Ein deutscher Quarterback hat Historisches geschafft: Luke Wentz ist der erste europäische Playcaller, der ein Stipendium an einem Power-5-Football-Programm in einem College in den USA erhalten hat. Über seinen Weg zum Football, eine kuriose USA-Reise und die Bedeutung seiner Unterschrift bei den Virginia Cavaliers.
Eigentlich stand Virginia gar nicht auf dem Tour-Programm, doch als Head Coach Bronco Mendenhall und der Cavaliers-Staff ihre Hände auf das Tape bekommen haben, konnten sie der Versuchung des Dual-Threat-Quarterbacks nicht widerstehen. Und das, obwohl es noch nie einen europäischen Quarterback in einem College der Power-5-Conferences gegeben hat.
Der 1,92 Meter große und 92 Kilogramm schwere Athlet auf dem Videomaterial jedoch legte zu beeindruckende Werte auf. 4,53 Sekunden im 40-Yard-Dash bei Boston College und rund 3,20 Meter im Weitsprung bei Rutgers wären bereits in einem NFL Combine beeindruckende Werte gewesen. Allerdings war der Quarterback, der sich auf einer zweiwöchigen Tour talentierter europäischer Prospects in den USA in bestem Licht präsentierte, erst 18 Jahre alt.
Der Spieler, den Virginia auf dem Tape sah und ihn nach Begutachtung seines Game-Tapes mit Aussicht auf ein Stipendium nach Charlottesville einlud, war Luke Wentz. Quarterback der Paderborn Dolphins und eines der aussichtsreichsten europäischen Talente, die ihr Glück jemals auf der Position Under Center in den Vereinigten Staaten probieren durften.
"Wie er den Ball werfen konnte... wie aus einem Lehrbuch"
Wentz' Geschichte ist wie die vieler europäischer Football-Prospects etwas durch den Zufall geprägt. Der Sohn eines ehemaligen Baseball- und einer ehemaligen Softball-Spielerin wurde 2011 von einem Kumpel zum Training mitgenommen. Eigentlich suchte er sein Glück nämlich in der Leichtathletik. Später sollte es, ganz nach dem Vorbild des Vaters, einmal Baseball sein.
Allerdings fand der 12-Jährige schnell Gefallen am Spiel und am "Teamspirit". Seine athletischen Voraussetzungen sollten ihm auf seiner ersten Position, der des Wide Receivers, außerdem nicht nur den Einstieg vereinfachen, sondern auch auf lange Zeit als herausstechendem Vorteil dienen. Und als Wentz' erstes Team, die Longerich Jets, dann plötzlich auf der Quarterback-Positon unbesetzt waren, demonstrierte er auch noch eine bemerkenswerte Wurfstärke.
Mit den Jets feierte er nach einer ungeschlagenen Saison 2015 den Gewinn der U17-Meisterschaft und wechselte daraufhin zu den Dolphins. Sein neuer Coach Peter Daletzki kannte ihn bereits aus der NRW-Auswahl und schwärmte von der ersten Minute an. "Ich habe mich sofort zu den Coaches umgedreht und ihnen gesagt, ‚Ok, das ist mein Quarterback'", so Daletzki gegenüber SBNation. "Manchmal wird man vom Gefühl, das der erste Eindruck einer Person vermittelt, derart überzeugt, dass es dich umhaut. So wie er den Ball werfen konnte... Es war wie aus einem Lehrbuch."
Luke Wentz zieht Vergleich mit Deshaun Watson
Daletzki selbst lernte Football als Austausch-Schüler in Michigan kennen. Dort besuchte er ein inzwischen nicht mehr existierendes High-School-Programm, welches ihm die Grundsätze der Air-Raid-Offense lehrte. No Huddle, diverse Handsignale und hohes Tempo sind Merkmale dieser, welche er später mit seinem Schüler Wentz auf ideale Art und Weise auf das Feld projizieren konnte.
Doch profitierte Wentz nicht nur vom Wissen seines neuen Coaches, sondern auch von den Möglichkeiten, die ihm das Sportinternat der Dolphins in Paderborn bot. "Das Internat bietet perfekte Trainingsvoraussetzungen und stellt sehr gute Trainer", erklärt Wentz gegenüber FootballR. "In der Schule habe ich zum Beispiel Krafttraining während der Schulzeit."
"Wir können hier über das gesamte Jahr trainieren", betont auch Daletzki. "Sie haben spezielles Athletik-Training und verbessern ihre Schnelligkeit, Beweglichkeit und Flexibilität." Ein wesentlicher Bestandteil des Spiels des jungen Playcallers, welcher seinen Spielstil mit dem von Texans-Quarterback Deshaun Watson vergleicht: Er mag geplante Quarterback-Runs, weniger jedoch ungeplantes Scrambling.
Ein verrückter Trip von Miami nach Virginia
2017, als 17-Jähriger, gewann Wentz schließlich die U19-Meisterschaft und empfahl sich dadurch für die Dreamchasers Tour, welche von der Agentur Premier Players International Recruits des ehemaligen Eagles-Defensive-Tackle Brandon Colliers organisiert wird. Hier war Wentz einer von 25 Teilnehmern, die im vergangenen Sommer unter der Aufsicht von Collier und weiteren Coaches an der Ostküste der USA tourten.
Boston, Connecticut, Georgia, Rutgers, North Carolina, Temple - Die Gruppe reiste zu zehn prominenten Colleges, wo die Talente ihre Fähigkeiten zur Schau stellten. Schließlich stand eine Reise nach Miami an, wo unter anderem ein freier Tag auf dem Programm geplant war, welcher am Strand verbracht werden sollte.
Dann allerdings erhielt Collier einen Anruf, der den Plan über den Haufen warf. Die University of Virginia meldete sich, weil man es in Betracht gezogen hatte, Wentz ein Stipendium anzubieten. Collier wusste, dass wenn die Gruppe aber nicht vor Ort für ein Tryout erscheinen würde, "sie es ihm nicht anbieten würden", sagte er The Athletic.
"Also fuhren wir über zwölf Stunden mitten durch die Nacht und schafften es gerade so, eine Stunde bevor das Camp losging. Unsere Jungs haben nicht viel geschlafen. Vielleicht zwei, drei Stunden."
Virginia bietet Wentz das "Quarterback-Stipendium"
Den Mangel an Schlaf hat man ihm offenbar nicht angesehen. Wentz stellte seine Fähigkeiten als Quarterback unter Beweis und beeindruckte Coach Mendenhall so sehr, dass dieser Wentz und vier seiner Tour-Kollegen in sein Büro bat. Hier öffnete Mendenhall ihnen dann die Türe zum Ideal-Szenario und zu einem Power-5-Football-Programm.
Für Wentz war das alleine allerdings nicht der ausschlaggebende Grund, zuzustimmen. "Viele Coaches sind auf mich zugekommen und haben gefragt, ob ich schon auf einer anderen Position als Quarterback gespielt habe", so Wentz. "Sie [Virginia; Anm. d. Red.] haben mich nur als Quarterback angesehen. Sie haben mein Talent als Quarterback gesehen und gesagt, ‚du bist ein athletischer Typ. Vielleicht können wir dich auf verschiedene Art und Weise einsetzen. Aber wir wollen dich als Quarterback' und darum habe ich mich für sie entschieden."
Eine Entscheidung, die nicht nur in seiner jetzigen und seiner zukünftigen Heimat zur Kenntnis genommen wird. Denn nun ist Wentz der erste europäische Spieler, der in die Quarterback-Domäne in den USA eindringen und die Türe für künftige Playcaller aus Übersee öffnen könnte.
"Das College war schon immer mein Traum", sagte Wentz zu FootballR. Ich möchte einfach Erfahrungen im College sammeln. Nachdem mir viele Trainer sagten, dass ich es wirklich schaffen kann, habe ich verstanden, dass aus meinem Traum Realität werden kann."
Brandon Colliers Kampf gegen amerikanische Coaches
Auch wenn für Wentz ein Traum in Erfüllung gegangen ist. Dieser soll nur eine Etappe auf dem Weg zu Größerem sein. Der Youngster hat ein hartes Stück Arbeit vor sich und wird vermutlich zunächst einmal einiges an Zeit auf der Bank verbringen, bevor er die Cavaliers erstmals auf das Feld führen kann. Auch wenn er glaubt, dass er es "im ersten Jahr schaffen kann", wie er ran verraten hat. Vor allen Dingen von der physischen Komponente wird er drastische Veränderungen erkennen und auch die Atmosphäre eines 60.000 Zuschauer fassenden Stadions hat schon so manch einen Spieler aus der Ruhe gebracht.
"Er hat großartige athletische Fähigkeiten", sagte ein erfahrener Division-I-Coach bei The Athletic. "Er hat die Geschwindigkeit, die Größe und schafft es, seine Würfe auf dem Tape regelmäßig zu wiederholen. Ich frage mich jedoch, ob er das Spiel im Hinblick auf Checks, dem Verstehen der Coverage, wohin der Ball muss, etc., bereits versteht. Für mich ist das der Bereich, an dem Quarterback-Rekruten am meisten arbeiten müssen."
Gleichzeitig ist das einer der Hauptbeweggründe, warum Quarterbacks aus Übersee bislang noch nicht die Chance erhalten hatten, sich an einem der großen Colleges zu beweisen. "Das ist etwas, was schon immer gesagt wurde", sagt Collier zu SBNation. "Du kannst Lineman dazu bringen, Power-5-Football zu spielen, aber keine Skill Player, und erst recht keine Quarterbacks. Ich denke, das könnte sich nun ändern."
"Die Leute werden sich an diesen Tag erinnern"
"Brandon kämpft darum, den Coaches in den Staaten zu Verstehen zu geben, um was es beim Football in Deutschland und Europa geht", erklärt Wentz' Ex-Coach Daletzki. "Gleichzeitig kämpfen wir hier gegen die Medien, damit diese sehen, dass es nicht mehr "nur" noch Fußball gibt. Das hier ist für mich ein besonderer Tag in der Geschichte. Wenn das hier größer werden sollte, werden sich die Leute an diesen Tag erinnern."
Wentz ist nicht der einzige Glückliche der Tour-Gruppe gewesen. Neben ihm haben elf weitere Spieler Division-I-Angebote erhalten. Doch dies ist laut Collier noch nicht alles. Er glaubt, dass von den 25 Partizipanten "am Ende 18 Division-I-Angebote erhalten werden". Einer von ihnen ist Wentz' ehemaliger Dolphins-Teamkollege und Guard Kariem Al Soufi. Auch für ihn wird es schon ab dem 11. Juli ernst.
Von historischer Bedeutung ist allerdings vor allem die Unterschrift seines ehemaligen und zukünftigen Teamkollegen. Denn Luke Wentz könnte zum Türöffner für ausländische Quarterbacks in den Vereinigten Staaten und vielleicht sogar eines Tages einer der Vorreiter für den ersten nicht-amerikanischen Quarterback in der NFL werden.