Das Beste aus zwei Welten

David KreislAndreas Lehner
16. Oktober 201412:28
Wunschspieler Xabi Alonso wurde für Pep Guardiola zum Schlüsselspieler bei Bayerngetty
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Der FC Bayern München führt nach sieben Spieltagen die Tabelle der Bundesliga souverän an. Dabei stellten die Bayern die meisten Spieler für die Weltmeisterschaft in Brasilien ab. Was macht die Münchner in dieser Saison bisher so stark und wie hat sich das Spiel unter Trainer Pep Guardiola im Vergleich zur letzten Saison verändert? Der FC Bayern in der Daten-Analyse

Die Ausgangslage

Vier Punkte sind es auf Hoffenheim und Gladbach, derer zehn sogar auf den BVB. Der Rekordmeister dreht schon vor dem achten Spieltag relativ einsam seine Runden an der Tabellenspitze. Böse Zungen prophezeien schon jetzt eine langweile Saison - doch sind es dieselben, die die Münchner in der noch jungen Spielzeit schon in mehrere Krisen geredet hatten.

Bis auf das Spiel gegen erschreckend wehrlose Stuttgarter legten die Bayern einen spielerisch verhaltenen Start hin. Der Dreier im Eröffnungsspiel gegen den VfL Wolfsburg gelang auch dank des Fehlschusses des Jahres von Junior Malanda. Am zweiten Spieltag gab's ein 1:1 auf Schalke, zwei Wochen darauf ein torloses Remis beim Tabellenletzten aus Hamburg. Ein Stotterstart - angesichts der patzenden Konkurrenz und der eigenen Ausbeute - auf hohem Niveau.

Natürlich lief und läuft an der Isar noch nicht alles rund, es war zu sehen, dass vielen Spielern nach der kurzen Vorbereitung am Ende der Partien die Kraft fehlte. Doch wurde das Auftreten des Teams unter den Nachwehen der WM mit den vielen Verletzten zum Politikum aufgeblasen. Undefiniert sei das Spiel der Roten, die Findungsphase dauere zu lange und warum spielt Guardiola in dieser sensiblen Phase plötzlich mit einem gänzlich neuen System?

Die bayerische Identitätskrise war spätestens ausgerufen, als mit Pepe Reina und Xabi Alonso nach Juan Bernat die Spanier Nummer zwei und drei in der aktuellen Saison in München aufschlugen und damit die spanische Fraktion um Thiago und Javi Martinez erweiterten. Hinter dem Kader wollten einige keine klare Idee erkannt haben. Also wurde eine Spanier-Debatte über das bröckelnde Selbstbild des Mia-san-Mia-Klubs angezettelt, anstatt zu erkennen, dass ein Reina schlicht und ergreifend der mit Abstand beste zweite Torwart ist, den die Bundesliga zu bieten hat. Und dass Alonso perfekt in Guardiolas Masterplan passt und der optimale Ersatz für die Langzeitverletzten Bastian Schweinsteiger und Thiago ist - und aufgrund seiner Erfahrung sofort liefern konnte.

Guardiola hat mit vier von sechs Titeln eine phantastische Debüt-Saison hinter sich. Die vollständige Integration bei den Bayern ist aber noch lange nicht abgeschlossen - und das nicht nur, weil Guardiola seine Idee vom Fußball selbst ständig weiterentwickelt. Pep muss seine taktischen Gedankengänge, seine Überlegungen mit den Vorstellungen und dem Material beim Rekordmeister kombinieren. Das wird Guardiolas große Aufgabe in seiner zweiten Spielzeit.

Seit seiner ersten Pressekonferenz gehört das Wort "anpassen" zu seinen Lieblingsbegriffen. Er hat auch immer wieder betont, dass Bayern ja erst seine zweite Trainerstation und er ein Lernender sei. Er kam nicht als der dogmatische Messias des Barca-Fußballs, wie er oft dargestellt wurde.

Mit Toni Kroos hat der Bayern-Coach einen höchst geschätzten Spieler im Mittelfeld verloren, in Alonso aber seinen Wunschregisseur bekommen. Den Deal von Robert Lewandowski fädelte der Verein schon vor Peps Ära ein. Doch wer könnte den mit dem Rücken zum Tor unfassbar starken Polen besser beliefern als der Neuzugang aus Madrid mit seinen punktgenauen, weiten Zuspielen?

Pep arbeitet weiter an "seinem" FC Bayern und erweitert gleichzeitig sein eigenes Repertoire. Das zu Unrecht oft kolportierte Barcelona 2.0 - eine Diskussion, die sich alleine aus dem Namen des Trainers und der Tatsache speist, dass Bayern als eine der besten Mannschaften der Welt natürlich dominant auftritt - rückt damit noch mehr in die Ferne. Mit den neuen Spielern und dem neuen System ist Guardiola den nächsten Schritt in Richtung seiner Idealvorstellung gegangen. Dass Pep mit der Verpflichtung Alonsos, der Einführung der Dreierkette sowie dem neuen Stürmertyp Lewandowski seine taktische Grundausrichtung der Vorsaison geändert hat, zeigen die OPTA-Daten.

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Passspiel, Ballbesitz und die neue Variabilität

Alleine die praktizierten Spielsysteme zeigen den unglaublichen Varianten-Reichtum, den der FCB in der laufenden Spielzeit an den Tag legt. Schickte der Katalane seine Mannschaft in der letzten Saison fast ausschließlich entweder im 4-2-3-1 oder 4-1-4-1 aufs Feld, so lief der Rekordmeister in den elf Pflichtspielen der aktuellen Saison in sechs (!) verschiedenen taktischen Grundausrichtungen auf.

Das 4-1-4-1 kam dabei noch gar nicht zum Einsatz, falls mit Viererkette gespielt wurde, war es neben dem bewährten 4-2-3-1 entweder ein 4-3-3 oder ein 4-2-2-2. Bei Aufstellungen mit Guardiolas präferierter Dreier-Abwehrreihe wurde zwischen 3-4-3, 3-4-1-2 und 3-5-2 variiert.

Durch den zusätzlichen Mittelfeldspieler und den immer wieder nach vorne stoßenden zentralen Abwehrmann schicken sich die Münchner an, die letztjährige Dominanz noch zu toppen. Der eigene Ballbesitz-Rekord aus der Saison 2013/14 (71,6 Prozent) ist mit genau 70 Prozent schon jetzt greifbar nahe. Dabei schont der enorme Ballbesitz die eigene Kondition: Liefen die Münchner zum Auftakt gegen die Wölfe noch über 120 Kilometer, nahm der Wert stetig ab. Im Schnitt kommt das Team auf 115,3 Kilometer - und liegt damit im Liga-Vergleich im unteren Mittelfeld.

Die Spieler mit den meisten Pässen in der Bundesliga 2014/15

Auch in Sachen Passspiel setzen die Münchner trotz der langfristigen Abwesenheit von Pass-Monstern wie Bastian Schweinsteiger und Thiago Maßstäbe. Neben den mit 5281 meisten Pässen der Liga - Gladbach liegt zum Vergleich mit 3827 auf Rang zwei -, spielen die Bayern auch die präzisesten Pässe (Passquote 87,6 Prozent). Interessant ist dabei, dass der FCB mehr als die Hälfte seiner Pässe (3017) in der Hälfte des Gegners spielt und auch dort noch 82,6 Prozent der Zuspiele an den Mann bringt.

Das subjektive Empfinden, vor allem nach der Alonso-Verpflichtung, die Münchner operierten verstärkt mit langen Bällen, schlägt sich dagegen noch nicht in den Zahlen nieder. Im Gegensatz zu 10,6 Prozent langer Pässe in der Vorsaison operieren die Münchner in der aktuellen Spielzeit mit minimal weniger (9,8 Prozent). Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

Im Offensivspiel zeigen die Münchner ebenfalls zwei gravierende Änderungen. Nachdem die Münchner mit dem zu Atletico abgewanderten Kopfball-Spezialisten Mario Mandzukic in der vergangenen Saison mit 21 Kopfballtoren und 18 Treffern nach Flanken zwei neue Bundesliga-Bestmarken aufstellten, geht es diese fast nur über Kombinationsfußball.

Trotz 79 Flanken in den bisherigen sieben Ligaspielen (26,6 Prozent angekommen), trafen die Bayern so kein einziges Mal. Auch per Kopf war man noch nicht erfolgreich.32 der letzten 35 Bayern-Treffer fielen aus dem Spiel heraus, in der Liga ist die Quote mit 18 aus 21 ähnlich.

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Der königliche Schlüsselspieler

Selbst Guardiola, der Xabi Alonso nach der Verletztenmisere unbedingt von Real Madrid holen wollte, hätte wohl nicht damit gerechnet, dass der Neuzugang so einschlagen würde. Ohne wirkliche Trainingseinheit stand der 32-Jährige nach seinem Transfer am 2. Spieltag auf Schalke in der Startelf. Alonso wurde sofort zum Dreh- und Angelpunkt des Münchner Spiels, stand wettbewerbsübergreifend in sieben von acht möglichen Spielen in der Starformation - lediglich in Hamburg kam der Spanier von der Bank - und ist im Moment der Schlüsselspieler in Peps System.

Mit 216 Ballaktionen im Spiel gegen Köln trug er sich schon in seinem fünften Ligaspiel in die Geschichtsbücher ein und pulverisierte den erst im Februar aufgestellten Rekord von Landsmann Thiago (187 gegen Frankfurt). Wie sehr der Spanier den Takt vorgibt, zeigt auch ein Blick auf die Gesamtstatistik: Mit 822 Ballaktionen in der Liga steht der Bayern-Akteur einsam an der Spitze des Rankings. David Alaba, der bislang jede mögliche Sekunde auf dem Platz stand, kommt als Zweitbester Münchner auf 678.

Auch in Sachen Pässe ist der Österreicher (555) direkt hinter, aber dennoch weit entfernt von Alonso mit 752 Zuspielen. Mit 90,2 Prozent erfolgreicher Pässe liegt der Spanier dabei über dem Teamschnitt (87,6 Prozent) und trägt seinen Teil zur dominanten wie sicheren Ballzirkulation bei. Zum Vergleich: Gegen Wolfsburg (ohne Alonso) und in Hamburg (Einwechslung in der 53. Minute) brachten die Münchner in des Gegners Hälfte nur 69,2 bzw. 72,3 Prozent der Zuspiele an den Mann. Auch beim Ballbesitz lag man gegen den VfL mit 59,8 mehr als zehn Prozent unter dem Durchschnitt.

Selbst neben dem eigentlich unangefochtenen Chef Philipp Lahm hat Alonso die Kontrolle zu sich verlagert, neben der besseren Passquote (Lahm 88,7 Prozent, in der Saison 13/14 Schweinsteiger 90, Thiago 91,6 Prozent) ist der Spanier vermehrt für Spielverlagerung sowie vertikales Spiel (16 zu sieben lange Pässe) und die generelle Ballverteilung (151 zu 73 Pässe pro 90 Minuten) zuständig.

Die Statistiken von Alonso und Lahm 2014/15 im Vergleich

Auch läuferisch ist der Neuzugang spitze, mit 11,6 Kilometern pro Spiel rennt Alonso unter allen FCB-Akteuren am meisten. Insgesamt war der Spanier in der Bundesliga 58,7 Kilometer im Bayern-Trikot unterwegs - und das trotz der Befürchtungen von Pep, dass ein zu laufintensives Spiel den Routinier "tot" machen würde.

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Defensive: Viele Tacklings, keine Fouls

Trotz der vielen Umstellungen und Systemänderung hin zur Dreier-, bei Ballbesitz des Gegners teilweise sogar Fünferkette, hat die Defensive der Münchner nicht gelitten. Im Gegenteil: Mit zwei Gegentoren stellen die Münchner die beste Abwehr der Liga - genauso wie in der Rekordsaison 12/13 und der vorigen Spielzeit. Nur 2011/12 war man mit nur einem Gegentreffer besser gestartet.

Seit 658 Minuten (478 in der Liga) musste Manuel Neuer nicht mehr hinter sich greifen, was auch daran liegt, dass die Gegner oft nicht einmal in gefährliche Situationen kommen. Das kompakte Mittelfeld geht mit den Angreifern den ballführenden Gegner früh an, alleine gegen Schalke und Paderborn gab es jeweils sieben erfolgreiche Tacklings noch in der Hälfte des Gegners.

Die aktuellen Statistiken des FC Bayern im Vergleich zu 2013/14

Mit einer Zweikampfquote von 52,2 Prozent (1335 geführt, vergangenes Jahr 53,7 Prozent nach 34 Spielen) liegen die Münchner im Liga-Ranking auf Rang fünf, der Unterschied zu Spitzenreiter Dortmund (52, 9 Prozent bei 1549) ist dabei jedoch marginal. Mit Dante haben die Münchner zudem statistisch gesehen den drittbesten Zweikämpfer in den eigenen Reihen (74,6 Prozent), nur getoppt von Ermin Bicakcic von Hoffenheim (75 Prozent) und Gladbachs Stranzl (77,1 Prozent).

Auch Neuzugang Mehdi Benatia, der aufgrund zu weniger Einsatzzeit noch nicht im OPTA-Ranking auftaucht, kommt bislang auf starke 81 Prozent gewonnener Duelle. In der vergangenen Saison kam am Ende kein Bayern-Verteidiger auch nur annähernd in diese Regionen (Dante 63,2, Boateng 57,9 Prozent).

Das geschickte Zweikampfverhalten und kollektive Verteidigen führt auch dazu, dass die Münchner in den sieben Saisonspielen bislang erst 65 Fouls begingen - absoluter Ligatiefstwert. Im vergangenen Jaht waren es zur selben Zeit bereits 84 Vergehen. Genauso Ligatiefstwert sind die 16 zugelassenen Schüsse aufs Tor (2,3 pro Spiel, 48 insgesamt) von Keeper Neuer. Als einziger Bundesligist haben die Münchner so auch noch kein Gegentor in der ersten Halbzeit bekommen.

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