Shaquille O'Neal hat Donovan Mitchell auf eigentümliche Weise dazu herausgefordert, "den nächsten Schritt" zu machen. Zum wiederholten Male hat die Center-Legende dabei den Eindruck erweckt, dass er die NBA nur noch bedingt verfolgt. Warum die Kritik an Mitchell das Thema verfehlte.
"Aight."
Mit diesem Wort beantwortete Donovan Mitchell vergangene Woche die "Herausforderung" von Shaquille O'Neal während der Live-Übertragung von TNT und lieferte seinen Beitrag zu einem durchweg bizarren TV-Moment. Shaq hatte ihm vorher gesagt, dass er zwar "einer meiner Lieblingsspieler" sei, "aber nicht in der Lage, den nächsten Schritt zu machen."
Als "zweite oder dritte Option" sei Mitchell besser aufgehoben, hatte O'Neal zuvor schon erklärt. "Ich wollte, dass du das hörst. Was hast du dazu zu sagen?" Der Jazz-Star reagierte gleichgültig und damit genau richtig, er hatte schließlich gerade seine Taten sprechen lassen und 36 Punkte beim Sieg seiner Jazz über die Pelicans erzielt, dem sechsten in Folge.
Mitchell lieferte ab wie ein Superstar, tat also genau das, was Shaq und seine Kollegen bei "Inside the NBA" ihm nicht so wirklich zutrauen. Das hat für große Irritationen nicht nur in Utah gesorgt, nicht zuletzt hat sich Kevin Durant über O'Neal und Charles Barkley beschwert und den "alten Säcken" nahegelegt, doch einfach "ihre Rente zu genießen".
Das war sicherlich etwas drastisch - und früheren Spielern pauschal zu verbieten, die aktuellen zu kritisieren, wäre natürlich falsch. Es gibt etliche Mentoren unter den Ex-Spielern, diverse Analysten, die auch nach der Karriere aktiv zum Diskurs beitragen, Zuschauern und -hörern etwas beibringen, sie unterhalten. Eigentlich tut das auch "Inside the NBA". Kritik gehört selbstverständlich auch dazu und wenn Legenden des Sports nicht dazu berechtigt sind, dann ist es vermutlich niemand.
Es sollte dabei allerdings Grundvoraussetzung sein, sich respektvoll zu äußern und seine Hausaufgaben zu machen. Gerade letzteres ist eine Selbstverständlichkeit, die bei "Inside the NBA" nun aber zum wiederholten Male vergessen wurde.
Der Status bröckelt
Ein paar Beispiele: Über Rockets-Center Christian Wood wurde kürzlich gesagt, er habe "nicht viel Talent, aber arbeitet hart", was inhaltlich in etwa das genaue Gegenteil seines Scouting-Reports aussagt. Zweifel an seiner Mentalität sind der Grund, warum der offensichtlich begabte Big Man derzeit bei seinem sechsten Team seit 2015 speilt.
Bei Nikola Jokic, einem der zehn besten Spieler der NBA, stellte Shaq vor kurzem erstaunt fest, dass er nicht aus Russland, sondern aus Serbien stammt; die Center-Legende schien auf dieses Unwissen stolz zu sein. Auch der Social Media-Kanal der Sendung zelebrierte dieses Interview wie einen Moment großer Komik.
Das ist an und für sich zwar harmlos, aber "Inside the NBA" ist ein Sprachrohr der Liga, TNT ist einer der wichtigsten NBA-Partner und diese Sendung eigentlich das Premium-Format schlechthin, um das Spiel zu feiern (und zu bewerben). In seinen besten Momenten ist "Inside" großartig, nicht zuletzt hat man sich über die Jahre einen Kultstatus erarbeitet und reihenweise Emmys gewonnen. Vielen gilt diese Sendung als Nonplusultra der Sport-Unterhaltung.
Auf dem jetzigen Weg wird dieser Status jedoch bröckeln. Immer öfter wirkt es, als hätten die Legenden den Spaß und das Interesse am Spiel verloren. Die neue Ära wird immer wieder schlechtgeredet, schließlich war früher doch alles besser. Die Mitchell-Kritik wirkt erneut wie so ein Beispiel, das sich O'Neal fast schon beliebig herausgesucht hat.
Donovan Mitchell verbessert sich jedes Jahr
Shaq versuchte, eine Reaktion von Mitchell zu provozieren, gleichzeitig brachte er sich in eine Situation, in der er scheinbar nur gewinnen kann: Wird Mitchell nie Meister, hat Shaq schließlich "recht gehabt", falls doch, lag es dann nur daran, dass die Kritik einer Legende die letzten Kräfte freigesetzt hat?
Die Kernfrage ("Kann Donovan Mitchell ein veritabler Superstar werden?") ist dabei ja durchaus interessant und diskutabel. Es allerdings so darzustellen, als fehle es Mitchell an Motivation, weshalb es jemanden wie Shaq brauche, der ihn öffentlich anzählt, ist offensichtlich Unsinn - es wird auch Mitchells Weg in der NBA überhaupt nicht gerecht.
Mitchell spielt noch keine vier Jahre in der NBA, hat sich bisher aber in jedem Jahr spielerisch gesteigert und wurde vergangene Saison erstmals All-Star. Sein Spielstverständnis und sein Playmaking wurden in jedem Jahr etwas stärker, was auch insofern bemerkenswert ist, weil Mitchell am College eher Defensiv-Ass und kein Offensiv-Motor seines Teams war.
Die Statistiken von Donovan Mitchell in der NBA
Saison | Punkte | eFG% | Rebounds | Assists | Turnover |
17/18 | 20,5 | 50,6 | 3,7 | 3,7 | 2,7 |
18/19 | 23,8 | 49,3 | 4,1 | 4,2 | 2,8 |
19/20 | 24 | 51,3 | 4,4 | 4,3 | 2,7 |
20/21 | 24,3 | 52 | 4,4 | 4,9 | 3,2 |
Nach dem Abgang von Gordon Hayward 2017 nahm Mitchell in der NBA sofort eine Rolle an, die er zuvor nie in seinem Leben gespielt hatte. Bis heute ist er darin nicht perfekt, natürlich nicht, aber er ist enorm gewachsen und war schon als Rookie gut genug, um den Jazz einen nahtlosen Übergang in die neue Ära zu ermöglichen.
Utah erreichte in jedem Jahr mit Mitchell die Playoffs, als Rookie führte er die Jazz mit 28,5 Punkten im Schnitt zu einem Serien-Sieg über OKC mit dem damals amtierenden MVP Russell Westbrook und Paul George. Seither wurde keine Serie mehr gewonnen, aber ist das Mitchell anzulasten? Beim 7-Spiele-Epos gegen Denver in der Bubble kam er auf 36,3 Punkte im Schnitt bei Quoten von 52,9 Prozent aus dem Feld und 51,6 Prozent von der Dreierlinie.
Je 5 Rebounds und Assists gab es obendrauf. Zweimal erzielte er über 50 Punkte, insgesamt verzeichnete er die meisten Punkte jemals in einer Erstrundenserie. Und bei "Inside the NBA" wird darüber diskutiert, ob so jemand die Nr.1-Option eines Top-Teams sein kann?
Donovan Mitchell ist das Gesicht der Utah Jazz
Kein Hahn kräht in Salt Lake City mehr nach Hayward, Mitchell ist das Gesicht des Teams und hat in der Offseason gerade eine vorzeitige, maximale Vertragsverlängerung unterschrieben. Ist er Stephen Curry oder gar LeBron James? Nein. Gut möglich, dass er deren Dominanz auch nie erreicht, auch wenn seine ersten drei Jahre in der NBA besser waren als die von Curry. Aber an der Motivation wird das kaum liegen.
Mitchell hat sich auf dem bisher Erreichten nie ausgeruht. Insbesondere sein Spielverständnis aus Anfangszeiten ist kaum noch zu vergleichen mit der heutigen Version, in der Utah ihn bedenkenlos Pick'n'Roll um Pick'n'Roll laufen lässt - was er, wie gesagt, vor seiner NBA-Karriere nie in hoher Frequenz getan hat.
Sein Start in die laufende Saison war nicht ideal, trotzdem lag er vor dem schwachen Auftritt (beim Sieg) gegen die Knicks bei den Punkten, Assists, der Dreier- und der effektiven Wurfquote auf Kurs Karrierebestwert. Vor dem New York-Spiel kam Mitchell über zehn Spiele auf 26,6 Punkte und 48-47-89er Splits bei 5,1 Assists im Schnitt. Er nimmt und trifft mehr Dreier als jemals zuvor. Klingt das nicht nach diesem nächsten Schritt, den Shaq gefordert hat?
Nicht aus Zufall waren die Jazz zuletzt das heißeste Team der Liga und haben neun Spiele in Folge gewonnen. Bei der besagten Interaktion zwischen Shaq und Mitchell hatten sie gerade den sechsten Sieg dieser Serie eingefahren, nachdem zuvor unter anderem auch schon die Bucks und Nuggets geschlagen wurden.
Utah ist das heißeste Team der Liga
Es ist noch früh in der Saison, aber für den Moment sieht es so aus, dass die Jazz ihr stärkstes Team der Mitchell-Ära versammelt haben, denn auch Mike Conley ist endgültig angekommen und ermöglicht es Mitchell, sich noch mehr auf seine größten Stärken zu konzentrieren. Utah rangiert bei Offensiv- wie Defensiv-Rating in der Top 5, klassische Merkmale der meisten Contender.
Ein ironischer Nebenaspekt der ganzen Geschichte ist, dass die Jazz momentan auch deshalb so stark sind, weil Mitchell eben nicht - wie teils in den Playoffs gegen Denver - auf sich allein gestellt ist. Im Gegenteil: Das gesamte Team feuert aus allen Rohren. Das ist auch deshalb möglich, weil Mitchell eben nicht im Sinne des "nächsten Schritts" die eigenen Zahlen jagt, sondern den Ball bereitwillig teilt und nur dann übernimmt, wenn es sein muss. In der jetzigen Version der Jazz muss er kein perfekter Spieler sein, nur eben der beste Offensiv-Spieler eines starken Kollektivs.
Natürlich sind Zweifel daran erlaubt, ob die Jazz auf einer Stufe etwa mit den L.A.-Teams stehen. Dagegen spricht vor allem, dass Rudy Gobert in den Playoffs bisher nicht immer an seine starken Regular Season-Leistungen anknüpfen konnte und dass es an Länge auf dem Flügel fehlt, um die Superstars ebendieser L.A.-Teams zu verteidigen - um Mitchells Offense dürfte man sich in Utah derzeit am wenigsten Sorgen machen. Für die TNT-Crew schien das keine Rolle zu spielen.
"Am Ende des Tages, wie auch immer sie uns nennen wollen, sie werden uns trotzdem zusehen müssen, wenn wir weiter Spiele gewinnen", sagte Gobert, der während der Offseason auch bereits aus dem Nichts von Shaq angegriffen wurde. "Hoffentlich müssen sie uns bis zum Juli zusehen. Dann können sie uns nennen, wie sie wollen." Eigentlich kann das nicht der einzige Anspruch sein.