"Ich fühle mich diskreditiert"

Jochen Tittmar
22. Dezember 201413:14
Felix Magath wurde am 18. September 2014 beim FC Fulham entlassengetty
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Felix Magath ist einer von sechs Akteuren in der Geschichte der Bundesliga, der sowohl als Spieler als auch als Trainer deutscher Meister geworden ist. Im September wurde der 61-Jährige beim FC Fulham entlassen. Im Interview spricht Magath über seine Probleme beim "cozy" Verein aus London, die englische Mentalität und die lange Leine auf der Insel. Magath nimmt aber auch Stellung zu seinem Ruf und erklärt, weshalb er mit Facebook keine Berührungsängste hatte.

SPOX: Herr Magath, Ihre Entlassung beim FC Fulham liegt jetzt schon einige Wochen zurück. Wie haben Sie seitdem Ihre Zeit verbracht?

Felix Magath: Ich nehme mir viel Zeit für meine Familie, die ja sonst zurückstecken muss. In den ersten Tagen war ich noch damit beschäftigt, alles, was die Freistellung betrifft, zu erledigen und meine persönlichen Dinge zu regeln.

SPOX: Wie fühlt man sich da?

Magath: Das Schlimme ist, dass sich Trainer nach einer Entlassung nicht frei äußern können, weil man noch vertraglich gebunden und verpflichtet ist. Stattdessen werden aber von Vereinsseite über Trainer und deren Arbeit sofort Meldungen lanciert, die diese teilweise diffamieren. Dagegen kann sich kein Trainer wehren.

SPOX: Es wurde kolportiert, dass Sie der alleinig Schuldige beim FC Fulham waren.

Magath: Betrachtet man das emotionslos, dann stellte sich die Situation wie folgt dar: Im Februar stand der Verein auf dem letzten Tabellenplatz. Fulham sprach mich an, ob ich ihnen helfen könne. Ich habe mir das zugetraut und musste dann vor Ort feststellen, dass der FC Fulham in der Vergangenheit verschiedene falsche Entscheidungen getroffen hatte. Man hatte eine Mannschaft, die nicht funktionierte, weil sie von zwei Trainern zusammengestellt war. Da hat nicht viel gepasst.

SPOX: War Ihnen bereits frühzeitig klar, dass das Thema Klassenerhalt ein schwieriges Unterfangen werden könnte oder kam diese Erkenntnis erst mit der Zeit?

Magath: Dass es sehr schwierig werden würde, war schnell klar. Dasselbe Problem hatte ich ja zwei Jahre zuvor in Wolfsburg auch schon. Ich habe den VfL als deutschen Meister abgegeben und ihn eineinhalb Jahre später im März als Abstiegskandidaten wieder übernommen. Auch damals lag der Zeitpunkt meiner Rückkehr nach der Winter-Transferperiode. Die da getroffenen personellen Entscheidungen waren falsch. Man holte teilweise Spieler von ausländischen Vereinen, die kein Wort Deutsch sprachen. Ein junger Spieler wie beispielsweise Ja-Cheol Koo, der Qualität mitbringt, aber aus Südkorea in eine völlig neue Umgebung kommt, ist in einer solchen Situation kaum vernünftig zu integrieren. Ich war am Ende heilfroh, dass wir am letzten Spieltag die Klasse gehalten haben.

SPOX: Da Sie eine vergleichbare Situation in Wolfsburg aber bereits gelöst haben, trauten Sie sich die Aufgabe bei Fulham zu?

Magath: Genau. Allerdings kannte ich dort keinerlei Interna, auch die Mentalität war eine andere. Das war der Unterschied zu Wolfsburg, dort war mir die Umgebung bereits bekannt.

SPOX: Wieso war Ihnen die ganze Sache nicht von vornherein zu risikoreich?

Magath: Weil ich gerne mal im Ausland arbeiten wollte und natürlich die Premier League die bedeutendste nationale Meisterschaft auf dem Kontinent ist. Als ich das Angebot bekam, in England arbeiten und Fuß fassen zu können, war der Reiz größer als die Überlegung, es dort eventuell nicht zu schaffen.

SPOX: Wie fällt jetzt mit etwas Abstand Ihr Fazit aus?

Magath: Ich habe mich von Beginn an in London sehr wohl gefühlt. Die Atmosphäre und Begeisterung für den Fußball haben mir sehr gut gefallen. Da sind noch mehr Sport und eine ganz andere Leidenschaft drin. Vergleicht man den englischen mit dem deutschen Fußball, kommt man zu diesem Ergebnis. Das ist sicher auch unbestritten. Aber Deutschland ist im Grunde seit 50 Jahren erfolgreich, die Engländer haben seit 50 Jahren keinen Erfolg. Da sagt einem doch der Verstand, dass die einen etwas anders machen als die anderen.

SPOX: Sie waren der erste deutsche Cheftrainer in der Premier League, für Sie war es zudem die erste Station im Ausland. Wenn Sie jetzt auf die sieben Monate Arbeitszeit in England zurückblicken, gab es da irgendwelche etablierten Standards, die Sie überrascht haben, weil Sie sie aus Deutschland nicht kannten?

Magath: Die Engländer haben Schwierigkeiten, an einem Tag der Woche zwei Mal zu trainieren. Dass ein Profisportler nicht zweimal am Tag trainieren kann, ist für mich ein absoluter Witz.

SPOX: Damit hatten Sie auch in Fulham Probleme. Ruht sich der Klub zu sehr in dieser Atmosphäre aus?

Magath: Fulham gilt in England bei den Gegnern als "cozy club", als gemütlicher Verein. Es stimmt auch, in Fulham ist alles "cozy". Die Atmosphäre ist wirklich angenehm und ein Traum, das habe ich noch nie erlebt. Allerdings geht dieser Traum auf Kosten des Erfolgs. Davon hat der Verein in seiner 135-jährigen Geschichte nicht viel gehabt.

SPOX: Sie sagen, in Deutschland wird irgendetwas anders und besser gemacht als in England. Glauben Sie, dass es diese vielzitierten deutschen Qualitäten sind, die man in England implementieren müsste?

Magath: Ja, das liegt ja auf der Hand: Wir Deutschen hätten doch nicht über Jahrzehnte Erfolg, wenn das nicht in unserer Mentalität begründet liegen würde. Wir Deutschen sind aufgrund unserer Mentalität für den Mannschaftssport Fußball hervorragend geeignet. Die Spieler bei Fulham hatten dagegen Probleme mit der Disziplin und reagierten sehr sensibel. Disziplin, Ordnung und Fitness gehören aber zu den absoluten Voraussetzungen, um im Mannschaftssport Fußball überdurchschnittlich erfolgreich zu sein.

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Seite 2: Magath über die lange Leine auf der Insel, seinen Ruf und Facebook

SPOX: Eine Ihrer Schlussfolgerungen des Engagements bei Fulham ist, dass Sie künftig nur dann bei einem Verein arbeiten können, wenn dieser vollständig hinter Ihrer Arbeitsweise steht und diese auch unterstützt. Fürchten Sie, dass es für Trainer künftig immer schwieriger werden wird, kontinuierlich arbeiten zu können?

Magath: Natürlich. Das sage ich aber schon seit Jahren, ungeachtet meiner persönlichen Erfahrungen. Die Einflüsse auf die Spieler werden immer größer. Sie bekommen mittlerweile viel zu viele Informationen, die es ihnen erschweren, sich hinreichend zu fokussieren. Familie, Freundin, Berater, Trainer, Manager, Präsident und Journalisten - jeder erzählt dem Spieler, wie er Fußball spielen soll.

SPOX: Ist der Blick auf die Realität im Fußballgeschäft zu häufig verstellt?

Magath: Klar. Der Sport wird immer schwächer gemacht. Deshalb habe ich mich in England so wohl gefühlt. Alleine die Art und Weise, wie auf der Insel die Spiele geleitet werden: Bei uns wird ein Aufstand gemacht, sobald ein Spieler berührt wird oder hinfällt, dass wird gleich dramatisiert. In England ist der körperliche Einsatz deutlich höher als bei uns. Das heißt nicht, dass man damit am Ende auch erfolgreicher Fußball spielt. Doch die Tatsache, dass das Spiel in Deutschland deutlich häufiger unterbrochen wird, hat aus meiner Sicht zur Folge, dass es uninteressanter und weniger dynamisch wird. SPOX

SPOX: Sie sind seit einiger Zeit in den sozialen Medien aktiv, weil Sie dort ungefiltert Ihre Meinung äußern können. Wie wurde Ihnen klar, dass Sie das öffentliche Bild, das man von Ihnen zeichnet, nicht mehr ausschließlich anderen überlassen möchten?

Magath: Das war zu meiner Zeit auf Schalke. Ich fühle mich seit rund vier Jahren von einigen Teilen der Medien diskreditiert. Die Medien verbreiten nur etwas, was sie verbreiten wollen. Sie sind nicht daran interessiert, ein Thema sachlich aufzuarbeiten.

SPOX: Wann fing in Ihren Augen die Diskriminierung genau an?

Magath: Dazu muss ich etwas ausholen: Im ersten Jahr auf Schalke wurden wir Vizemeister. Ich habe mir dennoch erlaubt, die Mannschaft umzukrempeln. In der folgenden Saison zogen wir ins Endspiel des DFB-Pokals ein und erreichten das Viertelfinale in der Champions League. Wir hatten allerdings Schwierigkeiten in der Meisterschaft, was dann letztlich auch dazu geführt hat, dass man sich von mir trennte. Im Herbst dieser Saison entschloss ich mich in meiner Funktion als Trainer und Manager, für den FC Schalke Geld zu sparen. Ich habe Jermaine Jones ausgeliehen. Dadurch hat der Verein ein halbes Jahr lang einen siebenstelligen Betrag gespart und eine Leihgebühr eingenommen. Im Januar des neuen Jahres habe ich mich von Ivan Rakitic getrennt, weil er seinen auslaufenden Vertrag nicht verlängern wollte. Auch das hat eine Gehaltsersparnis im siebenstelligen Bereich gebracht, dazu kam eine Million Euro Ablösesumme. Auch Christoph Moritz ging, weil es nach einer Verletzung in der Vorrunde absehbar war, dass er auch in der Rückrunde nicht zur Verfügung steht. Insgesamt sind damit fast fünf Millionen Euro gespart worden.

SPOX: Und stattdessen haben Sie Angelos Charisteas und Ali Karimi verpflichtet. Das war für viele auf den ersten Blick unverständlich.

Magath: Genau. Drei Spieler sind gegangen und zwei habe ich geholt. Keiner der beiden Neuen hat Ablöse gekostet, ihre Berater haben nicht einen Euro an Honorar bekommen. Der finanzielle Aufwand für die fünf Monate, die beide Vertrag hatten, betrug 600.000 Euro. Das hat aber niemand so verbreitet. Stattdessen hieß es: Da holt er zwei alte Spieler und niemand weiß, was das soll. Kein Wort davon, dass es dem Verein über vier Millionen Euro eingebracht hat. Und unglücklicherweise hat Charisteas bei seinem ersten Einsatz auch noch ein Tor geschossen...(lacht).

SPOX: Diese Episode gab dann den letzten Ausschlag dafür, sich künftig über Facebook zu äußern?

Magath: So ist es. Damit eben nichts mehr verfälscht dargestellt wird und ich solche Themen klarstellen kann. Ich hatte mit Facebook keine Berührungsängste, sondern sehe das als ideale Sache, um ungefiltert meine Meinung sagen zu können. Natürlich war es für mich anfangs ungewohnt. Wissen Sie: Ich bin eben Fußballer und völlig auf meinen Sport ausgerichtet. Ich kann Ihnen nicht sagen, welche Fernsehserie derzeit angesagt ist oder wie die neuesten Entwicklungen im Internet aussehen. Das kriege ich alles kaum mit, da ich mich ausschließlich mit Fußball beschäftige und Zeit für meine Familie aufwende.

SPOX: Wie schauen Sie für sich persönlich in die Zukunft?

Magath: Für mich geht es jetzt darum, einen Verein zu finden, der nach außen auch sagt, dass er den Magath haben will und meine sowie die Arbeitsweise meines Trainerteams aus Überzeugung unterstützt und in der täglichen Arbeit auch danach handelt.

SPOX: Wenn Sie es sich aussuchen könnten: Wo würden Sie am liebsten anfangen?

Magath: Ich habe keine Präferenzen. Wenn ich ein Angebot aus London bekomme, wäre das schon ein Argument. Dort würde ich gerne noch ein paar Jährchen leben und arbeiten. Ein größeres Argument ist und bleibt aber selbstverständlich die Situation des Vereins. Wenn ich etwas suche, dann einen wirklich gut und solide geführten Verein.

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