Als einer der besten und unangenehmsten Verteidiger aller Zeiten hat Bruce Bowen drei Titel gewonnen und sein eigenes Vermächtnis hinterlassen. Der Weg dorthin war sehr lang, ehe Coach Pop den wahren Wert seines Schülers erkannte. Noch heute haben zahlreiche Stars Albträume, wenn sie an den Kettenhund von damals denken.
Als Gregg Popovich vor zwei Jahren Kawhi Leonard mit seinem ehemaligen Spieler Bruce Bowen vergleichen sollte, lieferte er folgende Beurteilung ab: "Kawhi ist viel besser. Als Bruce hier ankam, konnte er weder dribbeln, noch passen. Er stand einfach nur in der Ecke und nahm Dreier." Als der besagte Bruce Bowen 2001 zu den San Antonio Spurs stieß, war er bereits 30 Jahre alt. Wie konnte er sich bis dahin in der Liga halten, ohne die offensichtlich wichtigsten Grundlagen des Sports zu beherrschen?
Coach Pop stellte sich diese Frage nicht. Er beurteilt seine Spieler ohnehin nicht nach ihren Defiziten, sondern danach, was sie können - und setzt sie dementsprechend ein. Bruce Bowen kann offensiv nur Dreier aus der Ecke werfen? Dann soll er genau das tun. In der Saison 2002/2003 führte er die Liga bei der Dreierquote an (44,1 Prozent).
Diese zweifelsohne nützliche Eigenschaft war aber fast schon Nebensache. Der Hauptgrund, warum Bowen unter Popovich fünf Saisons hintereinander in allen 82 Spiele startete, lag auf der anderen Seite des Feldes. Der zwei Meter große Guard war bei gegnerischen Stars gefürchtet, er war der beste und unangenehmste Flügelverteidiger seiner Zeit. Würde es ein Basketball-Lexikon geben, in dem der Begriff "Three-and-D" auftaucht, es würde dort zweifelsohne ein Verweis zu Bruce Bowen stehen. Der Weg zu seinem Vermächtnis war allerdings sehr steinig.
Von NBA-Teams ignoriert
"Die Menschen glauben, dass ich aus einer wohlhabenden und funktionierenden Familie komme. Sie glauben das aufgrund meiner Ausdrucksweise und der Art, wie ich mit mir selber und mit anderen umgehe. Aber früher war das nicht meine Realität. Ich denke, die Leute wollen die Realität gar nicht kennen."
Bowens Realität sah so aus: Er wurde 1971 in Merced, Kalifornien in eine Drogenfamilie hineingeboren. Seine Mutter war abhängig von Crack, sein Vater Alkoholiker. Ihr Lebensinhalt war die Sucht, nicht ihr Sohn - der Vater schickte Bruce arbeiten und nahm ihm die Schecks ab, um sich davon Alkohol zu kaufen.
Glück für ihn: er wurde später adoptiert, in Los Angeles fand Bowen ein neues zu Hause. Seine Adoptiveltern hatten bereits leibliche Kinder, doch sie behandelten Bowen wie eines von ihnen. Er hatte endlich eine Familie gefunden. Eines hatte er jedoch von seinem leiblichen Vater mitbekommen: Die Liebe zum orangefarbenen Ball.
"Hallo, hier ist Bill Engel"
Nach seiner High-School-Zeit begann Bowens Karriere in der NCAA einer Legende zu Folge mit einer kleinen Lüge. Demnach soll er einen der Coaches von der Cal State Fullerton University angerufen und sich als Bill Engel ausgegeben haben. Mit verstellter Stimme sagte er: "Hier ist Bill Engel, Coach von der Edinson High School. Ich kenne da diesen Jungen, den ihr euch anschauen müsst. Zwei Meter groß, 90 Kilo, Bruce Bowen heißt er..." In den nächsten vier Jahren lief Bowen in der NCAA für Cal State auf.
Seine Leistungen waren überdurchschnittlich, mehr jedoch nicht. Da er schon damals seinen Fokus auf die Verteidigung legte, flog er unter dem Radar der NBA-Scouts und wurde in der Draft 1993 übergangen. Anstatt lange zu trauern, flog er nach Europa und spielte zwei Jahre in Frankreich bei Le Havre und Evreux. Nach einem kurzen Intermezzo in der amerikanischen CBA hing er noch ein Jahr in Europa dran, ehe er 1996 endlich einen Fuß in die Tür der NBA bekam.
Und Bowen sorgte dafür, dass sich diese Tür für ihn nie wieder schließen würde. Zwar absolvierte er in seiner Debütsaison 1996/97 nur ein einziges Spiel, kam später aber bei den Celtics unter, wo er eine etwas größere Bedeutung erlangte. Sich als Starter etablieren konnte er jedoch nicht, was sich erst 2001 bei den Spurs änderte. Denn Popovich sieht in manchem Rollenspieler bekanntlich viel mehr als andere, unter seiner Führung kam Bowen in acht Saisons niemals von der Bank.
Eine Ära beginnt
"Bruce ist eine Art von Spieler, über die du dich als Coach am meisten freust, weil sie lange dafür kämpfen mussten, um dahin zu kommen, wo sie sind. Sie haben vielleicht nicht das spielerische Talent der anderen, doch sie kennen ihre Schwächen und Stärken und arbeiten mit unglaublichem Durchhaltevermögen an ihrem Spiel. Tag für Tag, Monat für Monat und Jahr für Jahr", so Popovich.
Die Arbeitsethik von Bowen war berüchtigt, er behandelte jedes Training wie ein siebtes Spiel in den Finals und hörte erst auf zu verteidigen, wenn der Coach ihn auf die Bank setzte. Auch, wenn es bereits 110:75 für sein Team stand und nur noch eine Minute zu spielen war. Das musste er auch, denn offensiv war die Nummer zwölf der Texaner mehr als eingeschränkt. In seiner produktivsten Saison kam er auf gerade einmal 8,2 Punkte im Schnitt bei 32 Minuten Spielzeit, seine Quoten waren aber akzeptabel - da er sich auf andere Dinge fokussierte und nur 7,4 Mal pro Spiel einen Abschluss wagte.
Bowen, der Kampfsportler
So unauffällig er in der Offensive agierte, so essentiell war er im Defensivkonstrukt der Spurs. Bei seinen Gegnern galt es als Ehre, von ihm verteidigt zu werden - hatte er doch den Ruf, sich immer den Besten vorzuknöpfen. Da wäre zum Beispiel Vince Carter, auf den es Bowen anscheinend besonders abgesehen hatte. Nicht nur einmal verknackste sich Air Canada den Fuß, weil er nach einem Sprungwurf auf den Schuhen von Bowen landete.
Carter war da kein Einzelfall. Auch Allen Iverson oder Carmelo Anthony ereilte dieses Schicksal. Bowen stand mehr als nur im Verdacht, dass er seinen eigenen Fuß so platzierte, dass sein Gegenspieler - wie Carter - auf diesem landete. Abgestritten hat der heutige TV-Analyst diese Taktik nie, fest steht jedoch: War Bowen in der Nähe, überlegte man sich zweimal, bevor abgedrückt wurde. Zum Leidwesen der Trefferquote, zum Erfolg für Bowen.
Berüchtigt ist auch sein Tritt gegen den einstigen Timberwolves-Scharfschützen Wally Szczerbiak, den Bowen nach einem Pump Fake in bester Kung-Fu-Manier mit einem Tritt ins Gesicht niederstreckte. Dafür wurde er von der Liga mir einer Geldstrafe belegt, was in seiner Karriere allerdings eine der wenigen Ausnahmen blieb. Im Gegensatz zu anderen Elite-Verteidigern wie Ron Artest aka The Pandas Friend oder Dennis Rodman bewegte sich Bowen fast ausschließlich innerhalb der Grenze des Erlaubten.
Seine einzige Sperre (ein Spiel) erhielt er nach einem Tritt gegen Chris Paul, wodurch seine Serie von 500 Starts in Folge beendet wurde. Die einzige Szene aber, die Bowen wirklich bereut, ist eine andere. Im März 2006 trat er in einem Gerangel am Boden Ray Allen in den Rücken und wurde dafür mit einer Strafe von 10.000 Dollar belegt. "Diese Aktion bereue ich bis heute, denn ich habe das in dieser Situation mit Absicht getan. Das ist unverzeihlich", erinnert sich der Rüpel später.
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Rips Kettenhund
Auf der Höhe seines defensiven Schaffens war Bowen in den Finals 2005, es ging gegen die Titelverteidiger aus Detroit. Diese hatten ihren Topscorer und Offensiv-Motor in Rip Hamilton, seines Zeichens Flügelspieler mit schnellem Drive und exzellentem Wurf. Sein Problem in den Finals: Er fiel in den Zuständigkeitsbereich von Bruce Bowen.
In einer unglaublich intensiven und von harter Defense geprägten Serie ging es über sieben Spiele, wobei Hamilton gegen seinen Kettenhund kein Land sah. Sein Punkteschnitt sank von knapp 21 auf 16,7, während er von Downtown nur mickrige 16,7 Prozent seiner Würfe versenkte. Bowen war immer in der Nähe und spätestens ab dem zweiten Spiel in Hamiltons Kopf. Dieser schob die Schuld auf die Schiedsrichter.
"Junge, hast du Spaß?"
Bruce Bowen hingegen schob sich einen NBA-Ring auf den Finger. Seinen Zweiten. Wörter wie "zufrieden" oder "satt" sind im Wortschatz Bowens allerdings nicht vorhanden - zumindest nicht auf dem Parkett. Nur zwei Jahre nach dem Pistons-Coup knöpfte er sich sein nächstes Opfer vor: keinen Geringeren als LeBron James in den Finals von 2007. Einen Sweep später war der King nach einer Monstersaison (30,0 Pkt, 48,4% FG) auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt, mit 22 Punkten, 35 Prozent aus dem Feld und 5,7 Ballverlusten pro Spiel wusste er gegen Bowen nicht, wie ihm geschah.
Der "Übeltäter" adelte James aber trotzdem indirekt, indem er ihn mit Michael Jordan verglich. "Gegen James war es einfacher, weil man nicht viel über ihn wusste. Bei Jordan war das anders: Es schwebte immer diese Angst mit, dass er einen demütigen und aufs nächste Poster schicken würde. Diese Angst hemmt einen. Als es dann zum ersten Mal zum Duell mit ihm kam und er tatsächlich einen Wurf auf den Ring setzte, wollte ich ihn am liebsten umarmen und sagen: 'Hey, du hast verworfen, das war witzig!'"
Einen Fehler beging James trotzdem. Bowen: "Ich ging vor dem ersten Spiel zu ihm und fragte: Junge, hast du Spaß? Als er dann 'ja' sagte, wusste ich: Das muss ich ändern." In den Finals ist ihm das definitiv gelungen.
"Stats bedeuten nichts"
Weitere zwei Jahre später war es für Bowen an der Zeit, seine Basketballschuhe an den Nagel zu hängen. Den holprigen Karrierestart fasste der heute 44-Jährige damals so zusammen: "Es geht nicht darum, wie du anfängst, sondern darum, wie du aufhörst." Es dauerte auch nicht lange, bis die Spurs ihren Verteidiger adelten und seine Nummer 12 unter die Hallendecke hissten. Eine Ehre, die vor ihm nur sechs weiteren Spieler San Antonios zu Teil wurde.
"Sein Erfolg ist der Beweis dafür, dass sich harte Arbeit definitiv auszahlt. Statistiken bedeuten absolut nichts, wenn man über Bowens Bedeutung für die Franchise spricht. Der recht einfache Fakt lautet doch: Die Spurs hätten 2003, 2005 und 2007 keinen Titel geholt, wenn sie Bruce Bowen nicht gehabt hätten", so Popovich während der Zeremonie.
Der Beste aller Zeiten
Nachdem im Sommer Free Agent LaMarcus Aldridge an Land gezogen wurde, kam es allerdings mit Bowens Nummer 12 zu einem recht ungewöhnlichen Vorfall: Sie wurde neu vergeben. "Man will doch, dass LaMarcus sich als Teil der Spurs-Familie fühlt. Wenn ihm die Trikotnummer dabei hilft, wieso denn nicht? Ich spiele doch sowieso nicht mehr", legt der pragmatische Bowen seine Sicht der Dinge dar.
Denn er weiß, dass er auch ohne die einmalige Nummer immer im Gedächtnis der Association bleiben wird - vor allem bei seinen Gegnern, unter denen sich auch Kobe Bryant befindet: "Der beste Verteidiger, gegen den ich jemals gespielt habe? Mit Abstand Bruce Bowen. Er kennt alle deine Moves, alle deine Finten - und er weiß einfach, wie er immer und immer wieder mit all seinen dreckigen Tricks davonkommt."
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