"Wie ein einsamer Rufer in der Wüste"

Jochen Tittmar
03. August 201422:00
Michael Zorc ist nach Christian Heidel der dienstälteste Manager der Bundesligagetty
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Anfang des Jahres hat Michael Zorc seinen Vertrag bei Borussia Dortmund bis ins Jahr 2019 verlängert. Bereits seit 1998 ist Zorc Sportdirektor beim BVB. Im Interview spricht der 51-Jährige über die Belastungsgrenze für die Spieler, die Erwartungshaltung bei der Borussia und den Wettbewerb mit finanzstärkeren Vereinen.

SPOX

SPOX: Herr Zorc, nur zweieinhalb Wochen nach dem Weltmeistertitel für die A-Nationalmannschaft ist die deutsche U 19 in Ungarn Europameister geworden. Wie schauen Sie als Manager von Borussia Dortmund auf ein solches Turnier?

Michael Zorc: Wir verfolgen das sehr intensiv. Vor allem über unsere Scoutingabteilung, die natürlich auch vor Ort war. Ich habe mir das Halbfinale sowie das Endspiel live im Fernsehen angeschaut. Da kamen gemischte Gefühle auf, weil unser Spieler Jeremy Dudziak verletzungsbedingt fehlte. Die Freude ist dennoch riesig, dass nach dem WM-Sieg auch der Europameistertitel der U 19 nach Deutschland geht.

SPOX: Bei diesen beiden Titeln haben aus Dortmunder Sicht lediglich Mats Hummels und eben kurzzeitig Dudziak Spielanteile bekommen. Ist das für den BVB zu wenig?

Zorc: Das würde ich nicht zu hoch hängen wollen. Besonders im Nachwuchsbereich gibt es immer wieder mal Jahrgänge, die in den einzelnen Klubs besser und weniger gut besetzt sind. Bei unseren Jungs, die in Brasilien mit dabei waren, glaube ich, dass sie eine wichtige Rolle gespielt haben. Andere Nationalmannschaften haben es dort nicht geschafft, eine verschworene Truppe auf den Platz bringen. Im DFB-Team herrschte dagegen ein wunderbares Klima. Dort wurde die Bedeutung der Spieler, die nicht regelmäßig auf dem Platz standen, hervorgehoben - und das war eindeutig der Vorteil Deutschlands.

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf sich im Teamhotel der Dortmunder mit Michael Zorcspox

SPOX: Die Nationalspieler kehren nun nach und nach zurück nach Dortmund. Die gemeinsame Vorbereitung ist dadurch zerstückelt worden. Wie bewerten Sie das?

Zorc: Dieses Phänomen ist nach großen Turnieren nicht neu. Natürlich ist es nicht ideal, aber man kann damit umgehen. Für die Spieler, die ansonsten weniger im Vordergrund stehen, ist es eine gute Chance, sich nun anzubieten.

SPOX: Diese Problematik haben derzeit auch viele andere Klubs. Müssen die Top-Spieler für Ihren Geschmack zu oft auf dem Platz stehen?

Zorc: Durch die Anzahl der Spiele, die im Laufe einer Saison auf die Jungs zukommen, ist die Belastungsgrenze mittlerweile erreicht, teilweise sogar überschritten. Man hat das bei den Nationen gesehen, die Ligen mit 20 Vereinen haben und noch einmal vier Spiele mehr absolvieren mussten als wir in der Bundesliga. So ganz frisch wirkten die Spieler während der WM nicht mehr.

SPOX: Wieso findet es bei der FIFA keinerlei Gehör, dass der Spielkalender entzerrt werden sollte?

Zorc: Wie ein einsamer Rufer in der Wüste - so kommt man sich da bisweilen vor. Der Rahmenterminkalender ist immer auf viele Jahre festgelegt. Ich hoffe, dass bei den Verbänden langsam auch das Denken entsteht, da nicht noch weiter draufzusatteln. Wir müssen aufpassen, dass an dieser Schraube nicht weiter gedreht wird. Ich finde es jetzt schon mal gut, dass wir vor Saisonbeginn kein Länderspiel mehr haben.

SPOX: Auch in der kommenden Saison wird es für den BVB aller Voraussicht nach wieder viele Spiele geben. Los geht es im Grunde am 13. August beim Supercup gegen die Bayern. Jürgen Klopp sagte, dass der 75. Geburtstag seiner Mutter am Tag zuvor wichtiger sei. Wie wichtig ist der Supercup denn für Sie?

Zorc: Wir haben ihn letztes Jahr deutlich gegen Bayern München gewonnen. Trotzdem habe ich das ganze Jahr lang nichts darüber gelesen. Daran kann man sehen, dass der Supercup in der Bedeutung noch hinterher hinkt. Dennoch geht es immer ums Prestige, wenn der BVB in einem offiziellen Wettbewerb auf die Bayern trifft. Ich denke, dass sich die Bedeutung des Supercups in den kommenden Jahren sukzessive steigern wird. Er wurde ja einst abgeschafft, dann wieder neu eingeführt. Es muss also vielleicht noch etwas Tradition rein, um die Bedeutung zu steigern. Der Faktor Zeit wird hier wichtig sein.

SPOX: Für Neuzugang Ciro Immobile wird dieses Spiel wohl der erste Auftritt im Signal Iduna Park werden. Immobile meinte, Jürgen Klopp habe ihn 70 Mal beobachtet. Wie ist man beim BVB eigentlich auf ihn gekommen?

Zorc: Zunächst: Der Trainer hat ihn sicher nicht 70 Mal live gesehen, sondern vorrangig in Videosequenzen. Wir kennen Ciro schon sehr lange. Damals spielte er noch in Italiens zweiter Liga bei Pescara und war U-21-Nationalspieler. Dort ist er uns zum ersten Mal aufgefallen. Seitdem haben wir seinen Weg nachverfolgt. Er ist von seiner ganzen Art her ein Spieler, der zum Spielstil unseres Trainers passt. Wir hoffen, dass er sich relativ schnell an die höhere Intensität im deutschen Fußball und speziell bei Borussia Dortmund gewöhnt. Wir sind überzeugt, dass das klappen wird.

SPOX: Die Hoffnungen, dass Immobile Robert Lewandowski ersetzen kann, werden hoch sein.

Zorc: Es hängt nicht die komplette Erwartungshaltung an Ciro Immobile. Wir haben immer gesagt, dass wir niemanden holen, der Robert Lewandowski eins zu eins ersetzen soll. Das muss im Verbund geschehen. Darüber hinaus hat sich nach den Abgängen wichtiger Spieler in den letzten Jahren unser Spiel auch immer ein wenig verändert. Das wird wahrscheinlich auch in der kommenden Saison so sein.

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SPOX: Wie ist es bei Ihnen: Spüren Sie, welche Erwartungen man in der kommenden Saison an den BVB hat?

Zorc: Die Erwartungshaltung ist eigentlich unverändert dieselbe wie vor der letzten Saison. Wir müssen einfach konstatieren, dass Bayern München der absolute Top-Favorit auf die Meisterschaft ist. München gehört nun mal zu Deutschland (lacht). Wir wollen das Beste aus unseren Möglichkeiten machen. Das ist uns in den letzten vier Jahren hervorragend gelungen. Unsere Ziele sind formuliert - und an ihnen kann sich auch gar nichts ändern.

SPOX: Nach den erfolgreichen vier letzten Jahren ist die Erwartungshaltung aber mittlerweile doch nicht mehr dieselbe?

Zorc: Ich finde schon, dass sich die Erwartungshaltung in den letzten Jahren gar nicht so dramatisch verändert hat. Die Leute in und um Dortmund wissen sehr genau, welcher Anstrengungen es bedarf, um dort zu landen, wo wir zuletzt immer gelandet sind. Wir können nicht wegdiskutieren, dass Bayern München bessere Rahmenbedingungen hat als wir. Wer das ignoriert, ist ein Träumer. Es hat in der Historie unseres Vereins noch keinen Zeitabschnitt gegeben, in dem wir binnen vier Jahren zweimal Meister, zweimal Vizemeister und zudem so präsent in der Champions League waren.

SPOX: Wie haben sich die Erfolge auf Ihre eigene Arbeit ausgewirkt?

Zorc: Sie ist natürlich angenehmer, wenn man etwas mehr finanziellen Spielraum zur Verfügung hat. Gleichzeitig greift man aber auch in andere Regale als früher - und dort wird die Luft für einen Verein wie den BVB auch schnell dünner. Da gibt es Mitbewerber, die ganz andere wirtschaftliche Möglichkeiten haben. Das ist aber in Ordnung so. Wir merken, wie groß die Wertschätzung für unsere Arbeit gerade im Ausland ist. Und wenn ich lese, dass wir nach Einschätzung einer großen deutschen Zeitung bei den Marktwerten von allen Klubs auf der Welt mittlerweile auf Rang neun liegen, dann macht uns das stolz. Das ist Herausforderung und Motivation für die kommenden Jahre.

SPOX: Stichpunkt finanzieller Spielraum: Seit Ende Juni hat der BVB mit "Evonik" den ersten strategischen Partner mit an Bord. In Bälde sollen ein, zwei weitere Partner folgen. Wie ist man beim BVB eigentlich darauf gekommen, ein solches Modell in Erwägung zu ziehen?

Zorc: Die Voraussetzungen dafür wurden bereits vor einigen Jahren auf der Hauptversammlung geschaffen, indem unsere Aktionäre genehmigtes Kapital gebilligt haben. Wenn unsere Gespräche mit namhaften Investoren zu einem erfolgreichen Abschluss wie mit "Evonik" führen, dann eröffnet uns dies mittelfristig weitere Möglichkeiten und macht Sinn. Wichtig dabei ist aber, dass diese Investoren auch über ein nachhaltiges Sponsoring-Interesse verfügen sollten.

SPOX: Die Beletage des europäischen Fußballs kann jedoch weiterhin ganz andere finanzielle Dimensionen aufrufen. Sind Ihnen solche Ablösesummen, wie Sie auch jetzt wieder vom FC Barcelona oder Real Madrid gezahlt werden, ein Dorn im Auge?

Zorc: Das ist doch alles nicht neu. Vor etlichen Jahren ist Zinedine Zidane für eine ähnlich astronomische Summe gewechselt. Klubs wie Barca, Real oder auch Manchester United machen eine halbe Milliarde Euro Umsatz und erzielen mitunter Gewinne von 40 Millionen nach Steuern. Die sind gesund. Man glaubt offenbar häufig, dass da überall Hasardeure am Werk sind. Man muss diesbezüglich aber tunlichst unterscheiden.

SPOX: Unterscheiden Sie bitte!

Zorc: Die von mir aufgezählten Vereine waren in den letzten Jahren hochprofitabel. Auf der Gegenseite gibt es Klubs wie Paris Saint-Germain oder Manchester City: Dort wird vergleichsweise wenig Geld verdient. Deshalb sind dies zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe. PSG und ManCity haben von der UEFA im Rahmen des Financial Fairplay zum Glück die Gelbe Karte bekommen - und verhalten sich jetzt auf einmal, zumindest bislang, zurückhaltend auf dem Transfermarkt.

SPOX: Klubs wie Barca oder Real schleppen trotz des Schuldenabbaus aber immer noch einen ganz schönen Rucksack mit sich herum.

Zorc: Ja, aber gerade Barcelona hat im zurückliegenden Geschäftsjahr die Schulden halbieren können. Bei den Schulden ist es ja entscheidend, dass man sie bedienen kann. Man hat die Zinsen zu zahlen und seinen Kapitaldienst zu leisten. Und das können diese Klubs. Sie sind beispielsweise beim Marketing und Merchandising gerade international in Asien oder Lateinamerika extrem gut aufgestellt. Mit diesem Paket scheinen sie in der Lage, diese hohen Summen zu refinanzieren.

SPOX: Ihr Manager-Kollege Christian Heidel vom 1. FSV Mainz 05 äußerte zuletzt seine Sorgen zur Zukunft der Bundesliga. Er glaubt, dass Klubs mit finanzstarken Investoren im Hintergrund Vereine, die solide, aber nicht exorbitant wirtschaften, künftig aus der Liga verdrängen werden. Wie sehen Sie das?

Zorc: Die Liga hat doch aber die Ausnahmeregelung für Vereine wie Leverkusen und Wolfsburg schon vor Jahrzehnten genehmigt. Dieses Rad jetzt wieder zurückdrehen zu wollen, ist natürlich schwierig. Ich kann Christian Heidels Sorgen allerdings nachvollziehen, weil der wirtschaftliche Nachteil einfach da ist.

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