Mit roten Bäckchen, engelsgleichem Antlitz und kessen Tönen verzückte Andreas Goldberger einst seine Fanschar. Gleichwohl widerfuhren dem Strahlemann auch dunkle Zeiten. Im Interview spricht der nunmehr 41-Jährige über den gesellschaftlichen Absturz, die hässliche Fratze des Lebens und Sammeltransporte in die Klinik. Plus: "Goldis" schönste Momente auf den größten Schanzen der Welt.
SPOX: Herr Goldberger, in Harachov frönt die Adler-Szene ihrer Passion: dem Skifliegen. Sie sollen das Gefühl mit jenem, welches einen im Bett mit einer Frau überkommt, verglichen haben. Würden Sie es als verheirateter Mann abermals derart offensiv formulieren?
Andreas Goldberger: Habe ich das wirklich? Es ist sogar schöner (lacht). Nein, man kann es mit nichts vergleichen. Skifliegen ist, wenn alles gut geht, lässig und traumhaft. Du hast den Kick. Höhere Geschwindigkeiten, mehr Luftkräfte. Jeder Fehler kann der letzte sein und eine gravierende Kettenreaktion nach sich ziehen.
SPOX: Welche Gedanken schwirrten Ihnen früher auf dem Zitterbalken durch den Kopf?
Goldberger: Stimmt die Form und das Wetter, strotzt du voller Vorfreude und wartest auf die grüne Ampel. Wenn du losfahren darfst, bist du froh, dieses unglaubliche Gefühl erleben zu dürfen. Du bist bestimmt nervöser als auf anderen Schanzen. Das ist aber auch gut, denn dadurch ist man konzentrierter bei der Sache. Bei schlechten Verhältnissen kann es wirklich zur Qual werden.
SPOX: Bevor Sie sich abstießen, folgte Ihr Ritual.
Goldberger: (lacht) Jeder verfügt über eines. Ich zog mir den rechten Ski zuerst an. Danach richtete ich mir die Skibrille, rieb meine Nase und fasste mir nochmals an die Bindung. Für mich war das ein wichtiger Moment. Ich baute Spannung auf, hatte den Tunnelblick, war voll entschlossen. Es war, als würde man einen Anker setzen: Jetzt kann's losgehen, jetzt geht's um was. Du brauchst eine gewisse Routine in diesen Sekunden.
SPOX: "Du spürst anfangs nicht, ob es am Ende hinhaut", sagten Sie einst. Wann merkt man es denn?
Goldberger: Bei etwa 80 bis 90 Metern. Du fährst mit hundert Stundenkilometern über den Schanzentisch, da hast du keine Zeit zu überlegen, musst gnadenlos durchziehen. Wenn du unmittelbar Rückmeldung erhalten würdest, ob die optimale Flugposition erreicht ist, steckst du 20 Meter später mitten im Fehler. Du musst voraus denken, sonst hinkst du hinterher. Am Limit kannst du nicht überlegen, ob das jetzt gut oder schlecht war. Du musst das Vertrauen haben, sowieso alles richtig zu machen. Aber es nicht bewusst steuern.
SPOX: Eine Unachtsamkeit, ein falsche Bewegung kann lebensbedrohliche Konsequenzen nach sich ziehen. Wie aufreibend sind derartige Skiflug-Wochenenden?
Goldberger: Sicher anstregender als normale. Körperlich, weil du viel länger die Spannung halten musst, die Kräfte stärker einwirken. Da tut dir danach schon mal alles weh. Außerdem ist die mentale Belastung wesentlich größer. Es ist ein Risiko. Wenn du einen super Sprung zeigst, hast du positive Ausschüttungen. Wenn es schlecht läuft, ist das Gegenteil der Fall. Ich merkte es meistens in der Nacht: Nach einem Skifliegen fiel es mir viel schwerer, ruhig zu schlafen. Das Unterbewusstsein arbeitet da brutal nach.
SPOX: 1992 durchschritten Sie in Harachov bei der WM die Hölle: Erst der Horror-Sturz in die Klinik, danach Medaillen-Freuden am Krankenbett. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Goldberger: Für mich ist Harachov die wildeste Schanze. Die Anfahrtsgeschwindigkeit ist sehr hoch, der Lufstand ob der atypischen Flugkurve ebenfalls. Du kannst hinkommen bei bestem Wetter. An den nächsten Tagen schlägt es um. Wir erlebten das dort mehrmals. Dazu ist sie windanfällig, das macht sie sehr gefährlich. Damals lief es im Training gut. Beim Wettkampf herrschte ein Sauwetter. Es war neblig, sehr feucht und windig. Du hast vom Zitterbalken nicht einmal auf den Trainerturm gesehen. Deshalb standen die Betreuer weiter oben, um das Freizeichen zu geben. Ich war top vorbereitet, die besten zwei von drei Versuchen an einem Tag wurden gewertet. So war das Reglement. Im letzten Durchgang griff ich nochmals voll an. Der Sprung wäre sehr gut gewesen, das merkte ich in der Luft. Es ging richtig dahin. Allerdings war es sehr windig. Plötzlich kam eine Böe...
SPOX: Und riss Ihnen den Ski förmlich weg...
Goldberger: Irgendwann merkte ich, das geht sich nicht aus. Dann hat es mich überschlagen, richtig auf die Birne gehauen. Ich purzelte runter, machte im Auslauf die Augen auf und hoffte nur: "Bitte lass' mich alles spüren." Ich war damals nicht der Einzige. Letztlich flogen sie uns zu Dritt mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus. Das war ein Sammeltransport. Ich hatte Glück, brach mir nur den Arm und das Schlüsselbein. Tagsdarauf kam Christof Duffner zu Sturz. Es wurde abgebrochen und nur Tag eins gewertet. So bekam ich Silber im Krankenbett.
SPOX: Gold eroberte ein gewisser Noriaki Kasai. Über zwei Jahrzehnte später gehört er, der knapp sechs Monate älter ist als Sie, abermals zum engsten Zirkel der Titel-Aspiranten. Was macht ihn so zeitlos?
Goldberger: Wie lange er sich in der Weltspitze hält, ist genial. Sein Durchhaltevermögen ist echt vorbildhaft. Er muss wahnsinnig gut trainieren, seinen Körper bestens kennen. Sonst geht das nicht. Das Wichtigste jedoch: Der Sport muss dir riesigen Spaß bereiten, um sich Tag für Tag zu überwinden. Alleine wenn du bedenkst, welche Vielzahl an Regeländerungen er miterlebt hat. Ob klassichen oder V-Stil. Zuletzt stoppte ihn eine kleine Knieverletzung. Oft verzichtet er auf Trainingssprünge, aber in den Wettkämpfen schneidet er sensationell ab. Dank der Routine weiß er genau, wann er eine Pause benötigt, wann er dosieren sollte. Dass er das Skifliegen beherrscht, zeigte er mit dem Sieg am Kulm. Er hat ein unglaubliches Selbsvertrauen und seine Technik ist zuverlässig. Für mich ist er 22 Jahre später in Harachov einer der Topfavoriten.
SPOX: Mit Skifliegen assoziieren Sie mehrere Höhepunkte: Am 17. März 1994 segelten sie in Planica auf 202 Meter. Als erster Mensch knackten Sie die magische Marke, wenngleich Toni Nieminen in die Annalen einging. Waren Sie verägert?
Goldberger: Mein Sprung wurde nicht gewertet, da ich in den Schnee griff. Zu dem Zeitpunkt wäre es aber unmöglich gewesen, ihn zu stehen. Die letzte Weitenmarkierung war bei 170 Metern, die Schanze nicht fertig präpariert. Das war schon heftig. Im nächsten Durchgang hätte ich wohl keine Problem gehabt, da war alles bereit. Nur kam mir Toni zuvor.
SPOX: Zwei Jahre später erreichten die Goldi-Huldigungen ihren Höhepunkt. In der Heimat. Vor frenetischem Publikum. Auf dem Kulm. War es das beste Wochenende Ihres Lebens?
Goldberger: Hoffentlich kommen noch ein paar gute Wochenenden (lacht). Es war definitiv etwas Besonderes. Jeder hat in seiner Kindheit Ziele, ob ein WM-Titel oder ein Weltrekord. Der Kulm war meine Heimat, eine ganze Nation erwartete Gold. Wenn du das vor eigenem Publikum, nach einem total spannenden Wettkampf schaffst, bist du schon stolz darauf.
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SPOX: Sie stiegen zum Idol einer Generation empor - zu viel für einen gerade mal 24-Jährigen?
Goldberger: Zu Beginn der Karriere wünscht man sich all das. Leider war ich bei uns im Team zu dieser Zeit der einzige Siegspringer. Teilweise konnte ich gewinnen, während sich die anderen Kollegen um den Einzug in den zweiten Durchgang mühten. Daher hat sich alles auf mich reduziert. Ich musste jeden Medientermin wahrnehmen, alles blieb an mir hängen. Das kostet extrem viel Substanz und Kraft. Irgendwann brichst du zusammen.
SPOX: Überdies bietet das Leben eines Superstars reichlich Verlockungen - nicht jeder meint es mit einem gut.
Goldberger: Es öffneten sich Türen, wo du als normaler Mensch nicht hinkommst. Auf einmal stehst du beim Bundespräsidenten im Büro, wohnst Ehrungen bei. Daran denkst du als Talent nicht, glaubst nicht, so etwas irgendwann zu erleben.
SPOX: Mit Ihrem Kokain-Geständnis wurden Sie über Nacht vom umtosten Nationalhelden...
Goldberger: ...zum Kriminellen. Ich war leichtgläubig. Alle lobten mich, klopften mir auf die Schulter. Auf einmal merkst du, wie schnell sich die abwenden, wenn du einmal Blödsinn machst. Sie waren die Ersten, die mit dem Finger auf mich zeigten. Sie ließen mich fallen. Denen ging es nie um den Menschen Andi Goldbeger, sondern um den Erfolg. Und wenn der ausbleibt, ist der Mensch egal. Ich dachte nie, dass Leute so fürchterlich sein können. Von einigen hätte ich das nicht erwartet. Ich sammelte aber auch sehr positive Erfahrungen. Viele super Freunde standen mir zur Seite, einige Medien und mein Sponsor Red Bull. Was die Menschenkenntnis betrifft, prägte mich das fürs Leben.
SPOX: Nach Ihrer Landung im Drogenmilieu zerpflückte die Öffentlichkeit Ihr Privatleben. Der Bekanntheitsgrad wurde zur überdimensionalen Last, ihre Aufgeschlossenheit zum Makel. Fühlt man sich da verfolgt?
Goldberger: Mit dem musst du als Person der Öffentlichkeit leben. Solange nur die Wahrheit berichtet wird, habe ich kein Problem damit. Wenn Lügengeschichten erfunden werden, ist Schluss. Ich wurde da schon brutal ausgenutzt. Dennoch habe ich daraus gelernt, gelernt, auch einmal Nein zu sagen.
SPOX: Waren Sie als junger Bub vom Land überfordert, sich Ihrer Vorbildwirkung zu stellen?
Goldberger: Nein, ich war schlicht zu blauäugig. Wo ich aufgewachsen bin, wird man ehrlich erzogen oder hat nichts zu sagen. Ich verschwendete keinen Gedanken daran, dass es solch falsche Hunde gibt. Mich hat besonders geärgert, dass mich manche Leute bewusst gelinkt haben. Ich war enttäuscht vom Leben, dachte mir: "Scheiße, was ist los mit unserer Welt." Es könnte alles so klasse sein. Ich glaubte immer, an das Gute im Menschen. Damals sind meine Vorstellungen zerbröselt.
SPOX: Österreichs Ski-Verband wandte sich ab. Sie forcierten einen Nationenwechsel, wollten für Serbien starten. Eine unglückliche Episode.
Goldberger: Das resultierte nicht aus der Kokain-Affäre, wobei diese dem ÖSV sehr recht kam. Andreas Felder, der damalige Nationaltrainer, wurde zuvor entlassen. Mich wurmte das, zumal es davor hieß, man baue eine Mannschaft auf. Dann wurde alles umgeworfen. Ich wollte eine Lösung, ein eigenes Betreuerteam. Die Verantwortlichen legten sich quer und meinten: "Du kannst gerne woanders hingehen." Als Sportler denkst du nicht viel nach, willst lediglich springen. Damals bekam ich Drohungen - eine harte Zeit.
SPOX: Die Alpenrepublik hat Ihnen verziehen, sie sind in der Öffentlichkeit rehabilitiert: Warum wurden Sie trotz kurzzeitiger Popularitätsdelle geliebt?
Goldberger: Ich bin einer von ihnen, ein normaler, unkomplizierter Mensch, der in einfachen Verhältnissen auf einem Bauerhof aufwuchs. Ob ich gut ankomme oder nicht, daran dachte ich nie. Mir war nur wichtig, mich nicht zu verstellen. Tugenden wie Kampfgeist und Ehrlichkeit kommen an. Wenn ich Scheiße baue, stehe ich dazu. Immerhin möchte ich, wenn ich alt bin, in den Spiegel schauen können. Das sehen und honorieren die Fans. Ich wollte danach einfach wieder gute Leistungen bringen.
SPOX: Wie reagierte eigentlich die Kollegschaft auf Ihre Rückkehr?
Goldberger: Sie grenzten mich damals ziemlich aus. Davor versuchte ich ihnen bestmöglich zu helfen, sie zu unterstützen. Andersrum war es leider nicht so. Sie ließen mich spüren, dass ich unerwünscht war, gaben mir zum Teil sogar Fehlinformationen. Warum, weiß ich nicht. Ich kann in die Menschen nicht hineinblicken, möchte niemandem etwas unterstellen.
SPOX: Sportlich war die Affäre der Knacks: Etliche Verletzungen, ungünstige Winde und in manchen Situation triviales Pech ließen Sie nie mehr an frühere Erfolge anknüpfen. Warum?
Goldberger: Ich habe versucht, aus den Möglichkeiten, die mir zur Verfügung standen, das Beste zu machen. Es wäre sicher leichter gegangen. Ich hätte erfolgreicher sein können. Viele haben da ihr Ego in den Vordergrund und sich nicht in den Dienst der österreichischen Skispringer gestellt.
SPOX: Einmal gehörten die Schlagzeilen noch Ihnen: Nämlich beim Weltrekord in Planica mit 225 Metern. Der Lohn für die qualvollen, erfolglosen Jahre?
Goldberger: Ich wollte immer der Mann sein, der mit Skiern am weitesten segelt. Das war die Belohnung. Ich feierte mit Edi Federer im Auslauf. Er war für mich eine überaus wichtige Person, nahm mir vieles ab. Ich konnte mich hundertprozentig auf den Sport konzentrieren. Auf das, was ich kann. Er kümmerte sich um den Rest, hielt mir den Rücken frei. So wurde er oft zum Buhmann. Mir gab er sehr viel Halt und war einer meiner wichtigsten Freunde.
SPOX: Federer, der 2012 der Nervenerkrankung ALS starb, hievte Sie in neue Dimensionen. Inwiefern profitieren die Skispringer noch heute von seiner Pionierarbeit?
Goldberger: Ich war der erste mit Helmsponsor. Dies war der Ursprung für die Streiterei mit dem Ski-Verband. Edi leitete da sehr viel in die Wege. Für uns Athleten war es damals eine Art Bosman-Urteil. Davor gab es so etwas nicht. Edi war ein absoluter Marketing-Profi und ebnete den Weg für uns alle.
SPOX: In der Gegenwart lässt Serverin Freund die Muskeln spielen. Drei Weltcups entschied er nach Sotschi für sich - ist ihm der Knopf aufgegangen?
Goldberger: Durch die Erfahrungen bei Olympia. Erst der Sturz auf der Normalschanze, wo er zu den Favoriten zählte, dann der verpatzte zweite Durchgang auf der Großen. Da war er zu brav, zu vorsichtig. Im Teamspringen legte er mit Gold den Schalter um. Seither nimmt er volles Risiko, zieht beinhart durch. Er hat alles beisammen: Absprung, Flugphase, Landung. Selbst wenn er es mal nicht erwischt, springt er entschlossen durch. Er gehört in Harachov zu den Favoriten. Neben Kamil Stoch, Peter Prevc und Kasai. Gregor Schlierenzauer sollte man nicht vergessen.
SPOX: Trotz schwankender Leistungen und der von ihm losgetretenen Material-Diskussion?
Goldberger: Das lasse ich nicht gelten. Ich glaube, 99 Prozent aller Konkurrenten im Weltcup wären froh, wenn ihnen ein solches Material zur Verfügung stünde. Österreich hat da nicht den Anschluss verloren. Gregor ist ein brutaler Tüftler, denkt oftmals zu viel über den Sport nach. Wenn Olympia seit vier Jahren dein großes Ziel ist und dich die Konkurrenz überflügelt, bist du enttäuscht. Dann willst du dir Luft verschaffen. Mir ist lieber, jemand äußert seinen Unmut, als er behält alles für sich. Die Schanze in Harachov liegt ihm aber. Und erinnern wir uns: Nach der Tournee wurde er ausgelacht, trotzdem flog er am Kulm auf Platz zwei.
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