Transformation abgeschlossen: Aus der Magath-Resterampe wurde ein Team mit Perspektive. Sport-Vorstand Heldt leistete herausragende Arbeit. Dennoch droht eine Debatte, die jeden nur nervt. Die SPOX-Kaderanalyse zum FC Schalke 04.
Im März 2011 wurde Felix Magath von Schalke entlassen und hinterließ einen Kader, der in der Mannstärke mehr an ein NFL-Team erinnerte. In Hochzeiten standen über 40 Spieler unter Vertrag.
Nur zweieinhalb Jahre später schrumpfte die Mannschaft auf ein vernünftiges Normalmaß von 28 Profis. Die Zahl könnte sich auf 27 reduzieren, sollte Anthony Annan noch abgegeben werden.
spoxUmso bemerkenswerter, dass nicht nur die Kadergröße, sondern auch die Altersstruktur gesundete: Nur 2 Spieler sind über 30 Jahre alt, 9 Spieler sind zwischen 30 und 26, 11 Spieler sind zwischen 25 und 21 und 6 Spieler sind sogar unter 21.
Sport-Vorstand Horst Heldt gelang es, trotz aller Unruhen im Vorjahr mit Weitsicht ein Team zusammenzustellen, welches im Jetzt wettbewerbsfähig ist, aber auch das Morgen gehört. In diesem Sommer gab es keinen wesentlichen Abgang, dafür wurden Top-Talente günstig verpflichtet. Für Adam Szalai mussten zwar 8 Millionen Euro veranschlagt werden, dafür kosteten Leon Goretzka und Christian Clemens jeweils knapp unter 3 Millionen und Felipe Santana dank einer Klausel nur 1 Million.
Torhüter
Zugänge: keine
Abgänge: keine
Offene Position: keine
Die Situation: Im Vorjahr war die Torwart-Position noch Quell unnötiger Debatten, weil sich der damalige Trainer Huub Stevens partout nicht festlegen wollte, wer als Stammkeeper in die Saison gehen soll: Timo Hildebrand, Lars Unnerstall oder Ralf Fährmann?
"Ich bin froh, dass dieses unsägliche Thema aus dem letzten Jahr endlich vorbei ist. Damals wurde viel zu viel diskutiert, und das hat keinem gut getan", sagt Torwart-Trainer Holger Gehrke rückblickend.
Als Lehre aus der Vergangenheit legte sich sein Vorgesetzter Jens Keller in der Vorbereitung früh fest, dass Hildebrand weiter die Nummer eins sein wird, allerdings mit dem Zusatz versehen: "Selbstverständlich muss er Vollgas geben und seine Leistung bestätigen. Schafft er das, hat er sehr gute Chancen."
Nur: Hildebrand unterlief beim ersten seriösen Test gegen Red Bull Salzburg vor dem 1:2 ein folgenschwerer Fehler und kassierte zudem ein unglückliches Gegentor aus über 60 Metern zum 1:3-Endstand. Sport-Vorstand Horst Heldt beeilte sich daraufhin mit einem: "Es gibt keine Torwart-Diskussion!" Dennoch dürfte sich diese nicht vermeiden lassen.
Hildebrand hielt in der Rückrunde zwar sehr solide und zeigte nur selten schwach (wie beim 5:4 gegen Hannover), doch er ragte genauso selten heraus wie in der Hinrunde Unnerstall. Fährmann wiederum ist wegen allerlei Verletzungen seit fast zwei Jahren ohne Bundesliga-Einsatz und wurde in der Vorsaison nur in zwei Regionalliga-Spielen erprobt.
Beim 6:1 in Aachen im letzten Test duften sich Unnerstall und Fährmann bewähren, Hildebrand reiste nicht an und trainierte in Gelsenkirchen.
Seite 1: Torhüter - Die Nerv-Diskussion
Seite 2: Abwehr - Deutliches Upgrade - und doch Zweifel
Seite 3: Mittelfeld - Die Schalker Wunderknaben
Seite 4: Sturm - Ein taktisches Experiment
Abwehr
Zugänge: Felipe Santana (Dortmund), Tim Hoogland (war ausgeliehen), Kaan Ayhan (eigene Jugend),
Abgänge: Christoph Metzelder (Karriereende), Sergio Escudero (Getafe)
Offene Position: Rechtsverteidiger. Sascha Riether wurde nach einer starken Saison bei Fulham (von den Fans zum Spieler des Jahres gewählt) als Favorit ausgemacht, aber Schalke war nicht bereit, die geforderten 2,5 Millionen Euro Ablöse zu zahlen. Das Maximalangebot lag bei 2 Millionen Euro.
Zuvor warb Schalke um Freiburgs Oliver Sorg, außerdem gab es Gerüchte um Kandidaten aus dem Ausland (Sebastien Corchia von Sochaux und Cedric Soares von Sporting). Der aktuellste Stand: Schalke verzichtet auf einen Transfer. "Wir werden nur noch aktiv, wenn uns in den nächsten Wochen das Verletzungspech heimsuchen sollte", sagt Keller.
Die Situation: Die optimistische Lesart: Schalkes Abwehr ist so gut besetzt wie lange nicht. Für jede Position gibt es zwei Stammplatz-Alternativen, besonders hinten links (Sead Kolasinac vs. Christian Fuchs) und im Zentrum, wo Santana den Kaderplatz von Metzelder übernimmt und ein deutliches Upgrade bedeutet.
Mit Benedikt Höwedes, Santana, Joel Matip und Kyriakos Papadopoulos verfügt Schalke über die tiefste Innenverteidiger-Rotation der Liga. Hinzukommt Kaan Ayhan, der an die Profis herangeführt wird. Der 18-jährige Kapitän der U 19 (Halbfinale der deutschen Meisterschaften) ist etwas zu klein, dafür besonders spielstark und gefährlich als Standard-Schütze.
Wer es allerdings skeptisch sehen mag: Aufgrund des nicht absehbaren Comebacks von Papadopulos (erneuter Rückschlag) und insbesondere der fehlenden Verstärkung für rechts hinten sind Zweifel angebracht.
Atsuto Uchida ist offensiv emsig und harmoniert mit Vordermann Jefferson Farfan, trotzdem gehört er nicht zur gehobenen Güte. Und Ersatz Tim Hoogland kam in den letzten drei Spielzeiten auf kümmerliche 383 Einsatzminuten. Alleine bei der letztjährigen Leihe in Stuttgart fiel er aus wegen eines doppelten Bänderrisses, Knie- und muskuläre Problemen, Grippe und Windpocken. Bliebe als Variante, wie bereits erprobt Mittelfeldmann Marco Höger zum Rechtsverteidiger zu zweckentfremden.
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Mittelfeld
Zugänge: Leon Goretzka (Bochum), Christian Clemens (Köln), Anthony Annan (Osasuna, war ausgeliehen)
Abgänge: Ibrahim Afellay (FC Barcelona, war ausgeliehen), Raffael (Mönchengladbach, war ausgeliehen), Jose Jurado (Spartak Moskau, war ausgeliehen), Christoph Moritz (Mainz)
Offene Position: keine
Die Situation: Jung, deutsch, hochbegabt - und all das zu annehmbaren Kosten: Sport-Vorstand Heldt leistete Erstaunliches, um das Mittelfeld aufzuwerten. Für das defensive Mittelfeld stößt aus Bochum Leon Goretzka hinzu, der seine erste Zweitliga-Saison auf einem für einen Jüngling konstant gutem Niveau durchspielte.
Als "Mischung aus Spielmacher und Abräumer", wie sich Goretzka selbst im SPOX-Interview bezeichnet, wäre er aber vor allem im 4-4-2 in der Raute für alle Mittelfeld-Positionen denkbar. Im bewährten 4-2-3-1 kommt er für die Doppel-Sechs in Betracht und bereichert die Mannschaft dank seiner Ballfertigkeit und Dynamik mit einer neuen Konnotation. Jermaine Jones bleibt der kampfstarke Anführer, Roman Neustädter ist Schalkes Sergi Busquets und Höger hilft verlässlich aus, wann immer es nötig ist.
Ähnlich erlesen das offensive Mittelfeld: Für die drei Positionen im 4-2-3-1 bewerben sich Julian Draxler, Jefferson Farfan, Michel Bastos, Clemens, Max Meyer, Tranquillo Barnetta, Chinedu Obasi und Nachwuchsmann Rene Klingenburg.
Für die beiden Flügel-Positionen zeichnet sich ein Dreikampf ab zwischen den namhaften Farfan und Bastos sowie dem deutschen U-21-Nationalspieler Clemens (6 Tore, 5 Assists für Köln), mit 2,8 Millionen Euro Ablöse wie Goretza ein Schnäppchen.
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Als einziger darf sich Draxler eines Stammplatzes sicher sein - und das als Zehner. In der Vergangenheit gewöhnte er sich am linken Flügel an die höheren Aufgaben, doch jetzt sieht ihn Schalke bereit für die wichtigste Position. Für Draxler eines der wichtigsten Argumente, um das 60-Millionen-Angebot von Chelsea auszuschlagen.
Spannend: Schalke verzichtete darauf, Raffael (mittlerweile Gladbach) fest zu verpflichten, damit dieser Draxler vertreten kann. Stattdessen gebührt die Backup-Rolle für den 19-Jährigen einem 17-Jährigen: Max Meyer. "Wenn Julian nicht kann, soll Max auf der 10 spielen. Er ist sogar noch mehr der klassische Zehner. Deshalb haben wir Raffael bewusst nicht gehalten", sagt Heldt im "Kicker".
Der Glaube in Meyer ist derart groß, dass er sogar die legendäre Trikotnummer 7 erhielt. Heldt: "Diese Nummer besitzt auf Schalke eine ganz große Tradition, von Stan Libuda bis Raul. Es war klar, dass die nicht einfach jeder übernehmen konnte. Ganz sicher hätte ich diese Nummer nicht jedem 17-Jährigen gegeben. Aber zu Max Meyer passt sie wie die Faust aufs Auge."
Ein 19-Jähriger als Regisseur (Draxler), ein 18-Jähriger als Kandidat für die Doppel-Sechs (Goretzka), ein 17-Jähriger als wichtige Alternative (Meyer): Für den so sensiblen Bereich im zentralen Mittelfeld vertraut Schalke einem Teenager-Trio. Ein Trio, das zukünftig auch die Schaltzentrale der deutschen Nationalmannschaft besetzen könnte.
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Angriff
Zugänge: Adam Szalai (Mainz)
Abgänge: Ciprian Marica (vereinslos), Philipp Hofmann (Ingolstadt, ausgeliehen)
Offene Position: keine
Die Situation: Ein taktisches Experiment: Können Huntelaar und Szalai zusammenspielen? Oder sind sie sich in ihrer Anlage zu ähnlich? Kapitän Höwedes ist von ersterem überzeugt: "Adam ist ein wuchtiger Stürmer, präsent im Strafraum, kann den Ball gut halten, ist torgefährlich. Er ist eine klare Verstärkung", sagt er im "Kicker".
"Ich halte ihn aber nicht für denselben Spielertypen wie Klaas-Jan. Beide könnten sich in einem Zwei-Spitzen-System gut ergänzen."
Sollte das stimmen, könnte Schalke in ihrer Formation wesentlich variabler sein als in der Vorsaison. Huntelaar mühte sich als alleiniger Angreifer, wobei dessen Formschwäche (nur 5 Tore bis zum 24. Spieltag) und die lange Sperre Mitte der Rückrunde schmerzlich verdeutlichten, wie abhängig Schalke von ihm war. Teemu Pukki und Marica erwiesen sich als untauglich für einen Bundesliga-Topklub.
Daher der Transfer von Szalai , der Huntelaar im 4-2-3-1 ersetzen oder ihn in einem 4-4-2 assistieren könnte. "Zunächst mal ist es eine Ehre für mich, mit Klaas-Jan zu trainieren. Ich will von ihm lernen. Aber ich werde mich nicht verstecken. Auch in Mainz habe ich mir nach und nach den Status des Stammspielers erarbeitet", sagt der 8 Millionen Euro teure Ungar.
Pukki darf sich ein weiteres Jahr bewähren und verkörpert mit seiner Schnelligkeit und wuseligen Spielart einen anderen Stürmertypus als Huntelaar und Szalai. Um von Wert zu sein, muss er jedoch beständiger und bissiger sein als in der Vorsaison.
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