Für die L.A. Clippers geht es vor Spiel 2 gegen die Jazz in der Nacht auf Freitag in erster Linie darum, eine Antwort auf Donovan Mitchell zu finden. Der Shooting Guard riss die Auftaktpartie mit einer Offensiv-Explosion an sich und muss schon jetzt als einer der besten Playoff-Performer der Liga gelten. Einen gewissen Anteil daran hat auch eine ehemalige Heat-Legende.
Ein Minderheitseigner, der von seinem Platz an der Seitenlinie einem NBA-Profi Tipps gibt - und der hört auch noch bereitwillig zu. Es war ein ungewöhnliches Bild, das sich in Spiel 1 der West-Semifinals auf dem Parkett der Vivint Smart Home Arena zu Salt Lake City abspielte. Donovan Mitchell stand am Seitenrand, die Arme auf die Knie gestützt, und lauschte den Worten des Mannes, der sich erst vor knapp zwei Monaten in das Team eingekauft hatte.
Die Szenerie ergibt etwas mehr Sinn, wenn man sich die Vita dieses Mannes genauer anschaut: 13x All-Star, 8x All-NBA, dreimaliger Champion, zukünftiger Hall of Famer. Die Rede ist von Dwyane Wade, der während der Auftaktpartie der Serie zwischen den Jazz und Clippers "seinen" Franchise-Star mit gezielten Worten coachte.
"Es ist großartig, jemanden, den ich meinen Bruder nenne, direkt am Spielfeldrand sitzen zu haben und als Teil dieser Organisation zu wissen", sagte Mitchell nach der Partie. "Er hilft mir, Wege zu finden, mich zu verbessern. Ich bin dankbar, dass er dies tut, vor allem live während eines Playoff-Spiels."
Die Beziehung zwischen Mitchell und Wade geht weit über die vergangenen zwei Monate hinaus. Schon im Jugendalter wählte der heutige Jazz-Guard D-Wade als sein basketballerisches Vorbild, nach seiner Rookie-Saison lud Wade ihn in ein Training Camp für die nächste Superstar-Generation ein. Seither unterstützt die Heat-Legende den Lehrling dabei, diesen Status auch wirklich zu erreichen. Spiel 1 gegen die Clippers war ein weiterer Beweis, dass Mitchell auf einem guten Weg ist.
Donovan Mitchell: Besser als Kawhi und George
"Er ist 24 Jahre alt und hat noch eine große Entwicklung vor sich, dabei ist er bereits ein enorm bedeutsamer Spieler in dieser Liga", lobte der 39-Jährige kürzlich in einem Interview mit GQ. "Ich freue mich darauf, ihm alles mitzugeben, was ich in meiner Karriere gelernt habe, damit seine Laufbahn noch besser wird als meine."
Bei der Unterstützung der nachfolgenden Generationen gehe es ihm auch darum, "das Spiel voranzubringen", wie Wade erklärt. Aktuell dürfte er die NBA, was das betrifft, in guten Händen wissen. In Person von Luka Doncic, Devin Booker, Trae Young oder eben Mitchell schickt sich in diesen Playoffs die nächste Generation an, das Zepter zu übernehmen.
In Spiel 1 gegen die Clippers avancierte "Spida" zum besten Spieler auf dem Court, den er sich mit zwei gestandenen Stars, Kawhi Leonard und Paul George, teilte. Mitchell stellte das Clippers-Duo mit seinen 45 Punkten in den Schatten, erzielte dank einer furiosen zweiten Halbzeit mehr Zähler als die beiden Forwards zusammen (43 bei 13/36 FG).
So hievte er sein Team nach einem Katastrophenstart, vor dem auch Mitchell selbst nicht gefeit war, zum Sieg, gleichzeitig verewigte er sich in den Franchise-Bestenlisten. Jazz-Legende Karl Malone markierte in seiner Karriere vier Spiele mit 40+ Punkten in den Playoffs, Mitchell hat diese Marke bereits in seinem vierten Jahr in der Liga erreicht. Zum dritten Mal im 28. Playoff-Spiel waren es dabei mindestens 45 Zähler - laut ESPN Stats & Info hatten nur Michael Jordan und Wilt Chamberlain mehr solcher Performances in ihren ersten 30 Postseason-Auftritten zu bieten.
gettyUtah Jazz: Mitchell bleibt selbstkritisch
Gänzlich zufrieden mit seiner Leistung war Mitchell aber nicht. "Es gab da definitiv ein paar Dinge, die ich besser machen kann. Ich hatte einen schrecklichen Ballverlust 49 Sekunden vor Schluss", sagte er selbstkritisch. Dieser Fehler wurde wenig später von einem Dreier von PG-13 bestraft. Durch den Block von Rudy Gobert im letzten Clippers-Angriff rettete Utah den Sieg nach Hause.
Dennoch blieb Mitchell bei seiner Selbstkritik: "Ich habe in der ersten Halbzeit meinen Hintern versohlt bekommen. Ich habe meine Gegner gegen mich punkten lassen, habe nicht die richtigen Entscheidungen getroffen, war in manchen Situationen faul. Ich habe einfach nicht gut gespielt."
Doch trotz dieses Horrorstarts - Mitchell stand zur Halbzeitpause bei 13 Zählern (5/14 FG), die Jazz bei einer Quote von 32,1 Prozent -, trotz des verletzungsbedingten Fehlens von Mike Conley und trotz eines gesundheitlich angeschlagenen Mitchells stürmten die Jazz zurück. Letztlich verschaffte die Nummer 45, die, wie Coach Quin Snyder verriet, sich zur Pause unwohl gefühlt habe, den Jazz-Fans endlich mal positive Assoziationen mit einem Flu Game.
Jazz vs. Clippers: So nahm Mitchell L.A. auseinander
Die ersten 10 Jazz-Punkte in Halbzeit zwei gingen allesamt auf das Konto von Mitchell, der den 13-Punkte-Rückstand zum Pausentee im Nu ausradierte. Er zeigte dabei, was sein vielseitiges Offensiv-Arsenal auszeichnet: Mitchell brachte die Arena mit aggressiven Drives, Stepback-Dreiern oder spektakulären Abschlüssen am Ring zum Beben.
Er nutzte gnadenlos das aus, was ihm die Clippers-Defense anbot. In diesem Fall: Luke Kennard. Zwar übernahm Kawhi in der Crunchtime oftmals das Matchup gegen den Jazz-Star, doch dieser ließ sich regelmäßig vom Teamkollegen, der von Kennard verteidigt wurde, einen Screen stellen. Nach einem anschließenden Switch machte er mit seinen Drives kurzen Prozess mit dem Clippers-Guard, der im Übrigen im Draft 2017 eine Position vor Mitchell ausgewählt wurde.
Mitchells persönlicher Rachefeldzug öffnete zudem Räume für die Kollegen und auch die Defense profitierte davon, dass sie nach einem eigenen Korberfolg Zeit zum Sortieren hatte. Letztlich war aber natürlich Mitchells Scoring auf der Jagd nach dem Mismatch der Sieggarant für die Jazz, 32 Punkte (11/16 FG) legte er nach dem Seitenwechsel auf, jeweils 16 in jedem Viertel.
"Er ist einfach ein großartiger Spieler", schwärmte Bojan Bogdanovic im Anschluss. "Er hat den Zuschauern und uns Spielern heute eine Menge Energie gegeben. Es ist einfach toll zu sehen, wie reif er in dieser Saison geworden ist."
Donovan Mitchell: Playoff-Rekorde im dritten Jahr
Wie die Aussagen nach Spiel 1 gezeigt haben, gibt sich Mitchell damit noch lange nicht zufrieden. Auch vergangenes Jahr in der Bubble lieferte er überragende Playoff-Auftritte ab, legte in der ersten Runde gegen die Nuggets 57 und 51 Zähler auf, erreichte sogar einen Rekord für die meisten Punkte in einer Erstrundenserie (254).
Das Playoff-Aus in Spiel 7 nagte dennoch an ihm. Nur eine Woche später stand er wieder in der Halle, um an seinem Spiel zu feilen. Schon in den Monaten zuvor, während der Corona-bedingten Saisonunterbrechung, nahm sich Mitchell keine Auszeit. "Ich habe jeden Tag zwei oder drei meiner schlechteren Spiele geschaut", verriet er gegenüber ESPN. "Ich habe studiert, wo ich noch Probleme habe, und wusste genau, wo ich ansetzen musste."
Mitchell hat sich in jedem seiner vier Jahre in der Liga kontinuierlich verbessert, auch 2020/21 hat er spielerisch einen Schritt nach vorne gemacht - auch wenn das nicht alle TV-Kommentatoren wahr haben wollten. In der regulären Saison verzeichnete er Karrierebestwerte bei den Punkten (26,4), Assists (5,2) und der True-Shooting-Percentage (56,9 Prozent), in den Playoffs hat er all diese Werte nochmal gesteigert.
Donovan Mitchell: Auf den Spuren von D-Wade
Eine Rolle spielen dabei auch die Tipps von D-Wade, nicht nur auf dem Court. Nachdem Mitchell in Spiel 1 der Erstrundenserie gegen die Grizzlies von den Teamärzten nicht freigegeben wurde, kam es zu Querelen. Der Guard selbst fühlte sich nach über einem Monat Pause nach einer Knöchelverletzung fit, durfte aber nicht spielen. Wade soll geholfen haben, die Wogen hinter den Kulissen zu glätten.
Mittlerweile ist das erledigt, in den darauffolgenden vier Spielen gegen Memphis war Mitchell wieder am Start - und Utah gewann alle vier. Der Auftakt gegen die Clippers verlief ebenfalls vielversprechend, auch wenn es nur ein Spiel war. Clippers-Coach Ty Lue wird Kennard wohl nicht erneut so viel Spielzeit in der Crunchtime geben, vermutlich wird Leonard öfters auf Mitchell angesetzt werden und sich vermehrt um Screens kämpfen, anstatt zu switchen.
"Das war ganz gut. Aber ich bin an einem Punkt angelangt, an dem das nicht mehr zählt", analysierte Mitchell seine Leistung in Spiel 1 deshalb betont unaufgeregt. Noch nie kam er über die zweite Playoff-Runde hinaus, das soll sich dieses Jahr ändern. Zumal er etwas aufzuholen hat: Wade gewann mit 24 seinen ersten Titel.
Jazz vs. Clippers: Die Serie im Überblick
Spiel | Datum | Uhrzeit | Heim | Auswärts | Ergebnis |
1 | 9. Juni | 4 Uhr | Jazz | Clippers | 112:109 |
2 | 11. Juni | 4 Uhr | Jazz | Clippers | |
3 | 13. Juni | 2.30 Uhr | Clippers | Jazz | |
4 | 15. Juni | 4 Uhr | Clippers | Jazz | |
5* | 17. Juni | tba | Jazz | Clippers | |
6* | 19. Juni | tba | Clippers | Jazz | |
7* | 21. Juni | tba | Jazz | Clippers |