Ich mag Pep Guardiola. Wirklich. Ich liebe den Kollegen. Nur aus der Ferne natürlich. Man bekommt ja hier nicht mit, wie er tatsächlich arbeitet. Aber die Erfolge und die Art des Fußballs des FC Barcelona sprachen für sich. Seit Heynckes Abschied zum Saisonende mehr oder weniger feststand, hatte ich Tagträume von der Verpflichtung des besten Trainers der Welt. Als sie im Januar gemeldet wurde, wurde mir mitten im Winter warm ums Herz. Ich durchforstete gefühlt 50 verschiedene Medien zur Überprüfung, weil ich es kaum glauben konnte. Im Sport gilt grundsätzlich: dont believe the hype. Aber wer 14 Titel in vier Jahren holt und das ohne nennenswerte vorherige Trainererfahrung, kann kein Blinder sein. Und dass er Charisma hat und wohltuend unaufgeregt daherkommt, sieht man ja auch aus der Ferne.
Nur eins hatte mich schon immer gestört. Seine Transferbilanz. Es ist anzunehmen, dass er dafür auch in Barcelona nicht alleinverantwortlich war. Zumal in Spanien die Trainer wohl grundsätzlich weniger Mitspracherecht bei den Spielerverpflichtungen haben als in Deutschland, geschweige denn im Teammanager-Modell in England. Nur wer in den ersten achtzehn Monaten seiner Amtszeit sechs Titel abräumt, wird zumindest einen Wunschzettel hinterlegen dürfen. Dass Spieler gegen Guardiolas Willen abgegeben oder geholt wurden, darf man wohl getrost ausschließen, vor allem wenn achtstellige Ablösesummen gezahlt werden.
Wer ist Dmytro Chygrynskiy?
Er war ergo wohl mitverantwortlich für den GAU-Sommer 2009. Und ich meine nicht einmal Ibrahimovic. Mal abgesehen davon, dass den Vorständen wohlmöglich die Marketing-Gäule durchgegangen waren und man unbedingt eine Antwort auf die galaktischen Transferaktivitäten in jenem Jahr zu finden glauben musste. Der alte Schwede schien ja den berühmten Plan B zu verkörpern, der den Kurzpassfanatikern immer zu fehlen schien, wenn sich die Gegner am eigenen Strafraum einmauerten. Nein ich meine Dmytro Chygrynskiy. Wen? Einen damals 22-jährigen Verteidiger, der den Katalanen 25 Millionen Euro wert war. Nach 12 Liga(kurz)einsätzen war er wieder weg. Dass man noch ca. 12 Millionen für den Rückverkauf nach Donezk bekam, ist wohl der Tatsache geschuldet, dass Achmetow überhaupt nicht mehr weiß, wohin mit seinem Geld. Auch Affelay (zumindest ein Schnäppchen), Mascherano (im Mittelfeld nicht gebraucht, für einen Innenverteidiger eigentlich zu klein, 20 Millionen), Cáceres (16,5 Millionen (!)) oder Henrique (8 Millionen) sind nicht gerade Musterbeispiele für gelungenes Scouting.
Zu dieser Transferhistorie in Katalonien kommt noch der seit einigen Wochen bekannte Wunsch des Josep Guardiola i Sala, einen gewissen Neymar da Silva Santos Júnior zu verpflichten. Ein Albtraum. Nicht mehr und nicht weniger. Mal abgesehen davon, dass man damit einen Zirkus einkauft hätte, gegen den Posh Spice in ihren besten Tagen ein Ausbund an dezentem Lebenswandel war. Die Sprachbarriere, die Umgewöhnung an die oft verschriene deutsche Kultur und den kalten deutschen Winter sind nur die Probleme abseits des Rasens. Vor allem aber: bei allem unbestreitbaren Talent hat der junge Mann auf Vereinsebene bisher ausschließlich in Brasilien und der Copa Libertadores gespielt. Der südamerikanische Vereinsfußball ist sicher keine Diaspora und stärker als vor einigen Jahren. Aber Konkurrenzfähigkeit auf allerhöchstem, internationalem Niveau hat er erst beim Confed Cup vor einigen Wochen angedeutet. Vorsichtig formuliert: ein paar Fragezeichen zu viel für eine Investition von rund 50 Millionen Euro allein für die Ablöse.
Warum leckt sich ein Rüde die Eier?
Man zuckt insofern schon zusammen, wenn der Maestro jetzt offenherzig bekundet: Ich will Thiago. Man kann der Meinung sein, dass 18 Millionen Euro nicht zu viel verlangt sind. Verglichen mit 20 Millionen für Jesus Navas oder 23 Millionen für den Armenier ohne Vokale im Namen aus Donezk. Und natürlich kann der FC Bayern das Geld bezahlen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken oder den Aufsichtsrat zu fragen. Aber Transfers macht man nicht, weil man es kann. Sondern weil sie die Mannschaft verbessern oder weil man Bedarf hat oder beides.
Ist im Mittelfeld wirklich Bedarf? Mit Schweinsteiger, Javi Martínez, Luiz Gustavo, Müller, Ribéry, Robben, Shaqiri, Kroos und Götze? Kirchhoff kann im übrigen auch auf der Sechs spielen. Selbst wenn Götze im Sturm vorgesehen sein sollte; wenn das Bedarf ist, was hat dann der SC Freiburg? Oder will man jetzt im 2-6-2-System spielen?
Macht er die Bayern besser? Na klar kommt er aus La Masia, ist Spanier. Aber das reicht mir nicht als Begründung. Nicht jeder von der iberischen Halbinsel ist ein Fußballgott. Nicht jeder, der beim FC Barcelona in die Lehre ging und den Sprung in die erste Mannschaft packt, ist per se Weltklasse. Bester Spieler bei der U21-EM war er, ja. Und die Leistungen waren vielversprechend. Nur: wer war nochmal bester Spieler der U21-EM 2009? Özil. Nein. Khedira? Nope. Walcott? Nicht doch. Es war Markus Berg. Markus! Berg! Der damit direkter Nachfolger von Royston Drenthe wurde. Das heißt nicht, dass Alcantara in drei Jahren beim HSV ablösefrei durch die Hintertür gehen muss, obwohl sein Vertrag noch läuft. Aber man sollte nicht so tun, als wäre durch diese Wahl der Weg an die Weltspitze vorgezeichnet.
Wer hat Angst vor Emre Can?
Den oben genannten, etablierten Spielern mag neue Konkurrenz gut tun. Neue Reize nach dem Triple zu setzen, ist die richtige Idee. Aber wird nicht laufend verkündet, die Bayern-Philosophie ruhe auf zwei Säulen? Absolute Weltklasse-Spieler von außen zu holen und ansonsten den eigenen Nachwuchs auszubilden? Nach Möglichkeit jedes Jahr einen Spieler hochzuziehen? Alcantara würde Minuten bekommen, die Emre Can, Pierre-Emil Hojbjerg oder auch (der zugegeben nicht dem eigenen Internat entsprungene) Mitchell Weiser spielen könnten. Wahrscheinlich ist Alcantara Stand heute besser. Aber wie weit man mit solchen Spielern kommen kann, weiß man nur, wenn man ihnen auch Einsätze auf höchstem Niveau gibt. Alcantara ist einfach nicht gut genug, um sich diese Chance zu verbauen.
Ich frage mich (wie der Großteil der Fans vermutlich) ob wir mit dem Transfer nicht ein Überangebot im Mittelfeld hätten. Dagegen spricht, dass Alcantara sehr variable einsetzbar ist und Pep offensichtlich eine klare Vorstellung zu haben scheint, wie und wo er einzusetzen ist.
Sehr interessant wäre es zu wissen, wie sich das Ganze auf Martinez und das MF im Allgemeinen auswirken würde, aber das wird man dann ja bald sehen.
Ansonsten kann ich dazu nur sagen, was man im Fußball eigentlich immer sagen kann. Wenn die Mannschaft mit ihm erfolgreich spielt, rechtfertigt sich der Transfer fast von selbst. Wenn nicht, dann kommen sofort eine Menge Fragezeichen. Unterm Strich ist aber Pep der Trainer und er hat es zu verantworten. Ich hoffe (und nehme es wie Voegi mal sehr stark an) dass er genau weiß, was er tut.
ich bin selbst etwas unschlüssig und frage mich, ob thiago alcantara uns wirklich weiter hilft. aber pep kennt ihn sehr gut. ich vertraue da - ein bisschen blind - auf ihn.
Ich persönlich bin etwas verwirrt was unser Team angeht. Fragen gehen durch meinen Kopf. Geht das gut? Kann Pep so die Stars moderieren wie Jupp?
Jetzt noch Thiago und Lewandowski ist ja auch noch nicht ganz durch.
Das ist einfach ein wahnsinnig großer Kader.
Das große Clubs auch gerne mal groß sind im Danebenschießen bei Transfers ist kaum ein spezielles Merkmal von Barcelona.
Zur Personalie Neymar würde ich immer noch zum abwarten raten wie er sich in Europa so macht. Das er einen elektrisierenden "Fußballer-Werkzeugkasten" wird hier spätestens nach dem Confedcup auch keiner mehr bestreiten, auch wen Clubfußball natürlich immer etwas anderes ist.
Zur Fragen haben wir den nicht schon genug Spieler. Ja rein quantitativ auf jeden Fall. Aber wir haben bisher immer noch nicht den blassesten Schimmer in welcher Rolle Pep die genannten Spieler alle sieht. Kroos, Gustavo, Martinez, Müller, Robben und Schweinsteiger spielen alle natürlich ebenfalls im Mittelfeld sind aber völlig andere Spielertypen. Und wenn Pep meint, dass wir im Mittelfeld einen weiteren Rollenspieler benötigen und Thiago für ihn der Spieler ist, ist eine Verpflichtung nur logisch.
Berg mit Thiago zu vergleichen ist ein cleverer Schachzug zum anteasern, lasse ich also unkommentiert.
Und zum Thema Nachwuchs. Der FC Bayern ist kein Ausbildungsverein. Wen sich die jungen Spieler nicht durchbeißen, dann müssen sie halt ihr Glück wo anders versuchen. Hojbjerg und Weiser sind noch jung genug, dass man bei ihnen nichts forcieren muss und Can wird dann im Zweifel hinten herunterfallen. Beschweren darüber würde ich mich darüber nicht, nachdem er sich vertragstechnisch im Sommer relativ eindeutig positioniert hat.
Wen der Beitrag als Rand gemeint war, hat er bei mir aber in jedem Fall gezogen.