzentournee-Sieger nennen. Noch etwas vergessen? Achja: Nebenbei firmiert der Athletensprecher auch noch als amtierender Doppel-Olympiasieger. Er reiht sich mit dieser Titelsammlung ein in eine illustre Riege aus Athleten wie Jens Weißflog, Mat...känen und Thomas Morgenstern. Weder Janne Ahonens, noch Adam Malysz' oder Gregor Schlierenzauers Titelsammlung ist derart komplett. Druck hat der Pole somit keinen mehr. Alles kann, nichts muss, auch wenn im skisprung-verrückten Polen nach wie vor viel erwartet wird vom Malysz-Erben. Die verhältnismäßig kleinen Schanzen in Lahti dürften Stoch, der nicht unbedingt ein Fliegertyp ist, liegen. Zudem ist sein Nervenkostüm stabiler einzuschätzen, als jenes von Wellinger, Tande oder Domen Prevc. Es spricht vieles für Stoch.
Stefan Kraft, 23, Österreich
Der Trend ist definitiv sein friend, die womöglich heißeste Aktie des Skisprungzirkus' stammt nicht etwa aus Polen, sondern aus dem Salzburger Land. Und so bringt Stefan Kraft eine beachtliche Serie mit nach Finnland, die es dort zu verteidigen gilt: Seit mittlerweile 7 (!) Springen in Serie hat der 23-Jährige seinen Platz auf dem Podium sicher. 2, 1, 1, 3, 3, 1, 2 - was aussieht wie ein einfallsloser Ternärcode, entpuppt sich als Auflistung von Krafts Platzierungen seit dem Einzelspringen von Willingen. Formstärke in Zahlen. Die Zeit ist also mehr als reif für den zweiten großen Wurf des bekennenden Bayern-Fans nach dem Tourneesieg 2015. Denn ansonsten verstauben "nur" jeweils eine Bronzemedaille aus Falun und Bad Mitterndorf in Krafts Trophäenschrank. Dabei bestechen vor allem die Flugkünste des österreichischen Leichtgewichtes, je größer die Schanze, desto besser der "Krafti". Dies lässt aber nur auf den ersten Blick an den WM-Chancen Krafts zweifeln, denn auf den zweiten Blick erfährt man, dass Kraft bereits in Lahti triumphieren konnte. 2015 brachte er ganze 11 Punkte zwischen sich und Severin Freund. Kraft kann Lahti und wird dies in den kommenden Tagen definitiv noch einmal unterstreichen wollen.
Daniel Andre Tande, 23, Norwegen
Der Gegenentwurf zu Krafts Formkurve stammt aus dem finnischen Anrainerstaat, denn bei Daniel Andre Tande scheint seit seinem Malheur in Bischofshofen der Stecker erst einmal gezogen. Lediglich in Wisla konnte sich der vor Tourneebeginn noch in bestechender Form befindliche Norweger noch einmal auf dem Podest platzieren. Zwar platziert sich der 23-Jährige nach wie vor konstant in den Top-10, meist gar in den Top-5, aber im Konzert der Großen stellt Tande derzeit eher die Triangel dar. Stets dabei, aber nie mittendrin. Dennoch macht man einen Fehler, Tande vorschnell abzuschreiben. Gegen Hurra-Athleten wie Wellinger oder Domen Prevc kann Tandes Konstanz ein Faustpfand sein. Patzen sie, wird Tande zur Stelle sein.
Domen Prevc, 17, Slowenien
Zaubersprung oder Rohrkrepierer, alles oder nichts, Zyniker würden sagen: Tod oder Gladiolen. Bei Domen Prevc springt die diesem Sport immanente Gefahr noch sichtbarer mit als bei anderen Athleten. Dennoch könnte Prevc' Sprungweise einen neuen Stil prägen: Sich vom Schanzentisch mit vollem Risiko nach vorne katapultieren, alles auf Geschwindigkeit statt auf Höhe ausrichten, das typische V eher zu einem H verwandeln und dann mal sehen, wo (und ob) man landet. Häufig genug zahlte sich das Risiko des 17-Jährigen aus, vor allem zu Saisonbeginn prägte "Mini-Prevc" das Geschehen, reiste nach vier Weltcup-Siegen im Gelben Trikot zur Tournee. Dort zeigte sich dann aber, dass ein 17-Jähriger bisweilen eben doch nur ein 17-Jähriger ist. Prevc setzte in Oberstdorf beide Sprünge in den Sand, verabschiedete sich bereits nach einem Springen aus dem Tournee-Rennen. Seither folgte lediglich noch ein Podestplatz, viel eher dominieren mittlerweile besagte Rohrkrepierer. Höhepunkt: Der 50. und folglich letzte Platz in Sapporo. Was spricht nun also noch für das slowenische Wunderkind? Amüsanterweise gerade sein Sprungstil. Passen bei Prevc' Sprung alle Elemente zusammen, wird es kaum möglich sein, ihn zu schlagen. Nur: Wie realistisch ist das?
Andreas Wellinger, 21, Deutschland
Was vor einem Monat noch undenkbar schien, ist mittlerweile Realität: Andreas Wellinger fährt als Mitfavorit zur WM in Lahti. Groß war die Kritik nach seiner einmal mehr missratenen Tournee, vorgezeichnet war sein Bild: Das ewige Talent, das sich im Schatten des Vorzeigeathleten Freund versteckt und welches unablässig die Angst vor der eigenen Courage ereilt, wenn es denn plötzlich mal die Erwartungen zu übertreffen scheint. Nur: Nach Innsbruck war Freunds schutzspendender Schatten plötzlich weg. Und Wellingers Reaktion verblüffte. Der Abiturient schüttelte sich in Bischofshofen kurz, nahm sein Herz in die Hand und setzte an zum Sprung in die Weltklasse. Verbuchte man den dritten Rang in Wisla noch als Ausrutscher nach oben, so bewies Wellingers vier Springen andauernde Podest-Serie zwischen Zakopane und Oberstdorf mit dem Höhepunkt des Heimsieges in Willingen das Gegenteil. In Sapporo wurde diese zwar knapp unterbrochen, aber schon beim zweiten Springen in Nippon rehabilitierte Wellinger sich mit Rang Zwei und platzierte sich auch in Korea zweimal auf dem Podest. Dennoch bleiben Zweifel, ob Wellingers Nervenkostüm dem Druck einer WM gewachsen ist. Es ist an ihm, diese Zweifel zu beseitigen.
Maciej Kot, 25, Polen
An der Pinnwand der Geheimfavoriten prangt definitiv sein Bild: Maciej Kot muss man auf der Rechnung haben. War der Pole jahrelang nicht mehr als einer dieser Athleten, die zwischen Platz 15 und 40 irgendwie jede Platzierung einnehmen können, so ist der 25-Jährige nun wohl der größte Gewinner des polnischen Trainerwechsels von Lukasz Kruczek zu Stefan Horngacher. Zwar deutete Kot im sportlich bestenfalls semi-bedeutsamen Sommer-Grand-Prix - ohnehin eine polnische Domäne - bereits mehrfach sein Können an, doch erst in diesem Winter brach dieses Potential vollends aus ihm heraus. Dem seinerzeit als überraschend empfundenen Qualifikations-Sieg in Kuusamo folgte schnell ein zweiter Platz in Lillehammer. Ansonsten positionierte sich Kot sehr konstant in den Top-10-Rängen und krönte seine bislang starke Saison mit seinen ersten beiden Weltcupsiegen in Sapporo und Pyeongchang. Kot fährt mit breiter Brust nach Finnland und könnte dort für eine ebenso faustdicke Überraschung sorgen, wie sie Rune Velta vor zwei Jahren gelang.
Des Weiteren zu beachten:
Peter Prevc (24, Slowenien), Michael Hayboeck (25, Österreich), Manuel Fettner (31, Österreich), Richard Freitag (25, Deutschland), Markus Eisenbichler (25, Deutschland), Piotr Zyla (29, Polen)
Prognose
Selten war die Weltspitze zu diesem Saisonzeitpunkt so eng zusammen. Gab es sonst in den vergangenen Jahren vor den Titelkämpfen der Skispringer regelmäßig einen klar definierten Top-Favoriten, so gibt es diese Saison gleich sechs oder mehr Athleten, die sich durchaus realistische Hoffnungen auf den Titel machen dürfen. Am klarsten hervor stechen dabei Kamil Stoch und Stefan Kraft, bei denen sich sowohl die momentane Form, als auch das grundsätzliche springerische Vermögen nahe am Optimum befinden. Für Stoch spricht die Kombination aus großer Erfahrung, Abgezocktheit und fehlendem Druck. Stoch muss niemandem mehr irgendetwas beweisen, er zählt dank seiner Titelsammlung bereits jetzt zu den größten Skispringern aller Zeiten. Zwar lastet auf ihm die Erwartungshaltung der polnischen Öffentlichkeit, doch das ergeht dem Österreicher Kraft kaum anders. Zumal dieser auch noch den eigenen Druck schultern muss, bei Großereignissen endlich einmal ganz oben auf dem Podest stehen zu wollen. Es wäre überraschend, wenn Kamil Stoch nicht wenigstens eine Einzel-Goldmedaille aus dem hohen Norden entführen könnte.
Am ehesten dazwischenfunken in diesen Zweikampf können die formstarken Kot und Wellinger, denen zwar die Titel-Erfahrung abgeht, die aber jeweils unbekümmert und mit breiter Brust auftrumpfen. Sehr gut möglich, dass einem von ihnen die kleine Überraschung gelingt. Silber oder Bronze sind für beide mindestens in Reichweite, vielleicht sogar mehr. Schlechte Aussichten haben dagegen Tande und Domen Prevc, bei denen die Formkurve eher nach unten zeigt. Um diesen Trend zu brechen, bräuchten sie eine Nervenstärke und Coolness, die bei beiden bezweifelt werden darf. (Etwas gewagte) Prognose: Beide bleiben ohne Einzelmedaille.
Im Teamwettbewerb läuft dagegen alles auf einen Dreikampf zwischen Polen, Österreich und Deutschland hinaus - mit dem Favoriten Polen, welches derzeit als einzige Nation zwei Siegspringer in den eigenen Reihen hat. Dazu liefern Zyla und Kubacki in dieser Saison sehr verlässliche, konstante Leistungen. Diese Berechenbarkeit geht dem deutschen Team auf allen Positionen ab, bei keinem der vier deutschen Athleten weiß man hundertprozentig, was man bekommt. Selbst bei Andreas Wellinger springt immer noch ein Funken Skepsis mit. Die Österreicher können zwar als einzige Nation drei Top-10-Athleten an den Start bringen, doch ihre "Nummer 4" ist derzeit ein großes Fragezeichen. Gregor Schlierenzauer meldete sich zwar zuletzt in der Weltspitze zurück, doch verletzte sich dann bei einem Sturz leicht und entschied sich erst kurzfristig für einen Start bei der WM. Andreas Koflers Formkurve zeigte nach der Tournee stark nach unten, so dass Kofler die Tour nach Fernost ausließ und derzeit niemand weiß, wo der Tiroler steht. Finden die Österreicher eine verlässliche Nummer 4 neben Kraft, Hayboeck und Fettner, so können sie wohl am ehesten den favorisierten Polen in die Parade fahren.
Nordische Kombination
Saisonverlauf
Wer glaubte, dass bereits die vergangenen Saisons dermaßen einseitig waren, dass es kaum einseitiger mehr werden könnte, der wurde schnell eines Besseren belehrt: Die deutsche Dominanz ist noch einmal extremer geworden. Es dauerte 11 (!) Rennen, bis einmal nicht die Fallersleben-Hymne bei der Siegerehrung gespielt wurde. Beim Teamsprint in Val di Fiemme verzichteten Johannes Rydzek, Eric Frenzel und Björn Kircheisen auf einen Start, so dass Fabian Rießle nicht alleine den deutschen Zweier retten konnte, da der junge Terrence Weber läuferisch dann doch zu schwach war. Bezeichnend, dass selbst in Abwesenheit von 3 der 4 besten deutschen Athleten lediglich 17 Sekunden zum Sieg fehlten - über 15km wohlgemerkt.
Zuvor war die Saison eine einzige schwarz-rot-goldene Machtdemonstration, die ihre Spannung lediglich aus dem teaminternen Duell zwischen Johannes Rydzek und Eric Frenzel bezog, in welchem die Machtverhältnisse konsequent wankten: Doppelsieg für Rydzek in Ruka, Doppelsieg für Frenzel in Lillehammer, Sieg für Rydzek in der Ramsau, Sieg für Frenzel in der Ramsau, Siege für Frenzel in Lahti und doppelt in Val di Fiemme. Zwischendurch durfte auch Fabian Rießle in Lahti mal als Erster die Ziellinie überqueren.
Doch auch der italienische Team-Sprint-Sieg in Val di Fiemme markierte keine Wende: In Chaux-Neuve schlug Johannes Rydzek zurück, auch die ersten beiden Rennen des "Nordic Combined Triple" in Seefeld gingen an Rydzek, bis Frenzel dann am dritten Wettkampftag das Ruder herumriss und sich mit einem Sieg über 15km seinen dritten Gesamtsieg im Seefeld-Triple in Folge sicherte. Wiederum die Wende in Pyeongchang: Dank seines Doppelsieges wanderte das Gelbe Trikot zurück an Johannes Rydzek.
Folglich reist der Bayer auch als Gesamtweltcup-Führender nach Lahti, denn sowohl er als auch Frenzel und Rießle ließen die Wettkämpfe in Sapporo aus, um sich ideal auf die Weltmeisterschaft vorzubereiten - dem komfortablen Vorsprung auf die nicht-deutsche Konkurrenz sei Dank.
Diese Konkurrenz witterte nun dank der Absenz dieses Trios natürlich Morgenluft und wollte die nun schon 20 (!) Einzelsiege andauernde deutsche Siegesserie endlich beenden. Der Tiefschlag in Rennen 21: Erneut triumphierte Schwarz-Rot-Gold, dieses Mal war es Björn Kircheisen, der die Serie rettete. Doch in Saisonrennen 22 war es dann endlich so weit: Akito Watabe ließ sich bei seinem Heimrennen nicht ein zweites Mal bitten und meldete mit seinem Sieg vor Tim Hug und Manuel Faißt doch noch einmal zarte Ansprüche für die WM an.
Favoriten
Eric Frenzel, 28, Deutschland
Was soll man über Eric Frenzel noch sagen? Olympiasieger, zweimaliger Weltmeister, mit vier Gesamtweltcup-Siegen in Folge Rekordhalter mit Hannu Manninen und dessen Rekord von 48 Karriere-Weltcupsiegen mit derzeit 38 auf der Spur. Die Frage ist: Hat Frenzel noch genügend Motivation, um dem extrem ehrgeizigen, fast schon versessenen Rydzek die Stirn zu bieten? Das ist die Frage, die der Erzgebirgler in den kommenden Tagen beantworten muss. Die Klasse dazu hat er allemal: Kein Athlet im Feld ist auch nur ansatzweise so ausgeglichen wie der 28-Jährige, sowohl im Springen, als auch im Laufen verkörpert Frenzel absolute Weltklasse, zudem ist er ein Meister der Renneinteilung. Um Schwächen zu finden, muss man schon sehr genau hinschauen: Tiefe, weiche Bedingungen z.B. mag Frenzel nicht, dies wurde ihm bei den vergangenen Weltmeisterschaften in Falun zum Verhängnis. Zudem ist Frenzel kein sonderlich schnellkräftiger Läufer. Käme es also zum Schlusssprint gegen schnellkräftige Athleten wie Rydzek, Rießle oder Graabak würde Frenzel wohl das Nachsehen haben - er müsste das Rennen vorher entscheiden. Was ihm gegenüber diesen Athleten ebenfalls fehlt, ist eine gewisse Schlitzohrigkeit. Oft übernimmt Frenzel zu viel Führungsarbeit, während oben Genannte auch gerne einmal die Führungsarbeit verweigern, um im Windschatten Kräfte zu sparen und dann an Frenzel vorbeizuziehen. Es sind diese kleinen Schwächen, die Frenzel der Konkurrenz anbietet. Will man ihn bezwingen, muss man hieraus Kapital schlagen.
Johannes Rydzek, 25, Deutschland
Der Gegenentwurf zu Frenzel stammt aus den eigenen Reihen: Johannes Rydzek hat die Schlitzohrigkeit, diese kompromisslose Härte, die Frenzel bisweilen abzugehen scheint. Wo Frenzel scheinbar gutmütig Führungsarbeit leistet, verweigert Rydzek diese, wo es nur geht, um dann aus dem Windschatten heraus vorbeizuziehen bzw. sich gar bisweilen vorbeizudrängeln. Das ist nicht immer die feine englische Art, aber Rydzek kennt da keine Freunde, der Ehrgeiz sprudelt geradezu aus ihm heraus. Rydzeks Widerpart aus dem Sächsischen gibt sich dagegen oft demütig, zurückhaltend und extrem ruhig. Auch in puncto Schnellkraft liegt der Vorteil beim Juniorenweltmeister von 2011. Zwar ist er kein absoluter Sprintspezialist vom Schlage Graabaks, einen Schlussspurt gegen den Bayer sollte dennoch jeder Athlet tunlichst vermeiden. Darüber hinaus hat der 25-Jährige keinerlei Probleme mit tiefem Geläuf, bei den klimatisch milden Weltmeisterschaften von Falun avancierte er mit vier Medaillen, davon eine goldene im Einzelrennen von der Normalschanze, zum strahlenden Sieger. Rydzeks Schwäche liegt im Springen. Zwar hat er hier im Sommer einen beachtlichen Entwicklungssprung hingelegt, doch die Konstanz Frenzels weist er noch nicht auf. Immer wieder handelt er sich Rückstände ein, die er auf Frenzel nicht mehr zulaufen kann, auch wenn er in der Loipe grundsätzlich stärker einzuschätzen ist. Es ist also gut möglich, dass die finnischen Titelkämpfe auf der Schanze entschieden werden. Hält Rydzek den Rückstand auf Frenzel in erträglichen Maßen, dann hat er alle Chancen, seine Medaillensammlung zu ergänzen.
Fabian Rießle, 26, Deutschland
Den geographischen Dreiklang aus den Wintersport-Hotspots Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg komplettiert der Gesamt-Weltcup-Dritte Fabian Rießle. Der 26-Jährige wird von seinen Trainern als der schnellkräftigste Läufer im Team angesehen und deshalb zumeist als Schlussläufer im Team eingesetzt. Die Sprung-Lauf-Diskrepanz ist bei ihm noch ausgeprägter als bei Rydzek. Ist Rießle zwar läuferisch auf Augenhöhe mit dem Bayer, so bewegt er sich auf der Schanze allerdings nur im Durchschnitt des Weltcupfeldes. Rückstände von 1:30min-2:00min sind nach dem Springen keine Seltenheit beim Freiburger, so dass seine Aufholjagden oft nicht von Erfolg gekrönt werden. Rießle muss also vor allem auf der Schanze sauber arbeiten, um eine Chance zu haben, seine nicht besonders üppige Titelsammlung aufzustocken. Titel errang Rießle bislang nur in Teamwettbewerben, in Einzelwettkämpfen schlägt für den fünfmaligen Weltcupsieger nur die Bronzemedaille von der Großschanze in Sotschi zu Buche.
Akito Watabe, 28, Japan
Den inoffiziellen zweiten Weltcup, den ohne deutsche Athleten, führt einmal mehr Akito Watabe an. Der Silbermedaillengewinner von Sotschi stemmt sich wieder einmal tapfer gegen die mitteleuropäische Dominanz und beendete folgerichtig in Sapporo die deutsche Siegesserie. Das Faustpfand des achtmaligen Weltcupsiegers ist neben seiner beachtlichen Konstanz vor allem seine Sprungstärke, hier zählt er zu den Besten der Welt. Läuferisch zählt Watabe allerdings lediglich zum Weltcupdurchschnitt, weshalb ihm selbst große Vorsprünge von einer halben bis zu einer Minute oft nicht zum Sieg reichen. Es fällt daher schwer, an einen WM-Sieg des 28-Jährigen zu glauben, aber unmöglich ist es nicht. Vergreifen sich die Deutschen beim Wachs oder werden sie vom Winde verweht, so darf man getrost davon ausgehen, dass der unglaublich konstante Japaner zur Stelle sein wird.
Joergen Graabak, 25, Norwegen
Es war einmal vor langer Zeit, da durfte sich Joergen Graabak mit Fug und Recht als deutscher Angstgegner fühlen. In Sotschi tauchte Graabak plötzlich ohne Weltcupsieg als Olympiasieger auf und führte überdies das norwegische Team in einem denkwürdigen Schlusssprint gegen Fabian Rießle zum Sieg. Viele weitere Male kam es zu diesem Duell im Schlusssprint - stets obsiegte Graabak: 2014 besiegte der Mann aus Trondheim im Teamsprint von Lahti auf der Zielgeraden Eric Frenzel. Im Teamwettbewerb 2014 in der Ramsau, 2015 im Teamsprint von Val di Fiemme und 2016 bei beiden Wettkämpfen in Schonach hieß sein "Opfer" jeweils erneut Fabian Rießle. Vor allem das Duell im Teamwettkampf in Schonach hinterließ Spuren: Rießle setzte auf der Zielgeraden zum Überholmanöver an, Graabak wechselte die Spur, schloss die Tür für Rießle, der ins Straucheln geriet, stürzte und somit jeder Chance beraubt war. Die Jury erkannte das Vorgehen Graabaks als legitim an und schmetterte den deutschen Protest ab, doch Rießles Zorn blieb. Vor allem die aus seiner Sicht überhebliche Reaktion des Norwegers ließ ihn fassungslos zurück. Doch dieses Vorgehen ist charakteristisch für den 25-Jährigen: Graabak übertrifft in seiner Kompromisslosigkeit Rydzek gar noch, taktiert und kämpft mit harten Bandagen, doch der Erfolg gab ihm oftmals Recht. Angebracht ist die Vergangenheitsform hier, weil Graabak sich in dieser Saison bislang noch nicht in beängstigender Form zeigte. Zwei dritte Plätze sind für ihn als beste Saisonergebnisse verbucht, die herausragende Laufform der Vorjahre hatte er - wie alle Norweger - bislang nicht. Dennoch sollte man sich nicht darauf verlassen, dass Graabak bei der WM keine Rolle spielt. Seit Ende Januar ist er kein Rennen mehr gelaufen, ausgeruht und gut vorbereitet wird der Gesamtweltcup-Achte zu den Titelkämpfen in Finnland anreisen und kann sich dort auf seine größte Stärke verlassen: Seinen furiosen Schlusssprint.
Des Weiteren zu beachten:
Björn Kircheisen (33, Deutschland), Mario Seidl (24, Österreich), Ilkka Herola (21, Finnland), Samuel Costa (24, Italien), Magnus Krog (29, Norwegen)
Prognose
Die Deutschen können sich im Endeffekt nur selbst schlagen. Nur, wenn Frenzel und Rydzek auf der Schanze schwer patzen und/oder die Wachstechniker komplett danebengreifen, scheint sich eine Chance für die Konkurrenz zu bieten. Die Entscheidung zwischen den beiden Ausnahmeathleten dieser Saison wird auf der Schanze fallen: Geht Rydzek mit weniger als einer halben Minute Rückstand auf Frenzel auf die Strecke, ist für ihn alles möglich, der bessere Läufer ist Rydzek. Aber auch dann wäre Frenzel nicht chancenlos, der Sachse ist zäh und ausdauernd, zudem womöglich noch etwas reifer in seiner Renneinteilung als der bayerische Ehrgeizling. Es wäre eine große Überraschung, wenn nicht beide Einzel-Goldmedaillen nach Deutschland wandern würden, denn mit Fabian Rießle agiert auch der "best-of-the-rest" unter schwarz-rot-goldener Flagge. Ein nicht-deutscher Sieg im Teamwettbewerb käme gar einer Sensation gleich, da das deutsche Team einen Vierer aus den Gesamtweltcup-Rängen 1, 2, 3 und 5 bilden kann - Irrsinn.
Nichtsdestotrotz: Weltmeisterschaften haben ihre eigenen Gesetze, die Belastung ist extrem hoch und wird gegen Ende auch von den Deutschen Athleten ihren Tribut zollen. Gut möglich, dass vor allem im Teamsprint dann ein laufstarkes Pärchen, etwa die Italiener Costa und Pittin, die amerikanischen Fletcher-Brüder, die Finnen Hirvonen und Herola oder vor allem die Norweger mit Graabak plus Krog oder Andersen eine gute Chance haben. Tipp: Eine der vier Goldmedaillen wandert nicht nach Deutschland.
_______________________________________________________________
Alle relevanten Termine und Weltcupstände findet ihr hier: Klick!
Bei den Kombinierern würde es mich echt wundern, wenn mehr als eine goldene Medaille an ein anderes Land geht... die Breite ist einfach fulminant. Der Rest kann ja gar nicht so weit springen, dass nicht noch ein Deutscher da ranläuft.
Rechne da einfach in jedem Rennen mit Gold und wenn's einmal nicht passt, jo mei, dann ist das auch kein Weltuntergang.
Bin heiß auf die WM. Bei den Skispringern hoffe ich auf 2 Medaillen, eine Einzelmedaille wäre schön .
Bei der Kombi, ach komm da räumen wir alle goldenen ab
aber du hast recht, die WM hat ihre eigenen Gesetzte.
@Kunikunde: Nein, zum Langlauf kommt leider keine eigene Vorschau, weil ich von der Materie (ebenso wie bei den Skispringerinnen) leider kaum Ahnung habe
Zu den Favoriten: Die sind zu verstehen als Favoriten generell für Medaillen, nicht nur für die Goldene. Und bei Akito sehe ich ebenso wie bei Fettner und Rich zumindest geringe Chancen auf eine Medaille, bei Akito eigentlich sogar ganz gute.
Als einer der nur die Tournee gesehen hab habe ich jetzt den vollen überblick.
Wellinger scheint ja aktuell gut drauf zu sein mal sehen vielleicht wird es ja was mit der Medaille
Zu den Kombi Jungs brauch ich wohl nix sagen da ist alles klar...
gespannt bin ich, was schlierenzauer zeigen kann, wenn er was zeigen kann
wie sieht es mit dem langlauf aus, kommt dafür ein extra blog zu den jeweiligen disziplinen?
In der Kombination kann man sich eigentlich nur selbst schlagen, was für eine Dominanz Dort könnte man Medaillen holen, bei den Spezial-Springern glaub ich mal so gar nicht dran, vielleicht im Team.
Freu mich dennoch auf die Spiele, darauf arbeiten die Jungs das ganze Jahr hin.
Sehr gute Zusammenfassung, freu mich schon auf Skisprung und die Kombi :)