Eigentlich hätten die Los Angeles Lakers James Worthy niemals bekommen dürfen. Ein Trade machte es dennoch möglich, lieferte Showtime ein wichtiges Element und der NBA einen ihrer 50 Besten aller Zeiten. Gemeinsam mit Magic und Kareem prägte "Big Game James" ein ganzes Jahrzehnt. Heute wird er 60 Jahre alt.
Dieser Artikel erschien im September 2014. Hier findet Ihr alle weiteren Geschichten zu den Legenden der NBA.
Es hätte nie so weit kommen dürfen. Immerhin gilt der Draft als Instrument des Gleichgewichts, als Chance für schwächere Teams, sich mit größtmöglichem Nachwuchstalent wieder an die Elite heranzutasten. Wer eine Saison lang schlecht spielt, wählt beim Draft früh aus. Vielleicht sogar an erster Stelle. Wer die Meisterschaft gewinnt, muss sich zunächst einmal gedulden. Soweit die Theorie.
Ein Trade aus dem Jahre 1980 setzte dieses eigentlich so stringente System jedoch für einen Moment außer Kraft. Die Cleveland Cavaliers hatten sich überreden lassen, ihren ersten Pick der 82er Saison plus Butch Lee für einen ersten Pick des kommenden Drafts sowie Don Ford zu den Los Angeles Lakers zu schicken.
1982 verriet der damalige Commissioner Larry O'Brien also tatsächlich zuallererst, auf wen die Draft-Wahl der Lakers gefallen war. Grundsätzlich nichts Besonderes. Nur hatte L.A. gerade seine achte Meisterschaft gewonnen, hätte per se also erst am Ende wählen dürfen.
Lila und Gold hatte jedoch auch beim Münzwurf - Anfang der 80er bestimmte die Münze über die ersten beiden Picks, die Lottery wurde erst zur Saison 1985/86 eingeführt - richtig entschieden und den San Diego Clippers so tatsächlich den Top-Pick weggeschnappt, sich jenes Privileg, das einem Champion eigentlich nicht zugedacht war, gesichert.
Nique? Cummings? Worthy!
Fair? Eher nicht. Rechtens? Natürlich. Glückliche Fügung für die Lakers? Definitiv. Denn, so schön die Meisterschaft auch gewesen war, zur Perfektion fehlte noch ein wichtiges Element. Ein Forward, um genau zu sein. Nur gut also, dass der 82er Jahrgang eine ganze Fülle an Flügel-Potential zu bieten hatte. Dominique Wilkins stand zur Wahl. Terry Cummings ebenfalls. Und eben James Worthy. Ein Junior von der University of North Carolina. Zudem ein amtierender College-Champion und Most Outstanding Player des NCAA-Tournaments.
Wie schwer die Wahl den Lakers gefallen ist, weiß niemand. Am Ende fällt sie jedoch auf Worthy. Für den Rookie geht es von Chapel Hill nach Tinseltown. Von Coaching-Legende Dean Smith zu Coaching-Legende Pat Riley. Allerdings auch aus der beschaulichen Heimat in die hektische, schillernde Stadt der Engel.
"Ich war ein Muttersöhnchen"
Trotz aller Vorfreude, trotz aller Erfolge mit den Tar Heels sicherlich kein einfacher Schritt. Denn eigentlich ist Worthy niemand, der das Rampenlicht sucht. War er nie. Worthy wächst in der Kleinstadt Gastonia in North Carolina auf und hegt in jungen Jahren keinerlei Ambitionen, sportlich sonderlich aktiv zu werden.
"Ich war ein zerbrechliches, introvertiertes Kind ohne großes Bewegungstalent", erzählt er. "Sport wollte ich gar nicht machen. Ich war ein Muttersöhnchen. Meine Brüder waren acht, neun Jahre älter als ich, deshalb war ich häufig bei meiner Mom."
Weiter hätte die NBA, hätte L.A. mit all seinen bunten Lichtern, all seiner Show zu jener Zeit also kaum entfernt sein können. Eine einzige Information genügt jedoch, um Worthys Einstellung grundlegend zu verändern. "Ich hörte von Sportstipendien und sah plötzlich eine Möglichkeit, für das College zu bezahlen", erzählt er.
Worthy möchte seine Eltern entlasten. "Sie haben unglaublich hart gearbeitet. Ich wollte aber nicht, dass sie für mich so hart arbeiten müssen. Deshalb habe ich begonnen, mich für Basketball zu interessieren." Nicht die schlechteste Wahl. Worthy erhält tatsächlich ein Stipendium. Bei den Tar Heels im heimischen North Carolina, bei Coach Dean Smith, der eine zentrale Rolle in der Entwicklung des Forwards einnimmt.
Ein Titel mit His Airness
"Mit Coach Smith hat für mich alles angefangen", erzählt Worthy einst während eines Interviews. "Er hat mir die Grundlagen beigebracht. Wie das Spiel zu spielen, wie das Leben anzugehen ist, wie man eine teamfreundliche Umgebung schafft, jedem klarmacht, wie wichtig die Rolle jedes einzelnen ist."
Smith vermittelt Worthy Werte. Werte, die er während seiner Junior-Saison, seiner letzten am College, an einen ganz speziellen Freshman weitergeben kann. An einen gewissen Michael Jeffrey Jordan.
gettyGemeinsam mit His Airness, damals schlicht unter bürgerlichem Namen bekannt, krönt Worthy seine College-Karriere mit dem Titel - und einem denkwürdigen letzten Spiel. Zwar ist der entscheidende Wurf Jordan vorbehalten, doch es ist Worthy, der die Tar Heels überhaupt erst in die Position bringt, das Spiel in den finalen Sekunden zu gewinnen.
Plötzlich nicht mehr Leader
Trotz eines Patrick Ewing unter den Brettern, trotz diverser Double-Teams liefert der Forward 28 Punkte bei herausragenden 13 von 17 aus dem Feld und 4 Rebounds. Die Tar Heels anno 1982 sind Worthys Team, noch nicht Jordans. Worthy ist der klare Leader, derjenige, dem die größte Aufmerksamkeit des Gegners zuteil wird - vorläufig allerdings zum letzten Mal.
Denn mit dem Draft ist plötzlich alles anders. Worthy wird Teil eines Teams, das nicht nur soeben die Meisterschaft gewonnen hat, er trifft auch noch auf Magic Johnson und Kareem-Abdul Jabbar, zwei der allerbesten - aller Zeiten.
"Normalerweise ist der Nummer-1-Pick ja der Star, startet direkt", beschreibt er seine Gefühlswelt. "Ich habe mir jedoch das Roster angesehen und mir gedacht: 'Sei geduldig'." An anderer Stelle meint Worthy sogar, die Lakers hätten ihn gar nicht wirklich gebraucht. Bescheiden, ja, aber dennoch nicht die ganze Wahrheit.
Showtime! Auch dank Worthy
Natürlich besitzt L.A. auch vor Worthy ein durchaus vorzeigbares Team, allerdings hebt es der Forward noch einmal auf eine neue Stufe. Er ist einer der Gründe, weshalb der Showtime-Express der Lakers überhaupt erst ins Rollen kommt. Er ist einer der Gründe, dass die Lakers Mitte der 80er eine Dynastie starteten, die schlussendlich drei Titel in vier Jahren hervorbringt. Denn Worthy und sein Spiel passen perfekt ins System von Pat Riley, zu Magic, Michael Cooper und Kareem.
Grundsätzlich fühlt sich Worthy im Lowpost am wohlsten, windet sich häufig über die Baseline Richtung Korb, wo er sicher abschließt. Allerdings ist er unglaublich schnell, was Verteidiger häufig vor Probleme stellt. Zieht er sie vom Korb weg, schlägt Worthy seine Gegenspieler mit seinem schnellen ersten Schritt. Zwar besitzt er keinen herausragenden Wurf, über kleinere Defender wirft jedoch mit Vorliebe aus bis zu sechs Metern hinweg.
In Transition mimt er nur zu gern den Abnehmer für Magics patentierte No-Look-Anspiele und Lobs. Dazu ist er zwar kein überragender Verteidiger, lässt sich aber auch nicht zwingend überpowern, was den Lakers erlaubt, eine Art Smallball zu spielen, der ihre Offense zum Spektakel macht. Showtime eben.
Beinbruch in der Rookie-Saison
Nochmal: Worthy passt ins System. So erhält er bereits während seiner Rookie-Saison mehr Minuten als nach seiner Ankunft vielleicht erhofft und dankt es mit starken Statistiken (13,4 Punkte, 57,9 Prozent FG). Kurz vor Saisonende bricht er sich jedoch das Bein und fällt für die Playoffs aus. Das Resultat: L.A. zieht zwar in die Finals ein, wird dort allerdings von Julius "Dr. J" Erving und seinen Sixers gesweept.
Im Jahr darauf ist Worthy dabei. Gesund und als Starter. Erneut stehen die Lakers in den Finals, diesmal gegen den großen Rivalen aus Boston. Noch nie hatte L.A. eine Serie gegen die Celtics gewonnen, diesmal sieht es jedoch gut aus. Nach knapp zwei Spielen im Boston Garden deutet einiges auf eine 2:0 Führung für Lila und Gold hin - bis, ja bis Worthy ein verhängnisvoller Pass unterläuft.
Fataler Fehler statt "Big Game James"
18 Sekunden sind noch zu spielen, die Lakers führen mit zwei. Worthy bekommt in der eigenen Hälfte den Ball und spielt ihn Gerald Henderson direkt in die Hände. Die Celtics drehen das Spiel und die Serie, feiern ihren nächsten Titel.
In diesem Moment denkt wohl niemand an "Big Game James", diesen wunderbaren Reim, mit dem Tar-Heels-Radiokommentator Woody Durham einst Worthys Leistungen in wichtigen Partien beschrieb. "Es fühlte sich an, als hätten wir ihnen den Sieg geschenkt", erinnert sich der Forward später.
So sehr die Niederlage auch geschmerzt haben mag, wer weiß, ob L.A.'s nun folgender Run ohne dieses Negativerlebnis gegen den Erzrivalen überhaupt möglich gewesen wäre. Plötzlich sind die Lakers auf einer Mission. Sie wollen, sie müssen sich beweisen. Showtime.
Gegner werden mit unglaublichem Offensiv-Basketball überrannt. Immer mit dabei: James Ager Worthy. Inklusive Sportbrille, die er nach einer Augenverletzung während eines Spiels gegen die Utah Jazz 1985 seine gesamte Karriere über tragen muss. Inklusive eleganter Fingerrolls. Inklusive dieser einhändigen Dunks, die nichts Brachiales haben, die Worthy vielmehr wirken lassen, als schwebe er über den Court. Eleganz pur.
1985 trifft man in den Finals schließlich erneut auf die Celtics. Payback-Time. Diesmal haben die Lakers nicht nur Worthy mitgebracht, auch "Big Game James" ist mit dabei. Der Forward trifft während der Playoffs starke 62,2 Prozent aus dem Feld, legt während der Finals durchschnittlich 23,7 Punkte auf.
Am Ende steht die so sehr herbeigesehnte Meisterschaft. Die Revanche ist geglückt. Mehr noch: Als erstes Team der Geschichte feiern die Lakers eine Meisterschaft im heiligen Boston Garden. Es könnte kaum schöner sein. Nicht für die Lakers. Nicht für Magic. Und auch nicht für Worthy.
Nun ja, der Repeat hätte den Erfolg im Nachhinein unter Umständen noch ein wenig heller strahlen lassen. 1986 entblößen die Houston Rockets jedoch die große Schwäche der Lakers. Kareem, Worthy, ganz L.A. ist in den Conference Finals unter den Brettern schlicht chancenlos gegen Houstons Twin Towers Hakeem Olajuwon und Ralph Sampson.
"Einfach alle überrannt"
Am Ende hat die Niederlage allerdings abermals etwas Gutes. "Wir gewannen unsere Chemie zurück", erzählt Worthy. "Danach haben wir einfach alle überrannt." Auch die Celtics, die in den 87er Finals erneut feiernden Lakers zusehen müssen. Auch die Bad Boys aus Detroit, die im Jahr darauf die volle Ladung "Big Game James" abbekommen.
Spiel 7 entscheidet Worthy mit einem unglaublichen Triple-Double (36 Punkte, 16 Rebounds, 10 Assists) nahezu im Alleingang. Er macht die Lakers zum ersten Back-to-Back Champion seit 19 Jahren und wird zum Finals-MVP gewählt.
Magic und Kareem sind zwar noch da, doch plötzlich ist Lila und Gold auch Worthys Team. Die beiden hätten "die Lakers über so viele Jahre getragen. Nun hatte ich das Gefühl, dass ich an der Reihe war, meinen Teamkollegen zu helfen und den nächsten Schritt zu tun", beschreibt Worthy seine Leistungen später.
Zwischen Wilt und Magic
Worthy ist endgültig angekommen in der Lakers-Elite. Ohne ihn wären all die Triumphe der 80er mindestens schwerer, wenn nicht gar unmöglich gewesen. Da ist es nur logisch, dass er mittlerweile auch zwischen den ganz Großen der stolzen Franchise aus Tinseltown zu finden ist. Zwischen Magic und Kareem, zwischen Wilt Chamberlain und Jerry West prangt mittlerweile auch das Trikot von James Worthy.
Am 10. Dezember 1995, rund ein Jahr, nachdem Big Game James seine Karriere aufgrund anhaltender Knieprobleme beendete musste, ziehen die Lakers die Nummer 42 unter die Decke des Great Western Forum. Alle sind sie da. Pat Riley. Dean Smith. Magic Johnson. Worthy lächelt schüchtern, doch der Stolz ist ihm anzusehen.
Vom Laker zum Klingonen und wieder zurück
Speziell, als Magic auf seinen Steal in Spiel 6 der 87er Finals gegen die Celitcs zu sprechen kommt. "Kaum einer hat das Spiel derart schön gespielt, wie James Worthy es tat", zollt Johnson seinem ehemaligen No-Look-Adressaten Respekt. "Wie er durch die Lüfte glitt und den Ball mit einer Hand bewegte... Ich habe es geliebt, dir den No-Look-Pass zuzuspielen und dann zuzusehen, wie du ihn im Stile der Freiheitsstatue gedunkt hast. Daran werde ich mich immer erinnern."
gettyNach einigen Ausflügen ins Schauspiel, das Worthy unter anderem eine Rolle als Klingone in einer Folge von "Star Trek: The Next Generation" einbrachte, ist der siebenfache All-Star mittlerweile zu seinen Lakers zurückgekehrt. Als Fernseh-Analyst. Worthy ist stolzes Mitglied der Hall of Fame und wurde 1997 zu einem der 50 Besten aller Zeiten gekürt.
Worthy? "Unfair"
Sicherlich auch deshalb beschrieb der einstige ESPN-Reporter J.A. Adande Worthy mit nur einem Wort: "unfair. Magic, Kareem... und dann auch noch Worthy? Als hätten Gegner nicht schon genug damit zu tun, sich um zwei der Besten aller Zeiten zu kümmern, kam auch noch ein Hall of Famer dazu. Unfair. Worthy konnte sich um Verteidiger herumdrehen, an ihnen vorbeiziehen oder aus sechs Metern über sie drüber werfen. Eine dritte Scoring-Option, die drei Möglichkeiten hatte, dich zu schlagen? Unfair."
Die Lakers hatten Magic und Kareem, waren auch vor Worthy ein herausragendes Team, doch Big Game James hatte großen Anteil, dass aus einem herausragenden ein legendäres Team wurde. Und alles nur aufgrund eines Nummer-eins-Picks, der so eigentlich nie vorgesehen war.