EINEN GANZEN MONAT LANG BOXING DAY
Die Faszination Hallenfußball in den 1990er-Jahren
Autor: Jochen Tittmar
Designer: Pawel Moltschanow
Zwölf Tage lagen zwischen dem 13. und 14. Spieltag der Bundesligasaison 2020/21 - es war zugleich
die kürzeste Winterpause in der Geschichte. Verglichen mit den Vorjahren schrumpfte sie damit um
rund die Hälfte der Zeit. Der Grund: das Coronavirus.
Doch auch ohne Pandemie erscheint es aus heutiger Sicht nahezu unvorstellbar, dass vor rund 30
Jahren manchmal ganze drei, in den Neunzigern meist zwei Monate lang nicht gekickt wurde. In der
Spielzeit 1988/89 endete die Hinrunde beispielsweise Anfang Dezember, weiter ging es erst Mitte
Februar.
Damals wurde etwas geschaffen, das als Flop startete, sich neben Meisterschaft und DFB-Pokal aber
schnell zum "dritten Standbein der Vereine" (Gladbachs Manager Rolf Rüssmann im Jahr 1991) mauserte
und heute zu einem kultigen Relikt vergangener Tage verblasst ist: das Hallen-Masters. Es war der
kürzeste Weg zu einem neuen Eintrag auf dem Briefkopf.
Von Anfang bis mindestens Mitte der 1990er-Jahre war es der Höhepunkt eines meist vier bis
sechswöchigen Hallen-Zyklus, der pünktlich mit dem Beginn der Winterpause startete und Ende Januar
mit dem finalen Turnier, das ab 1994 abwechselnd in Dortmund und München stattfand, endete.
Hallenfußball erwärmte kalte Winterferien und wurde über die Wochenenden zum Methadon von
Fußball-Fans in der gesamten Republik.
Die Vereine nahmen die Teilnahme ernst, die Stars zockten in ungewohnter Umgebung auf und waren für
die Zuschauer in der Halle nahbar. Auch die Stimmung riss mit und wurde manchmal sogar richtig
hitzig. Ganze Nachmittage konnte man vor dem TV-Gerät verbringen, zeitweise wurden vom DSF
und bei
RTL an beiden Tagen insgesamt acht Stunden Hallenfußball übertragen. Es fühlte sich an wie
ein
einmonatiger deutscher Boxing Day.
Vor allem in den 1980er-Jahren war der oft als "Budenzauber" angepriesene Hallenfußball immer mehr
auf dem Vormarsch. Die Bundesligisten nutzten ihn, um durch die lange Winterpause zu kommen und Geld
zu verdienen - die Einnahmen waren für damalige Verhältnisse nicht ohne.
Im Winter 1986/87 bescherten 13.000 Zuschauer in der ausverkauften Stadthalle Werder Bremen einen
Gewinn von rund 200.000 Mark. Zur Veranschaulichung: Bis dato war Bruno Pezzey mit einer Ablösesumme
von 675.000 Mark teuerster Bremer Neuzugang aller Zeiten.
Kritiker gab es dennoch von Anfang an. "Nie mehr wieder!", sagte der damalige wie heutige
BVB-Präsident Reinhard Rauball im Januar 1986. Nur 9500 Zuschauer waren Samstag und Sonntag in die
Dortmunder Westfalenhalle gekommen und da die Borussia nur Vierter wurde, kam kaum Stimmung auf. "Da
verspielt man Kredit. Wir machen kein Turnier mehr", täuschte sich Rauball.
Nachdem jedoch das Fernsehen immer häufiger Turniere aus ganz Deutschland übertrug und der
kicker
1987 seinen eigenen "Hallenmeister" kürte (Eintracht Frankfurt), entschied sich auch der DFB, ab
1988 einen eigenen Wettbewerb auszurufen - das Hallen-Masters war geboren. Sechs Mannschaften trugen
die erste Auflage in Frankfurt aus, zuvor wurde eine 18 Hallenturniere umfassende
Qualifikationsrunde gespielt. Wer an deren Ende die meisten "Wertigkeitspunkte" eingespielt hatte,
war mit dabei.
"Diese Regelung hat kein Schwein kapiert, aber jeder hat so getan, als würde er sie verstehen. Und
wenn sie mal jemand kapiert hatte, wurde sie wieder geändert", erinnert sich der seit 1980 beim
kicker angestellte Redakteur Frank Lussem an den kruden Modus. Ein Erklärungsversuch: Die
Qualifikationsturniere hatten eine unterschiedliche Wertigkeit. So passierte es, dass der VfL
Osnabrück 1988 nur bei einem Turnier mitspielte, dieses allerdings gewann und beim Masters dabei
war, da ein Sieg in Münster mehr Punkte gab als andernorts.
Das allererste Masters in Frankfurt jedoch geriet zur Überraschung aller zum Flop. Zehn
Bundesligisten sagten schon im Vorfeld ab und absolvierten lieber Trainingslager im Freien. An zwei
Turniertagen verkaufte der DFB für die 7850 Plätze fassende Festhalle lediglich 3816 Tickets - bei
Eintrittspreisen von bis zu 80 Mark wohl kein Wunder. Bayer Uerdingen gewann.
Im folgenden Jahr steuerte der Verband gegen und wertete das Endturnier deutlich auf. Fünf Vereine
waren 1989 beim Masters in Dortmund gesetzt: Titelverteidiger Uerdingen, der amtierende Deutsche
Meister Werder Bremen, der aktuelle Pokalsieger Eintracht Frankfurt, Publikumsmagnet Bayern München
und Gastgeber BVB. Um die restlichen nur drei Plätze kämpften in weiterhin 18 Turnieren ganze 25
Klubs.
Und das aus einem guten Grund: Auch das Preisgeld erhöhte der DFB. Der Sieger erhielt fortan 100.000
Mark, die Plätze zwei bis vier bekamen 75.000, 50.000 und 25.000 Mark überwiesen. Die Folge dieser
Neuerungen: Bereits Wochen vor dem Masters konnten 7000 Karten an den Mann gebracht werden. Sieger
wurde Meister Bremen.
Diese neuen Gegebenheiten verhalfen dem DFB fast aus dem Stand, das Masters extrem beliebt zu machen
und es fest im Fußballkalender zu etablieren. "Wir wollten aus dem Masters ein gesellschaftliches
Ereignis machen und ich glaube, wir haben es weiter perfektioniert", frohlockte Bayerns Manager Uli
Hoeneß. Auch in Dortmund war man wieder angetan vom Hallenfußball. "Das Masters hat sich etabliert,
ein totgeborenes Kind hat laufen gelernt", sagte Hoeneß' Widersacher Michael Meier.
Bereits 1991 kamen bei der dritten Auflage in Dortmund, die wie 1990 und 1992 der BVB gewinnen
sollte, 21.000 Fans in die Westfalenhalle. Gespielt wurde in der Regel bis zu zweimal 15 Minuten,
wobei keine Mannschaft länger als 180 Minuten pro Turniertag im Einsatz sein durfte. Auch der
Ehrgeiz wuchs: Hoeneß ordnete nach einer 1:5-Schlappe im Ligabetrieb gegen Gladbach an, "bis
Saisonende" nicht mehr zu verlieren - "auch beim Masters".
Hoeneß war gar so angetan, dass ihm selbst ein die Zuschauer zu lasch animierender Hallensprecher
die Zornesröte ins Gesicht trieb. Beim ersten Masters in München 1992 engagierte er für 2000 Mark
Gage den langjährigen Kommentator Werner Hansch, der bereits im Vorjahr in Dortmund am Mikrofon saß
und die Zuschauer durch lautes Fußtrampeln dazu brachte, für ordentlich Lärm zu sorgen.
Hanschs Darbietung jedoch taugte Hoeneß überhaupt nicht, für seinen Geschmack las er die
Aufstellungen und Torschützen zu bieder vor. "Nichts bringt der Hansch", regte sich Hoeneß auf. "Ich
habe das Gefühl, dass er parteiisch ist. Der kann den Dortmundern nicht in den Rücken fallen."
Die Stimmung war zu jener Zeit auch bei den Qualifikationsturnieren, für die sich die Vereine auf
freiwilliger Basis bewerben konnten, hervorragend. Die Hallen waren sehr gut besucht, was neben der
Teilnahme etablierter Bundesligaklubs auch an einer Mischung aus Lokalkolorit und Exotik lag.
So nahmen regelmäßig Amateurmannschaften und Vereine aus dem Ausland teil - und das durchaus
erfolgreich. Ein Auszug: 1993 gewann Bröndby IF das Turnier in Bayreuth, Sigma Olmütz jenes in
Rostock und Spartak Moskau siegte in Hamburg und Dortmund. 1994 dribbelte Ghanas U23-Nationalelf in
Stuttgart auf. Die kurioseste Geschichte lieferte aber Rewas Arweladse.
Der georgische Stürmer gewann mit Dinamo Tiflis das Finale gegen Gastgeber 1. FC Köln mit 10:3 und
wurde Torschützenkönig. "Die Georgier haben wirklich gezaubert und uns schön hergespielt", sagt der
zweimalige Masters-Sieger und ehemalige Kölner Karsten Baumann im Gespräch mit SPOX und
Goal. "Ich
weiß noch, dass die Spieler von Tiflis ihre Frauen dabei hatten, die dann während des Turniers
offensichtlich zum Shoppen in die Stadt gingen. Jedenfalls kamen sie irgendwann zurück und
präsentierten ihren Männern ihre prallgefüllten Einkaufstaschen."
Der FC war von Arweladses Leistungen dermaßen angetan, dass man sich entschied, den Angreifer
spontan für die Rückrunde 1993/94 zu verpflichten. Das verhalf dem Klub beinahe zum Masters-Sieg, im
Finale in Dortmund war Bayer Leverkusen aber zu stark. Neu-Kölner Arweladse wurde trotzdem mit
sieben Treffern Torschützenkönig und von den Journalisten zum Spieler des Turniers gewählt, was ihm
eine zusätzliche Prämie von 6000 Mark bescherte.
Arweladses Problem: "Draußen konnte er sich nicht durchsetzen", sagt Baumann. "Es war nicht sein
Ding, wenn es mal zur Sache ging. Die Zeit im Westen Europas hat ihm auch zugesetzt. Er war etwas
überfordert von allen Eindrücken und hat das Leben genossen, anstatt sich auf den Fußball zu
konzentrieren." Nach sieben Pflichtspielen und einem Tor verkauften ihn die Kölner bereits ein
halbes Jahr später.
Den besten Auftritt eines unterklassigen Klubs legte hingegen 1996 der Viertligist FV Bad Vilbel aus
der Oberliga Hessen hin. Beim prominent besetzten Turnier in Frankfurt, für das man sich als
Gewinner eines Amateurturniers qualifizierte, wurde Bad Vilbel sensationeller Dritter. Direkt im
Auftaktspiel fegte man Fenerbahce mit 5:1 aus der Halle, im Spiel um Platz drei bezwang man den VfB
Stuttgart im Neunmeterschießen. Keeper Holger Zimmer wurde daraufhin zum besten Torhüter des
Turniers gewählt. Sein Preis: Ein Lufthansa-Wochenendflug für zwei Personen nach New York im Wert
von 2000 Mark.
Obwohl das Prozedere in der Halle so erfolgreich war, geriet es fast zu einem Markenzeichen, dass
daran immer wieder Nuancen verändert wurden. Bereits 1994 reformierte man die Qualifikation zum
Masters, nur noch acht Turniere wurden berücksichtigt. Auswirkungen auf den Boom hatte das nicht:
2,7 Millionen Mark Umsatz generierten die beiden ausverkauften und von Premiere im Pay-TV
übertragenen Tage in der Westfalenhalle, was eine 30-prozentige Steigerung gegenüber dem Vorjahr
bedeutete. In den Wochen der deutschlandweiten Hallenturniere wurden sogar rund zehn Millionen Mark
erspielt. 7,13 Tore sahen die Zuschauer pro Partie. 130 Journalisten berichteten aus Dortmund, der
kicker widmete dem Masters seine ersten neun Seiten.
Trotz der Erfolgsstory entbrannte nebenbei eine Diskussion zwischen Verfechtern und Kritikern des
Budenzaubers, die ständig schwelte und auch nie wirklich ein Ende fand. Erich Ribbeck, in den
1990er-Jahren Trainer beim FC Bayern und in Leverkusen, ging mit seinem Plan für eine
Hallen-Bundesliga bei
den Medien regelrecht hausieren.
Sein Wunsch: An drei Wochenenden sollten in drei verschiedenen Städten im Norden, Westen und Süden
Turniere mit jeweils acht Teams, darunter sechs Bundesligaklubs, ausgetragen werden. In der Tabelle
der Hallen-Bundesliga wären nach Ribbecks Vorstellungen jedoch ausschließlich die Ergebnisse der
Erstliga-Vereine untereinander berücksichtigt worden. Die besten sechs oder acht Mannschaften
qualifizieren sich dann fürs Masters, das Ribbeck wie das DFB-Pokal-Finale in Berlin ausgetragen
haben wollte. Seine Ideen stießen bei der Mehrheit allerdings auf taube Ohren, gerade die
Freiwilligkeit der Hallenturniere hielten viele Klubs für unantastbar.
Was selbst keiner der Kritiker bestritt, war der Wert des Masters als "Oase der Geselligkeit", wie
es BVB-Präsident Dr. Gerd Niebaum einmal ausdrückte. Dort rückten die Profiklubs zusammen, die
entspannte Atmosphäre hatte etwas von einem Klassentreffen und ließ eine im Alltag nicht mögliche
Kommunikation zwischen den Vereinsverantwortlichen zu.
"Es gab ganz viel Austausch zwischen den Vereinsverantwortlichen und Trainerkollegen. Da reichte es
auch, mal in irgendeiner Ecke zusammen zu stehen und zu quatschen", sagt Volker Finke, damals
Trainer beim SC Freiburg, im Gespräch mit SPOX und Goal. "Ich weiß noch, wie Ralf
Rangnick und ich
beim Turnier in Stuttgart einmal ganz intensiv geredet haben. Da ging es auch darum, dass er sofort
dem Ruf des VfB gefolgt war und dort unterschrieben hatte, nachdem er mit Ulm aufgestiegen war. Das
war immer richtig schön, ein tolles Miteinander."
Dieses wirkte sich nicht nur in persönlich-geschäftlicher, sondern auch in journalistischer Hinsicht
positiv aus: "Die Protagonisten waren sehr viel redseliger als im Alltag. Alles war ganz nah, das
ist heute unvorstellbar. Es war ein El Dorado für uns Journalisten", sagt kicker-Redakteur
Lussem.
"Du konntest durch die Hotellobby gehen und trafst in einer Viertelstunde zehn Leute, die du schon
lange nicht mehr gesehen hattest oder die dir schon immer mal etwas erzählen wollten. Es war nicht
uninteressant zu beobachten, wer wem aus dem Weg ging und wer wen umarmte."
Auch unter den Spielern verbrüderte man sich: "Es gab Räumlichkeiten für uns Profis, um zwischen den
Partien etwas zu essen oder zu trinken. Da hat man sich dann auch mit den Jungs der anderen Vereine
an einen Tisch gesetzt und mehrfach festgestellt, dass der Typ, der dir sonst auf dem Feld immer so
blöd kam, ja doch ganz nett ist", erzählt Baumann.
Außerhalb der Halle half es, dass die Mehrzahl der Vereine während des Masters-Wochenendes im selben
Hotel untergebracht war. Dort lud der DFB am Samstagabend zur schwer beliebten Players Party mit
rund 440 Spielern und Funktionären. "Das war immer das große Highlight. Da wurden schön ein paar
Bierchen getrunken und viel Mist erzählt", sagt mit Dariusz Wosz einer der besten Hallenspieler
jener Zeit im Gespräch mit SPOX und Goal.
"Die Trainer haben dann auch nicht auf die Uhr geschaut. Ich sage mal so: Da hat man die Spieler
auch mal wie Erwachsene behandelt und ihnen freien Lauf gelassen", sagt Baumann. "Wir haben oft mit
Spielern anderer Mannschaften auf den Zimmern Karten gespielt und weiter getrunken." Problematisch
war das selbst in heiklen Momenten nicht: "Einmal klopfte es um 1 Uhr an der Tür. Wir guckten durchs
Schlüsselloch, sahen unseren Manager Bernd Cullmann und dachten: Scheiße, jetzt gibt's Ärger. Doch
der kam rein und fragte nur, ob wir noch was zu trinken haben", erinnert sich Baumann, der das
Masters 1993 mit Köln und 1999 mit Dortmund gewann.
Auch Lussem weiß davon zu berichten, dass nicht nur die Spieler den Samstagabend genossen: "Ich war
mal mit Ottmar Hitzfeld und Kollegen in einem angesagten Club in Dortmund unterwegs. Ich wusste
zuvor gar nicht, dass es so etwas in Dortmund überhaupt gibt. (lacht) Sonntagmorgen gab es immer
dicke Augen."
Mit der Zeit verlagerte sich das Party-Geschehen aber immer schneller weg vom offiziellen Termin. Es
kam gar so weit, dass der DFB Konsequenzen zog und die Veranstaltung nicht mehr ansetzte, "weil sich
in den letzten Jahren - in Dortmund wie in München - viele der beteiligten Spieler früh aus dem
Staub machten und auf eigene Faust auf Diskotheken-Tour gegangen sind", wie der kicker
schrieb.
"Nur die Players-Party mitzunehmen, wäre ja langweilig gewesen", sagt Wosz. "Meistens wurde sich
dort warm getrunken und dann zogen wir weiter zum Absacker. Es hat keinen interessiert, was der
Trainer in Sachen Bettruhe angeordnet hatte und ob am nächsten Tag wieder gespielt werden musste. Da
sind trotzdem einige ziemlich steil gegangen und erst um 4 oder 5 Uhr nach Hause gekommen. Wenn man
sich nicht erwischen ließ, war ja alles okay."
Auch anderen Protagonisten fällt beim Stichwort Masters in erster Linie die Zeit zwischen den beiden
Spieltagen ein. "Abends war Halligalli und am nächsten Mittag stand man halt wieder in der Halle und
hat gekickt. Das war weit entfernt von professionellem Verhalten", sagt der langjährige HSV-Torhüter
Richard Golz zu SPOX und Goal. "Deswegen haben sich auch alle immer darauf gefreut, da
waren
wirklich alle Spieler gerne dabei. Zu später Stunde hat man sich hier und da in der Innenstadt auch
wieder getroffen. Einige Spezialisten waren damals ganz stark unterwegs."
Apropos Spezialisten: Diese gab es freilich nicht nur am Glas, auch auf den Hallenböden entpuppten
sich einige Akteure als beachtliche Könner. Bochums Wosz, Gladbachs Peter Wynhoff oder Mario Basler
vom SV Werder waren nicht nur im Freien Leistungsträger, sondern glänzten auch Jahr für Jahr in der
Halle.
Der Hallenfußball konnte zudem den Blick auf manche Spieler oder gleich ganze Karrieren verändern.
So bekam Dortmunds Vladimir But, überragender BVB-Akteur beim Masters-Sieg 1999 und mit vier Buden
Torschützenkönig, draußen kaum ein Bein auf den Boden, unterm Dach aber zeigte sich sein oft
beschworenes Potenzial - Arweladse lässt grüßen.
Hasan Salihamidzic dagegen schaffte dank starker Leistungen bei der Hallenrunde 1996 mit 19 Jahren
beim HSV den Durchbruch. "Hasan kennt auf dem Platz keine Freunde und scheut auch Theater mit
gestandenen Profis nicht", bilanzierte Hamburgs Trainer Felix Magath anschließend und setzte Brazzo
ab der Rückrunde regelmäßig bei den Profis ein.
"1996 standen wir im Finale in Dortmund gegen 1860 München und bekamen einen Siebenmeter", erinnert
sich Salihamidzics damaliger HSV-Mitspieler Jörg Albertz bei SPOX und Goal.
"Normalerweise habe ich
immer geschossen, doch da Hasan noch Torschützenkönig werden konnte, habe ich ihm das Ding
überlassen. Er hat aber versemmelt und das Endspiel ging schließlich auch 3:6 verloren. Magath war
stinksauer - aber auf mich, weil ich die Last auf Hasans Schulter übertragen hatte."
Ein weiteres Hallen-Phänomen waren die sogenannten fliegenden Torhüter. Da es ab 1992 nicht mehr
erlaubt war, als Keeper den Strafraum zu verlassen, behalfen sich die Klubs damit, bei Ballbesitz
sofort einen im Torwarttrikot gekleideten Feldspieler als spielenden Torhüter einzuwechseln. Dieser
durfte dann auch außerhalb des Strafraums agieren.
Besonders Basler brillierte in dieser Rolle. Beim Heimturnier 1995 in Bremen verhalf er Werder vor
6000 Zuschauern im Endspiel gegen Leverkusen Sekunden vor Schluss ins dann auch siegreiche
Neunmeterschießen. Vor seinem Tor fing er einen Querpass im Strafraum ab, rannte über das gesamte
Feld und versenkte. Einer der Vorreiter war Dortmunds Steffen Karl, der bereits 1991 als fliegender
Torwart vier Treffer zum Masters-Sieg beisteuerte.
Wiederum gab es Profis, die im echten Leben zwischen den Pfosten standen, sich in der Halle jedoch
als Feldspieler verdingten. Neben Hamburgs Golz tat dies allen voran Jörg Schmadtke, heute
Geschäftsführer Sport beim VfL Wolfsburg. Schmadtkes Karriere begann einst im Feld, im Mai 1996 ließ
ihn Freiburg-Coach Finke beim Auswärtsspiel in Dortmund sogar 16 Minuten als Stürmer spielen - und
Schmadtke bereitete prompt das Tor zum 2:3-Endstand vor.
Dass er heute nicht mehr über seine Zeit als Hallenfeldspieler sprechen will und eine entsprechende
Anfrage von SPOX und Goal ablehnte, sorgt bei Finke am Telefon für lautes Gelächter.
"Jörgs Einsätze
auf dem Feld hatten auch damit zu tun, dass die Rückpassregeländerung die Komplexität der
Anforderungen an Torhüter grundsätzlich verändert hat", klärt Finke auf, der 16 Jahre lang ohne
Unterbrechung im Breisgau tätig war und damit Rekordhalter im deutschen Profifußball ist. "Es wurde
wichtiger, dass man mit der Mehrzahl an Rückpässen auch etwas anfangen konnte. Der Torwart war als
Kombinationsspieler gefragt. Ich habe Jörg auch in vielen Freundschaftsspielen eine Halbzeit lang
als Mittelstürmer eingesetzt. Er konnte die Bälle mit dem Rücken zum Gegner ganz gut festmachen."
Mitten in der Hochphase des Hallenfußballs sorgte im Januar 1994 ein trauriger Zwischenfall für
kurzzeitige Ernüchterung bei den Verantwortlichen. Beim Qualifikationsturnier in Stuttgart verübte
eine 28 Jahre alte, taubstumme Täterin ein Attentat auf den Hamburger Vertragsamateur Oliver Möller,
als dieser sich gerade auf der Tribüne der Hanns-Martin-Schleyer-Halle das erste Halbfinalspiel
ansah. Dem 25-Jährigen wurde mit einem 20 Zentimeter langen Klappmesser das Zwerchfell durchstoßen.
Das Messer drang rund elf Zentimeter von hinten in Möllers rechte Flanke ein und verletzte Lunge und
Leber.
"Das war eine gruselige Geschichte, ich saß eine Reihe unter ihm", sagt Torhüter Golz. "In dem
Moment, als es passierte, hat es eigentlich keiner so richtig mitbekommen. Ich habe nur gehört, wie
Oliver sagte: Was soll das denn? Danach ist er aufgestanden und weggegangen, ich glaube in die
Kabine. Wir alle wussten in dem Moment nicht, was da passiert ist."
Zum Glück wurde der Defensivspieler von der Attentäterin, die aus Geltungssucht zustach und von
einem Zuschauer überwältigt wurde, nicht lebensgefährlich verletzt. "Das Gefühl kennt man nicht, man
ist wie vom Blitz getroffen", sagte Möller, der zwei Monate später wieder auf dem Feld stand, im
Spiegel. "Ich drehte mich um und sah die Frau. Das Messer steckte in mir. Im Reflex habe ich
es wohl
herausgezogen und fallen lassen."
Möller, der zuletzt als Bankkaufmann in Litauen arbeitete, hat nach eigener Aussage keine
Langzeitfolgen davongetragen. Im Anschluss an das Turnier debattierte Fußball-Deutschland dennoch,
wie man die Profis trotz des lockeren Zugangs, der fest zum Charme der Turniere gehörte, besser
schützen könne.
Leverkusens Trainer Dragoslav Stepanovic erschien kurz darauf beim Turnier in Berlin mit zwei
Bodyguards. "Es ist ein Wunder, dass nicht schon vorher etwas passiert ist", sagte Bremen-Profi
Manfred Bockenfeld im kicker, wollte aber dennoch nicht auf seinen Platz zwischen den
Zuschauern
verzichten: "Das gehört einfach dazu."
In der Tat fand keinerlei Verschärfung der Bedingungen statt, das Attentat wurde rasch als
einmaliger Vorfall abgetan. "Ich brauche keine Bodyguards", ließ Franz Beckenbauer in
charakteristischer Manier wissen und auch Hoeneß tätigte eine typische Aussage: "Ich bin ein totaler
Gegner von mehr Sicherheit. Das ist kein Problem des Fußballs, sondern der Gesellschaft."
Für andere bekannte Gesichter war das ohnehin kein Thema, sie konnten dem Hallenfußball aus
unterschiedlichen Gründen nichts abgewinnen. Als "bescheuert" stempelte Jürgen Klinsmann vom VfB ihn
ab. Einige hochkarätige Profis wurden von ihren Trainern regelmäßig geschont, andere kamen mit den
Bedingungen in der Halle nicht zurecht, manche hatten Angst vor Verletzungen. Beim VfL Bochum
meldete sich 1990 niemand, als Trainer Reinhard Saftig nach Freiwilligen für das Masters
suchte.
Umso unvorstellbarer aus heutiger Sicht ist es daher, dass selbst prominente Neuverpflichtungen
einst ihr Debüt in der Halle gaben. Exemplarisch dafür steht der BVB: Matthias Sammers Rückkehr nach
Deutschland geriet zum Politikum, nachdem sein Ex-Klub Stuttgart falsche Summen hinsichtlich Sammers
Gehalt lancierte und er in der Öffentlichkeit als geldgierig abgestempelt wurde.
Der Rotschopf, der für stolze acht Millionen Mark von Inter Mailand zur Borussia wechselte und dort
ein einst schwindelerregendes Brutto-Jahresgehalt von einer Million Mark einstrich, wurde bei seinem
ersten Auftritt beim Masters 1993 von der ganzen Münchner Olympiahalle ausgepfiffen. "Ich bin doch
gar nicht anders als die anderen Spieler. Die Pfiffe taten weh. Aber ich beziehe sie nicht auf mich
als Matthias Sammer, sondern auf mich als Borusse", sagte er anschließend - Torschützenkönig wurde
Sammer zusammen mit Bruno Labbadia dennoch (sieben Tore).
Acht Jahre später in Dortmund waren die Summen andere. Damals erhielten die am Masters teilnehmenden
Klubs 200.000 Mark Startgeld, doch das erschien angesichts der höchsten Ablöse im deutschen Fußball
winzig. Für 14,5 Millionen Euro war Tomas Rosicky zur Borussia gekommen und sagte: "Mir wird ganz
schlecht, wenn ich höre, dass ich so viel Geld koste."
BVB-Trainer Sammer ordnete trotzdem sein Debüt in der Halle an, was ein enormes Blitzlichtgewitter
nach sich zog. Nach jeder Partie wurde der mit einem Interviewverbot belegte Rosicky von
Pressesprecher Josef Schneck abgeschirmt in die Kabinen gebracht. "Nachdem in den letzten Tagen nur
noch über Geld und nicht mehr über Sport geredet wurde, war es gut, dass Rosicky sein Debüt bei
einem Hallenturnier gab, wo der Spaß im Vordergrund stand", begründete Dortmunds Manager Michael
Zorc.
Einen kleinen Vorgeschmack auf sein Können lieferte der Tscheche immerhin: Erst Rosickys Siegreffer
gegen den FC St. Pauli in den Schlusssekunden bescherte Sammers Team den Einzug ins Viertelfinale.
"Es war sehr turbulent", wurde der von seinen Gegenspielern ordentlich traktierte Rosicky
anschließend zitiert.
Was der Mittelfelddirigent damals im Januar 2001 noch nicht ahnen konnte: Es wurde der letzte
Auftritt von Borussia Dortmund bei einem Masters, da der DFB den Wettbewerb nach dieser Auflage
einstellte. Es war die folgerichtige Konsequenz einer schleichenden Entwicklung seit Mitte der
Neunziger. Der Hallen-Boom nahm aufgrund verkürzter Winterpausen, aufgeblähter Spielkalender,
zunehmender Belastung und einem gewissen Vermarktungszwang für die Vereine immer mehr ab. Auch das
Zuschauerinteresse sank.
Bereits 1995 wurde eine Tendenz "weg von Zauberei und Torreigen, hin zu mehr Taktik und torärmeren
Spielen" vom kicker kritisiert. Ein Jahr, nachdem 1997 mit dem 1. FC Kaiserslautern erstmals
ein
Zweitligist das Masters gewann, veränderte man zunächst erneut das Qualifikationsprozedere. Alle
Bundesligisten sowie ausgewählte Amateurvereine spielten nur noch ein Qualifikationsturnier, den
dort besten Teams war die Teilnahme beim Masters vorbehalten. "Ich habe darauf keinen Bock mehr,"
sagte damals schon Bayerns Mehmet Scholl. 1860-Coach Werner Lorant wurde noch deutlicher: "Wir
werden schon verhindern, dass wir weiterkommen."
Im Jahr 2000 ereignete sich eine letzte Masters-Geschichte aus der Reihe: Neun Tage nach seiner
Verpflichtung setzte Borussia Mönchengladbach Quido Lanzaat für fünf Minuten im Finale gegen
Greuther Fürth ein, doch da der Niederländer an Silvester in Amsterdam zwei Haschisch-Joints
rauchte, war er beim 3:2-Erfolg der Fohlen nachweislich gedopt. Das DFB-Bundesgericht gab
schließlich einem Einspruch der Fürther gegen die Wertung des Endspiels statt, mit einem 2:0 wurde
den Franken der Sieg am grünen Tisch zugesprochen. Für drei Monate zog man Lanzaat aus dem Verkehr.
Zur selben Zeit bezeichnete Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld den Kick in der Halle als nicht mehr
zeitgemäß: "Hallenfußball wird keine Zukunft mehr haben." Beim finalen Masters in München trieb
Hitzfeld sein Desinteresse auf die Spitze: Er schickte eine bessere A-Jugend zum Turnier, ließ sich
von Co-Trainer Michael Henke vertreten und weilte mit seiner ersten Garde selbst bei Testspielen im
Süden Spaniens. Bayern-Profi Thorsten Fink antwortete einem Autogrammjäger auf die Frage, welcher
Spieler denn sonst überhaupt noch bekannt sei, mit: "Der Wiesinger vielleicht?"
Das eigene Publikum pfiff den FC Bayern daraufhin lautstark aus, nach zwei Pleiten in der
Gruppenphase war der Rekordmeister, der keines der 14 Masters-Turniere für sich entscheiden konnte,
ausgeschieden. Ligasekretär Straub war schwer enttäuscht: "Der Hallenfußball ist schließlich keine
Vorgabe des DFB, sondern wurde von den Managern der Vereine beschlossen. Die Aussagen von Stuttgarts
Trainer Ralf Rangnick und Bayern-Coach Ottmar Hitzfeld im Vorfeld waren schädigend für das Image!
Die Fans haben den Anspruch, die Stars zu sehen. Dies ist sträflich vernachlässigt worden. So können
wir das nicht hinnehmen."
Beide Trainer hatten angekündigt, angesichts von nur knapp 40 Tagen Winterpause auf ihre
Stammspieler zu verzichten. "Wenn die Leute Stars sehen wollen, müssen sie bis Bundesligabeginn
warten", polterte Rangnick. Auch Henke gab zu: "Wenn wir nicht hätten kommen müssen, hätten wir wohl
ganz verzichtet." Harald Strutz, Vizepräsident des neu gegründeten Liga-Verbandes, war angefressen:
"Ich bin schockiert. Die Bayern sind hier mit einer A-Jugend-Truppe aufgelaufen. Jedes Team sollte
mindestens vier, fünf namhafte Profis aufbieten. Das muss trotz Terminnot möglich sein", forderte
der Vereinsboss des 1. FSV Mainz 05 - allerdings vergeblich.
"Es war ein langsames, aber deutliches Sterben", bilanziert kicker-Mann Lussem. "Die Vereine
weigerten sich immer mehr, mit ihren Top-Spielern aufzulaufen. Letztlich ist es dem ausufernden
Terminplan zum Opfer gefallen. Das war gerade für viele Zweitligisten schade, da ihnen der
Hallenfußball über den Hunger-Winter geholfen hat. Damals war das ja noch eine Menge Kohle."
Als letzter offizieller deutscher Hallenmeister trug sich 2001, die DFL war nun ebenfalls
Mitveranstalter, Erstligist Unterhaching in die Geschichtsbücher ein. Bis heute ist es der einzige
bundesweite Titel für die Spielvereinigung.
Gänzlich ausgerottet ist der Hallenfußball freilich nicht. Es dauerte bis zur Winterpause 2015/16,
ehe erstmals kein Bundesligist ein Hallenturnier absolvierte. Nicht nur in Nordrhein-Westfalen oder
im Osten Deutschlands gehören zudem jährliche Stadtmeisterschaften weiterhin zu den Highlights des
Winters. Zwischen 2013 und 2018 war beispielsweise das Oldie Masters in Chemnitz nicht nur gut
besucht, sondern mit Akteuren wie Michael Ballack, Bernd Schneider, Jan Koller, Krassimir Balakov
oder Fredi Bobic auch hochkarätig besetzt.
Auch das AOK-Traditionsmasters, das in der Max-Schmeling-Halle in Berlin ausgetragen wird und als
Europas größtes Fußball-Hallenturnier gilt, erfreut sich ungebrochener Beliebtheit. Dies hat
sicherlich vielfältige Gründe - gewiss gehören die nostalgischen Gefühle dazu, die diese
Reminiszenzen an vergangene Zeiten bei den Zuschauern auslösen.