Die Finals zwischen den Golden State Warriors und den Cleveland Cavaliers (bei uns im LIVESTREAM FOR FREE) werden episch, so viel ist sicher. Aber wer ist eigentlich der Favorit? Steht für Stephen Curry oder LeBron James mehr auf dem Spiel? Und wer wird warum das Zünglein an der Waage? Die SPOX-Redakteure diskutieren mit den Olympiasiegern Jonas Reckermann und Moritz Fürste.
Es werden die besten Finals aller Zeiten
Moritz Fürste: Wenn man sich die Finals der 90er anschaut, zum Beispiel Jordans Titel und seine Buzzer-Beater, dann sind das schon ganz schön große Fußstapfen für die Cavs und die Warriors. Ich bin zwar erst seit rund zehn Jahren heißblütiger NBA-Fan, aber habe es natürlich nicht versäumt, alles nachzuholen und alle legendären Spiele zu sehen. Das Spiel hat sich seitdem allerdings verändert und athletisch sind die Cavs dank LeBron James ein Ausnahme-Team. Und was der Backcourt der Warriors mit Stephen Curry und Klay Thompson anbietet, das ist vom Shooting ziemlich sicher das Beste, was es bisher gab.
Jonas Reckermann: Bei mir ging das Fieber mit Detlef Schrempf los. Als er mit den Sonics '96 gegen die Bulls in den Finals stand, das war schon etwas Besonderes aus deutscher Sicht. Aber jede Finals-Serie hat seine eigene Geschichte und seine eigene Dramaturgie - und durch die Vorjahresserie ist zwischen Golden State und Cleveland natürlich zusätzliches Feuer drin. Ich denke schon, dass wir uns auf richtig geilen Basketball freuen können. Gerade durch die Entwicklung der letzten Jahre, in denen das Spiel in Sachen Shooting in neue Dimensionen vorgestoßen ist, sind Highlights quasi garantiert. Die Quoten, die die Warriors da auflegen, schaffen einige ja nicht mal von der Freiwurflinie.
Finals Head to Head: Revanche unter völlig neuen Vorzeichen
Ole Frerks: Ich bin da bei euch, dass wir uns auf eine richtig geile Serie freuen können. Aber die besten Finals aller Zeiten? Ich habe keine Ahnung, woran man das festmachen soll. Das ist doch eine total subjektive Sache, oder herrscht irgendwo Konsens, welche Finals bisher als beste Serie der Geschichte gelten? Für mich als Celtics-Sympathisanten sind beispielsweise die Finals 2008 weit vorne, das wird aber jeder Lakers-Fan anders sehen. An 2011 erinnern sich die meisten Deutschen logischerweise auch noch gerne. 2013 hatte dann eine unfassbare Dramaturgie mit dem Ray-Allen-Wurf in Spiel 6 - und das war alles in den letzten paar Jahren! Weiter gehe ich da gar nicht zurück, aber es ist wohl klar, was ich meine. Ich würde daher gar nicht so ausarten, sondern einfach mal hoffen, dass die Finals ebenso gut werden wie die Western Conference Finals - das ist ganz sicher nicht selbstverständlich.
Martin Klotz: 2011... ja, eine schöne Erinnerung. Die besten Finals waren das aber nicht, auch nicht mit der Mavs-Brille auf der Nase. Bei solch einer Betrachtung muss man die Sympathien dann doch hinten anstellen. Die Finals dieses Jahr werden allein schon deshalb der Hammer, weil es richtig eng wird. Weil die Cavs noch ein Hühnchen mit Golden State zu rupfen haben. Weil Cleveland endlich gesund ist. Weil LeBron und Curry die beiden Figuren mit der - in unterschiedlicher Hinsicht - meisten Strahlkraft sind. Ich denke auch, Ole, die West Finals haben schon einiges geboten. Aber da geht noch was.
Marc-Oliver Robbers: Natürlich kann man das nicht irgendwo dran festmachen. Die Diskussion kennen wir ja vom GOAT, aber dennoch versprechen diese Finals, ein unfassbarer Clash zu werden. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da wurde auch von uns darüber diskutiert, dass die Western Conference Finals zwischen den Spurs und den Warriors das vorweggenommene Finale wären. Jetzt saßen Popovich und Co. zu dem Zeitpunkt schon lange vor dem Fernseher und in der gleichen Zeit haben die Cavs in einer Weise zu sich gefunden, die wohl wirklich niemand erahnen konnte. Dazu sind dieses Mal wirklich alle relevanten Spieler fit und Cleveland wird anders als im Vorjahr ebenfalls ansehnlichen Basketball spielen. Ich weiß, dass vielen Fans das Dreier-Geballer beider Teams auf den Senkel geht, aber ich persönlich schaue dieses Spektakel genauso gerne an, wie eine Defensivschlacht zwischen den Heat und den Knicks in den 90ern. Curry ist wieder in MVP-Form, Thompson so stark wie nie und LeBron hat noch jede Menge Luft nach oben. Das kann nur episch werden!
Die Cavaliers sind der Favorit
Ole Frerks: Nein, das sind sie nicht. Dieser Meinung ist Las Vegas und dieser Meinung sind auch die allermeisten Beobachter. Und das ist auch richtig so. Klar war der Postseason-Run der Cavs bisher beeindruckend. Und wie sie vor allem Atlanta, die zweitbeste Defense der Regular Season, mit ihrem Shooting auseinander genommen haben, war absolut beeindruckend. Aber die Crux ist: Golden State ist offensiv genauso gefährlich und hat im Gegensatz zu den Cavs auch eine richtig gute Defense. Was Andre Iguodala gegen Durant in den letzten drei Spielen schon wieder abgezogen hat, war überragend, und ähnliches wird er auch gegen LeBron wieder vollbringen können. Der King wird natürlich seine Punkte machen, aber die Cavs funktionieren am besten, wenn er den anderen offene Würfe auf dem Silbertablett servieren kann - und das wird Golden State besser verhindern können als die vorherigen Gegner. Und defensiv: Ich bin mir einfach nicht sicher, wie man mit Love und Kyrie gegen die Warriors, vor allem gegen deren Death Lineup, irgendwie bestehen soll. Vielleicht überraschen sie uns in der Hinsicht alle, LeBron ist sowieso alles zuzutrauen. Aber es wäre eine Überraschung und daher ist Cleveland für mich per Definition der Underdog, bevor sie uns etwas anderes beweisen.
Moritz Fürste: In der jetzigen Form ist Cleveland sehr stark und mit Kyrie Irving haben sie einen Point Guard, der Curry auch einen Meter außerhalb der Dreierlinie verteidigen und am Wurf hindern kann. Die defensiven Switches, die bei Oklahoma City zu großen Problemen gegen Golden State geführt haben, können die Cavs mit ihrer Aufstellung ohne echten Center besser durchführen. Und man hat gegen OKC gesehen, wie abhängig die Warriors von ihrem Wurf sind. Gleichzeitig kann LeBron gerade gegen das Small Ball Lineup der Dubs seine Physis ausspielen und den Korb attackieren.
Jonas Reckermann: Das sehe ich anders, Mo. Ich bin zwar taktisch nicht so tief drin wie du, aber die psychologische Komponente spielt für mich auf diesem Level ohnehin fast die wichtigere Rolle. Die Warriors haben eine unfassbare Saison gespielt und hatten durch den 73-Siege-Rekord großes Selbstbewusstsein. Anschließend ist Curry ausgefallen und sie waren nicht weniger beeindruckend, gegen OKC standen sie mit dem Rücken zur Wand und haben nach 1-3 noch 4-3 gewonnen. Noch mehr Selbstbewusstsein geht nicht. Ich bin mir sicher: Egal, was passiert und egal, wie die ersten Spiele ausgehen: Die Warriors haben das Gefühl, dass sie das stärkste Team sind und die Finals gewinnen werden. Das ist ein Vorteil, den Cleveland nicht hat - schließlich wurde an ihnen mehr als einmal gezweifelt. Und Golden State hat zudem noch Steph Curry.
Marc-Oliver Robbers: Ich bin da bei Ole. Golden State ist der amtierende Meister, Golden State hat die beste Regular Season in der NBA-Geschichte gespielt, Golden State hat den amtierenden MVP in seinem Roster und Golden State hat sich zum Vorjahr in allen Punkten noch einmal verbessert. Wie können die Warriors da nicht Favorit sein? Cleveland hat sich zum perfekten Zeitpunkt der Saison gefunden und ich ziehe meinen Hut vor Tyronn Lue, dass er diesen Turnaround geschafft hat. Ich meine, wer hätte der Fußmatte von Iverson das zugetraut? Aber alle Cavs-Gegner in der Postseason hatten nicht annähernd das Kaliber der Warriors. Geht ja auch gar nicht. Golden State hat die Mittel, das in den Playoffs praktizierte Spiel der Cavs einzudämmen und eben diese Unmengen an offenen Dreiern zu unterbinden. Und dann bin ich gespannt, ob Cleveland einen Plan B hat. Schaltet LeBron dann wieder in den Heroball-Modus? Und das meine ich gar nicht abwertend. Da hängt dann sicher auch viel von Love und Irving ab. Können sie auch bei einer anderen Spielweise weiter effektiv sein? Die Regular Season hat da oft etwas anderes gezeigt.
Martin Klotz: Golden State ist zwar auch für mich der Favorit, aber wir reden hier von Nuancen. Und alle selbsternannten Experten, die zum jetzigen Zeitpunkt das Wort "Underdog" in den Mund nehmen, lehnen sich so weit aus dem Fenster, dass sie schon fast im Nachbarhaus hängen. Wir werden sieben Spiele sehen, da lege ich mich fest. Und wer kann bei einem 4-3 sagen, welches Team der Favorit ist? Es ist nicht auszuschließen, dass die Favoritenrolle nach jedem Spiel von einem Team auf das andere übergeht beziehungsweise geschoben wird. Lasst Cleveland mal Game 1 in Oakland gewinnen - dann ist der Aufschrei aber groß. Fakt ist: Die Cavs hatten Wochen, wenn nicht Monate, um sich auf dieses Matchup vorzubereiten. Und nach den Conference Finals hatten sie deutlich mehr Zeit für Regeneration und Dubs-spezifische Trainings-Sessions. Aber in einer Sache gebe ich dir unabhängig vom Favoriten-Status Recht, Olli: Um am Ende ganz oben zu stehen, brauchen die Cavs einen LeBron im Endzeit-Modus. Er muss die Balance zwischen Einzelaktionen und dem Einbinden seiner Mitspieler finden. Und das ist die schwierigste Aufgabe im Basketball überhaupt.
...wird der X-Faktor, weil...
Marc-Oliver Robbers: Das finde ich schwierig. Das Überraschungsmoment der Warriors ist mit Iguodalas Hereinnahme in die Starting Five weg. Da wäre es schon eher eine Überraschung, wenn er nicht auch in den Finals beginnen würde. Und dann kommt es in meinen Augen auch auf Harrison Barnes an. Als Iggy vor zwei Jahren kam und Barnes dadurch auf die Bank musste, hatte er richtige Probleme und brach völlig ein. Dann kam Kerr für Mark Jackson, switchte die Rollen und plötzlich war Barnes wieder der Alte. Wie geht er dieses Mal mit seiner "Degradierung" um? Ich denke, davon könnte viel abhängen. Ohne Iguodala fehlt der Bank ein Leader und ich bin mir nicht sicher, ob Barnes in der Lage ist, diese Rolle auszufüllen. Er hatte immer Probleme, für sich und andere zu kreieren. Und auch wenn noch Livingston da ist, braucht Golden State Aggressivität von der Bank. Defensiv ist er dazu in der Lage, aber kann er auch scoren, wenn er nicht von der Präsenz der anderen Starter profitiert? Bekommt er das hin, könnte er in meinen Augen der X-Faktor werden.
Moritz Fürste: Klay Thompson. Iguodala war es zwar im letzten Jahr, aber dieses Jahr ist Golden State noch mehr darauf angewiesen, dass der zweite Splash Brother ebenfalls immer Höchstleistungen bringt. Die Cavs werden sich viel auf Curry fokussieren und genau wie gegen OKC bekommt eher Thompson die freieren Würfe, gerade wenn Curry gedoppelt werden sollte. Wenn er die so wie gegen die Thunder gnadenlos reinmacht, dann wird das für Cleveland nicht zu kontern sein.
Jonas Reckermann: Der Warriors-Dreier. Golden State steht und fällt mit dem Dreier, genau das kann zum X-Faktor werden - und zwar im negativen Sinn. Klar treffen Curry und Thompson ständig schwere Würfe, aber sie verlassen sich auch sehr darauf. Ausschalten kann man sie nicht, aber wenn sie hinten liegen und die Cavs genau in diesen Phasen den Dreierregen verhindern können, dann wird es schwer für Golden State. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht, ob der Backcourt zusammen 5 Dreier trifft oder 20.
Ole Frerks: Aber Jonas, ist Cleveland in diesen Playoffs nicht genauso abhängig vom Dreier wie Golden State? Die einzigen wirklich engen Spiele hatten die Cavs gegen Toronto, wenn der Dreier mal nicht fiel und man daher wirklich Probleme bekam, die mittelmäßige Defense zu kompensieren. Klar gelten die Warriors als das Shooting-Team schlechthin, aber wie ich gestern in unserer Serie Beyond the Boxscore schon geschrieben habe, halten die Cavs derzeit sogar noch häufiger von draußen drauf als die Warriors. Daher ist der Dreier auch für mich der X-Faktor in dieser Serie, das gilt aber für beide Seiten. Seit 2001 haben in 14 von 15 Finals-Serien die Teams gewonnen, die besser von Downtown getroffen haben, und dieser Trend setzt sich auch in diesem Jahr fort. Wenn wir da eine oder zwei Personalien hervorheben wollen: Für mich hängt es für Cleveland gewissermaßen an Channing Frye und Matthew Dellavedova, so merkwürdig das auch klingt. Frye ist in dieser Postseason der beste Dreierschütze überhaupt (58 Prozent!) und steht, genau wie Delly, im Gegensatz zu seinem Vordermann Love (beziehungsweise Kyrie) auch defensiv seinen Mann. Wenn er sein brandheißes Shooting auch in die Finals bringt, haben die Cavs eine deutlich bessere Chance und können auch ihre Geheimwaffe, die Kombination aus LeBron und vier Bankspielern (Frye, Delly, Shumpert und Jefferson), noch häufiger bringen.
Martin Klotz: Für mich ist der X-Faktor ganz klar Draymond Green. Gegen OKC hat er einiges von seinem Mojo verloren, was sicher auch an der Diskussion um seinen - nennen wir ihn mal intensiven - Spielstil lag. Die Warriors brauchen ihn in Bestform. Es reicht nicht, wenn er Curry und Thompson mit Pässen füttert - er muss auch mal wieder einen Wurf treffen. Und wir sollten bedenken, dass er in den Playoffs schon bei fünf technischen Fouls steht. Leistet er sich noch zwei weitere, wird er ein Spiel suspendiert. Bei den Flagrant Fouls sieht es nicht besser aus: Er steht bei drei "Foul-Points", ein weiteres Flagrant-1 bringt ihm eine Ein-Spiel-Sperre, lässt er sich zu einem Flagrant-2 hinreißen, würde er sogar zwei aufeinanderfolgende Spiele zuschauen müssen. Gegen die Cavs wäre Green nicht zu ersetzen, da gibt es kein Wenn und Aber. Jedes Spiel, das er verpasst, ist ein Sieg für Cleveland. Es wird also viel davon abhängen, ob Green den Spagat schafft, seine für das Team so unglaublich wichtige Intensität hochzuhalten und gleichzeitig seinen rauchenden Schädel unter Kontrolle zu behalten.
Steve Kerr gewinnt das Coaching-Duell klar
Ole Frerks: Schwierige These, einfach weil Lue noch keine brenzlige Situation meistern musste wie Kerr gegen OKC - wobei da, und das ist wichtig, auch jede Adjustierung für die Katz gewesen wäre, wenn Thompson in Spiel 6 nicht heiß gelaufen wäre wie ein Besessener. Dennoch hat es natürlich geholfen, dass Kerr wieder mehr auf Iggy gesetzt hat, auch wenn er das meiner Meinung nach durchaus schon früher hätte machen können. Unabhängig davon finde ich, dass Lue als Cavs-Coach ein wenig unterbewertet wird. Ich habe seine "Beförderung" am Anfang wie jeder andere belächelt, aber nach den Playoffs bisher muss ich schon sagen, dass er einiges bei den Cavs zum Besseren verändert hat. Die Offense sieht jetzt tatsächlich häufig aus wie die Idealvorstellung, die wir damals hatten, als sich das neue "Superteam" mit LeBron, Kyrie und Kevin Love gebildet hat. Und wenn es nicht läuft, scheut Lue sich auch nicht, LeBron mal die Meinung zu geigen oder beispielsweise Love im vierten Viertel draußen zu lassen. Das ist bei einem Rookie-Coach keineswegs selbstverständlich. Aber wie gesagt, richtig brenzlig wurde es noch nicht. Lue kann in diesen Finals erstmals zeigen, dass beziehungsweise ob er einer der wenigen Coaches ist, die in dieser Liga wirklich einen Unterschied machen können. Da Kerr das bereits bewiesen hat, muss der Vorteil vermutlich vor der Serie bei ihm liegen. Mich würde es aber nicht groß wundern, wenn wir danach anders über diese These denken.
Martin Klotz: Mich fasziniert bei Kerr diese Ruhe, die er ausstrahlt. Egal, in welcher Situation, er hat Vertrauen in sein Team und das sieht man ihm auch an. Dazu ist er einer der wenigen Coaches, die in der Auszeit auch mal einen Witz machen. Das klingt banal, aber es macht einfach etwas mit den Spielern. Taktisch ist er schon jetzt einer der besten Coaches der Liga und wenn Curry und Thompson mal zu sehr überdrehen, kann er auch dem Einhalt gebieten. Außerdem gefällt mir, wie stur Kerr auf seine Bank vertraut. Seine Rotation ist ja fast schon größer als in der Regular Season. Es ist also sie Vielzahl von kleinen Dingen, mit denen Kerr den Warriors hilft. Bei Lue ist es hingegen nur der taktische Aspekt, der aber - ohne Zweifel, Ole - einen positiven Einfluss auf das Team und die Ergebnisse hat. Dennoch stimmt bei Kerr einfach das Gesamtpaket und damit sehe ich ihn - was seinen Einfluss betrifft - vorn.
Moritz Fürste: Genau, Martin. Mit Kerr haben die Warriors schon einen Titel gewonnen, es gibt also keinen Grund für das Team, an seiner Taktik und seinen Worten zu zweifeln. Der Mann kann dir als NBA-Champion auf psychologischer Sicht ganz anders Gänsehaut vermitteln als Lue. Das gibt Kerr eindeutig einen Vorteil. Und auf taktischer Ebene hat er ebenfalls mehr Erfahrung.
Jonas Reckermann: Mo, du hörst doch ohnehin nicht auf die Trainer. Ich habe das Champions League Finale von euch gesehen, da hast du dem Coach nach einer Minute das Wort abgeschnitten und selbst die Ansprache gehalten. Ein bisschen wie LeBron James 2015 unter David Blatt. (lacht)
Moritz Fürste: Ja, so ähnlich war es wirklich. Bei Cleveland ist es relativ egal, wer an der Seitenlinie steht. Ich habe auch bei Lue nicht das Gefühl, dass er die letzte Entscheidungsgewalt hat. Und seien wir mal ehrlich in Bezug auf die Spielzüge nach Auszeiten: Die wenigsten spektakulären Buzzer-Beater waren bis ins Detail genauso geplant. Meist werden die ersten Optionen zugemacht und dann muss irgendjemand improvisieren. Und neben den Superstars ist Lue nicht mehr als ein Entertainer. Er muss versuchen, die Cavs auf Spur zu halten und die Ordnung herzustellen. Aber auf dem Court entscheiden werden LeBron und Irving.
Jonas Reckermann: Und genau das ist das entscheidende Argument, Mo. Egal, wie gut du als Spieler bist: In Stresssituationen, in denen man maximalen Druck verspürt, vergisst man manchmal die Basics. In den großen Momenten ist selten das Besondere entscheidend, sondern dass man seinen Job macht und sich auf die Basics konzentriert. Du kannst viel steuern, aber du kannst taktisch nicht alles immer sofort erkennen und dafür eine Lösung finden. Deshalb brauchst du einen starken Mann an der Seite, der den Blick auf das Ganze hat und in den entscheidenden Momenten taktische Feinjustierungen vornimmt. Daher auch meine Meinung: Der Coaching-Vorteil liegt bei den Warriors.
Marc-Oliver Robbers: Mo und Jonas, mir kommt Lue bei euch etwas zu schlecht weg. Dass die Cavaliers auf einmal wirklich ein funktionierendes System haben, muss man schon honorieren. Dass alles nur den Superstars zuzuschreiben, ist mir zu einfach. Natürlich hat LeBron wahrscheinlich den größten Einfluss, den ein Spieler in der NBA haben kann, aber ohne einen Coach, der in brenzligen Situationen die Ruhe bewahrt, kann man nicht gewinnen. Du hast es angesprochen, Jonas. Ich denke, wir sollen Lue nicht unterschätzen. Kerr ist nach jetzigem Stand aber natürlich der bessere Coach, weil er es eben bereits nachweisen konnte, dass er in der Lage ist, auch während des Spiels die richtigen Anpassungen vorzunehmen. Die Finals werden zeigen, ob Lue auch das Zeug dazu hat.
Curry hat mehr zu beweisen als LeBron
Jonas Reckermann: Weder noch. Beide müssen nichts mehr beweisen. Curry ist zweifacher MVP, hat sein Team schon im vergangenen Jahr zum Titel geführt und jetzt gerade in Spiel 7 gegen die Thunder nochmal gezeigt, dass er da ist, wenn der Druck am größten ist. Er ist der heißeste und der beste Spieler, der den Sport mit seinen Skills revolutioniert hat. LeBron hat auch seine zwei Ringe aus Miami, doch für ihn steht natürlich die Championship mit "seinem" Team, den Cavaliers, noch aus. Aber auch er hat jetzt schon seinen festen Platz in den Geschichtsbüchern.
Moritz Fürste: Für mich ist der Unterschied schon größer, Jonas. LeBron hat nur zwei der sechs Finals-Serien gewonnen, in denen er stand. Das sind zwar zwei Titel, aber darüber definiert sich der ultimative Erfolg im Basketball. Jeder Spieler wird an den Ringen gemessen. Wenn er in einem Atemzug mit Michael Jordan genannt werden will, dann muss er sich ranhalten. Der steht bei sechs Finals-Teilnahmen und sechs Titeln. Andere große Spieler wir Charles Barkley oder Patrick Ewing haben keinen einzigen geholt - das wird ihnen auch heute noch immer vorgehalten. Curry hat seine bisher einzigen Finals gewonnen, der kann mit einem weiteren Erfolg Richtung Jordan starten. LeBron muss aufpassen, nicht als ewiger Zweiter abgestempelt zu werden.
Jonas Reckermann: Ewiger Zweiter? Wir reden hier von einem Ausnahmespieler mit zwei Titeln, Mo. Und sechs Finals-Teilnahmen in sechs Saisons hat seit 50 Jahren niemand mehr geschafft.
Moritz Fürste: Aber da fragt später niemand mehr nach. Bei uns ist das ganz genauso. Wer erinnert sich denn an den Zweiten? Ich habe auch sieben Finals verloren. Und das interessiert auch niemanden. (lacht) Es werden eben nur die Titel gezählt - und vor allem eine Meisterschaft mit Cleveland muss er holen. Sonst hat er in den Augen der Fans versagt, so hart es klingt. Ich persönlich sehe das anders, aber so tickt die Sportwelt nun mal.
Ole Frerks: Das ist leider vollkommen richtig, Mo. So unfair und bescheuert ich das auch finde. Meine Ansicht: Steph hat nichts mehr zu beweisen, LeBron hat schon wesentlich länger nichts mehr zu beweisen. LeBron ist schon jetzt ein All-Timer und Steph auf dem allerbesten Weg dorthin. Dennoch wissen wir alle, wie es kommen wird, auf die eine oder andere Weise: Verlieren die Cavs, wird es wieder heißen, dass LeBron ja doch ein Choker ist, dass er immer nur Fallobst im Osten besiegt (was kann er dafür, wer sonst im Osten spielt? Vielleicht wirken ja auch nur seinetwegen alle anderen Teams immer wieder wie Fallobst?). Und natürlich wird es heißen, dass Jordan ja niiiiiie eine Serie verloren hätte (wie damals gegen Detroit oder Boston zum Beispiel). Da spielt es auch keine Rolle, egal, dass LeBron abgesehen von 2011 gegen Dallas in den Finals IMMER ein schwächeres Team hatte. Und falls die Warriors verlieren? Man könnte ja meinen, dass ein Titel, zwei MVPs und 73 Siege genug wären, aber man hat schon beim 1-3-Rückstand gegen OKC gesehen, dass bei jeder Schwierigkeit sofort die "Hab ich's doch gesagt!"-Fraktion aus ihrem Loch gekrochen kommt. Auch Curry würde bei einer Pleite Gegenwind bekommen. Man sieht es daran, wie schnell jetzt wieder alle auf Durant einzuprügeln. So funktioniert das eben: Basketball ist ein Teamsport und der Erfolg von mehr Variablen abhängig als einem einzigen Spieler (unter anderem vom GEGNER), aber es fällt danach wesentlich leichter, sich diesen einzigen Spieler als Sündenbock herauszusuchen. Es wäre schön, wenn wir irgendwann davon wegkämen, aber dafür macht es den meisten einfach viel zu viel Spaß.
Marc-Oliver Robbers: Du glaubst doch nicht, dass sich das jemals ändern wird, Ole? In dieser Spirale sind wir alle gefangen, egal ob Sportler, Journalisten oder Fans. Und aus diesem Grund steht für beide eine Menge auf dem Spiel. Back-to-back-MVP zu sein, ist für Curry sicher schön, aber diese ganze irre Saison wäre einfach nichts wert, wenn am Ende nicht der Titel dabei herausspringen würde. Womit wir wieder beim Gerede sind. Ich finde es ohnehin krass, wie stark auf einmal der Gegenwind für die Warriors ist. Es verkommt ja schon fast zu einer Glaubensfrage, ob man die Warriors mag oder nicht. Da hat sich ein völliges Schwarz-Weiß-Denken etabliert. Mal ganz davon abgesehen, dass ich nicht verstehen kann, dass jemand Curry nicht sympathisch findet. Selbst Regelmann mag Curry. Aber um auf die These zurückzukommen, LeBron wird seit Beginn seiner Karriere mit diesem Legacy-Mist konfrontiert. Er kennt das und weiß damit umzugehen. Für Curry wäre es aber das erste Mal, seitdem er das Gesicht der Liga ist, dass er Gegenwind erhalten würde und dass an ihm als Superstar gezweifelt werden würde. Die Friede-Freude-Eierkuchen-Welt der Warriors würde schon ein paar Risse bekommen.
Martin Klotz: Wow, wir sind wirklich ganz schön weit weg von der These. Aber ich teile eure Einschätzung zur Unverhältnismäßigkeit der Kritik. There will always be haters - das werden weder wir noch James und Curry ändern können. Aber meiner Meinung nach hat LeBron mehr zu beweisen. Den Druck machen ihm nicht nur andere, sondern den hat er sich mit seiner Rückkehr nach Cleveland auch zu einem gewissen Teil selbst gemacht. Das Märchen des Helden, der seine seit 52 Jahren in allen US-Sportarten sieglose Stadt zum Titel führt - es wäre seine Geschichte. Aber die muss er eben auch noch schreiben. Bei Curry ist es völlig anders. Dadurch, dass er nach einigen Jahren in der Liga quasi über Nacht zum MVP aufgestiegen ist, hat er eine deutlich andere Behandlung seitens der Beobachter und Medien erfahren als LeBron. Der kam schließlich schon mit dem Label "zukünftiger Hall of Famer" von der Highschool. Ist das unfair? Vielleicht. Aber ehrlich gesagt habe ich bei Curry nicht eine Sekunde lang das Gefühl, als würde er sich um sein Vermächtnis scheren. Im Endeffekt wäre eine Niederlage in den Finals natürlich für beide eine große Enttäuschung, aber sie sind nicht umsonst zwei der besten Baller des Planeten. Und darum werden die beiden in den nächsten zwei Wochen auch noch einmal über sich hinauswachsen.