Elias Harris mischt mit Top-Seed Gonzaga die College-Welt auf - und sorgt für Neugierde bei den NBA-Scouts. Wäre nur nicht die seltsame Dreier-Schwäche... Der 23-Jährige über die beste Saison seiner Karriere, fehlende Lockerheit und Sensation Kelly Olynyk.
SPOX: Vor der College-Saison hatten die Gonzaga Bulldogs bestenfalls zu den Außenseitern gezählt. Doch Ihr Team wurde nach einer überragenden 31-2-Bilanz in den maßgeblichen Rankings von "AP" und "USA Today" landesweit zum besten Team gekürt und zog als einer von vier Number-One-Seeds in die March Madness ein. Wie lassen sich die vergangenen Wochen zusammenfassen?
Elias Harris: Dass ich es mir nie so hätte erträumen können. Gonzaga war in der Uni-Geschichte noch nie so hoch gerankt - und dann spielen wir ein solches Jahr. Es ist sensationell, wie viel Spaß es mit der Truppe macht.
SPOX: Was ist auf dem Campus in Spokane, Washington los?
Harris: Der Hype um das Basketball-Team ist generell sehr groß. Aber in diesem Jahr hat der Hype nicht nur auf dem Campus, sondern in der gesamten Stadt Spokane komplett neue Dimensionen angenommen, weil wir schon jetzt Historisches geschafft haben. Es fühlt sich gut an, auch wenn wir wissen, dass wir noch nicht wirklich etwas erreicht haben.
SPOX: Denken Sie trotz des mühsamen 64:58 in der ersten Runde gegen die Southern University schon an Atlanta? In drei Wochen findet im über 70.000 Zuschauer fassenden Georgia Dome das Final Four statt.
Harris: Natürlich lässt man hier und da die Gedanken schweifen. Gonzaga hat noch nie das Final Four erreicht. Das beste Abschneiden war der bisher einzige Einzug ins Elite Eight, ins Viertelfinale. Und das war 1999, also eine halbe Ewigkeit her. Es wird endlich Zeit, dass wir diese Marke überschreiten. Andererseits versuchen wir, uns nicht vom Wesentlichen ablenken zu lassen. Wir sind sehr gut damit gefahren, von Spiel zu Spiel zu schauen.
Das Bracket: Das NCAA Tournament im Überblick
SPOX: Gonzaga verlor in der Saison erst zweimal: gegen Illinois und bei Butler. Es waren keine schwachen, zugleich keine herausragenden College-Teams. Was lernten Sie daraus?
Harris: Dass Niederlagen hilfreich sein können. Durch das 74:85 gegen Illinois wurde die erste Hysterie nach dem 9-0-Saisonstart ins richtige Verhältnis gesetzt und wir wurden alle wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Im Anschluss spielten wir viel fokussierter. Das Butler-Spiel war hingegen total ärgerlich. Wir vergeigten es 3,5 Sekunden vor dem Ende wegen eines Turnovers. Im Nachhinein war es eine der schlimmsten Niederlagen überhaupt in meiner Karriere. In so einer Atmosphäre kurz vor Ende die Führung zu erkämpfen und selbst verschuldet die Partie noch herzuschenken... bitter.
SPOX: Dennoch: Was sind die Stärken der Bulldogs?
Harris: Die Tiefe. Wir sind sehr ausgeglichen besetzt und auf jeder Postion gibt es gleichwertigen Ersatz von der Bank. Unsere Intensität fällt nie ab.
SPOX: Und die Schwächen?
Harris: Wir sind nicht unbedingt die athletischste und größte Mannschaft. Wir können das jedoch durch gutes Spielverständnis kompensieren.
SPOX: Wobei Gonzaga einer der meist unterschätzten Number-One-Seeds der NCAA-Geschichte bleibt. Kaum jemand traut Ihrem Team etwas zu, weil die Gegner bisher zu schwach gewesen seien und die 31-2-Bilanz wenig aussagen würde. Was entgegnen Sie den Kritikern?
Harris: Das bekam kaum jemand mit, aber wir haben bereits letzte Saison gut gespielt. Wir sind zwar wie in den 2 Jahren zuvor in der zweiten Runde ausgeschieden, allerdings hielten wir gegen Ohio State mit Jared Sullinger gut mit. Wir bekamen zum ersten Mal eine Ahnung davon, zu was wir zu leisten im Stande sind. Im Sommer arbeiteten wir als Team extrem hart an uns. Und mit dem einen Jahr mehr Erfahrung machten wir den wichtigen Schritt hin zu einem echten Topteam. Wer das nicht erkennt, dem kann ich nicht helfen.
SPOX: Neben Ihnen ist Forward-Center Kelly Olynyk der wichtigste Spieler bei Gonzaga: Einst ein Guard, der spät in der Pubertät um 18 Zentimeter wuchs, im dritten College-Jahr eine Pause einlegte - und innerhalb von wenigen Monaten zum meist beachteten Spieler der NCAA wurde. Sind Sie ebenfalls so überrascht über die rasante Entwicklung des zukünftigen NBA-Lottery-Picks?
Harris: Nur bedingt überrascht. Ich sah schon im letzten Sommer, wie viel Potenzial in ihm steckt. Ihm tat es sehr gut, eine Saison auszusetzen und in der Zeit viel zu trainieren, häufig in den Kraftraum zu gehen und allgemein stärker zurückzukehren. Sein Spiel ist viel variabler geworden. Als ehemaliger Guard besaß er ohnehin eine gute Beinarbeit, eine gute Technik und einen guten Wurf und konnte schon immer das Spiel lesen. Nachdem er physisch zulegte, war klar, dass er explodiert.
SPOX: Olynyks Markenzeichen sind die langen Haare. Allerdings ließen Sie sich ebenfalls bis vor dem Start der March Madness eine ordentliche Matte stehen. Woher kam das?
Harris: Matte trifft es ziemlich gut, ich hatte wirklich eine echte Matte hängen. Vor einem Jahr forderte mich ein Kommilitone zu einer Wette auf: Er meinte, dass ich mir die Haare nie wachsen lassen würde, weil ich zwanghaft jede Woche zum Friseur gehen müsste. Um es ihm zu zeigen, ließ ich mir also den Afro wachsen. Wenn ich mich gekämmt hätte, wären die Haare super lang gewesen.
SPOX: Sie sind bestens bei Gonzaga integriert und sind der Fan Favorite. Vor allem zu Beginn Ihrer College-Karriere war noch David Stockton, der Sohn der NBA-Legende John Stockton, einer Ihrer wichtigsten Bezugspersonen. Ist er das weiterhin?
Harris: Klar, wir sind gut befreundet und erlebten alle Höhen und Tiefen der letzten Jahre zusammen. Ich bin richtig stolz auf ihn, wie er sich reingekämpft und alle Skeptiker Lügen gestraft hat, die gesagt haben, dass er zu schlecht sei und nur wegen seines Vaters im Team wäre. In den Staaten genießt er mittlerweile einen guten Ruf, weil er so viel Herz zeigt und sich durchbeißt.
SPOX: Wie oft sehen Sie John Stockton?
Harris: Ab und zu, wenn Zeit ist, fahren David und ich hoch zum Haus der Eltern, chillen ein bisschen und genießen den Whirlpool. Alles ganz gemütlich. Und wenn ich mal Rat brauche, weiß ich, dass ich Mr. Stockton immer anrufen kann.
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SPOX: Sie sind als Senior im vierten und damit letzten College-Jahr. Kommt Wehmut auf?
Harris: Auf jeden Fall, Spokane ist mir ans Herz gewachsen. Hier habe ich viele Freunde und es wurde zu meiner zweiten Heimat. Jetzt kommt der nächste Schritt in meinem Leben - und ich bin froh, wenn ich das Lernen hinter mir habe. (lacht) Auch als Leistungssportler bekommt man nichts geschenkt und ich musste mich ganz schön dahinterklemmen. Aber es ging ja gut: Noch zwei Kurse, bis ich meinen Bachelor im Sportmanagement geschafft habe. Im Sommer beginnt der Ernst des Lebens. (lacht)
SPOX: Erleben Sie den perfekten Abschluss? Sie legen mit 14,9 Punkten und 7,4 Rebounds im Paket die besten Statistiken der Karriere auf und Gonzaga spielt die beste Saison aller Zeiten.
Harris: Definitiv, meine letzte ist die schönste Saison. Über die Jahre bringt man sich eine gewisse Abgezocktheit bei und man weiß, worauf es ankommt und was der Trainerstab von einem erwartet.
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SPOX: Was bleibt, sind die Zweifel, ob Sie nun ein Power Forward oder Small Forward sind.
Harris: Ich bin eben ein typischer Tweener, in between zwei Positionen. Ich mache das Beste daraus: Abhängig vom Matchup gehe ich auf die Flügel, wenn mein Gegenspieler größer und kräftiger ist, und wir spielen vier draußen und einer innen. Wenn mein Gegner kleiner und körperlich schwächer ist, suche ich den Weg zum Korb.
SPOX: Die Chancen eines Tweeners, von einem NBA-Team gedraftet zu werden, sind gemeinhin gering.
Harris: Ich werde immer darauf angesprochen. Allerdings mache ich mir nichts daraus. Was bleibt mir anderes übrig? Ich mache einfach das, was der Trainer von mir fordert. Ich mache alles, um der Mannschaft zu helfen. Mehr kann ich nicht machen und so wird meine Rolle als Basketball-Profi aussehen, egal wo ich lande.
SPOX: Denken Sie an die NBA? In einigen Mock Drafts werden Sie in der zweiten Runde gezogen.
Harris: Klar, ich habe den Traum vor Augen. Allerdings gibt es keine Garantien. Daher versuche ich einfach nur, jeden Abend das Beste zu geben. Wenn ich etwas aus der Vergangenheit gelernt habe, dann das: Zu weit vorauszublicken, bringt nichts. Vor allem nach der ersten Saison hatte ich mich etwas zu sehr ablenken lassen von dem NBA-Gerede.
SPOX: Nach einem starken College-Debütjahr erlebten Sie 2010/11 in der zweiten Saison einen ersten Rückschlag, der mit dem Verzicht auf die EM endete. Warum verliefen die letzten Jahre so schwankend?
Harris: Im Nachhinein war die die EM-Absage genau das richtige. In der zweiten Saison wurde ich durch die Schulterverletzung weit nach hinten zurückgeworfen. Aber im Sommer 2011 kurierte ich mich komplett aus, konnte mich im dritten Jahr wieder an die Bestform annähern und ernte jetzt im vierten Jahr die Früchte der Arbeit.
SPOX: Gab es vor dieser Saison ein Schlüsselerlebnis?
Harris: Kein spezielles Schlüsselerlebnis. Es war mehr ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Wie in jedem Sommer kamen die Ex-Studenten Adam Morrisson, Austin Daye oder Jeremy Pargo zurück zu Gonzaga und wir trainierten gut zusammen. Außerdem nahm ich unter anderem an der Kevin Durant Skills Academy in Chicago und an der LeBron James Skills Academy in Las Vegas teil, wo ich mich mit den besten College-Spielern messen konnte. Und das vor zig NBA-Scouts und unter Betreuung von NBA-Coaches. Das hat mir wahnsinnig viel gebracht. Das Niveau war extrem hoch, dennoch hielt ich sehr gut mit im direkten Duell mit Spielern wie Mason Plumlee von Duke. Da sah ich, dass ich auf dem gleichen Level bin.
SPOX: Zum Warnsignal für NBA-Scouts könnte Ihr Wurf werden. Warum treffen Sie dieses Jahr nur 15,9 Prozent der Dreier? Das könnte für Ihre NBA-Aussichten fatal sein.
Harris: Ich warf immer so um die 40 Prozent. Keine Ahnung, woran das liegt. Ich glaube, ich denke zu viel nach. In den ersten Spielen lief es noch ganz gut, daraufhin kam eine schlechtere Phase und seitdem grübele ich. Ich muss wieder anfangen, mich zu entspannen und den Ball einfach fliegen zu lassen.
SPOX: Die schwache Dreierquote ist demnach kein Ausdruck einer instabilen Wurftechnik?
Harris: Nein, die Technik stimmt. Es ist ein Kopfproblem. Ich muss weiter werfen und das umsetzen, was mir im Training gelingt. Da fallen die Würfe.
SPOX: Wäre die Teilnahme an der Summer League nicht interessant, um sich den NBA-Teams anzubieten und Zweifel zu beseitigen?
Harris: Ich mache mir keine weiteren Gedanken. Ich bin gerade voll im March Madness. Und danach ist alles möglich, egal ob in den USA oder in Europa.
SPOX: Nach der EM-Absage 2011 nahmen Sie auch 2012 an der EM-Quali nicht für Deutschland teil. Es gab Vermutungen, dass mehr dahinterstecken könnte. Würden Sie für Ihre NBA-Aussichten erneut dem DBB einen Korb geben?
Harris: Die Vermutung ist komplett falsch. Ich musste im letzten Sommer an der Uni einige wichtige Kurse nachholen, daher wollte ich mich auf die Summer School konzentrieren. Es hatte nichts mit der Bereitschaft zu tun, für Deutschland zu spielen. Um das klarzustellen: Ich habe weiterhin hundert Prozent Lust, für den DBB aufzulaufen. Bundestrainer Frank Menz war ja schon in Spokane zu Besuch. Wenn es mit der Nominierung für die EM 2013 klappt, würde ich mich super freuen. Zwar ist Dirk Nowitzki nicht mehr dabei, doch wir haben eine junge Truppe am Start, mit der es bestimmt riesigen Spaß macht. Ich verfolge aus der Entfernung mit großer Freude, was in Deutschland entsteht und wie sich die Talente weiterentwickeln.