Das Derby gegen Borussia Dortmund (Sa., 15.15 Uhr im LIVE-TICKER) ist für den FC Schalke 04 nur eine Zwischenstation. Es winken die Champions League und Einnahmen von mindestens 20 Millionen Euro. Aber: Es droht der Zerfall des Teams. Wen holt Sport-Vorstand Heldt? Und was kommt aus der Jugend?
Tor
Das aktuelle Personal: Lars Unnerstall, Timo Hildebrand, Ralf Fährmann, Mathias Schober
Die Situation: Selbst Stochastiker dürften ihre Mühe haben, die Vorgänge auf Schalke zu erklären. Dass sich in einer Saison die ersten drei Torhüter schwer verletzen, ist unwahrscheinlich. Dass sie sich ihre Verletzungen allesamt vor der Südtribüne der Veltins-Arena zuzogen, ist nahezu unmöglich - und doch wahr.
Erst riss sich Fährmann das Kreuzband, weswegen Hildebrand als Vertretung verpflichtet wurde. Der Ex-Nationalspieler verlor jedoch den Wettstreit gegen den namenlosen Unnerstall, der sich als erstaunlich verlässlich erwies, aber im Februar nach einer Schultereckgelenkssprengung eine Pause einlegen musste, die wiederum Hildebrand ins Tor brachte.
Nach soliden bis guten Leistungen fiel dieser mit einer Kapsel- und Sehnenverletzung am rechten Ellenbogen aus, so dass im Viertelfinal-Hinspiel der Europa League gegen Bilbao der vergessene Schober zum Comeback kam.
Die vorerst letzte Wendung: Unnerstall kehrte zurück, löste Schober nach dessen unglücklichem Kurzeinsatz ab - und zeigte nicht gekannte Unsicherheiten wie beim 1:4 in Nürnberg. Dennoch: Bis zum Saisonende bleibt er die Nummer eins - zumindest voraussichtlich.
Der Ausblick: Es regieren die Fragezeichen. Von Schober (Vertrag bis 2012) und seinem Weggang abgesehen sind alle Varianten denkbar: Unnerstall (2013), Hildebrand (2012) und Fährmann (2015) wussten allesamt zu gefallen, allerdings gelang es ihnen nicht, die Verantwortlichen uneingeschränkt zu begeistern. Hildebrand hielt solide, Fährmann stabilisierte sich nach durchwachsenem Beginn, Unnerstall überraschte mit einem nicht erwarteten Leistungssprung auf ein Niveau, das er in den ersten Partien seit der Verletzung aber nicht bestätigen konnte.
Wahrscheinliches Szenario: Aus dem Trio Unnerstall/Hildebrand/Fährmann verbleiben zwei, die im Sommer um die Nummer eins konkurrieren. Geüchte um Tim Wiese dementierte Sportvorstand Horst Heldt ("Das Thema ist an den Haaren herbeigezogen").
Als dritter Torwart wird ein Talent aufgebaut, der sich klaglos auf die Bank setzt oder bei der Zweiten aushilft. Logischer Kandidat hierfür wäre Lukas Raeder gewesen: Der 18-Jährige wurde von Neuer-Entdecker Lothar Matuschak geformt und ist Stütze der Schalke A-Junioren, die die Bundesliga-West anführen. Nur: Wie vor einem Jahr Rakovsky, der nach Nürnberg gewechselt war, verlässt auch Raeder den Verein. Er geht zu Bayern II. Daher blickt sich Schalke um, ein Kandidat: Bielefelds Stefan Ortega.
Die angeblichen Neuzugang-Kandidaten: Tim Wiese (Werder Bremen), Stefan Ortega (Arminia Bielefeld)
Innenverteidigung
Das aktuelle Personal: Kyriakos Papadopoulos, Joel Matip, Christoph Metzelder
Die Situation: Welch ein Luxus: Höwedes ist zwar der beste Schalker Innenverteidiger, allerdings sichern die beiden 20-jährigen Papadopoulos und Matip das Abwehrzentum von wenigen Ausnahmen abgesehen (wie in Nürnberg) derart gut ab, dass Höwedes abkömmlich und als Rechtsverteidiger vom größeren Wert für Schalke ist. Getty
Entsprechend besteht die Innenverteidiger-Rotation aus drei Mann: Papadopoulos, Matip und Metzelder, der mit 31 Jahren keine höheren Ambitionen verfolgt und sich mit der Backup-Rolle zufrieden gibt: "Ich gehe mit der Situation einfach professionell um und will dem Trainer zeigen, dass er mich immer reinwerfen kann. Ansonsten sehe ich mich als echten Mannschaftsspieler."
mySPOX-Blog: Schalke 04 - ein Blick in die Glaskugel
Der Ausblick: Die Konstellation Papadopoulos/Matip zentral und Höwedes rechts kommt für die kommende Saison weiter in Betracht. In dem Fall müsste Schalke für die nötige Tiefe einen weiteren Innenverteidiger verpflichten. Sehr gut möglich: Als zweiter Backup zum erfahrenen Metzelder kommt ein Abwehr-Talent, das an die erste Elf herangeführt wird. A-Jugend-Kapitän und U-19-Nationalspieler Kolasinac wusste Trainer Stevens bereits mehrfach zu gefallen.
Interessant wäre die Variante mit Carlos Zambrano gewesen. Doch St. Pauli nahm von der Kaufoption Gebrauch und den von Schalke ausgeliehenen Peruaner fest unter Vertrag. Nur: Sollte St. Pauli den Aufstieg verpassen, wird sich Zambrano trotzdem einen neuen Verein suchen...
Die angeblichen Neuzugang-Kandidaten: Douglas (Twente)
TEIL 2: Außenverteidigung und defensives Mittelfeld
TEIL 3: Offensives Mittelfeld und Sturm
Außenverteidigung
Das aktuelle Personal: Benedikt Höwedes, Christian Fuchs, Atsuto Uchida, Sergio Escudero, Tim Hoogland, Hans Sarpei
Die Situation: Zum Wohle des Vereins und zum Wohle seiner Einsatzchancen bei der deutschen Nationalmannschaft arrangierte sich Kapitän Höwedes mit der Versetzung aus seiner bevorzugten Innenverteidiger- auf die Rechtsverteidiger-Position. Ein erfolgreiches Unterfangen: Höwedes verbesserte sich in neuer Rolle zusehends, sicherte Vordermann Farfan ab, hielt diesen kraft seiner Autorität zur Defensivarbeit an und beteiligte sich selbst am Offensivspiel mit teils überragenden Flankenläufen.
Während Höwedes' Ausfalls wurde er wahlweise von Uchida, Höger und zuletzt Hoogland ersetzt.
spoxUchida ist spezialisiert für die Position, aber ihm geht die Konstanz und bisweilen die Bissigkeit ab. Aushilfe Höger spielt verlässlich, ohne herauszustechen. Hoogland bestritt nach zweijähiger Pause erst sein drittes Spiel.
Nach Jahren der Ödnis links hinten verfügt Schalke seit dieser Saison über eines der besten Duos der Liga. Fuchs mag defensiv zu nachlässig sein, seine Flanken, seine Standards und seine 9 Assists bleiben für einen Verteidiger in der Bundesliga aber unerreicht. Backup Escudero machte zwei Jahre den Eindruck eines Heimatlosen, der zwischen Profi-Kader, Tribüne und zweiter Mannschaft verloren zu gehen drohte. Aufgrund der Fuchs-Verletzung kommt er regelmäßig zum Einsatz und deutet an, warum selbst Spaniens Nationaltrainer Del Bosque ihn beobachten lässt.
Der Ausblick: Links wird sich zur kommenden Saison nichts ändern, die Besetzung der rechten Seite hängt von der Grundsatzentscheidung ab, ob Höwedes nach innen rückt oder auf außen bleibt. Wenn Höwedes wieder ins Abwehrzentrum beordert wird, wäre Schalke zu einem Transfer genötigt. Denn Uchida bleibt je nach Tagesform eine Unbekannte, ähnlich schwierig ist eine Evaluierung des lange verletzten Hoogland. Höger ist ein Muster an Kampf und Beständigkeit, seine Zukunft liegt dennoch im Mittelfeld. Web-2.0-Phänomen Sarpei (1 Einsatz) wird mit Ablauf des Vertrags im Sommer den Verein verlassen.
Die angeblichen Neuzugang-Kandidaten: -
Defensives Mittelfeld
Das aktuelle Personal: Jermaine Jones, Lewis Holtby, Marco Höger, Christoph Moritz, Peer Kluge
Die Situation: Vor der Saison noch ein gewagtes Experiment, ein dreiviertel Jahr später ein durchschlagender Erfolg: Rabauke Jones und Techniker Holtby sind als Fußballer und Menschen so unterschiedlich - und bilden trotz oder gerade wegen der Gegensätze eine harmonische Doppel-Sechs. Während Jones (gelegenltich übertrieben) aggressiv das Mittelfeld durchpflügt, zeichnet Holtby für das Kreative aus der Tiefe zuständig (4 Tore, 5 Vorlagen).
"Jones ist sehr erfahren, athletisch top, lautstark auf dem Platz. Er hat mich richtig herangeführt an meine Rolle. Wir kommunizieren viel im Spiel, coachen uns gegenseitig. Das macht es mir einfach, wenig Fehler zu machen", sagt Holtby.
Im defensiven Mittelfeld versuchten sich auch Matip, Papadopoulos und Jurado - dass sie sich dort aber unbehaglicher fühlen als auf ihren Lieblingspositionen, war augenscheinlich. Als wesentlich vielversprechener erwies sich das Modell Höger/Moritz beim 3:0 gegen Hannover.
Der Ausblick: Im Schalker Kader-Puzzle kommt dem defensiven Mittelfeld eine Sonderstellung zu: Alles ist geregelt. Aus Mönchengladbach wurde mit Neustädter ein Sechser verpflichtet, der mit seiner Größe und den strategischen Fähigkeiten einen anderen Typus darstellt als Jones und Holtby.
Sollte Holtby ins offensive Mittelfeld gezogen werden, bilden Neustädter und Jones das defensive Mittelfeld. Sollte Holtby die jetzige Rolle beibehalten, kommt es zum Dreikampf. Sollte Stevens vom 4-2-3-1 auf ein 4-4-2 in der Raute umstellen, könnten sogar alle drei beginnen mit Neustädter auf der Sechs und Jones sowie Holtby auf den Halbpositionen.
Entsprechend gibt es keinen Bedarf für weitere Transfers. Denn: Mit dem nächste Saison genesenen Kluge, Moritz (dessen 2012 auslaufender Vertrag verlängert wird) und Höger verfügt Schalke über ausreichend Alternativen. Hinzukommt der 18-jährige Kolasinac: Zwar ist er gelernter Innenverteidiger, doch in der überragend spielenden A-Jugend wird der Kapitän mit dem Körper eines Bundesliga-Profis vorwiegend als Sechser aufgestellt.
Die von Magath gekauften und weiter verliehenen Annan und Pliatsikas besitzen hingegen keine Perspektive. Arnheim will Annan fest verpflichten, ähnliches ist bei Duisburg und Pliatsikas denkbar, der beim MSV zu den Stammkräften gehört.
Die angeblichen Neuzugang-Kandidaten: -
TEIL 1: Tor und Innenverteidigung
TEIL 3: Offensives Mittelfeld und Sturm
Offensives Mittelfeld
Das aktuelle Personal: Raul, Jefferson Farfan, Julian Draxler, Chinedu Obasi, Jose Jurado, Alexander Baumjohann, Lewan Kenia
Die Situation: Ähnlich zur Sturmmitte mit Huntelaar ist das offensive Mittelfeld eine Konstante: Sperren und Verletzungen ausgeklammert sind die verfügbaren drei Position für Raul (zentral), Farfan (rechts) und Draxler (links) vorbestimmt. Winter-Zugang Obasi gebührt dank seiner Vielseitigkeit die Aufgabe als erster Mann von der Bank, Jurado und Baumjohann hingegen verwirkten ihre Stellung.
Der Ausblick: Es droht der Wegfall von 17 Toren und 13 Assists: Raul (14+5) und Farfan (3+8) sind ab dem Sommer ungebunden und Mitte April zeichnet sich noch immer nicht ab, ob sie auf Schalke bleiben oder zu einem finanziell besser situierten Klub wechseln. Raul hält sich ob kolportierter Angebote aus Katar, Russland, USA, China und laut seines Beraters sogar aus Deutschland ("Wichtiger Bundesliga-Verein") bedeckt, soll sich aber laut der spanischen Zeitung "Marca" für einen Wechsel nach Katar entschieden haben. Ungewohnt verschwiegen ist mittlerweile auch Farfan.
Ein Flügelspieler von Farfans Qualität wird für Schalke kaum zu finanzieren sein, weswegen Obasi, immerhin vier Millionen Euro teuer, den Perunaer Eins-zu-eins ersetzen soll, wenn dieser woanders unterschreibt. Getty
Im Falle eines Raul-Weggangs bietet sich eine interne Nachbesetzung an: Holtby und Draxler verstehen sich beide als Spielmacher und gehen diese Saison erfolgreich in die Lehre. Holtby entdeckte im defensiven Mittelfeld Zweikampfhärte und stategisches Geschick, Draxler reifte am linken Flügel zur Stammkraft.
Im Kader steht mit dem Georgier Kenia ein weiteres Zehner-Talent, aber wegen unzähliger Verletzungen wartet er seit Oktober 2009 (!) auf einen Einsatz. Sein Comeback für Georgiens Nationalelf im Februar, als er eingewechselt das Siegtor gegen Albanien vorbereitete, brachte Heldt womöglich zum Nachdenken, ob er dem 21-Jährigen im Sommer einen neuen Vertrag vorlegt.
Bei den verliehenen Moravek und Deac stehen zwei Möglichkeiten zur Auswahl: Integration ins Team oder Weiterverkauf. Moraveks Ausleihe nach Augsburg wandelte sich zu einem sinnlosen Vorhaben, weil der Tscheche wegen eines Muskelfaserrisses ohne Einsatz blieb. Deac sammelte beim rumänischen Vierten Rapid Bukarest zumindest vereinzelt Erfolgsmomente (6 Tore und 6 Assists in 22 Spielen).
Die angeblichen Neuzugang-Kandidaten: Eljero Elia (Juventus Turin), Patrick Ebert (Hertha BSC), Timo Gebhart (VfB Stuttgart), Dusan Tadic (FC Groningen)
Sturm
Das aktuelle Personal: Klaas-Jan Huntelaar, Teemu Pukki, Ciprian Marica, Philipp Hofmann, Andre Wiegel
Die Situation: Letzte Saison wurde Huntelaar noch der Vorwurf gemacht, für einen internationalen Top-Spieler zu unbeständig zu sein und sich nur über Tore zu definieren. Diesen widerlegt er in beeindruckender Art: 35 Scorer-Punkte (24+11) in 28 Bundesliga-Spielen sowie 12 Scorer-Punkte (10+2) in 10 Europa-League-Spielen.
Wenn Huntelaar unpässlich ist oder er Unterstützung im Sturm benötigt, springt Pukki ein. Der Finne musste sich anfangs eingewöhnen, seitdem besticht er durch Effizienz: 5 Startelf-Einsätze, 12 Einwechslungen, 5 Tore (im Schnitt alle 110 Minuten). Damit gewann Pukki auch das Duell gegen Marica um die erste Backup-Rolle. Vom Köln-Spiel (zwei Tore) abgesehen fehlen dem Rumänen die Highlights.
Der Ausblick: Im Gegensatz zu Raul und Farfan ist Huntelaar bis 2013 gebunden - was jedoch einen Verkauf nicht ausschließt. Sollte der Niederländer einer Verlängerung nicht zustimmen, muss ihn Schalke transferieren, um eine marktgerechte Ablöse zu erzielen. Diese würde weitestgehend in einen ähnlich hochkarätigen Nachfolger investiert werden.
Pukki bliebt die erste Option von der Bank, bei einer Systemumstellung auf zwei Stürmer könnte ihm sogar ein Stammplatz zustehen.
Dahinter aber ist einiges im Unklaren: Zweifelhaft, ob Marica selbst als Joker die Güte für die Champions League mitbringt. Zweifelhaft, ob die verliehenen Gavranovic (Bankspieler in Mainz) und Edu (Joker bei Besiktas) helfen. Ebenso zweifelhaft, ob die mit Profiverträgen ausgestatteten Jungprofis Hofmann und Wiegel bereit sind für den Sprung aus dem Nachwuchs- in den Seniorenbereich.
Die angeblichen Neuzugang-Kandidaten: Pierre-Michel Lasogga (Hertha BSC)