In Masai We Trust

Ole Frerks
19. Juli 201415:48
Kyle Lowry und DeMar DeRozan bilden auch in der nächsten Saison den Backcourt der Raptorsgetty
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Die Toronto Raptors haben sich nach der erfolgreichsten Saison ihrer Franchise-Geschichte (48 Siege) dazu entschieden, die Schlüsselfiguren mit neuen Verträgen auszustatten. Zudem wurde der Kader punktuell verstärkt, mit Rollenspielern und einem brasilianischen Fragezeichen. GM Masai Ujiri schielt aber jetzt schon auf den Sommer 2016 - dann soll erstmals ein Superstar nach Kanada wechseln.

Masai Ujiri ist in NBA-Kreisen ein gefürchteter Mann. Irgendwie scheint er es bei Trades immer zu schaffen, wie der Gewinner auszusehen, seine Aktionen haben stets Hand und Fuß. Vor allem in New York hat sich der GM der Raptors mittlerweile den Status einer Persona non grata erarbeitet.

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Schon im Winter 2011 ging es los, damals arbeitete Ujiri noch für die Denver Nuggets. Carmelo Anthony ging nach New York, dafür schickten die Knicks allerdings den Großteil ihrer Talente sowie mehrere Draftpicks Richtung Rocky Mountains. Er nutzte damals die Ungeduld von Knicks-Besitzer James Dolan, der deutlich besser damit gefahren wäre, den werdenden Free Agent Melo einfach nach der Saison unter Vertrag zu nehmen.

Sommer 2013 ging es weiter, da arbeitete Ujiri schon in Kanada. Irgendwie schaffte er es, den Knicks Andrea Bargnani samt seinem fetten Vertrag für unter anderem drei Picks sowie Steve Novak anzudrehen. Dolan sah abermals wie der große Verlierer aus.

Eigentlich hätte Ujiri Kyle Lowry im Winter auch noch gern nach New York geschickt und sich dafür einen weiteren Pick sowie entweder Tim Hardaway Jr. oder Iman Shumpert zu holen. Dolan, der sich nicht wieder "abziehen" lassen wollte, lehnte jedoch ab. Ujiris Ruf bewahrte ihn in diesem Fall vor einem seiner seltenen Fehler.

Der beste Einser im Osten?

Denn Lowry blieb, und avancierte in Abwesenheit der Verletzten Derrick Rose und Rajon Rondo zum wohl besten, in jedem Fall aber konstantesten, Point Guard der Eastern Conference. Ein Rätsel bis heute, warum er es nicht zum All-Star geschafft hat. Nach dem Abgang von Rudy Gay blühte Lowry noch mehr auf.

Den Raptors dürfte es egal gewesen sein. Lowry spielte mit seinen 17,9 Punkten sowie 7,4 Assists nicht nur die beste Saison seiner Karriere, der 27-Jährige führte das Team auch erstmals seit 2008 wieder in die Playoffs. Als Leader, Energizer und Vorbild. Und das, obwohl er in seiner Karriere zuvor eher als Troublemaker galt.

"Ich habe ihm gesagt: 'Wenn du diese Gelegenheit verschleuderst, war es das für dich'", verrät Lowrys Kumpel Chauncey Billups, "es war wie bei mir in Detroit früher. Das war meine letzte Chance, und genauso war es für Kyle in Toronto auch."

Der bullige Lowry nahm sich die Worte zu Herzen und zeigte sich bei den Raptors durchweg von seiner besten Seite. "Wenn ich irgendwann mein eigenes Team habe, werde ich Flashbacks davon bekommen, wie oft er irgendwelche spielentscheidenden Plays gemacht hat. Er ist die Definition von professionell", sagt Backup Greivis Vasquez voller Bewunderung.

Der Kern bleibt bestehen

Lowry hat in Toronto endlich ein Zuhause gefunden, so scheint es. Das sahen auch die Raptors und Ujiri so. Der von mehreren Contendern umworbene Lowry wurde zum Start der Free Agency zur höchsten Priorität erklärt, schon nach wenigen Tagen war Einigung über ein neuen Vierjahresvertrag erzielt, der ihm insgesamt 48 Millionen Dollar einbringen wird.

Mit den anderen Free Agents verfuhren die Raptors ähnlich. Auch Vasquez und Patrick Patterson wurden gehalten, zudem zog Toronto die Option bei Tyler Hansbrough.

Patterson, der ebenfalls andere Angebote hatte, erklärte seinen Verbleib wie folgt: "Wir haben hier etwas Spezielles, etwas Positives, das wir aufbauen. Ich bin glücklich, dass wir alle zusammen bleiben, und hoffe, dass wir an dem Erfolg der letzten Saison weiter wachsen können."

Der Kern wurde also gehalten. Zudem verstärkte Ujiri den Kader punktuell, indem er Lou Williams, Lucas Nogueira, Diante Garrett und James Johnson zum Team holte. Gerade mit dem Williams-/Nogueira-Trade, bei dem Toronto mit John Salmons nur einen ohnehin nicht mehr gebrauchten Spieler sowie einen Zweitrundenpick abgab, sah Ujiri mal wieder wie ein absoluter Fuchs aus.

Fragezeichen Caboclo

Ujiri wäre aber nicht Ujiri, wenn er nicht auch in diesem Sommer wieder eine Überraschung im Ärmel gehabt hätte. Die hört auf den Namen Bruno Caboclo und wurde im Draft an 20. Stelle gezogen, obwohl viele Experten den Brasilianer nicht einmal als Zweitrundenpick eingeschätzt hatten. Das mittlerweile leicht revidierte Zitat von Draft-Experte Fran Fraschilla, der Caboclo als "two years away from being two years away" bezeichnet hatte, verdeutlicht sehr gut, wie sehr der Pick aus dem Nichts kam.

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Nach den Eindrücken der Summer League lässt sich aber schon besser nachvollziehen, weshalb die Wahl der Raptors ausgerechnet auf Caboclo fiel. Der Forward ist noch extrem roh, das ist angesichts seiner Jugend aber auch kein Wunder. Seine Athletik, Länge und Spannweite sind allerdings allesamt faszinierend und erinnern mehr als ein bisschen an den Überraschungspick des letzten Jahres, Giannis Antetokounmpo.

Dass Caboclo so schnell eine so große Rolle bekommen wird wie der Greek Freak ist unwahrscheinlich, aber auch nicht nötig. Mit Terrence Ross, DeMar DeRozan, Johnson und Landry Fields sind die Flügel gut besetzt. Caboclo ist ein Projekt.

"Er ist ein talentierter 18-Jähriger, ein Kind", fasst Scouting-Direktor Patrick Engelbrecht zusammen, "er arbeitet sehr hart, will gewinnen und sich jeden Tag verbessern. Er wird von Zeit zu Zeit immer besser werden." Bis er es letztendlich in die Rotation von Coach Dwane Casey geschafft hat, werden aber mit Sicherheit noch einige Tage ins Land ziehen.

Free-Agent-Magnet Toronto?

Denn die Raptors wollen dort weiter machen, wo sie letzte Saison aufgehört haben. In der ersten Runde der Playoffs war gegen Brooklyn vor allem aufgrund der mangelnden Erfahrung Endstation. Das Ziel ist daher klar: Erstmals seit 2001 soll die zweite Runde der Playoffs erreicht werden.

Toronto will die kommenden zwei Jahre unbedingt nutzen, um sich als Markt für Top-Free-Agents wie Kevin Durant, der 2016 Free Agent werden könnte, zu positionieren. Raptors-Boss Tim Leiweke schmetterte kürzlich alle Klischees ab, weshalb bisher noch nie ein wirklich namhafter Free Agent den Weg in den hohen Norden angetreten ist.

Zu kalt? "Soweit ich weiß, haben Chicago und Detroit einige Banner an der Decke hängen. Da ist es mindestens genau so kalt." Hohe Steuern? "Das ist ein Mythos! Ich zahle hier weniger Steuern als in Kalifornien." Rumstehen beim Zoll? "Das dauert 10 Minuten länger." Leiweke ist Optimist.

"Toronto ist die am schnellsten wachsende Stadt Nordamerikas. Es ist sauber. Die Leute sind freundlich. Wir haben übrigens auch 35 Millionen Leute in unserer Fangemeinde. Das ist mehr als die Knicks oder die Lakers haben."

In Masai we trust

Leiweke weiß, dass seine Franchise noch einen weiten Weg zu gehen hat, allerdings wähnt er sie auf dem richtigen Weg. Mit Rapper Drake, der sich quasi zum Gesicht der neuen, "cooleren" Raptors gemacht hat. Mit den Fans, die die Heimspiele in den vergangenen Playoffs zu den vielleicht lautesten in der kompletten ersten Runde machten.

Und natürlich mit Ujiri, den er unlängst in den höchsten Tönen lobte. "Kann es einen besseren Trader und Gestalter als Masai geben? Wäre ich ein Spieler, würde ich ihn ansehen und glauben, dass er am Ende des Tages klug, gerissen und respektiert genug ist, um die richtigen Moves zu machen, ein Siegerteam auf die Beine zu stellen."

In Toronto ist die Stimmung positiv. Nach Jahren der Irrelevanz hat man endlich wieder ein Team mit Qualität, einem Leader wie Lowry und jede Menge Potenzial. Und auch wenn die Geschichte gegen ihn spricht, ist Ujiri einer der wenigen Macher, dem man zutrauen könnte, aus der ehemaligen grauen Maus tatsächlich einen Contender zu machen.

Ujiri selbst liefert das Fazit: "Gehören wir zur Elite? Nein. Sind wir angekommen? Nein. Aber wir arbeiten daran. Hoffentlich sind wir in ein paar Jahren ein Team, das wirklich um die Meisterschaft mitspielen kann."

Der Raptors-Kader im Überblick