DER SUPER BOWL

Das größte Einzelsport-Event der Welt wirft wieder seine Schatten voraus: Der Super Bowl (Sonntag, live auf DAZN) steht bevor! Über die Jahre hat der Super Bowl Geschichten, Dramen und Helden am Fließband produziert. Dabei entstand er aus einer bedrohlichen Lage heraus, entwickelte sich anschließend aber schnell zu einem nationalen Feiertag. Eine SPOX-Reise durch die Geschichte.

Die NFL-Playoffs sind in ihrer Dramatik und in dem alljährlichen Irrsinn, den sie produzieren, kaum zu toppen. Kein Hin- und Rückspiel, keine Best-of-Seven-Serie. Keine Chance, einen schlechten Tag zu haben, keine Möglichkeit, einen Ausrutscher zu korrigieren.

Do or Die!

Das produziert Jahr für Jahr Erlebnisse, die für Gänsehaut sorgen - für aktuellste Beispiele muss man nicht weiter zurückgehen, als bis zum wahnsinnigen Finish in der diesjährigen Divisional Round zwischen den Minnesota Vikings und den New Orleans Saints: Der Touchdown von Stefon Diggs bei auslaufender Uhr, welcher Minnesota ins Conference Championship Game brachte, stürzte ein komplettes Fan-Lager in blinde Ekstase.

Diese Momente sind keine Ausnahme, wenn tatsächlich fast jeder jeden schlagen kann. Der Super Bowl ist dabei natürlich die Krönung. Wenn es im größten Spiel um alles geht, kann jeder Moment zum dramatischen Wendepunkt werden. Jedes Play wiegt plötzlich schwer, jede Entscheidung vor und während des Spiels wird auf die Goldwaage gelegt.

Gewissermaßen war das schon immer so, auch als der Super Bowl noch gar nicht Super Bowl hieß. Als die Liga noch keine 32 Teams hatte, als es sie in der heutigen Form noch gar nicht gab.

Der Super Bowl ist gemacht für Drama und Spektakel - in jederlei Hinsicht. Und während sich Letzteres über die Jahre deutlich verändert hat, darf man sich auf Ersteres meist zumindest auf die eine oder andere Weise freuen.

Vor Super Bowl LII lädt SPOX auf eine Reise durch die Geschichte ein, mit einigen der denkwürdigsten Super Bowls als Wegweiser.

SUPER BOWL I

Green Bay Packers - Kansas City Chiefs 35:10, 15. Januar 1967

"Ich bin in keiner guten Verfassung"

Wer sich den Super Bowl heutzutage anschaut, der sieht vor allem eines: ein riesiges, minutiös durchgeplantes Mega-Event. Opulente Halftime-Show, Werbeclips, die fünf Millionen Dollar für 30 Sekunden kosten und ein Medienzirkus vor, während und nach dem Spiel, der seinesgleichen sucht. Die NFL ist der unangefochtene Sport-König in den USA, zumindest aktuell ohne echte Konkurrenz, wenn es um Fernseh- und Werbedeals, TV-Ratings und dergleichen geht.

Das war selbstverständlich nicht immer so, ganz im Gegenteil: Nachdem die Liga im frühen 20. Jahrhundert erst gegen ihre Abschaffung ob des hohen Maßes an Brutalität - es hatte mehrere Todesfälle auf dem Platz gegeben - und dann gegen den College-Football gekämpft hatte, musste sie sich auch in den 60er Jahren noch gegen Konkurrenten aus der eigenen Sportart zur Wehr setzen.

Der hartnäckigste Widersacher war die AFL. Nachdem mehrere Alternativ-Ligen gescheitert waren, manifestierte sich die AFL als ernsthafte Bedrohung für die NFL. Spieler, die in der NFL - aus welchen Gründen auch immer - keinen Platz fanden, erhielten in der AFL eine Chance und es dauerte nicht lange, bis die AFL die NFL diverse Male in ein Wettbieten um die besten College-Spieler verwickelte.

Die Situation eskalierte in den späten 60er Jahren, als gegen ein bis dahin eingehaltenes Agreement verstoßen wurde: Die New York Giants aus der NFL verpflichteten Kicker Pete Gogolak, der einen gültigen Vertrag mit dem AFL-Team Buffalo Bills hatte - ein Eklat! Prompt begannen finanzielle Muskelspiele und die AFL-Teams versuchten, möglichst viele Top-Spieler aus der NFL loszueisen.

Eine Lösung musste her. Man fand sie im Zusammenschluss.

Die NFL hatte mehrere hoffnungsvolle Konkurrenten rapide untergehen lassen - zu dominant war die Position im TV-Markt, zu etabliert die Position, wenn es darum ging, die besten College-Spieler zu verpflichten. Die aggressive Vorgehensweise der AFL änderte das und spätestens, als es den New York Jets gelang, College-Superstar Joe Namath mit dem damals teuersten Vertrag der Pro-Football-Geschichte zu verpflichten, wurde die Lage für die NFL ernst.

NBC half mit einem millionenschweren TV-Deal weiter nach und so war ein echter Konkurrent endgültig auf der Bühne. Die NFL erkannte das und ging offen mit der Situation um. Mitte der 60er Jahre wurden Gespräche gestartet, um einen Zusammenschluss zu ermöglichen - ohne das Wissen von AFL-Commissioner Al Davis, der an einem solchen Zusammenschluss überhaupt kein Interesse hatte.

So liefen die Gespräche anfangs noch geheim ab, es wurde vorgefühlt, ob die AFL-Teambesitzer an einer Vereinigung Interesse hätten - bis man sich schließlich einigen konnte. Im Juni 1966 wurde der Zusammenschluss verkündet: Beide Ligen formten zunächst eine Liga mit 24 Teams, die im Laufe der 70er Jahre auf 28 Teams ausgebaut werden sollte. Das ebnete den Weg für die Gründung der New Orleans Saints, der Cincinnati Bengals, der Seattle Seahawks und der Tampa Bay Buccaneers.

Ab 1970 sollte der Liga-Betrieb tatsächlich zusammengeführt werden, wenngleich die beiden Conferences bestehen bleiben würden. Beide Seiten einigten sich, maßgeblich vorangetrieben durch NFL-Commissioner Pete Rozelle, darauf, schon ab Januar 1967 im "AFL-NFL World Championship Game" den jährlichen Champion auszuspielen. Es war die Geburt des Super Bowls.

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Das erste Endspiel zwischen den beiden Ligen brachte so naturgemäß jede Menge Emotionen mit sich. Die NFL setzte Packers-Coach Vince Lombardi gehörig unter Druck, ein Sieg gegen den noch immer ungeliebten künftigen Partner sollte es schon sein. Die AFL auf der anderen Seite wollte durch die Chiefs zeigen, dass sie sportlich sehr wohl mit der mächtigen NFL mithalten kann.

Und so war die Spannung im Memorial Coliseum in Los Angeles förmlich greifbar. Berichte von Spielern, die sich im Bauch des Stadions auf dem Weg Richtung Platz übergeben mussten, halten sich bis heute.

Packers-Receiver Max McGee hatte seine ganz eigene Art, mit der Situation umzugehen: McGee hatte am Vorabend des Spiels so heftig gefeiert, dass er erst im Morgengrauen ins Hotel zurückkam. Als Ersatzmann hinter Boyd Dowler ging er davon aus, dass er ohnehin nicht zum Einsatz kommen würde. Er raunte Dowler vor der Partie dementsprechend völlig verkatert zu: "Ich hoffe, dass du dich nicht verletzt. Ich bin in keiner guten Verfassung." 

Es passierte, was passieren musste: Dowler verletzte sich früh an der Schulter und McGee - der in kompletter Umnachtung nicht einmal seinen eigenen Helm dabei hatte und spontan den eines Mitspielers anziehen musste - war plötzlich gefordert.

Es sollte ein legendärer Auftritt werden.

McGee fing sieben Pässe für 138 Yards und zwei Touchdowns, darunter der erste Super-Bowl-Touchdown aller Zeiten - fast obszöne Zahlen, in einer Zeit, in der 13 von 24 Teams im Schnitt unter 190 Passing-Yards pro Spiel verzeichneten. Für McGee persönlich war es nahezu die Verdopplung der eigenen Saison-Ausbeute (4 Catches).

Die Packers zogen in der zweiten Hälfte davon, angefeuert durch einen 50-Yard-Interception-Return von All-Pro Safety Willie Wood und meisterhaft dirigiert durch Lombardi sowie Quarterback Bart Starr. Die Siegprämie betrug 15.000 Dollar pro Spieler, die Chiefs durften sich mit jeweils 7.500 Dollar trösten.

Die 15.000 Dollar waren zwar eine Rekord-Prämie für einen Team-Sport, doch wie groß das Spiel selbst einmal werden sollte, ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand.

SUPER BOWL III

New York Jets - Baltimore Colts 16:7, 12. Januar 1969

"Ich garantiere es"

Wenige Super-Bowl-Zitate haben dem Zahn der Zeit so widerstehen können wie Joe Namaths Versprechen an die Fans der Jets und an die Baltimore Colts. “Wir werden gewinnen. Ich garantiere es”, gab Broadway Joe im Vorfeld der Partie zu Protokoll. Überflüssig zu erwähnen, dass New Yorks Zeitungen diese Garantie zum großen Aufmacher machten - wo sie am nächsten Morgen auch der stocksaure Jets-Coach Weeb Ewbank entdeckte.

Man könnte es als die kampflustige Aussage eines noch jungen Quarterbacks abtun, doch hatte die Aussage im Bild der Zeit ein ganz anderes Gewicht. Der Zusammenschluss der NFL und der AFL war noch nicht vollzogen, die Packers hatten nach dem ersten auch das zweite AFL-NFL Championship Game für sich entschieden und in der Öffentlichkeit hielten sich die Zweifel daran, dass die AFL nach dem Zusammenschluss tatsächlich mit den NFL-Teams mithalten können würde. Das galt auch für das Duell der Jets gegen die Colts, Letztere gingen als haushohe Favoriten in das Spiel.

Selbst der stets laute Namath ahnte, dass er damit einen potentiellen Sturm losgetreten hatte. So bat er Cornerback und Defense-Kapitän Johnny Sample auf sein Zimmer. Der berichtete später: "Joe verriet mir, dass er etwas gesagt hatte, das am nächsten Tag überall in den Medien zu lesen sein würde. Als ich ihn fragte, was um alles in der Welt er gesagt hatte, enthüllte er mir seine Garantie. Ich antwortete nur: 'Mann, das hast du nicht gesagt.'"

Namath wusste, dass es jetzt keinen Weg zurück mehr gab und so verteidigte er seine Aussage gegenüber den Medienvertretern, während er entspannt im Team-Hotel am Pool lag. Mehr noch - Broadway Joe packte noch eine Schippe drauf: Es gebe, teilte Namath den Reportern mit, in der AFL "fünf oder sechs bessere Quarterbacks" als Colts-QB Earl Morrall.

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Der Knackpunkt dabei: Er hielt Wort. Mit schnellen Pässen bestrafte Namath, der viele Plays direkt an der Line of Scrimmage ansagte, die aggressive Colts-Defense, die zuvor mit ihren Blitz-Paketen NFL-Offenses das Fürchten gelehrt und ihren Teil zum 34:0-Erfolg über die Browns zwei Wochen davor beigetragen hatte. Vor allem aber konnte er sich auf seine Defense verlassen, die drei Morrall-Pässe abfing und einen Quarterback-Tausch forcierte.

Der 35-jährige legendäre Johnny Unitas, den hartnäckige Probleme am Wurfarm für den Großteil der Saison in die Zuschauerrolle gezwungen hatten, ersetzte Morrall spät im dritten Viertel und brachte die Colts tatsächlich erstmals in die Endzone - nach dem anschließenden erfolgreichen Onside Kick hätte es sogar noch spannender werden können. Die Jets-Defense aber hielt.

Den Zusammenschluss zwischen beiden Ligen hätte es 1970 in jedem Fall gegeben. Doch der überraschende Sieg der Jets gegen die Colts inklusive Namaths einnehmender Persönlichkeit änderte die öffentliche Wahrnehmung der AFL, brachte sie landesweit in den Fokus und gab dem Merger einen ganz anderen Touch.

Für Namath selbst war der Triumph im Super Bowl III das prägende Ereignis einer auf dem Papier nicht unbedingt überragenden Karriere. Insgesamt verzeichnete er gerade mal drei Jets-Spielzeiten mit positiver Bilanz und hatte in seiner Karriere deutlich mehr Interceptions (220) als Touchdown-Pässe (173) vorzuweisen.

Doch obwohl er auch im Endspiel ohne Touchdown-Pass geblieben war, sollte ihn die Legende aus dieser Partie für den Rest seiner Karriere begleiten. Und auch darüber hinaus, wie er später verriet: "Wir haben damals viele Leute berührt. Ich kann gar nicht mehr sagen, wie häufig Menschen zu mir kamen und mir erzählt haben, dass sie unseren Sieg als Motivation genutzt haben. Lehrer, Trainer, ganz normale Leute. Die Moral ist immer gleich: Wenn die Jets es geschafft haben, könnt ihr es auch schaffen!"

SUPER BOWL XIII

Pittsburgh Steelers - Dallas Cowboys 35:31, 21. Januar 1979

"Fragt ihn, ob er "MVP" buchstabieren kann!"

Zehn Jahre nach dem völlig überraschenden Sieg der Jets über die Colts sah die Lage schon ganz anders aus: Beide Conferences hatten ihre Schwergewichte, der Super Bowl etablierte sich als das große Sport-TV-Event in den USA und Football dominierte immer mehr die Schlagzeilen. Und doch sehen bis heute viele die 13. Auflage des Super Bowls als das prägende Duell, welches den Umgang der Öffentlichkeit und den Hype rund um das Spiel auf das nächste Level hob.

Dafür gibt es gleich mehrere Gründe: Es war nicht nur das erste Super-Bowl-Rematch (drei Jahre zuvor hatte Pittsburgh die Cowboys mit 21:17 bezwungen), sondern auch ein echter Kampf der Titanen: Die Cowboys waren amtierender Champion und hatten nach einer 12-4-Saison die L.A. Rams mit 27:0 geschlagen, um ihr Super-Bowl-Ticket zu lösen.

Dennoch gingen sie bei den Buchmachern als Underdog in die Partie. Die Steelers auf der anderen Seite nämlich waren damals das Maß aller Dinge. Pittsburgh gewann, maßgeblich getragen von der historischen "Steel Curtain"-Defense, von 1974 bis 1979 jedes Jahr die eigene Division sowie in den 1974er und 1975er Spielzeiten den Super Bowl. Weitere Titel sollten 1978 - gegen Dallas - und 1979 folgen.

Unglaubliche 19 spätere Hall-of-Famer standen im Super Bowl XIII auf und neben dem Platz, darunter beide Coaches (Chuck Noll und Tom Landry) sowie Stars wie Roger Staubach, Terry Bradshaw, Joe Greene, John Stallworth, Lynn Swann und Franco Harris.

Doch der berühmte Steel Curtain war auf dem absteigenden Ast und die Cowboys witterten ihre Chance - Trash Talk inklusive. So unterbelichtet sei Steelers-Quarterback Terry Bradshaw, polterte etwa Linebacker Thomas Henderson, dass er nicht einmal 'Cat' buchstabieren könne, "wenn man ihm das C und das t vorgibt".

Zunächst sah es so aus, als würde Dallas' Defense das Spiel tatsächlich entscheiden können: Bradshaw unterliefen in der ersten Hälfte zwei Fumbles und eine Interception, einer der beiden Fumbles wurde direkt zum Touchdown zurückgetragen. Pittsburghs Offense aber war der Aufgabe gewachsen. Die Steelers drehten das Spiel noch vor der Halbzeitpause und führten mit 21:14 - ehe sich einer der tragischeren Super-Bowl-Momente ereignete.

2:46 Minuten vor dem Ende des dritten Viertels, Pittsburgh lag nach wie vor mit 21:14 vorne, stand Dallas bei Third Down an der 10-Yard-Line der Steelers. Nach dem Play-Action-Fake hatte Staubach einen kurzen Moment - und sah Tight End Jackie Smith, für den es nach langer und dekorierter Karriere das letzte NFL-Spiel war, komplett frei in der Mitte der Endzone.

Der Pass kam - und Smith ließ den Ball fallen. Bis heute ist der Call von Verne Lundquist im Cowboys-Radio bekannt: "He's got to be the sickest man in America." Zwar war anschließend noch jede Menge Zeit, doch diese Szene ging in die Super-Bowl-Annalen ein. "Ich habe so viele Menschen enttäuscht", sagte Smith nach der Partie. "Ich hoffe, dass mich das nicht verfolgen wird. Aber wahrscheinlich wird es das."

Er sollte Recht behalten. Anrufe und Briefe wütender Fans ließen Smith, der erst Ende September 1978 für die Cowboys aus dem Ruhestand zurückgekommen war, seinen Fehler über Jahre nicht vergessen. Der Drop brachte ihn phasenweise an den Rande einer Depression, es dauerte eine ganze Weile und benötigte die Hilfe seiner damaligen Cowboys-Teamkollegen, ehe er die Szene wirklich abgehakt hatte.

Auf dem Feld gab Dallas das Spiel in der Schlussphase aus der Hand. Nach einem 22-Yard-Touchdown-Run von Franco Harris ließ Randy White den folgenden Kickoff fallen und nur 19 Sekunden nach Harris' Touchdown fand Bradshaw Lynn Swann in der Endzone. Plötzlich stand es 35:17, knapp sieben Minuten vor dem Ende.

Staubach und die Cowboys-Offense waren jedoch so schnell nicht klein zu kriegen. Dallas kam 2:23 Minuten vor dem Ende auf 35:24 ran, nach erfolgreichem Onside Kick orchestrierte Staubach den nächsten Touchdown-Drive. Doch 17 Sekunden vor dem Ende klappte der zweite Onside Kick nicht, Pittsburgh verhinderte ein furioses Cowboys-Comeback.

Und die Henderson-Bradshaw-Fehde? Der Quarterback, der nach seinen 318 Yards und vier Touchdowns - ein neuer Super Bowl Rekord - zum MVP ausgezeichnet wurde, hatte am Ende das letzte Wort: "Fragt ihn, ob er 'MVP' buchstabieren kann!"

SUPER BOWL XXIII

San Francisco 49ers - Cincinnati Bengals 20:16, 22. Januar 1989

"Ist das nicht John Candy?!"

"The Catch" - der Touchdown-Pass zu Dwight Clark 51 Sekunden vor dem Ende des Championship Games 1981 gegen die Cowboys - war der Signature-Moment in der Karriere von Joe Montana, da gibt es kaum einen Zweifel.

Die finale Angriffsserie im Super Bowl XXIII jedoch, zum Sieg über die Bengals, war der Signature-Drive in der Karriere des Hall of Famers.

Mit noch 3:20 Minuten auf der Uhr lag Cincinnati mit 16:13 in Front, als die Niners-Offense das Feld betrat und den Ballbesitz an der eigenen 8-Yard-Line übernahm. Eine "gewisse Unruhe" habe er im Huddle gespürt, sollte Montana später zu Protokoll geben. "Einige der Jungs schienen angespannter als sonst. Vor allem Harris Barton, ein toller Offensive Tackle, der dazu neigte, nervös zu werden."

Prompt nutzte Montana ein TV-Timeout, um die Stimmung aufzulockern. Als er den Schauspieler John Candy auf den Zuschauerrängen erspähte, sprudelte es aus dem Quarterback: "Da, bei dem Ausgang! Ist das nicht John Candy?!"

Den Spitznamen "Joe Cool" hatte er nicht ohne Grund. Er war das Sinnbild dafür, unter Druck und in schwierigen Situationen die Ruhe zu bewahren. Er war der Comeback-König seiner Ära, 31 Mal führte er sein Team trotz eines Rückstandes im vierten Viertel noch zum Sieg. So auch an jenem Januar-Abend in Miami.

Es war ein Super Bowl, in dem man sich gegenseitig bestens kannte. San Franciscos Head Coach Bill Walsh hatte die Bengals 1975 nach acht Jahren als Receiver- und Quarterback-Coach verlassen, weil der dortige Head Coach Paul Brown ihn als seinen Nachfolger ablehnte. Walsh rächte sich mit dem Super-Bowl-Triumph über Cincy im Januar 1982 – und bekam diesmal seinerseits mit einem früheren Assistant zu tun: Sam Wyche war 1979 aus dem Ruhestand zurückgekehrt, um für Walsh in San Francisco zu arbeiten. Nach dem Gewinn des Titels hatte er die Bengals übernommen, jetzt durfte er sich gegen seinen früheren Boss beweisen.

Die 49ers hatten seit ihrem letzten Super-Bowl-Triumph drei unter dem Strich enttäuschende Playoff-Spielzeiten hingelegt, Cincinnati auf der anderen Seite brachte eine explosive Offense um Quarterback Boomer Esiason - den über die gesamten Playoffs allerdings Schulterprobleme plagten - mit nach Florida. Den ersten Dämpfer für die Bengals gab es jedoch schon am Abend vor dem Spiel: Starting-Fullback Stanley Wilson wurde in seinem Hotel mit Kokain erwischt und folgerichtig aus dem Kader gestrichen.

Auf dem Platz war von den beiden hochgelobten Offensivabteilungen zunächst keine Spur.

Gerade einmal 6:6 stand es im dritten Viertel, ehe das Special Team der Bengals für den ersten Touchdown der Partie sorgte: Stanford Jennings explodierte zu einem 93-Yard-Return. Montana hatte die Antwort parat, ein 14-Yard-Touchdown zu Jerry Rice – der seinerseits mit 215 Receiving-Yards einen neuen Super-Bowl-Rekord aufstellte – glich die Partie abermals aus. Bis Cincinnati knapp dreieinhalb Minuten vor dem Ende via Field Goal wieder in Führung ging.

Was folgte, ist bis heute als "The Drive" im kollektiven Football-Gedächtnis verankert: Ein kurzer Pass über die Mitte zu Craig. Ein weiteres kurzes Zuspiel ins Zentrum zu Frank. Dann zwei Mal Rice an der Seitenlinie und schon stand San Francisco in der Bengals-Hälfte. Cincinnati fand keine Antwort, das perfekt choreografierte Kurzpassspiel der Niners unter Bill Walsh präsentierte sich im kritischsten Moment des Super Bowls als die gut geölte Maschine, die sie so häufig in den 80er Jahren war.

Montana überwand so auch eine 2nd&20-Situation nach einer Strafe, mit 39 Sekunden auf der Uhr bediente er schließlich Taylor zum 10-Yard-Touchdown. Es war ein perfekter Pass zwischen mehrere Verteidiger, erneut über die Mitte des Feldes. Dieser Drive, mit Montanas fast unverschämter Gelassenheit, dem perfekten Passspiel der Walsh-49ers und Jerry Rice als Motor, war das Sinnbild für eine der dominantesten Football-Dynastien aller Zeiten.

SUPER BOWL XXV

New York Giants - Buffalo Bills 20:19, 27. Januar 1991

"Warum konnte Whitney Houston nicht zu uns schauen?"

In der NFL ist eine gewisse Ausgeglichenheit, insbesondere im Vergleich zum Fußball, immer gegeben - zumindest was die Umstände angeht. Das geschlossene System der Liga erlaubt es, schlechten Teams über den Draft schnell besser zu werden, der Salary Cap verschafft inzwischen allen Teams zusätzlich eine gemeinsame Basis.

Und trotzdem gibt es sie immer wieder, die Teams, die vom Pech verfolgt scheinen. Etwa die großartigen Vikings-Teams der späten 60er und 70er Jahre, die zwischen 1969 und 1976 vier Mal im Super Bowl verloren. Vikings-Fans hatten es auch in der Neuzeit nicht immer einfach, die Niederlage in den Championship Games 1998 und 2009 gegen Atlanta beziehungsweise New Orleans sind bis heute vielerorts Tabu-Themen im hohen Norden.

Die Falcons selbst haben eine alles andere als glückliche Playoff-Geschichte, und das nicht nur aufgrund des historischen Super Bowls im Vorjahr gegen die Patriots. Und auch die Philadelphia Eagles blicken auf eine von bitteren Niederlagen gepflasterte Playoff-Geschichte zurück.

Und doch dürften die Fans dieser Teams stets eine tröstende Schulter für die leidgeprüften Fans der Buffalo Bills bereit haben. Die beendeten zwar in dieser Saison endlich ihre historisch lange Playoff-Durststrecke, doch was sich in den vier Spielzeiten von 1990 bis 1993 abspielte, sucht bis heute seinesgleichen.

Selbstverständlich ahnte das am Ende der 90er Spielzeit noch niemand. Die Bills hatten gerade die Dolphins in einem Shootout (44:34) geschlagen und anschließend im Championship Game die Los Angeles Raiders auseinander genommen: 51:3 hieß es am Ende. Angeführt vom großartigen Jim Kelly boten die Bills eine der explosivsten Offenses der Liga auf. Doch die Giants und insbesondere der damalige Defensive Coordinator Bill Belichick hatten einen Plan.

Belichicks Super-Bowl-Plan gegen Buffalos Offense war so prägend, dass er heute einen festen Platz in der Hall of Fame hat. Die No-Huddle-Offense der Bills hatte zuvor reihenweise Defenses zerpflückt, Belichick wusste, dass er das Kurzpassspiel stoppen und ohne großartige Spielerwechsel zwischen den Plays standhalten musste.

Sein Plan war für die damalige Zeit äußerst fortschrittlich: Er reduzierte die Anzahl seiner Defensive Linemen und bot dafür mehr Linebacker und Defensive Backs auf. Nicht selten präsentierte die Giants-Defense so eine Art 2-4-5- und 2-3-6-Formation, was Belichick eine enorme Flexibilität gewährte - und die Reads für die Bills enorm erschwerte.

"Wir haben ein komplett neues Defensiv-Scheme installiert. Fünf Linebacker Underneath, um all ihre Crossing-Routes zu stoppen. Ihr erster Drive endete direkt nach drei Plays, das waren sie nicht gewohnt. Und dann hat unsere Offense viel Zeit von der Uhr genommen. Es war ein wirklich großartiger Game Plan", brachte es Erik Howard, einer der beiden Starting-Defensive-Linemen, auf den Punkt.

Tatsächlich hätte der Plan kaum besser aufgehen können: New York kontrollierte die Uhr mit über 40 Minuten Ballbesitz, in der zweiten Hälfte hatte Buffalo den Ball weniger als acht Minuten. Giants-Running-Back Ottis Anderson, bereits im Spätherbst seiner Karriere, konnte mit 102 Rushing-Yards nochmals ein Ausrufezeichen setzen und Quarterback Jeff Hostetler, ein jahrelanger Backup, der erst Mitte Dezember für den verletzten Phil Simms übernommen hatte, glänzte in einer Game-Manager-Rolle.

Dennoch brauchte es das Play, welches noch immer als Synonym für Buffalos Playoff-Unglück verwendet werden kann: Mit 2:16 Minuten auf der Uhr, 19:20 im Rückstand, bekam die hochgelobte Bills-Offense den Ball zurück. Kelly legte nochmals alles rein, mit einigen Scrambles hielt er den Drive am Leben und acht Sekunden vor dem Ende standen die Bills an der 29-Yard-Line der Giants mit der Chance, per Field Goal den ersten Super-Bowl-Titel der Franchise-Geschichte einzufahren.

Was dann passierte, ist bis heute unter dem Namen "Wide Right" in den Geschichtsbüchern zu finden: Scott Norwoods Kick aus 47 Yards flog ein knappes Yard rechts an der Torstange vorbei. Das Spiel war zu Ende, die Giants Super-Bowl-Champion.

"Es war eines dieser Spiele, in denen man bis zur völligen Erschöpfung alles gegeben hat", sollte Giants-Linebacker Carl Banks anschließend sagen. "Ich weiß nicht, wie ich mich gefühlt hätte, wäre der Kick rein gegangen."

Buffalos Steve Tasker konnte da Abhilfe schaffen: "Ich habe mich gefühlt, als hätten wir gerade den höchsten Berg der Welt erklommen - ohne irgendetwas mitzunehmen. Ich musste sofort daran denken, wie hart wir werden kämpfen müssen, um nochmal eine Chance auf den Titel zu haben."

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Für beide Franchises markierte der Super Bowl, der bis heute auch für die emotionale Hymne von Whitney Houston bekannt ist, einen Wendepunkt. Für die Bills lief es danach historisch schlecht: Buffalo kam auch in den folgenden drei Jahren jeweils in den Super Bowl - und verlor jedes einzelne Mal, ehe 1999 die 18-jährige Playoff-Durststrecke begann.

Bei den Giants auf der anderen Seite endete mit dem zweiten Titel die Ära von Bill Parcells, mehrere in die Jahre gekommene Stars verabschiedeten sich ebenfalls. Belichick wurde anschließend neuer Head Coach der Cleveland Browns und New Yorks Wide Receiver Coach, der heute in der Franchise-Geschichte für immer verewigte Tom Coughlin, übernahm den Head-Coach-Posten am Boston College.

Das vielleicht kurioseste Zitat zu diesem Super Bowl –bis heute der einzige, der mit nur einem Punkt Differenz endete – hatte Buffalos James Lofton parat. Der Wide Receiver nämlich sah bereits die Hymne vor dem Kick-Off als ein ganz mieses Omen: "Whitney Houston hat die Nationalhymne gesungen, aber sie hat dabei die Giants angeschaut. Ich dachte da schon: Warum kann Whitney Houston nicht zu uns schauen?" Wie dramatisch die nächsten Jahre in Buffalo werden sollten, das ahnte zu diesem Zeitpunkt selbstredend niemand.

SUPER BOWL XLII

New York Giants - New England Patriots 17:14, 3. Februar 2008

"Wir haben die Welt geschockt. Wir haben uns selbst geschockt!"

Perfektion. Ein starkes Wort, in der NFL nahezu unmöglich zu erreichen. Die ungeschlagenen Miami Dolphins von 1972 – damals noch vor der 16-Spiele-Saison – sind das eine Team, welches das Wörtchen "nahezu" notwendig macht. Die 2007er Patriots hätten das zweite sein können.

Es war schon vor dem Super Bowl ein historisches Team: Angetrieben von MVP Tom Brady und dem neu verpflichteten Randy Moss hatten die Patriots eine unglaubliche Offense. 589 Punkte, 75 Touchdowns, eine Punkte-Differenz von +315 – allesamt Rekorde zu der Zeit. New England pflügte nur so durch die Regular Season und regelmäßig bekam man den Eindruck, dass die Pats nach Belieben punkten konnten.

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Dabei war es kein einseitiges Team. Angeführt von Vince Wilfork, Mike Vrabel, Junior Seau, Asante Samuel und Rodney Harrison verfügte New England auch über eine sehr gute Defense. Das änderte sich in den Playoffs zunächst nicht: Brady stellte mit 92,9 Prozent angekommenen Pässen einen NFL-Rekord auf (26/28), Jacksonville wurde mit 31:20 aus dem Weg geräumt. Das Championship Game war dann ein defensiv geprägtes Spiel, New England schlug die San Diego Chargers mit 21:12 trotz drei Brady-Interceptions.

Die Giants auf der anderen Seite? "Perfekt" wäre sicher nicht das richtige Wort, um die Saison der G-Men zu beschreiben. Stattdessen rumorte es schon früh in der Saison, als die Kritik an Eli Manning nach frühen Niederlagen wuchs.

Mit einer Siegesserie und einer 10-6-Bilanz ging es in die Playoffs, nachdem New York den Patriots bereits im Regular-Season-Finale alles abverlangt hatte: Eine spektakuläre Partie endete 35:38, und nicht wenige sehen dieses Spiel noch heute als den Katalysator für den Playoff-Run der Giants.

"Dieses Spiel hat uns viel Selbstvertrauen gegeben", verriet der damalige Giants-Offensive-Lineman Shaun O'Hara im Gespräch mit SPOX. "Jedes Team versucht immer, herauszufinden, wie gut man wirklich ist. Dieses Spiel hat uns gezeigt, wo wir stehen. Es hat uns gezeigt, dass wir gegen Tom Brady in keinen Shootout geraten dürfen."

Receiver Plaxico Burress war der große Lautsprecher der Giants, das änderte sich auch vor dem Super Bowl nicht. Im Gegenteil: Burress versprach den Giants-Fans einen 23:17-Sieg – und Brady zeigte sich im Gegenzug überrascht: "Wir sollen nur 17 Punkte zustande bekommen? Spielt Plax dann Defense? Ich wünschte, er hätte 45:42 gesagt und uns ein paar Punkte mehr zugetraut."

Diese Aussage kam in New York überhaupt nicht gut an. "Ich weiß noch, wie arrogant er das sagte. Das hat uns extrem verärgert", berichtete Defensive End Osi Umenyiora später der New York Post.

Und weiter: "In diesem Augenblick wussten wir, dass wir ihm den Kopf abreißen würden. Wir wussten es einfach. Jetzt mal ehrlich: Arroganter geht es ja kaum!"

Fünf Sacks verzeichnete die knallharte Giants-Front, auf deren Rücken New York zum Super-Bowl-Titel marschierte. Keiner davon symptomatischer als der letzte Sack: 20 Sekunden vor dem Ende wurde Brady von Jay Alford heftig zu Boden gerammt, was den Patriots nur noch einen letzten langen Hail-Mary-Versuch gewährte. Incompletion, Game over.

Und doch hatten viele im Vorfeld den Eindruck, dass die Giants nicht wirklich in dieses Spiel gehörten - oder dass sie zumindest kein ernstzunehmender Gegner für dieses Patriots-Team sein würden. Nicht noch einmal jedenfalls. Es gelang New York jedoch, die spektakulärste Offense der NFL-Geschichte in eine Defensiv-Schlacht zu verwickeln.

Ganze zehn Punkte gab es bis zum Ende des dritten Viertels, die Pats führten mit 7:3. Es brauchte einen 45-Yard-Pass von Manning auf Tight End Kevin Boss und dann schließlich einen perfekten Touchdown-Laser zu David Tyree - und plötzlich lag New York in Front.

Ausgerechnet in dieser Phase ließ die Defense nach. Die Patriots schlugen schnell zurück, die Brady-Moss-Connection sorgte knapp drei Minuten vor dem Ende für den Ausgleich. Aber nachdem New England in den Jahren zuvor gleich mehrfach enge Super Bowls für sich entscheiden konnte, sollte es dieses Mal anders ausgehen. Auch wenn es dafür eines der ikonischsten Plays der Super-Bowl-Geschichte brauchte: den "Helmet Catch".

75 Sekunden waren noch zu spielen, 3rd&5 für die Giants kurz vor der Mittellinie, 14:10 Patriots. Manning erhielt den Ball in der Shotgun - und innerhalb kürzester Zeit waren mehrere Verteidiger zu ihm durchgebrochen. Manning wich dem ersten, dann dem zweiten Edge-Rusher aus, mehrfach schien er unmittelbar vor dem Sack zu stehen. Doch irgendwie konnte er sich befreien und feuerte den Ball schließlich downfield, wo David Tyree eigentlich gedeckt war.

In einer schier unglaublichen Szene presste der den Ball im Fallen gegen seinen Helm und sicherte so den Catch an der 24-Yard-Line der Pats. Einige Plays später bediente Manning Burress zum Game-Winner. Burress' Vorhersage bezüglich der Punkte für New England hatte sich letztlich sogar noch als zu großzügig entpuppt.

Es war die erste Super-Bowl-Niederlage für Bill Belichick bei den Patriots, nachdem New England 2001 (der Super Bowl, der später Teil des Spygate-Skandals wurde: New England wurde vorgeworfen, Trainingseinheiten des Gegners St. Louis gefilmt zu haben), 2003 und 2004 den Titel hatte gewinnen können. Es sollte im Anschluss bis 2014 dauern und in der Zwischenzeit eine weitere Super-Bowl-Pleite gegen Eli Manning und die Giants setzen, ehe sich die Patriots abermals zum Champion krönen konnten.

Vom "größten Sieg in der Geschichte dieser Franchise" sprach Giants-Co-Besitzer John Mara mit krächzender Stimme anschließend. Defensive End Michael Strahan erklärte: "Wir haben es getan, um uns selbst zu beweisen, dass wir es schaffen können. Wir haben die beste Offense überhaupt gestoppt. Natürlich waren sie überrascht. Wir haben die Welt geschockt, wir haben uns selbst geschockt!"

SUPER BOWL LI

New England Patriots - Atlanta Falcons 34:28 OT, 5. Februar 2017

"Ich habe ihn! Ich habe ihn!"

Im Sport ist der Umgang mit Superlativen so sehr zum Alltag geworden, dass es sich als zunehmend schwierig gestaltet, tatsächlich außergewöhnliche Momente zu beschreiben. Wer täglich damit zu tun hat, ertappt sich spätestens früher oder später selbst dabei.

Super Bowl LI aber war mehr als nur außergewöhnlich.

Es war ein Spiel, in dem so viele Dinge zusammenkamen, dass man selbst mit zeitlichem Abstand in der Rückbetrachtung noch Probleme damit hat, alles zu erfassen. Der erste Super Bowl, der in die Overtime ging. Das mit weitem Abstand größte Comeback der Super-Bowl-Geschichte, oder um es mit den Worten von Patriots-Quarterback Tom Brady zu sagen: "Als wir 25 Punkte zurücklagen, war es natürlich schwer, sich vorzustellen, dass wir das Spiel noch gewinnen."

Da war der spektakuläre Catch von Julio Jones, der von dem noch spektakuläreren Catch von Julian Edelman getoppt wurde. Da war Bradys Pick-Six, die umstrittene Play-Calling-Entscheidung von Falcons-Coordinator Kyle Shanahan und ein Fumble von Matt Ryan, den er wohl nie vergessen wird. Man könnte diese Liste noch um mehrere Punkte erweitern.

Doch anstatt sich dabei in Theorien und Butterfly-Effekten zu verlieren, ein Blick auf das, was wirklich passierte: Die Falcons waren brandheiß in den Super Bowl gestürmt. Atlantas Offense dominierte im zweiten Jahr unter Shanahan, der sich neben spektakulären Play-Designs auch als der beste offensive Play-Caller und Game-Plan-Designer der NFL etablierte.

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Atlantas Offense war nicht weniger als historisch. 540 Punkte standen am Ende zu Buche und die Falcons zerstörten Defenses wahlweise über die Wide Receiver Sanu, Jones und Gabriel, die Running Backs Freeman und Coleman oder das tiefe Tight-End-Corps. Daran änderte sich auch in den Playoffs nichts: Die Seahawks wurden mit 36:20 aus dem Weg geräumt, die von Aaron Rodgers bis ins Championship Game geschleppten Packers gingen mit 21:44 unter.

New England, das gerade zwei Jahre vorher einen seinerseits irrwitzigen Super Bowl gegen die Seahawks mit einer Interception in letzter Minute gewonnen hatte - der erste Patriots-Titel seit der 2004er Saison – war einmal mehr als Nummer-1-Seed in die Playoffs gegangen. Hier wurde es nicht wirklich spannend: Auf ein 34:16 gegen Brock Osweiler und die Houston Texans, obgleich Houstons Defense New England einige Probleme bereitete, folgte eine 36:17-Machtdemonstration gegen die Steelers und deren sture Zone Coverage.

All das konnte die Patriots nicht auf den Sturm vorbereiten, der sie im Super Bowl erwartete. Nach einem ruhigen ersten Viertel nämlich walzte die Falcons-Offense auf eine Art und Weise über New England, wie man es unter Belichick noch nie gesehen hatte. Lange Pässe, effiziente Runs – und ein Pick-Six von Brady gegen Robert Alford. All das im zweiten Viertel, so dass die Falcons innerhalb weniger Minuten mit 21:0 führten. Mitte des dritten Viertels war die Führung auf 28:3 gestiegen.

In der Folge kam für Atlanta alles zusammen. Patriots-Linebacker Dont'a Hightower erwischte Ryan und schlug ihm den Ball aus der Hand, wenige Plays nach dem Turnover verkürzte Amendola aus sechs Yards auf 20:28.

Das Blatt schien sich dennoch wieder in Richtung Falcons zu wenden. Ein langer Run nach dem Catch von Devonta Freeman, gefolgt von einem unfassbaren Catch von Julio Jones an der 22-Yard-Line der Patriots - Atlanta schien auf bestem Wege, mit einem Field Goal alles klarzumachen!

Es folgte zunächst das Play-Calling-Drama. Shanahan hielt den Fuß auf dem Gas und ließ Ryan weiter passen, der aber wurde zwölf Yards hinter der Line of Scrimmage von Flowers zu Boden gerissen. Beim nächsten Play – wieder ein Pass – schob eine Strafe die Falcons noch weiter zurück, so dass sie schließlich statt des vermeintlich schon sicheren Field Goals punten mussten.

Dann passierte es: Der Moment, den Patriots- und Falcons-Fans wohl nie vergessen werden.

Zweieinhalb Minuten vor dem Ende hätte alles vorbei sein können. Brady, von der eigenen 36-Yard-Line, warf einen riskanten Pass über die Mitte, eigentlich klar in Coverage. Ein forcierter Ball zu Edelman.

Cornerback Robert Alford fälschte den Ball ab, woraufhin Atlantas Safeties Keanu Neal und Ricardo Allen gemeinsam mit Edelman in Richtung des noch immer durch die Luft segelnden Balls sprangen. Es war ein Moment fast wie in Zeitlupe.

"Der Ball wurde in die Luft abgefälscht und wir drei sind in die gleiche Richtung gesprungen", fasste Allen später zusammen. "Der Ball landete auf uns und ist da herum gesprungen." Edelman war plötzlich in der besten Position: Für den minimalsten Bruchteil einer Sekunde schwebte das Ei scheinbar schwerelos nochmals in der Luft, Edelman streckte sich – und packte zu.

Eine unfassbare, schon jetzt legendäre Szene. Es war nicht der spätere Game-Winner in der Overtime, der von dieser Partie in Erinnerung blieb. Es war dieser Catch.

“Ich habe ihn! Ich habe ihn!“, rief Edelman kurz danach, und auch als das Replay auf jedem Bildschirm im Stadion lief, argumentierte er gegen die ungläubig dreinblickenden Falcons-Verteidiger. Wenngleich er auch nicht zu 100 Prozent sicher war, wie er nach dem Spiel zugab, “denn keiner weiß ja heutzutage noch, was ein Catch ist”.

Natürlich war das Spiel damit noch nicht beendet. Doch Atlantas Defense, zu diesem Zeitpunkt schon viel zu lange auf dem Platz, ging auf dem Zahnfleisch. Drei Brady-Completions später standen die Patriots an der 1-Yard-Line, eine Minute vor dem Ende marschierte White zum Touchdown in die Endzone. Es fehlte noch die 2-Point-Conversion, die besorgten Brady und Amendola.

New England hatte tatsächlich das Unmögliche möglich gemacht und das Spiel ausgeglichen.

Verglichen mit der wahnwitzigen Aufholjagd der Patriots wirkte die Overtime anschließend fast etwas unspektakulär. New England erhielt den Ball zuerst und Brady ließ nicht den Hauch eines Zweifels daran aufkommen, dass Atlanta hier und heute keine Chance mehr bekommen würde.

Innerhalb weniger Plays stand New England bereits an der 25-Yard-Line der Falcons und infolge einer Pass-Interference-Strafe an der 1-Yard-Line. Nach einer Incompletion zu Michael Bennett machten die Patriots die Lichter aus: Ein Pitch zu White, der sich durch einen Tackling-Versuch kämpfte und in die Endzone marschierte. Die Patriots waren Super-Bowl-Champion, im unglaublichsten Super Bowl aller Zeiten.

“Es ist einer der großartigsten Catches, die ich jemals gesehen habe. Ich weiß nicht, wie er den Ball gefangen hat. Ich glaube, er weiß es auch nicht”, sollte Brady später noch immer fassungslos über Edelmans Catch sagen.

Offensive Coordinator Josh McDaniels fügte hinzu: “Diese Szene war eine 180-Grad-Wendung. Ich glaube, in manchen dieser Spiele brauchst du ein, zwei Plays, die gut für dich ausgehen. Als der Ball in der Luft hing, habe ich den Atem angehalten und befürchtet, dass es eine Interception gibt.”

Die Patriots, bei all ihrem Erfolg, hatten in vergleichbaren Situationen “das Glück nicht immer auf unserer Seite”, wie es Brady zusammenfasste. Die Catches von David Tyree und Mario Manningham für die Giants etwa. Jermaine Kearses Catch im Super Bowl für die Seahawks zwei Jahre vorher fiel in die gleiche Kategorie.

Oder auch Julio Jones, nur wenige Minuten vorher, mit einem für sich betrachtet unglaublich spektakulären Catch an der Seitenlinie, der sich zu dem Zeitpunkt wie eine Vorentscheidung zugunsten der Falcons anfühlte.

Im größten Super-Bowl-Comeback aller Zeiten aber gehörte den Patriots eines der denkwürdigsten Super-Bowl-Plays aller Zeiten.

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