Werder Bremen steckt vor dem Duell mit Hertha BSC (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) in der Schaffenskrise. Trainer und Manager haben sich vom Weg verirrt, die zarten Verbesserungen sind wieder in Gefahr. Es gibt aber Rückendeckung von ganz oben.
Als Robin Dutt im Mai sein Antrittsgespräch im Bauch des Bremer Weserstadions gab, wurde er natürlich auch nach den Lehren aus seiner Zeit bei Bayer Leverkusen gefragt.
Leverkusen ist so etwas wie der schwarze Fleck in Dutts Vita, in 18 Trainerjahren ging es für den 48-Jährigen davor immer nur steil bergauf. Bayer war dann der erste Klub, der ihn vorzeitig vor die Tür gesetzt hat.
Dutt fand klare und sehr selbstkritische Worte, als er sein Scheitern am Rhein noch einmal Revue passieren ließ. Mit ein paar sehr forschen Aussagen habe er sich schlicht verhoben und sich einige Male dabei ertappt, dass er nicht mehr er selbst war, sondern eine Rolle spielen wollte, die ihm gar nicht lag.
Er habe sich damals ein wenig selbst betrogen, sei seiner Linie und inneren Überzeugung untreu geworden. "Das war ein Fehler", sagte Dutt. Er habe daraus seine Lehren gezogen. Als er den Bremern sein Ja-Wort gab, war die Mär von der heilen Werder-Welt längst enttarnt.
Keine zu hohen Erwartungen
Es offenbarte sich ein Klub, der in den Jahren davor ziemlich viel ziemlich falsch gemacht hatte und der innerhalb von wenigen Monaten die beiden Protagonisten des historischen Höhenflugs verloren hatte - aber eben auch die Verwalter des schleichenden Niedergangs.
Ob die Situation deshalb nun besonders schwer oder besonders leicht war für Dutt und seinen Partner Thomas Eichin, ist schwer zu sagen. Man könnte sich darauf einigen, dass es zumindest eine spannende Ausgangslage war, in der Dutt im Sommer seine Arbeit aufnahm. Die Erwartungshaltung war einigermaßen tief angesiedelt.
Schlichter Stil, ordentliche Ausbeute
Die ersten Maßnahmen waren eine Art Soforthilfe: Dutt fand einen Kader vor, der schräg zusammengestellt war, ohne inneren Zusammenhalt und mit zu vielen Egozentrikern bestückt, als dass daraus eine funktionierende Einheit hätte wachsen können. Immerhin war Werders Mannschaft noch eine Attraktion der Liga. Wo Werder war, war Zirkus.
Dem Pragmatiker Dutt muss man damit nicht begegnen. Er traf sogar den Nerv einiger Anhänger, die sich tatsächlich nichts sehnlicher wünschten, als eine funktionierende Defensive. "Mir wird zugerufen: ‚Bitte nicht wieder so viele Gegentore!' Ich muss inzwischen fast aufpassen, dass ich nicht sage: ‚Wir wollen natürlich offensiv spielen' - weil die Fans dann denken: Oje, schon wieder Offensivfußball", sagte er im Herbst im Rückblick auf seine ersten Tage in Bremen.
Der Spielstil seiner Mannschaft war gemäß den Eindrücken der letzten Jahre und dem fehlenden Offensivpotenzial von eher schlichter Natur. Aber er wurde ordentlich honoriert: Mit neun Punkten nach sechs Spielen, darunter ein Derbysieg beim HSV.
Trendwende ins Nichts
Da erlebte Dutt aber auch schon das Spannungsfeld zwischen kühlem Ergebnisfußball und der Marke Werder Bremen. Die Fans waren Spiele mit Erlebnischarakter gewohnt, an ein freudlos erkämpftes 1:0 konnte man sich kaum noch erinnern.
Zum Murren von außen gesellten sich einige Bedenken aus dem Inneren des Klubs: Zum Selbstverständnis des etwas anderen Klubs gehört nun mal auch ein etwas anderer Fußball. Da passt eine verheerende Passquote von rund 60 Prozent nicht ins Bild, 75 erspielte Großchancen nach 15 Spielen sind der drittschwächste Wert der Liga. Nur Freiburg und Braunschweig sind in der Offensive berechenbarer.
Irgendwann im Herbst haben sich Dutt und Eichin für eine Trendwende entschieden. Die Mannschaft sollte wieder mehr Offensive wagen, Dutt begann zu basteln. Seit dem Heimspiel gegen Freiburg Mitte Oktober variieren die Spielsysteme, gegen Hannover zwei Wochen später - dem letzten Sieg aus den vergangenen neun Partien - hielt sogar die Raute wieder Einzug.
Bremen hat sich verirrt
Die vielen Rochaden und die Abkehr vom ursprünglich verordneten Defensivkonzept haben die Mannschaft offenbar eher verwirrt als einen Schritt nach vorne gebracht. Der Tiefpunkt war die Partie gegen die Bayern. Dutt lag mit der Spielausrichtung falsch, gewährte den Bayern in der zweiten Halbzeit mit seinen Einwechslungen im Mittelfeld noch mehr Raum und forcierte so den Untergang, statt ihn aufzuhalten. Seine optimistischen Worte vor der Partie, Werder würde "100-prozentig in der Liga bleiben" wurden geradezu pulverisiert an diesem Tag.
Auf der Suche nach Balance hat sich Bremen verirrt. "Die Marke Werder, die in Europa immer noch einen hohen Stellenwert besitzt, soll erhalten bleiben", hatte es Dutt in einem Interview mit der "Welt" selbst formuliert. "Wir dachten, wir wären schon weiter", sagte Eichin nach dem Bayern-Debakel. Eine fulminante Fehleinschätzung, wie jetzt klar wird. Auch innerhalb der Mannschaft ist der Ton kritischer geworden.
Fritz spricht die Probleme an
"Am Anfang standen wir stabil. Dann kam die Kritik auf, dass wir uns keine Chancen erarbeiten. Wir suchen noch das Gleichgewicht", sagt Kapitän Clemens Fritz, selbst ein Sinnbild des sportlichen Niedergangs in Bremen. Der letzte Verbliebene aus glorreichen Champions-League-Zeiten hat massive Probleme mit der Geschwindigkeit des Spiels.
Immerhin spricht er - anders als in den Jahren davor - die Probleme nun auch offen an. "Es geht nicht darum, den zweiten oder dritten Schritt zu machen. Wir müssen über ein gutes Defensivspiel zu unseren Stärken zurückfinden, das hat Priorität. Die Gefahr abzurutschen ist da, wir verschließen nicht die Augen vor der Tabellensituation. Jeder sieht, wie eng es ist. Wir sind nicht blauäugig und wissen, dass das passieren kann."
Mehr Punkte auf der Agenda Im Kern von Dutts Unternehmung in Bremen ruckelt es gerade gewaltig. Was daneben aber übersehen wird: Der Trainer hat neben dem nackten Erfolg mit den Profis auch noch andere Dinge mit auf die Agenda geschrieben bekommen, die er im Hintergrund anschieben muss. Unter Schaaf gab es kaum noch eine messbare Durchlässigkeit vom Jugend- in den Profibereich.
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Nicht nur Ergebnisfußball
Kaum ein junger Spieler aus dem eigenen Stall schaffte es, in der Bundesliga Fuß zu fassen. Die zweite Mannschaft stieg sportlich zweimal in Folge ab und dümpelt seitdem in der Regionalliga Nord, ohne Perspektive auf den Aufstieg.
Es dürfe nicht nur Ergebnisfußball geboten werden, sondern "guter, attraktiver Fußball", formulierte es Dutt. Von den Verantwortlichen hat er mit auf den Weg bekommen, diese Leitlinien auch bei der U 23 und im Juniorenbereich zu implementieren, um die Talente von morgen an die Mannschaft heranzuführen.
Da hat er immerhin schon zarte Spuren hinterlassen, die Youngster Davie Selke und Martin Kobylanski bekamen schon Einsatzzeiten; Melvyn Lorenzen, Torben Rehfeldt und Julian von Haacke standen immerhin schon im Kader. Das sind erste Schritte, die es in Zukunft zu verfestigen gilt - sofern die Spieler denn die Klasse für gehobenen Profifußball besitzen. Auch das sind Kriterien, nach denen Dutts Arbeit bewertet werden muss.
Bayern ist nicht die Harlem Globetrotters
"Ich bin dann am Saisonende zufrieden, wenn ich die Dinge, die ich mir vorgenommen habe, umsetzen konnte. Die Mannschaft weiter bringen, den Nachwuchs stärken, meine Philosophie umsetzen. Das mache ich nicht an einem Tabellenplatz fest. So ist möglich, dass ich auf Rang zwölf zufrieden bin, auf Platz sechs jedoch unzufrieden", sagt er.
Das täuscht aber nicht über den momentanen Eindruck hinweg, dass Dutt selbst etwas verkrampft wirkt. Die Einordnung des 0:7-Niederlage gegen die Bayern fiel nicht besonders selbstkritisch aus. Es erinnerte eher an das Fazit nach einem Spaßspiel gegen die Harlem Globetrotters.
Wackeliges Konstrukt
Den Druck auf das Team, das letzten Samstag beinahe zweistellig vom Platz gefegt wurde, erhöht er damit deutlich. Im Kern bleibt stellt er sich weiter unbeirrt vor seine Mannschaft. "Die Fans können - unabhängig von dem Ergebnis letzte Woche - stolz auf ihre Jungs sein. Die Mannschaft hat immer ihr Bestes gegeben. Sie tut alles für den Verein. Ich stehe zu 100 Prozent hinter dieser Mannschaft."
Dutt weiß, dass er sich in der momentanen Lage vor allen Dingen auf eine gesunde Einstellung und den hartnäckigen Kampfgeist seiner Mannschaft verlassen kann und hebt diese Dinge deshalb besonders hervor. Er muss sich darauf verlassen. Dass das Konstrukt insgesamt aber auch fünf Monate nach seinem Amtsantritt noch sehr fragil daher kommt, wird er längst registriert haben.
Werder gehört zu den wenigen Klubs der Liga, die in den letzten drei Jahren deutlich öfter und zielgenauer trainieren konnten als der Rest. Seit Bremen nicht mehr international unterwegs ist, bleibt genug Zeit zur Übung. Weder das Tableau noch das Leistungsvermögen der Mannschaft weisen aber entsprechende positive Entwicklungen aus. Dass auch mit wenig einiges möglich ist, zeigen Klubs wie Mainz, Augsburg oder Freiburg. Das muss sich Werder ankreiden lassen.
Mittelfristige Lösungen gesucht
Trotz der momentanen Talfahrt sehen sich die Spieler auf dem richtigen Weg. "Wir sind froh, dass Robin Dutt da ist. Er hat uns gerade taktisch extrem weitergebracht. Ich habe letzte Saison und diese Saison miterlebt und sehe eine Entwicklung, die vielleicht nicht jeder sieht. Es war doch kein Zufall und kein Pech, dass wir letzte Saison 14. geworden sind", sagt Nils Petersen, auch ein wenig an die Adresse von Thomas Schaaf gerichtet.
Dass Werder derzeit ebenfalls nur auf Platz 14 firmiert, noch dazu mit fünf Punkten weniger und einem um 17 Treffer schlechteren Torverhältnis zum gleichen Zeitpunkt der Vor-Saison, verschweigt er dabei. Die gefühlte Wahrheit kann mit der Realität in Bremen derzeit nicht mithalten.
Die Frage, ob sich Werder schon wieder im Abstiegskampf befinde, stellte sich nicht, sagt Eichin. "Das ist eine blöde Frage." Aufsichtsratschef Wille Lemke bleibt ebenfalls gelassen und setzt auf die mittelfristige Lösung der Probleme.
"Es wird ein Team aufgebaut, das mittel- und langfristig wieder weiter oben angreifen kann. Das braucht Ruhe und Geduld. Wir sind im Augenblick drei, vier Punkte hinter dem, was wir uns vorgestellt haben. Nur das ist die Wahrheit", sagte er der "Kreiszeitung Syke". Eine Diskussion um Dutt und Eichin will Lemke nicht zulassen.
Lemke: "Genau die Richtigen geholt"
"Wir sind mit beiden total zufrieden - ohne Wenn und Aber! Ich bin mit allen absolut zufrieden! Wir haben in Thomas Eichin und Robin Dutt genau die Richtigen geholt." Die Mannschaft vergisst - die Fans nicht. Der Gegner am Freitag, vor einem halben Jahr noch Zweitligist, dient in der Bremer Wahrnehmung als Vorbild.
"Die Hertha wirkt sehr eingespielt, hat defensiv wie offensiv eine gute Qualität. Ich kann nur gratulieren, dass sie den Weg, den sie in der zweiten Liga begonnen hat, konsequent weitergeht", sagt Dutt, der seinen Weg zuletzt nicht immer konsequent gegangen ist, sondern sich hat beeinflussen lassen.
Das Spiel in Berlin bildet sozusagen den Abschluss der Partie gegen die Bayern. In der Nachbearbeitung hat Dutt seiner Mannschaft die ganz lange Leine gelassen, den Montag freigegeben, auf eine detaillierte Aufarbeitung per Video verzichtet. So, als ob nichts gewesen wäre. Die Mannschaft solle die Partie schnell vergessen.
Ein guter Vorsatz - der aber übersieht, dass die Fans diese Partie gegen die Bayern so schnell nicht vergessen werden. Die Stimmung, momentan angespannt, kann auch leicht kippen. Die Mannschaft muss jetzt ganz schnell liefern.
Am besten so wie in den guten Zeiten, als Werder immer dann stark war, wenn es mit dem Rücken zur Wand stand. "Nach dem 0:7 traut uns keiner mehr was zu", sagt Stürmer Petersen. "Diese Mäuler würden wir schon gerne stopfen."