Die Utah Jazz waren schon abgeschrieben, doch seit einigen Wochen stellen Rudy Gobert und Co. auf einmal das heißeste Team der Liga. Was steckt hinter dem Aufschwung - und kann Utah die Form halten?
Es ist nicht allzu lange her, dass die Saison der Jazz eigentlich schon vorbei war - so schien es zumindest. Utah hatte am 23. Januar in Atlanta verloren, im neuen Jahr war dies die siebte Schlappe bei bis dahin lediglich drei Siegen. Das Resultat war eine 19-28-Bilanz, die Playoffs damit eigentlich schon außer Reichweite.
Die Trade Deadline erschien zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Horizont und man ahnte, dass sowohl Rodney Hood als auch Derrick Favors bald anderswo spielen könnten. Bei Hood ist dies mittlerweile tatsächlich passiert: Der etwas polarisierende Swingman gab am Sonntag sein Debüt für die Cavaliers. Favors allerdings ist geblieben - und die Situation der Jazz hat sich in den letzten drei Wochen um 180 Grad gedreht.
Der Comeback-Sieg gegen die San Antonio Spurs war bereits der zehnte Sieg in Folge für die Jazz. Eine ähnlich lange Serie hatte es in Utah zuletzt im Februar 2010 gegeben, kurz bevor der ehemalige Franchise Player Deron Williams nach New Jersey getradet wurde. Die Resultate sind dabei allerdings nicht das einzige, was sich verändert hat, bei weitem nicht. Seit dem Atlanta-Spiel sind die Jazz nicht wiederzuerkennen.
gettyManchmal wird ein Ei gelegt
"Auch, wenn wir an dem Tag in Atlanta unheimlich enttäuscht waren: Es wird immer Spiele geben, in denen man ein Ei legt", sagte Coach Quin Snyder kürzlich zum Salt Lake Tribune. "Die Frage ist dann einfach nur, was für eine Reaktion man darauf zeigt. Und unser Team hat gut reagiert." Das kann man wohl so sagen: Die Jazz haben sich zusammengerauft. Das Spiel gegen die Pistons, zwei Tage nach der Atlanta-Pleite, wurde dabei als Wendepunkt ausgemacht.
Zum einen lag das daran, dass die Jazz noch drei Minuten vor Schluss mit 9 Punkten hinten gelegen hatten, bevor sie es in die Overtime schafften und dort doch noch den Sieg holten. Zum anderen hatte es einen gewissen Symbolwert, dass Ricky Rubio, der zuvor noch nicht wirklich im Team angekommen war, einen Cut am Auge erlitt und das Spiel trotzdem zum Ende brachte, bevor er sich nähen ließ. Mehreren Spielern zufolge hatte dies einen großen Effekt auf die Teamchemie.
"Es hat für uns in dem Detroit-Spiel Klick gemacht, und seitdem haben wir einen Lauf", beschrieb es Favors, der entgegen aller Gerüchte immer noch in Utah spielt. Zurecht: Die Jazz haben zuletzt unter anderem in Toronto und San Antonio gewonnen, dazu wurde den Warriors (!) mit 30 Punkten (!) Unterschied der Hintern versohlt. Über die letzten zehn Spiele haben die Jazz ein Net-Rating von 15,0 aufgelegt, deutlich vor den Raptors (13,5) das Beste der Liga in diesem Zeitraum.
Vor allem zwei Namen stehen dabei sinnbildlich für den Turnaround der Jazz - obwohl sie natürlich nicht die einzigen Verantwortlichen sind. Zum einen ist da Rubio, der seit dem Pistons-Spiel vielleicht den besten Ball seiner Karriere gespielt hat, bevor er sich gegen Charlotte an der Hüfte verletzte. Der Spanier entdeckte plötzlich seinen inneren Sniper (13/24 3FG über acht Spiele) und spielte zuletzt nicht nur beeindruckende Defense, sondern war eben auch offensiv richtig gefährlich - wobei sein 34-Punkte-11-Assists-Spiel gegen die Spurs ganz besonders hervorstach.
Jazz: Gobert-Rückkehr essentiell
Zum anderen ist natürlich Rudy Gobert zu nennen. Der Franzose verpasste in dieser Saison bereits 26 Spiele mit Verletzungen, am 19. Januar kehrte er jedoch zurück und seither haben die Jazz nur noch zwei Spiele verloren. Seine Zahlen sind dabei zwar beeindruckend (13,6 Punkte, 10,4 Rebounds, 2,5 Blocks), erzählen aber wie so oft nur die halbe Geschichte.
Goberts Präsenz und Intelligenz in der Defense haben nicht nur einen massiven Effekt auf seine Gegenspieler, sondern auf alle Beteiligten auf dem Court. Jeder gegnerische Wing muss Goberts Rim-Protection respektieren - und jeder seiner Mitspieler weiß, dass er extremen Druck am Mann ausüben kann, solange hinter ihm noch die French Rejection patrouilliert und jeden Fehler ausmerzen kann. Seit Goberts Rückkehr haben nur Milwaukee (99,4) und Toronto (100,0) ein besseres Defensiv-Rating als die Jazz (100,1).
Auch offensiv hat Gobert aber einen höheren Wert, als man angesichts seiner Wurf-Diät (Dunks, Putbacks, ein paar Hooks) denken könnte. Gobert ist einer der kompromissloseren Roll-Men der NBA und mittlerweile in der Lage, auch in Traffic noch die richtige Entscheidung als Passer zu treffen. Er ist so lang und trotzdem dynamisch, dass nur wenige Bigs wirklich in der Lage sind, ihn vom Korb wegzuhalten. Wenn gegnerische Teams deswegen allerdings Hilfe schicken, ist Gobert mittlerweile wirklich gut darin, den offenen Mann zu finden.
Der offene Mann zu sein, ist in Utah derweil momentan eine sehr angenehme Angelegenheit. Durch die Anziehungskraft von Gobert und die Penetration von insbesondere Rubio und Rookie-Sensation Donovan Mitchell ergibt sich viel Platz auf dem Flügel, woraus in letzter Zeit vor allem Joe Ingles seinen Nutzen zieht.
Utah: Share the wealth
Der Australier traf während der Siegesserie sensationelle 57,1 Prozent seiner Dreier (!) und toppte dabei mehrfach hintereinander sein eigenes Career High. Ingles ist aber nicht der einzige, der sich in der passfreudigen Jazz-Offense wohl fühlt. Auch der für Hood gerade erst akquirierte Jae Crowder frohlockte nach seinem ersten Spiel für Utah, wie schön es sei, "wieder Spaß zu haben" und "in einem System zu spielen".
Ein Seitenhieb gegen die Cavs, klar, aber durchaus auch ernst gemeint. Utah spielt im Schnitt pro Spiel fast 40 Pässe mehr als Cleveland, wo LeBron James den Ball bekanntlich sehr viel in der Hand hält. James spielt den Ball zwar auch ab - und ist ein sensationeller Passer -, aber es gibt eben auch Spieler, die nicht so gut damit zurechtkommen, wenn sie den Ball quasi nur als Vollstrecker erhalten. Crowder ist beileibe kein Kyle Korver. Gut möglich, dass er in Utah dauerhaft besser zurechtkommt.
Jazz: Die Jagd auf Platz acht ist eröffnet
Das hat sich GM Dennis Lindsey mit dem Trade sicherlich auch erhofft. Wo vor der Deadline noch spekuliert wurde, dass Utah mit Hood (und Favors) eher auf Pick-Jagd gehen würde, ist Crowder stattdessen jemand, der im Hier und Jetzt dabei helfen soll, Spiele zu gewinnen.
"Unser Ziel waren von Anfang an die Playoffs, und das ist so geblieben", stellte Ingles unlängst klar. Und mittlerweile ist das keine Spinnerei mehr. Utah hat aktuell nur noch 1,5 Spiele Rückstand auf die achtplatzierten Pelicans, die bekanntlich den Rest der Saison ohne DeMarcus Cousins auskommen müssen. Im "zweiten Drittel" der Western Conference ist kein Team so formstark wie die Jazz.
Utah: Gegen alle Ratschläge der Experten
Natürlich müssen sie das aber auch erst noch bestätigen. Die Jazz haben momentan einen Lauf, bei dem gefühlt alles reinfällt, das wird aber nicht immer so weiter gehen. Nicht zuletzt steht hinter der Gesundheit von Gobert immer ein Fragezeichen. Utah kann viel kompensieren, aber wohl keinen weiteren langfristigen Ausfall des wichtigsten Spielers.
So oder so verdient die Saison der Jazz aber jetzt schon Anerkennung. Es gibt genug Teams, die längst den Kopf in den Sand gesteckt hätten, auch genug Fans und/oder Experten, die ihnen genau dies empfohlen hätten - Hauptsache hohe Draft-Picks eben. Die Jazz haben sich dagegen entschieden, Veteranen aus dem Verkehr zu ziehen, auch wenn wohl auch in Utah niemand mit einem so drastischen Turnaround gerechnet hätte.
Selbst wenn dieser nicht von Dauer sein sollte: Die Zukunft der Jazz sieht nicht so schlecht aus. Andere Teams prügeln sich um den Traum von einem Franchise Player - Utah hat in Gobert und Mitchell bereits potenziell zwei davon. Dass Gordon Hayward sich im Sommer gegen einen Verbleib entschieden hat, ist am Salzsee schon fast in Vergessenheit geraten.