1899 Hoffenheim vollzieht den nächsten Kurswechsel: Statt zu kleckern, werden mit Tim Wiese und Eren Derdiyok zwei Top-Spieler verpflichtet. Alte Leistungsträger stehen zur Disposition, neue Talente hingegen im Fokus von Trainer/Manager Markus Babbel. Aber ist der Kader stark genug für die hochtrabenden Ziele?
Tor
Das aktuelle Personal: Tom Starke, Daniel Haas, Koen Casteels
Die Situation: Er weiß um die Unterstützung der Fans und wähnt sich selbst auf einem Niveau, der ihn für die deutsche Nationalmannschaft befähigt. Dennoch behielt der bisherige Stammtorwart Starke, sonst eher wortstark denn zurückhaltend, während der mehrtägigen Wiese-Inszenierung die Contenance und fügte sich dem Hoffenheimer Ansinnen, sich trotz des bis 2013 laufenden Vertrags zu verabschieden.
Trainer Babbel hatte von Beginn an Zweifel, ob Starke seinen Ansprüchen genügt. Zweifel, die in der Rückrunde weiter genährt wurden, obwohl Starke von wenigen Ausnahmen abgesehen (wie zuletzt beim 2:3 gegen Nürnberg) nicht eklatant oft patzte. Nur: Starke zeigte selten Glanzvolles und verharrte häufig im Mittelmaß.
Ebenfalls fehlt Babbel der Glaube in den gleichermaßen zuverlässigen Haas, so dass neben der Nummer eins auch die Nummer zwei Hoffenheim verlässt. Starke könnte zum FC Bayern als Manuel Neuers Vertreter oder zu Bundesliga-Aufsteiger Frankfurt, dessen Manager Hübner mit Starke in Duisburg arbeitete. Haas will sich als Stammtorwart bei einem Zweitligisten versuchen.
Der Ausblick: Wieses Wechsel nach Hoffenheim überraschte - und doch ist sie ob der Ambitionen folgerichtig. "Wir wollen international spielen. Mein Ziel ist es, irgendwann die Champions League zu erreichen", sagt Babbel, als Trainer/Manager neben Gönner Hopp die maßgebliche Kraft. Entsprechend suchte er nach einem Upgrade und fand ihn in Deutschlands Nummer zwei. Zwar gehört Wiese wie Starke zu den Vertretern des klassischen Torwartspiels, dennoch bewegt er sich auf einem anderen Level als sein Vorgänger.
Mehr noch: Wiese dient als Signature Move für Babbel, der die Strahlkraft des Klubs illustrieren und womöglich weitere Stars überzeugen will. Unter dem Aspekt wird es auch verständlich, warum recht offen das Interesse von Real Madrid und den Mailänder Klubs thematisiert wurde.
Hinter Wiese übernimmt die aktuelle Nummer drei Casteels die Rolle des ersten Ersatzmanns. Babbel sieht in dem 19-jährigen Belgier, diese Saison Stammkraft der Regionalliga-Mannschaft, einen Torwart mit den gleichen Fähigkeiten eines ter Stegen oder Leno. Als dritter Torwart soll Grahl fungieren, der nach einer unglücklichen Ausleihe zu Paderborn inklusive einer halbjährigen Verletzungspause zurückkehrt.
Die angeblichen Neuzugang-Kandidaten: -
Innenverteidigung
Das aktuelle Personal: Marvin Compper, Jannik Vestergaard, Isaac Vorsah, Matthias Jaissle, Stefan Thesker, Manuel Gulde, Kevin Conrad, Niklas Süle
Die Situation: Im Sommer 2011 hieß die Wunsch-Innenverteidigung Vorsah/Jaissle. Ein Jahr später finden sich beide nur noch an der Peripherie wieder. Der schon immer verletzungsanfällige Jaissle kam in der gesamten Saison nicht zum Einsatz. Vorsah wiederum büßte nicht nur seinen Stammplatz ein, sondern auch die Lobby im Verein: Nach Träumereien von einem Premier-League-Wechsel, einer Roten Karte, einem schwachen Africa Cup und darauffolgenden Verletzungen ist er in Hoffenheim nicht besonders wohl gelitten.
Daher wurde die Abwehrzentrale ab der Rückrunde von Compper und Vestergaard besetzt. Compper ragte zwar nicht heraus, aber er war die Saison über eine der wenigen Konstanten und stützte den jungen Nebenmann Vestergaard, als dieser im Frühling in eine Krise zu rutschen drohte.
Der Ausblick: Die Genesung nach einer Saison ohne einen Bundesliga-Einsatz vorausgesetzt, dürfte Stuttgart-Zugang Delpierre die Rolle als Backup für Compper und Vestergaard zukommen. Muss Compper links hinten aushelfen, könnten alle drei beginnen. Wenn sich für Vorsah kein potenter Abnehmer meldet, wird er die Innenverteidigung komplettieren. Jaissles Genesung ist unmöglich zu prognostizieren.
Aus der zweiten Mannschaft und der Jugend drängen einige nach, doch erst im Sommer-Trainingslager wird sich entscheiden, wem Babbel den Durchbruch bei den Profis zutraut. Der im Winter aus Enschede gekommene Thesker sowie die ebenfalls 21-jährigen Gulde (nach langer Pause) und Conrad erhielten in der U 23 ihre Spielzeit.
Der interessanteste Name ist jedoch Niklas Süle. Der 16-Jährige nimmt aktuell mit der deutschen U 17 an der EM teil und besitzt die Statur eines Hünen (1,94 Meter). Er trainierte bereits bei den Profis mit und wird kommende Saison in den Seniorenbereich zur zweiten Mannschaft hochgezogen - immer mit der Perspektive Bundesliga.
Die angeblichen Neuzugang-Kandidaten: -
TEIL 2: Außenverteidigung und defensives Mittelfeld
TEIL 3: Offensives Mittelfeld und Sturm
Außenverteidigung
Das aktuelle Personal: Andreas Beck, Fabian Johnson, Edson Braafheid, Andreas Ibertsberger
Die Situation: Kaum Anlass zur Freude, kaum Anlass zu vernichtender Kritik: Die rechte und linke Abwehrseite war ein Spiegel der Hoffenheimer Saison. Beck machte wenig falsch, aber auch zu wenig richtig, Johnson wiederum ging mit fortschreitender Saison immer mehr die Gefährlichkeit ab. Nach 7 Assists in den ersten 16 Spielen folgte nur noch eine Vorlage. Kuriose Situation: Bayern-Flop Braafheid stand seit dem Januar nicht mehr in der Startelf - und könnte angesichts der fehlenden Konkurrenz in den Niederlanden trotzdem für die EM nominiert werden.
Der Ausblick: Beck erwarten nach der Saison zwei Gefahren: Babbel könnte ihm die Kapitänsbinde abnehmen - und gleichzeitig den seit vier Jahren unumstrittenen Stammplatz. Fürths Schröck wandelte sich in dieser Saison zwar vom Rechtsverteidiger zum Linksaußen, doch der Deutsch-Filippino wurde bereits von Hoffenheim darüber informiert, dass er auf alter Position eingeplant ist. Sollte Schröck die teils fabelhaften Leistungen der vergangenen beiden Zweitliga-Jahre in die Bundesliga übertragen können, ist er vermutlich erste Wahl. Denn: Anders als Beck verkörpert er die so vermisste Dynamik.
Bei einem Johnson-Ausfall ist es denkbar, dass Schröck statt Compper hinten links aushilft. Mit dem sicheren Weggang von Ibertsberger und dem wahrscheinlichen Weggang des verliehenen Raitala (erweiterter Stamm beim spanischen Tabellen-Neunten Osasuna) mangelt es sonst an Alternativen.
Die angeblichen Neuzugang-Kandidaten: Christian Lell (Hertha BSC)
Defensives Mittelfeld
Das aktuelle Personal: Sejad Salihovic, Sebastian Rudy, Tobias Weis, Daniel Williams, Tobias Strobl, Dominik Kaiser
Die Situation: Das defensive Mittelfeld war die größte Stärke in dieser Saison - und sie wird es auch zukünftig sein. Mit der (kostspieligen) Verlängerung von Salihovic und Weis bleibt die Rotation aus vier überdurchschnittlich guten Sechsern bestehen, die sich gegenseitig ergänzen.
Salihovic zeigt Torgefahr und schlägt die besten Standards der Liga, Rudy spielt elegant und technischer versiert, Weis steht für Giftigkeit und Williams ist athletisch wie kaum ein anderer Bundesliga-Profi. Vor allem Weis zeigt sich nach dem Trainer-Wechsel von Stanislawski zu Babbel verbessert: "Ich fühle mich stärker und stabiler als je zuvor."
Der Ausblick: Eine solche Kumulation an starken Sechsern können wenn überhaupt nur die Top-Klubs der Liga aufbieten. Daher sieht Babbel keinen Bedarf für Verstärkungen, vielmehr geht es um Auslese. Nobody Kaiser erlebte einen wundervollen Herbst mit vier Startelf-Einsätzen, seitdem aber ist er nur noch sporadisch Teil des Kaders und soll abgegeben werden. Ähnlich Babbels Meinung zum ausgeliehenen Zuculini. Der Argentinier kommt beim abstiegsbedrohten Saragossa vorwiegend als Einwechselspieler zum Einsatz und ist in Hoffenheim ohne Perspektive.
Wie es mit dem von Ex-Manager Tanner von 1860 verpflichteten Strobl weitergeht, ist nicht abschließend befunden. Der Leistungsträger der zweiten Mannschaft wechselte mit dem Ziel nach Hoffenheim, sich bei den Profis zu bewähren.
Die angeblichen Neuzugang-Kandidaten: -
TEIL 1: Tor und Innenverteidigung
TEIL 3: Offensives Mittelfeld und Sturm
Offensives Mittelfeld
Das aktuelle Personal: Boris Vukcevic, Roberto Firmino, Ryan Babel, Joseph Gyau, Sandro Wieser
Die Situation: Es herrschte Experimentierwut: Nachdem Ex-Trainer Stanislawksi trotz erfolgreicher Einführung des avantgardistischen 4-2-4 zum konservativen 4-2-3-1 abkehrte, regiert der Wandel. Die Grundordnung blieb unter Babbel, doch die Positionen wurden die Saison über ganz verschieden besetzt. Babel war lange der einzige Fixpunkt (5 Scorer-Punkten aus den ersten 6 Spielen), aber nach einer monatelangen Schwächephase (3 Vorlagen in den 24 darauffolgenden Partien) rotierte er auf die Bank.
Ansonsten mühten sich Firmino, Sigurdsson, Mlapa, Musona, Salihovic, Johnson und Williams in diversen Aufstellungsvarianten - allerdings blieb es Stückwerk. Der einzige offensive Mittelfeldspieler, der sich merklich steigerte, war Vukcevic, der von Babbel ab dem 21. Spieltag von Beginn an aufgestellt wurde. Nun überlegt Kroatiens Nationaltrainer Bilic, den ehemaligen deutschen U-21-Nationalspieler für die EM zu nominieren.
Der Ausblick: Die Fragezeichen regieren: Bei Babel, dem meist verdienenden Profi im Kader, sind alle Optionen denkbar: sofortiger Verkauf oder Neubeginn im Sommer. Wegweisend auch die Zukunft des zu Swansea City ausgeliehenen Gylfi Sigurdsson: Wenn kein Premier-League-Klub die aufgerufene Ablösesumme von mindestens zehn Millionen Euro zahlt, zieht er wohl zurück - obwohl er einen Verbleib in England bevorzugt.
spoxIm Falle einer Rückkehr dürfte ihm die Rolle der Nummer zehn gebühren - angesichts der Leistungen für Swansea (12 Scorer-Punkte in 16 Spielen) und im Debütjahr für Hoffenheim (9 Tore) eine Selbstveständlichkeit. Im Falle eines Sigurdsson-Verkaufs könnte Bayerns Japaner Usami dessen Planstelle übernehmen. Fest für die Stammbesetzung vorgesehen ist der bei 1860 geparkte Volland. 13 Tore und 11 Vorlagen in 32 Spielen machen ihn zum besten Spieler der 2. Liga. Je nach Ausrichtung spielt er als Linksaußen oder im Zweiersturm neben Derdiyok. Der US-Amerikaner Gyau, im Blickfeld von Nationaltrainer Klinsmann, und Liechtensteins Nationalspieler Wieser (beide 19) sollen sich über die zweite Mannschaft anbieten.
Die angeblichen Neuzugang-Kandidaten: Takashi Usami (FC Bayern), Valentin Stocker (FC Basel)
Sturm
Das aktuelle Personal: Sven Schipplock, Peniel Mlapa, Knowledge Musona, Denis Thomalla
Die Situation: Zur Winterpause rechnete niemand damit, dass am Saisonende der anfangs überforderte Schipplock der Mittelstürmer der Wahl sein würde. Aber: Ibisevic wurde verkauft und Wolfsburg-Ausleihe Lakic erwies sich als teurer Irrtum. Schipplocks Bilanz in den vier Wochen als Stammspieler fällt respektabel aus (2 Tore und 2 Assists in 6 Spielen) - und das ist bei weitem mehr, als die anderen erbrachten.
Mlapas Bilanz ist miserabel (1 Tor in 1003 Spielminuten), Musona machte Babbel erst spät neugierig ("Der Junge kann richtig gut kicken"), und Thomalla gilt für die Profis noch immer als zu leichtgewichtig.
Der Ausblick: Ein ungeklärtes Rätsel der Bundesliga könnte kommende Saison gelöst werden: Ist Derdiyok ein Genie, das in Leverkusen nicht gewürdigt wurde? Oder gehört er zu jenen Spielern, die das Talent, aber nicht den Willen für eine große Karriere mitbringen? Wer sich an Derdiyoks Tor gegen Wolfsburg erinnert, als er sich den eigenen Fallrückzieher selbst vorbereitete, der weiß: Es gibt wenige Bundesliga-Stürmer, die technisch so begnadet und physisch so gesegnet sind.
Daher willigte Hoffenheim sogar ein, die für Ibisevic erlöste Summe von rund 5 Millionen Euro weiterzuinvestieren, obwohl eine solch hohe Ablöse dem offensiv vertretenen Prinzip der finanziellen Konsolidierung widerspricht. Schipplock wird sich anstellen müssen - hinter Derdiyok und vielleicht auch hinter Babbels Ex-Schützling Lasogga.
Der nach Ausleihe wieder unter Vertrag stehende Wellington wird hingegen, wenn überhaupt, nur geduldet. Etwas komplexer stellt sich die Personalie Gregorisch da: Der wie Volland geparkte Österreicher konnte den Absturz seines Heimatklubs Kapfenberg nicht verhindern, verlor selbst den Stammplatz und erzielte in 16 Spielen nur 1 Tor.
Die angeblichen Neuzugang-Kandidaten: Pierre-Mchel Lasogga (Hertha BSC), Patrick Helmes (Wolfsburg)