Am Donnerstag war es schließlich so weit: Teameigner Dean Spanos verkündete offiziell, dass die San Diego Chargers nach Los Angeles umziehen werden. Ein Schritt, der einige Fragen aufwirft. Wo werden die Chargers spielen, wie sind die Rahmenbedingungen und was passiert mit den Stars? SPOX beleuchtet die wichtigsten Aspekte.
Warum kam es zum Umzug?
Die San Diego Chargers und ihr Besitzer Dean Spanos versuchten nun schon seit einigen Jahren, in Kooperation mit der Stadt San Diego einen Stadionneubau auf die Beine zu stellen: Qualcomm Stadium steht seit 1967 und ist so langsam doch deutlich in die Jahre gekommen. Mehr noch: Die NFL hat bereits Anfang des Jahrtausends einen Neubau gefordert, wolle die Stadt nochmals einen Super Bowl ausrichten.
Bis 2016 kam man nicht zu einer Einigung, hauptsächlich, weil Spanos nicht bereit war, einen Neubau privat zu finanzieren. Und selbst mit einem Zuschuss in Höhe von mehr als 300 Millionen Dollar fand man offenbar keinen gemeinsamen Nenner auf der Suche nach einem Deal.
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Als Anfang 2016 dann die Entscheidung anstand, wer denn nun nach Los Angeles umziehen würde, fiel die Wahl der Liga auf die Rams - zumal deren Besitzer Stan Kroenke bereits weit fortgeschrittene Pläne für ein multifunktionales Stadion in Inglewood/Kalifornien parat hatte. Damit einhergehend wurde beschlossen, dass den Chargers die Option eingeräumt wird, ein Jahr später nachzuziehen und ebenfalls im neuen Stadion zu spielen.
Als dann auch noch ein letzter Anlauf, ein neues Stadion in San Diego zu finanzieren, am Volksentscheid erwartet deutlich gescheitert war, blieb den Chargers aus Spanos' Sicht nichts mehr anderes übrig, als die Option zu ziehen und den Umzug perfekt zu machen.
NFL-Commissioner Roger Goodell gab bezüglich des Umzugs diese Erklärung ab:
"Die Chargers haben im letzten Jahr unermüdlich mit lokalen Offiziellen und führenden Mitgliedern der Gesellschaft an einer Bürgerinitiative gearbeitet, die aber am Wahltag gescheitert ist. Diese Arbeit reflektiert unsere starke Haltung, dass wir immer alles tun sollten, um eine Franchise in ihrer Gemeinschaft zu halten. Deshalb hatten wir auch einen wohl überlegten Prozess, um diesen Entscheidungen zu fällen."
Was bedeutet dieser Schritt für die Chargers?
Pragmatisch betrachtet heißt der Umzug für die Chargers einen Aufbruch ins Unbekannte und nebenbei auch einen möglichen Imagewechsel: Gerüchten zufolge steht Spanos einem kompletten Rebranding ebenfalls aufgeschlossen gegenüber - also neuer Name, neues Logo, neue Trikots. Wie genau sie dann heißen und aussehen würden, ist aber noch völlig unklar.
Allerdings wird es ein solches Rebranding im vollen Umfang auch erst 2018 geben können, denn die NFL erlaubt Änderungen an Trikots nur alle fünf Jahre und die aktuellen Chargers-Trikots wurden zuletzt 2013, wenn auch nur leicht, verändert.
Überdies sei erwähnt, dass die Spanos-Familie bereits "Los Angeles Chargers" im Vorjahr als Trademark gesichert haben. Und entsprechend wurde gestern auch ein neues Logo präsentiert - wie ESPN-Journalist Darren Rovell bemerkte, ist dieses allerdings noch nicht offiziell von der Liga abgesegnet und eher ein "Arbeitslogo".
Gibt es eine Fan-Base?
Dann stehen sie vor der Situation, dass ihnen im Grunde ihre komplette Fan-Base wegbrechen könnte. Sie haben - anders als die Rams - keine präsenten Wurzeln von früher in L.A. und fangen im Grunde bei Null an. Die Chargers haben zwar einst in Los Angeles begonnen und dort 1960 ihre erste Saison gespielt, zogen aber bereits ein Jahr später nach San Diego um - und blieben dort bis jetzt durchgehend.
Ein weiterer Aspekt ist, dass sie als Untermieter ins neue Stadion in Inglewood ziehen werden. Allerdings zu recht günstigen Konditionen: Beide Teams werden sich die Einnahmen aus Nicht-Football-Events, Namensrechten, Business-Seats und Luxus-Suiten teilen.
Beide Teams erhalten 18,75 Prozent der Gesamteinnahmen, der Rest geht in die Refinanzierung des 2,6 Milliarden Dollar teuren Stadions. Dennoch müssen die Chargers tief in die Tasche greifen, denn eine Umzugsgebühr in Höhe von 650 Millionen Dollar (über zehn Jahre) an die Liga steht an. Zudem werden noch zwölf Millionen Dollar aufs Konto der Stadt San Diego fließen, um aus dem aktuellen Leasing-Vertrag für Qualcomm Stadium auszusteigen. Zudem behalten die Chargers ihre sogenannten Spieltagseinnahmen (Tickets, Parkplätze, Spieltagssponsoring und Lebensmittel).
Was machen die Top-Stars?
Des Weiteren muss aus Sicht des Teams noch geklärt werden, wie es sportlich weitergeht. Zwei der ganz großen Namen nämlich kokettieren schon seit längerem mit einem Karriereende im Falle eines Umzugs. Die Rede ist von Quarterback Philip Rivers und Tight End Antonio Gates, also Spieler, die die letzte Dekade der Franchise geprägt haben.
Für Gates' Verbleib spricht in erster Linie, dass er bei 111 Touchdowns steht - genauso viele wie Tony Gonzalez - was den Allzeit-Rekord bedeutet. Noch einer mehr und er wäre der alleinige Rekordhalter unter den Tight Ends. Ein guter Grund, noch mindestens ein Jahr dranzuhängen, und Gates ließ bereits deutlich durchblicken, dass er seinen noch für die kommende Saison gültigen Vertrag erfüllen will.
Bei Rivers sieht die Sache etwas anders aus. Statistiken treiben ihn eher nicht an, Rivers hatte sich in der Vergangenheit gar offen gegen den Umzug ausgesprochen. Immerhin ist er Vater einer Großfamilie (acht Kinder) und wird im Falle einer Fortsetzung seiner Karriere vermutlich nicht mit der ganzen Familie von Santaluz nach Los Angeles ziehen. Pendeln wäre also angesagt.
Von San Diego nach L.A. sind es über die I-5 S knapp 120 Meilen, also mehr als zwei Stunden mit dem Auto. Doch Stand jetzt wird auch der Quarterback seine Karriere fortsetzen.
Der Umzug bringt gleichzeitig aber auch ein gewisses Maß an Ruhe in die Franchise, denn nun gibt es Gewissheit und keine Spekulationen und Nachfragen mehr. Das wäre bei einem Verbleib in San Diego bis zu einem irgendwann abgeschlossenen Stadion-Deal wohl anders gewesen.
Was bedeutet es für die Rams und Raiders?
Sowohl die Los Angeles Rams, als auch die Oakland Raiders sind direkt von der Entscheidung der Chargers betroffen.
Die Rams, weil sie in der Tat ihr Stadion mit einem anderen Team teilen müssen. Das war zwar von Beginn an der Plan, könnte aber auch negative Konsequenzen haben. Was das Team in der ersten Saison nach der Rückkehr nach Los Angeles auf dem Platz abgeliefert hat, regt nicht unbedingt zu Zuversicht an, dass es demnächst klar besser gehen wird auf dem Platz.
Die Chargers hingegen wären vermutlich den Playoffs einen gehörigen Schritt nähergekommen, hätten sie nicht so wahnsinnig viele Verletzte gehabt. Zudem verfügen sie Stand jetzt über eine explosive Offense und einen Star-Quarterback wie Philip Rivers. Es besteht also die Gefahr, dass die Chargers den Rams binnen kurzer Zeit den Rang ablaufen. Insbesondere dann natürlich, wenn die Schere sportlich weiter vehement auseinander ginge.
Hohe Auslastung in Inglewood
Positiv ist auf der anderen Seite selbstredend - und das gilt vor allem für Rams- und Stadioneigner Stan Kroenke - dass die Chargers mit ihren Spielen für eine größere Auslastung der neuen Mega-Arena sorgen und somit die Gesamteinnahmen erhöhen werden. Das Stadion könnte dadurch also deutlich schneller refinanziert werden.
Den Raiders wiederum gibt der Umzug ebenfalls Sicherheit, oder zumindest Klarheit. So wissen sie nun verbrieft, dass L.A. für sie keine Option ist und ein Umzug ihrerseits nach Las Vegas die aktuell wohl einzige brauchbare Variante für die Zukunft sein dürfte. Der nächste Umzug scheint damit schon fast beschlossene Sache zu sein, sollte es in Oakland nicht doch noch die 180-Grad-Drehung geben.
Was bedeutet der Schritt für die Liga?
Für die NFL überwiegen die positiven Aspekte. Sie bekommen, wie schon vor fast zehn Jahren vom damaligen Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger, gewünscht, ein zweites Team im zweitgrößten Medienmarkt der USA.
Das wiederum gibt ihnen mehr Argumente in Sachen TV-Geldern in der kommenden Rechte-Periode im nächsten Jahrzehnt. Aktuell zahlt FOX für das NFC-Paket jährlich knapp 1,1 Milliarden Dollar, CBS wiederum knapp 100 Millionen Dollar weniger für das AFC-Paket. Mit der Zugabe eines L.A.-Teams könnte man also aus Liga-Sicht berechtigterweise demnächst mehr vom "Eye-Network" verlangen.
Darüber hinaus ist damit San Diego wieder frei als potenzieller Landespot für eine künftige NFL-Franchise, sollte es irgendwann doch mal ein neues Stadion in der Stadt geben. Die Beispiele Cleveland, Houston, Baltimore oder eben Los Angeles zeigen, dass die NFL seit jeher gewillt ist, nach ein paar Jahren in bewährte Städte zurückzukehren.
Chargers nach London?
Dann wäre da noch der Pool an Teams, die an der International Series teilnehmen müssen - oder dürfen. Wer umzieht, ist automatisch verpflichtet, ein Heimspiel abzutreten, um stattdessen etwa in London, Mexiko oder vielleicht irgendwann sogar in Deutschland anzutreten. Die Chargers sind nun also auch einer dieser Kandidaten.
Doch nicht alles ist positiv aus Sicht der Liga: Denn dem Vernehmen nach tendierte die Stimmungslage unter den Besitzern zuletzt eher in Richtung Verbleib der Chargers in San Diego. Es wurde allerdings letztlich doch kein Versuch unternommen, Spanos zum Bleiben zu bewegen.
Die Bedenken fußten hauptsächlich auf der Tatsache, dass die ohnehin schon schwachen TV-Quoten der letzten Saison bei Rams-Spielen im lokalen Markt noch verwässert werden könnten. Doch es erscheint zumindest nicht gänzlich abwegig, dass das Quotentief vielleicht doch auf das überschaubare sportliche Produkt zurückzuführen war, das die Rams über die gesamte letzte Saison abgeliefert haben.
Wie läuft der Umzug ab?
Die Chargers werden keine Zeit verschwenden und den Umzug so schnell es geht angehen, das ließ Spanos in seinem Statement bereits durchblicken. Das Front Office dürfte schon innerhalb weniger Wochen in bereits gepachtete temporäre Bürokomplexe umziehen. Was das Team betrifft, kann sich die Sache noch etwas hinziehen.
Wie ESPN berichtet, sollen die Organized Team Activities sowie die Minicamps noch im Chargers Park in San Diego stattfinden: Die Pacht für dieses Gelände läuft ohnehin noch bis zum 1. Juli. Danach geht es dann in die neue, temporäre Teamanlage in Costa Mesa.
Die größte Frage aber war, wo man denn bis zur Neueröffnung in Inglewood seine Heimspiele austragen wird. Hierfür standen zwei Optionen zur Verfügung: Man hätte, wie die Rams bereits in dieser Saison, ebenfalls im Los Angeles Memorial Coliseum spielen können. Die Wahl fiel jedoch auf das StubHub Center in Carson, dem Ort, an dem das einst geplante gemeinsame Stadion der Chargers und Raiders hätte gebaut werden sollen.
Der Vorteil: Die Anreise aus San Diego ist eine halbe Stunde kürzer als zum Coliseum. Der Nachteil: Während das Coliseum knapp 100.000 Zuschauer fasst, finden in der Heimstätte der Los Angeles Galaxy aus der MLS lediglich 27.000 Zuschauer Platz, was für NFL-Verhältnisse bemerkenswert wenig ist. Den Raiders droht im Übrigen bei einem Abgang aus Oakland nach Las Vegas ein ähnliches temporäres Schicksal im Sam Boyd Stadium von UNLV.