Am Sonntag treffen die Jacksonville Jaguars im Rahmen der NFL International Games im Londoner Wembley-Stadion auf die Indianapolis Colts (ab 15.30 Uhr live auf DAZN). SPOX ist das ganze Wochenende vor Ort und nimmt euch mit hinter die Kulissen. Ein paar Tage vor dem Spiel bekamen SPOX-Reporter Stefan Petri und die Hail Mary-Crew die Chance, sich in Wembley umzuschauen. Spielfeld, Kabine, VIP-Loge - dank einer netten Reiseführerin überhaupt kein Problem.
"Es fühlt sich irgendwie falsch an", sagt Herzi, als wir durch das Innere des Stadions stiefeln, von den VIP-Logen zum Lift und dann in Richtung Umkleidekabine. "Das ist Wembley - und wir sind wegen Football hier." Irgendwo hat er natürlich nicht ganz Unrecht. Wembley steht für das Mutterland des Fußballs, für die heiligste Spielstätte diesseits des Maracana.
Aber seit einigen Jahren steht Wembley eben auch für American Football, für die Expansion dieses ur-amerikanischen Sportes nach Europa, für Globalisierung, neue Märkte und vielleicht irgendwann für eine Franchise in der englischen Hauptstadt. Und überhaupt: Es ist mein erster Besuch dieser gigantischen Arena - und der fühlt sich richtig gut an.
Das haben wir auch der NFL zu verdanken. Ihr erster Aufenthalt in London in diesem Jahr ist sehr kurz gehalten, kürzer als sonst. Jaguars vs. Colts steht auf dem Programm, drei Wochen später dann "empfangen" die Rams die Giants. Aber wo man sonst eine gute Woche Fan-Akquise betreibt, ist man diesmal nur wenige Tage in der Stadt. Die beiden Teams treffen erst am Freitag in London ein, schon am Montagmittag wird im Stadion eigentlich nichts mehr an Football erinnern, sagt Bryony.
Wo dürfen wir hin? Überallhin!
Bryony, das ist Bryony Knight, eine zierliche Engländerin in den Mitdreißigern, die sich sonst um die Aufbauten und Abläufe im Stadion kümmert, für gut zwei Stunden aber unsere Fremdenführerin spielt. Spieler, Trainer, sogar die Announcer sind für uns am Wochenende kaum zu bekommen, die paar Tage sind natürlich vollgepackt bis obenhin. Umso erstaunlicher, dass uns die NFL ein Rundum-sorglos-Paket für unseren Besuch im Stadion organisiert hat. Mit Bryony an unserer Seite bekommen wir an diesem Donnerstagabend eine ganz andere Seite von Wembley zu sehen.
Nachdem sie uns am West Gate an der Security vorbeigeschleust hat, fragt sie nach unseren Plänen. Wir, das sind Webshow-Moderator Daniel "Herzi" Herzog, Kamera-Künstler Daniel "Brownie" Braun und ich. Naja, was ist denn erlaubt? Wo dürfen wir überall hin? Die Antwort: Überallhin - nur auf den Rasen nicht.
performAlso ziehen wir direkt durch die Katakomben zum Einlauftunnel der Westseite. Vier Einlauftunnel bietet Wembley, dieser hier wird am Sonntag von den Indianapolis Colts genutzt werden. Schnurstracks bis auf den Kunstrasen an der Eckfahne des eigentlichen Platzes führt der Tunnel - wobei von der Eckfahne natürlich nichts zu sehen ist.
Stattdessen stehen schon die beiden knallgelben Field-Goal-Stangen an den Feldenden, auch die Yard-Linien sind schon gekreidet. Um uns herum sieht man hier und da den einen oder anderen Arbeiter, da werden Kabel verlegt, Kameras postiert und so weiter. Ein allzu geschäftliches Treiben ist es nicht, aber ziemlich genau drei Tage vor Kick-Off scheint so viel auch nicht mehr zu fehlen.
NFL-Begeisterung in London nimmt zu
Während sich Herzi und Brauni daran machen, verschiedene Kamera-Einstellungen und Moderationen für die Hail-Mary-Folge am Montag zu drehen, sind Bryony und ich uns selbst überlassen. Also frage ich ihr Löcher in den Bauch. Knapp 84.000 Fans wird Wembley am Sonntag fassen, natürlich ausverkauft. Sonst passen ja noch mehr Fans ins Stadion, aber ein paar Blocks hinter den Teams sind mit schwarzen Jaguars-Planen abgedeckt - hinter dem geschäftigen Treiben einer NFL-Sideline wäre dort sowieso nichts zu sehen.
SPOXAuch sonst wird hier und da ein bisschen umgebaut. Vor der Gegentribüne etwa ist bereits eine Bühne für das Rahmenprogramm vor dem Spiel errichtet worden, wahrscheinlich für Nationalhymne et cetera. Darüber hinaus braucht es auch ganz andere Kameraeinstellungen, Spider-Cams und ähnliches, es muss ja zum üblichen NFL-Erlebnis passen. Wobei die Kamera-Crews wohl aus einer Produktionsfirma hier in London sind - alles wird dann doch nicht eingeflogen.
Es ist eins von rund 26 Events pro Jahr in Wembley, erzählt Bryony. Die NFL ist diesmal zweimal da, nächste Woche stehen die Three Lions gegen Malta auf dem Programm. Dazu kommen große Konzerte, Rugby League und Rugby Union, die Champions-League-Heimspiele von Tottenham Hotspur und andere Veranstaltungen. Die Begeisterung für die NFL sei in den letzten Jahren definitiv gestiegen, erzählt sie, es werden bei weitem nicht nur Jaguars- und Colts-Fans vertreten sein. Aus ganz Europa kommen die Fans zusammen, deshalb werde auch nicht nach Heim- und Auswärtsfans getrennt.
Auch ich kann ihr ein paar Hinweise geben, so ganz firm ist sie mit den NFL-Regeln selbst noch nicht. Also erkläre ich ihr, was die Play Clock mit den 40 Sekunden auf sich hat, dass fliegende Wechsel erlaubt sind und warum eine Partie mit nominell 60 Minuten Spielzeit auch schon dreieinhalb Stunden dauern kann. Besonders fasziniert ist sie von den Crashes an der Seitenlinie, wenn der Ballträger mal in eine Traube aus Betreuern fliegt.
Rein in die VIP-Loge
Nachdem wir an diesem Tunnel fertig sind - und das eine oder andere Erinnerungsfoto geknipst worden ist -, nehmen wir den Aufzug und fahren in den fünften Stock, Oberrang Westtribüne. Die Aussicht ist sensationell, und von hier oben sieht man dann auch, dass die Logos der NFL und der Teams in den Endzonen erst in Umrissen eingezeichnet worden sind. Vollendet werde das Werk am Freitag, erfahre ich von Bryony, und am Samstag steht dann der Walkthrough der Jaguars im Stadion an, abseits der Öffentlichkeit natürlich. Die Colts dürfen erst am Sonntag auf den heiligen Rasen. Sie erzählt mir, dass sich das Dach von drei Seiten ein Stück weit schließen lässt - und ich erzähle ihr, dass man auf der Pressetribüne bei schräg einfallender Sonne seinen Bildschirm wohl kaum noch sehen kann, was sie betroffen macht.
Spontan frage ich sie, wie viele VIP-Logen es gibt, und ob wir uns wohl kurz in einer davon umsehen könnten. "Oh, das weiß ich nicht, dabei sollte ich das eigentlich wissen", stammelt sie auf die erste Frage. Aber ja, wir dürften auch in eine der "Luxury Boxes". Also packen wir zusammen und fahren in den dritten Stock. Durch die Business-Lounge, wo durchaus schon Betrieb herrscht, und ab zu den Logen. Dort rüttelt Bryony an einer verschlossenen Tür, aber die nächste ist geöffnet und verwaist. Ein kleiner Flur mit anliegender Küche, dann ein Konferenzraum mit einem Tisch für acht Personen, nicht größer als ein Wohnzimmer. Eine kleine Loge sei das, erfahren wir, es gebe auch größere für bis zu 20 Personen. Eine große Schiebetür führt auf die Tribüne. Fazit: Edel ja, aber auch nicht gerade extravagant.
Was noch? Die Umkleidekabinen. Natürlich gibt es Security davor, aber für uns kein Problem (die Security-Dame steht übrigens wohl nicht nur vor den Kabinen - der Schrittzähler ihres Smartphones weist schon über zehn Kilometer auf, wie sie Bryony zeigt. Workout mal anders ...).
Extra-Umkleide für Maskottchen
Vier Umkleidekabinen gibt es in Wembley. Warum vier? Naja, manchmal gäbe es Double-Header, oder mehrere Ansetzungen im Rugby. Außerdem bringe man in den Räumen auch mal Gäste des Rahmenprogramms unter, wie etwa die Sängerinnen und Sänger der Hymne. Und natürlich auch die ganz großen Konzertstars. Für die werde dann oft auch nochmal umgeräumt, verrät sie mir - aber meine Frage, ob sie denn für die extravagante Wünsche wie z.B. 1.000 weiße Rosen für Rihanna oder dergleichen verantwortlich sei, verneint sie glücklicherweise. Stadium only. Natürlich treffe sie sehr viele Stars im Stadion, aber eben nur im Vorbeigehen.
Für die großen NFL-Kader wurden jeweils zwei Kabinen zusammengelegt. Einmal Offense, einmal Defense, Maskottchen übrigens extra. Unterschiede gebe es keine, schließlich gebe es ja in Wembley keine nominelle Heim- und Auswärtskabine. Auch hier wird gefilmt, wobei die Kabinen bisher noch leer und sehr schmucklos gehalten sind. Bis auf Tafeln, die darauf hinweisen, wie mit Gehirnerschütterungen umzugehen ist - und dass man ja immer nur seinen eigenen Rasierer benutzen solle! - ist nichts zu sehen. Im Gegensatz zu den Gängen davor, die sind schon "gebrandet", also mit großen Teamtapeten geschmückt. Das werde sich wohl bis Sonntag auch noch ändern, im letzten Jahr hätte es mehr zu sehen gegeben, sagt Bryony. Nach dem Spiel können wir selbst vergleichen - Locker Room Access sei Dank.
Keine Loge für die Queen
Damit sind wir eigentlich durch. Ob es von ihrer Seite noch einen Geheimtipp gäbe, fragen wir Bryony. Aber da fällt ihr nichts ein, auch die Räume für Pressekonferenzen und dergleichen seien nicht wirklich spannend. Also schlagen wir uns noch einmal zum Tunnel der Jaguars durch. Aus der Tiefgarage gebe es einen Aufzug zum VIP-Bereich, den nenne man Royal Elevator, erzählt sie uns noch, aber eine eigene Loge für Queen Elizabeth II. und Co. sucht man vergebens. Oh, und die gigantischen Ventilatoren am Spielfeldrand seien auch von der NFL angeordnet - bis zur letzten Sekunde würden die für einen optimalen Untergrund sorgen.
Ein bisschen neidisch bin ich schon auf Bryony, als wir uns verabschieden und sie sich wieder an die Arbeit macht. Ihr Lieblingsplatz im Stadion sei oben auf der Gegentribüne, mit Blick auf eine Konzertbühne unten und auf den erleuchteten Wembley Arch oben über dem Dach. So lässt es sich leben. Andererseits würden auf Sie am Freitag den ganzen Tag nur Meetings warten. Da ziehe ich unser Schicksal vor: Für uns steht das Colts-Training auf dem Programm.