"Wissen nicht einmal, wo Lettland liegt"

Marc-Oliver Robbers
27. November 201512:02
Janis Strelnieks gewann 2015 mit den Brose Baskets Bamberg die Meisterschaftgetty
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Mit den Brose Baskets Bamberg mischt Scharfschütze Janis Strelnieks aktuell die Turkish Airlines Euroleague auf. Im Interview spricht der Lette über Buhrufe für Landsmann Kristaps Porzingis, das Gefühl einen Hexenkessel zum Schweigen zu bringen und erklärt, warum er bei seinem Coach Andrea Trinchieri um seine Auswechslung bitten soll.

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SPOX: Herr Strelnieks, wie sind Sie eigentlich so ein guter Shooter geworden?

Janis Strelnieks: Das ist eine gute Frage. Ich denke, das fing schon in der Kindheit an. Alle sagen immer, Lettland ist ein reines Shooter-Land und wir können gar keinen Basketball spielen, sondern nur werfen. Egal, ob du Point Guard oder Big Man bist, jeder Lette kann werfen. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich immer versucht habe, meinen Wurf weiter zu verbessern.

SPOX: Aber warum sind alle Letten gute Shooter? Liegt das an der Ausbildung?

Strelnieks: Das kann schon sein. Es war irgendwie schon immer so. Selbst wenn du 30 oder 40 Jahre Jahre zurückschaust, konnten alle Letten werfen. Das überträgt sich dann weiter. Die Spieler werden Trainer und geben das dann an ihre Spieler weiter. Mein Nationaltrainer Ainars Bagatskis war auch ein starker Schütze und ist es sogar bis heute. Der versenkt beim Aufwärmen gerne mal 20 Würfe in Folge.

SPOX: Wie bereiten Sie sich vor? Haben Sie einen bestimmten Ablauf vor den Spielen, um den Rhythmus zu finden?

Strelnieks: Normalerweise nehme ich eine Menge Würfe hintereinander, aber die dann auch fokussiert. Ich nehme die Würfe nicht einfach nur, um sie zu nehmen. Wenn du fünf oder sieben Würfe in Folge nimmst, musst du dich konzentrieren. Ansonsten geht's noch mal von vorne los. Unser Coach sagt immer: "Gib dich nie damit zufrieden, gut zu sein. Du musst exzellent sein." Daher versuche ich im Sommer immer an allem zu arbeiten. Defense, Offense, Wurf, Passspiel, Penetration... Es gibt viele Sachen, an denen ich arbeiten kann.

SPOX: Hatten Sie Vorbilder in Ihrer Kindheit?

Strelnieks: Ja, die hatte ich schon, aber das waren alles Letten. Ich hatte als Kind nicht die Möglichkeit, die großen Spieler außerhalb Lettlands zu verfolgen. Als ich älter wurde, war Raimonds Miglieniks mein Vorbild. Er war einer der besten lettischen Point Guards überhaupt. Aber ich schaue mir auch gerne Vassilis Spanoulis an, obwohl er kein reiner Spielmacher ist. Bei ihm und auch bei Dimitris Diamantidis gefällt mir einfach dieses unglaubliche Selbstbewusstsein, das sie ausstrahlen.

Vassilis Spanoulis- Eine Hommage: I, Vassilis

SPOX: Sie haben Miglieniks und auch Bagatskis angesprochen, aber wenn man über Basketball auf dem Baltikum spricht, geht es eigentlich immer zuerst um Litauen. Dabei vergessen viele, dass Lettland schon mal eines der besten Teams Europas war und 1935 sogar Europameister wurde. Wird Ihre Generation noch immer vom lettischen Dream Team beeinflusst?

Strelnieks: Nicht wirklich, aber wir haben natürlich alle den Film gesehen, der vor zwei oder drei Jahren über das Team entstanden ist. Das ist ein toller Film und eine gute Motivation, aber die Zeiten haben sich geändert und der Basketball hat sich weiterentwickelt. Bei den Litauern ist Basketball nun mal Volkssport. Wenn du in Litauen aufwächst, schickt dich dein Vater auf jeden Fall zum Basketball und nirgendwo anders hin. In Lettland hast du die Wahl zwischen Basketball, Eishockey und Fußball. Das verteilt sich dann. Würden alle Basketball spielen, wären wir wahrscheinlich genauso gut wie Litauen.

SPOX: Mit Ihrem Landsmann Kristaps Porzingis spielt nun aber eines der größten europäischen Talente in der NBA. Dazu kommt das gute Abschneiden Lettlands bei der EuroBasket. Gibt es gerade einen Basketball-Boom in Ihrem Land?

Strelnieks: Sagen wir so: Unsere junge Basketball-Generation ist gerade richtig gut. Das fing alles mit der U-18-Auswahl 2007 an. Wir haben damals die Bronzemedaille bei der EM geholt. Das war ein historischer Erfolg für uns. Danach gab es noch mal Bronze bei der U18, Silber bei der U20 und der U16. Wir haben gerade einfach jede Menge gute, junge Spieler. Wenn es gut läuft, sollten wir in fünf Jahren eine richtig gute Nationalmannschaft haben. Ich hoffe, Porzingis wird dann auch für uns spielen.

Kristaps Porzingis: Das ruhende Auge des Orkans

SPOX: Sein Start in der NBA verlief nicht so gut. Die Knicks-Fans waren überhaupt nicht einverstanden, dass die Knicks ihn im Draft auswählten und buhten Porzingis aus. Das sieht mittlerweile ganz anders aus. Trauen Sie ihm eine gute Rolle zu?

Strelnieks: Auf jeden Fall. Er ist so talentiert und hat dazu eine unglaubliche Größe. Er wird vielleicht noch ein bisschen brauchen, um sein Spiel komplett auf die NBA umzustellen, aber er bringt alles mit. Ich denke, die Fans, die gebuht haben, kannten ihn einfach nicht. Er ist Lette und die meisten wissen nicht einmal, wo Lettland überhaupt liegt. Sie sollten ihm eine faire Chance geben und dann wird es sich auszahlen.

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SPOX: Lassen Sie uns über Bamberg sprechen. Mit Nikos Zisis haben sie einen Veteranen hinzubekommen, der schon eine Menge Titel gewonnen hat. Ist er derjenige, der im Laufe der Saison den Unterschied ausmachen wird?

Strelnieks: Ja, so einen Spieler haben wir gebraucht. Er ist einfach so clever als Point Guard. Mit seiner Erfahrung hilft er uns in jeder Situation. Er bleibt auch in kritischen Situationen ruhig. Er ist der wichtigste Spieler im Team.

SPOX: Es ist auffällig, dass die Guards in Bamberg alle recht groß sind. Wie wirkt sich das auf das Spiel aus?

Strelnieks: Das gibt uns viele Möglichkeiten. Wir können im Low Post spielen oder von außen attackieren. Es ist nun mal besser, größer als kleiner zu sein. (lacht) Brad (Wanamaker, Anm. d. Red.) spielt gerne Inside Out, Zisis hat eine unglaubliche Courtvision. Er haut teilweise Pässe raus, da frage ich mich: "Wie macht er das?" Wir Guards stehen häufig zusammen auf dem Feld. Unser Coach mag es, wenn mindestens zwei gute Ballhandler auf dem Court stehen, die den Ball verteilen können, oder über das Pick-and-Roll kommen. Das ist für die Gegner schwieriger zu verteidigen. Wir haben eine gute Teamchemie und das macht uns zu einem guten Team.

SPOX: Sie spielen in diesem Jahr mit einer tieferen Rotation. Gibt es da eigentlich genug Minuten für alle?

Strelnieks: Wir konnten uns ja darauf einstellen. Es gibt immer Spiele, in denen du weniger zum Einsatz kommst und dann wieder Spiele, in denen du mehr Minuten siehst. Das hängt natürlich von der Situation ab, aber unser Coach sagt, dass alles mit der Defense anfängt. Wenn du gute Defense spielst, stehst du auch auf dem Feld. Er mag es lieber, wenn er dich auswechseln muss, weil du vom Verteidigen müde bist, anstatt dich nach Fehlern rauszunehmen. Daher sollen wir lieber um die Auswechslung bitten, uns zwei Minuten ausruhen und dann zurück ins Spiel gehen. Die Saison ist lang, jeder wird seine Minuten bekommen. Das ist kein Problem.

Spox-Redakteur Marc-Oliver Robbers traf Janis Strelnieks in Bambergspox

SPOX: Bamberg steht in der schweren Euroleague-Gruppe D ganz gut da. Nachdem Alba Berlin im letzten Jahr knapp an den Playoffs gescheitert ist, ist es für Sie jetzt eine Extra-Motivation das zu schaffen und damit das erste deutsche Team zu sein?

Strelnieks: Ich würde nicht sagen, dass es eine Extra-Motivation ist. Auch wenn Alba es geschafft hätte, wäre es großartig für uns, dort zu spielen. Das würde bedeuten, dass wir es ins Top 16 schaffen und weitere 14 Spiele auf hohem Niveau haben werden. Das will jeder von uns. Darum geht es doch. Wenn du in Europa spielst, willst du so lange wie nur möglich in der Euroleague dabei sein.

SPOX: Sie spielen in vielen verschiedenen Städten und Hallen in Europa. Haben Sie außer der brose ARENA eine Lieblingsarena in Europa?

Strelnieks: Ich habe zwar in der Euroleague noch nie gegen Zalgiris Kaunas gespielt, aber als ich noch bei Budivelnyk Kiev gespielt habe und der Krieg in der Ost-Ukraine ausbrach, haben wir unsere Heimspiele im Eurocup in der Kaunas-Arena ausgetragen und die Halle ist mein Favorit. Ich habe mich da sehr wohl gefühlt und es hat sich jedes Mal super angefühlt, die Halle zu betreten. Ich hoffe, dass wir irgendwann mal gegen Kaunas spielen.

SPOX: Gerade in Südeuropa ist die Atmosphäre in den Arenen oft hitzig. Beeinflusst Sie das irgendwie?

Strelnieks: Ich habe jetzt schon zwei Mal in Belgrad gespielt. Wenn dir da 25.000 Fans den Stinkefinger zeigen, kann dich nichts mehr überraschen. Ich habe auch schon bei Fenerbahce gespielt, ich bin also abgehärtet. Im Grunde ist es eine Extra-Motivation, die buhende Masse mit einem Treffer zum Schweigen zu bringen.

SPOX: Ihr Coach ist auch ein sehr emotionaler Trainer. Realisieren Sie es im Spiel eigentlich, wenn er an der Seitenlinie tobt?

Strelnieks: Du gewöhnst dich daran. Als ich in Russland gespielt habe, hatte ich einen slowenischen Coach (Jure Zdovc, Anm. d. Red.), der auch sehr emotional war. Ich habe mir angewöhnt, mein Spiel davon nicht beeinflussen zu lassen. Aber natürlich ist es schon so, dass er deinen Namen ruft, wenn du etwas falsch gemacht hast. Du hörst dann zu, versuchst den Fehler aber direkt abzuschütteln und fokussierst dich wieder auf das Spiel.

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SPOX: Wie würden Sie Coach Trinchieri charakterisieren?

Strelnieks: Wenn du ihn brauchst, ist er immer für dich da. Das gilt auf dem Court, aber auch abseits davon. Er kann auch mal schroff sein, aber er will einfach, dass du ihm zuhörst. Er will dir schließlich nichts Schlechtes, sondern will dir etwas beibringen. Ab und zu ist er vielleicht zu emotional, aber das ist normal in Europa. Es gibt hier viele Trainer, die mit sehr vielen Emotionen coachen. Bei ihm kannst du nicht nur Dinge im Basketball lernen, sondern auch für das Leben. Er ist ein großartiger Coach, ich liebe es für ihn zu spielen.

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