Dank kluger Transferpolitik und wirtschaftlichem Know-How hat Manager Christian Heidel den 1. FSV Mainz 05 von einem Ausbildungs- in einen Weiterbildungsverein verwandelt. Heidel erklärt im zweiten Teil des Interviews, ob Mainz auch weiterhin in der Bundesliga überlebensfähig sein wird. Zudem spricht der 51-Jährige über weniger Drama beim FSV, die Investoren-Problematik und wirtschaftliche Grenzen seines Vereins. Hier geht es zu Teil 1 des Interviews.
SPOX: Herr Heidel, der 1. FSV Mainz 05 hat sich in der Bundesliga sportlich etabliert und seinen eigenen Umsatz immer weiter gesteigert. Der Verein ist mittlerweile Weiterbildungs- und nicht mehr Ausbildungsverein. Wie lässt sich derzeit aber erahnen, ob er mit seiner aktuellen Philosophie auch noch in zehn Jahren in der 1. Liga überlebensfähig wäre?
Christian Heidel: Das ist nicht nur von uns abhängig, sondern auch davon, wie sich der Fußball und die Bundesliga entwickeln und verändern. Doch eines ist schon jetzt klar: Unser Weg ist alternativlos. Zu uns kommen jetzt nicht mehr A-Jugendliche, sondern Spieler, die auch schon Bundesligaerfahrung vorweisen können. Wir versuchen, die Spieler besser zu machen und sie für den nächsten Schritt vorzubereiten. Das hat auch wirtschaftliche Hintergründe. Wir verkaufen nicht mehr für 600.000 Euro, sondern oft für fünf Millionen und mehr. Mit einem Teil dieser Einnahmen wird die Infrastruktur gestärkt. Nur so konnten wir in zehn Jahren sogar zwei Stadien bauen. Das ist, glaube ich, einmalig in Deutschland. Nur so konnten wir auch das Nachwuchsleistungszentrum aufbauen, nur so können wir jetzt den nächsten Schritt gehen und den Verein am Bruchweg zusammenführen. Das gibt uns Schritt für Schritt mehr Stabilität.
SPOX: Trotzdem...
Heidel: ...kann es durchaus passieren, dass wir in der Bundesliga Probleme bekommen. Bei uns funktioniert es nur, wenn alle Rädchen ineinander greifen - insbesondere bei Personalentscheidungen. Die Konkurrenz ist wirtschaftlich erheblich besser aufgestellt, daher müssen wir immer weniger Fehler als sie machen. Deshalb treffen wir auch Entscheidungen, die für viele nicht immer sofort verständlich sind. Ich muss darauf achten, dass das große Ganze nicht gefährdet ist und uns auch die nächsten zehn Jahre noch trägt. Wir haben uns damals von unserem Aufstiegstrainer getrennt, den A-Jugendtrainer zum Chef gemacht und ich bekam dafür erst einmal die nächsten paar Wochen medial auf die Mütze. Jetzt ist der ehemalige A-Jugendtrainer Thomas Tuchel zu Recht einer der begehrtesten Trainer auf dem gesamten Markt.
SPOX: Inwiefern fällt es Ihnen in diesem Evaluierungsprozess schwer, sich eine andere Art Mainz überhaupt vorzustellen?
Heidel: Darüber denke ich oft nach. Der Plan wird sein, den eigenen Nachwuchs noch besser auszubilden, damit er uns zusammen mit geschickter Transferpolitik noch mehr helfen kann. Eine andere Chance haben wir nicht. Aber: Wir sind gefühlt nicht mehr der Klub, der wir 2004 noch waren. Damals waren wir das Paderborn von heute. Wir haben mittlerweile neun der letzten elf Spielzeiten in der Bundesliga verbracht. Auch deshalb müssen wir uns aktuell überlegen, wie wir uns für die nächsten zehn Jahre aufstellen. Wie sehen uns unsere eigenen Fans, wie werden wir bundesweit gesehen?
Interview, Teil 1: Heidel über die Suche nach Hjulmand und den Tuchel-Rücktritt
SPOX: Wie sehen Sie denn den Verein?
Heidel: Wir sind immer noch der Kleine. Im wirtschaftlichen Ranking haben wir Paderborn hinter uns, dann kommen mit Freiburg, Augsburg und Mainz drei Klubs, die dieselbe Klaviatur spielen. Danach kommt erst einmal ganz lange gar nichts. Das heißt, dass wir uns wirtschaftlich trotz Umsatzverdreifachung innerhalb dieses 18er-Felds gar nicht großartig verbessert haben. Dadurch, dass wir in den letzten sechs Jahren aber nicht einen einzigen Tag auf einem Abstiegsplatz standen und wenn auch nur kurz Europa League gespielt haben, werden wir anders wahrgenommen. Das ergibt gleichzeitig eine andere Erwartungshaltung.
SPOX: Das Umfeld in Mainz ist mittlerweile eher enttäuscht, wenn man zu Hause gegen Freiburg nicht gewinnt.
Heidel: So ist es. Das muss ich den Leuten immer wieder erklären: Es muss als Mainz 05 erlaubt sein, sich über ein 2:2 zu Hause gegen Freiburg zu freuen und vielleicht sogar auch mal Abstiegskampf zu erleben.
SPOX: Inwiefern bedauern Sie diese Entwicklung?
Heidel: Das ist einigermaßen menschlich und normal. Wenn Augsburg das über Jahre auch so hinkriegt wie wir, wird man dort dasselbe erleben. In Hoffenheim ist es jetzt schon so, da wird Platz zehn kaum noch akzeptiert. Das sieht man auch an Zuschauerzahlen. Diesen Prozess durchlaufen wir. Wir haben trotz großer sportlicher Erfolge einen leichten Zuschauerrückgang. Damit müssen wir uns beschäftigen und uns hinterfragen. Wir brauchen die totale Identifikation der Menschen hier. Sonst haben wir keine Chance.
SPOX: Liegt das auch daran, dass in Mainz häufig eine große Dramaturgie geherrscht hat? Man stieg erst wegen einem Punkt, dann wegen einem Tor nicht auf, dazu rettete man sich mehrmals am letzten Spieltag vor dem Abstieg...
Heidel: Das glaube ich auch. Das Drama haben wir jetzt nicht mehr. Wir haben mal ein Heimspiel mit 1:6 gegen Werder Bremen verloren und trotzdem hat das ganze Stadion nach dem Spiel unserer Mannschaft mit Standing Ovations Mut gemacht. Das wird heute so nicht mehr passieren, weil wir einfach zu gut geworden sind. Da sind wir schon Opfer unseres eigenen Erfolges. Menschen, die uns vor zehn Jahren prophezeiten, dass wir niemals in die Bundesliga aufsteigen können, kritisieren uns heute für das Ausscheiden in der Europal-League-Qualifikation.
SPOX: An welchem Punkt befinden Sie sich innerhalb dieses Erneuerungsprozesses?
Heidel: Wir sind mittendrin und am brainstormen, es herrscht aber kein Zeitdruck. Erfolg ist ja nicht nur Tabellenplatz. Für mich muss es einem Verein sportlich und wirtschaftlich gutgehen. Wenn eine dieser Säulen wegbricht, hat man für mich keinen Erfolg. Letzte Saison war bei uns beides überragend, so dass dies genau der richtige Zeitpunkt ist, um zu hinterfragen. Das betrifft alle Menschen hier in diesem Verein. Vom Hauptamtlichen bis zum Praktikanten, alle müssen wissen, wofür Mainz 05 in den nächsten Jahren stehen will. Im Erfolg macht man nämlich die größten Fehler.
SPOX: Klar dürfte sein, dass die nächsten zehn Jahre nicht einfacher als die letzten zehn werden.
Heidel: Das in jedem Fall. Einfach auch, weil neue Klubs dazukommen und ich befürchte mal, dass die Bundesliga nicht auf 20 Vereine aufgestockt wird. Da wäre ich sofort dafür. (lacht)
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SPOX: Wieso?
Heidel: Für Klubs mit unserer Struktur wird es immer schwieriger, das ist ganz klar. Der Fußball hat sich eben dahingehend verändert, dass es nun Vereine gibt, die von Investoren, Mäzenen und Konzernen finanziert werden. Das gab es früher nur mit Bayer Leverkusen. Es gibt inzwischen mehrere neue Fußballvereine. Aber wenn ich jetzt davon anfange, heißt es wieder, der Heidel schießt gegen X und Y.
SPOX: Es ist aber Fakt, dass es früher kein Hoffenheim, kein Ingolstadt und kein RB Leipzig gab - zumindest nicht in derartiger Form.
Heidel: Eben. Ich sage das ja auch ganz allgemein. Das ist doch keine Kritik an diesen Vereinen, sondern an der Entwicklung des Fußballs - die ich aber natürlich nicht verhindern kann. Es gibt Vereine, die durch äußere Einflüsse nun einfach da sind. Die Anzahl der Klubs mit Bundesligaambitionen hat sich erhöht. Die Frage wird sein, ob Fußballklubs, die ihre Ausgaben durch Einnahmen aus dem Fußballgeschäft decken müssen, mittel- und langfristig noch eine Chance haben. Es ist doch nicht jeder Bundesligaklub investorenfähig.
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SPOX: Wieso eigentlich nicht?
Heidel: Wir sind doch nicht doof. Was will denn ein Investor oder strategischer Partner mit Mainz 05 oder dem SC Freiburg? Was soll bitteschön dessen Intention sein? Gewinnmaximierung ist ganz schwierig, weil das nicht die Intention eines Klubs ist. Ein Klub will sein Geld richtig einsetzen, um sportlichen Erfolg zu haben. Das bedeutet, Dividende bekommt ein Investor bei uns nicht. Er könnte sich noch über den Standort definieren wollen. Das ist in Mainz, einer Stadt mit 200.000 Einwohnern und einer entsprechenden Firmenstruktur, auch ganz schwierig.
SPOX: Vielleicht gibt es ein Unternehmen, das nicht in Mainz ansässig ist und dennoch ein Stück Mainz 05 haben möchte?
Heidel: Dann würden mich die Beweggründe interessieren. Wir sind nicht der FC Bayern oder der BVB. Was könnte die Intention denn sein? Mitsprache? Entscheidungsbefugnis? Für eine Einmalzahlung von ein paar Millionen?
SPOX: Eine solche Einmalzahlung holen Sie also lieber mit Transfers rein - und besitzen dazu noch weiterhin die Entscheidungshoheit.
Heidel: Genau. Eintracht Frankfurt hat in schwierigen Zeiten rund 35 Prozent seiner Anteile abgegeben, um dafür Geld zu generieren. Merken Sie da heute noch etwas davon? Ein Verkauf von Anteilen kann kurzfristig helfen, langfristig bin ich da skeptisch. Außer, man ist eben schon einer von den Großen, denn dann reden wir über ganz andere Summen.
SPOX: Was muss also passieren, damit der FSV wirtschaftlich eine Stufe nach oben kommt?
Heidel: Das wird enorm schwierig werden. Wir werden jetzt irgendwann einen neuen Hauptsponsor präsentieren und wenn der bereit ist, doppelt so viel zu zahlen wie der alte, werden wir einen Sprung machen. Wir gehen aber auch ganz andere Wege.
SPOX: Welche?
Heidel: Das neue Stadion, das 2011 gebaut wurde, hat ohne die Infrastruktur 54 Millionen Euro gekostet. Davon zahlt der Klub 49 Millionen Euro. Hiervon haben wir rund die Hälfte bereits getilgt. Wir sind bis zum heutigen Tag Inhaber 100 Prozent aller Rechte und zahlen pro Jahr 3,3 Millionen Euro für Zins und Tilgung. Wenn das mal wegfällt, gehen wir wieder einen Schritt nach vorne.
SPOX: Ist dann aber nicht auch eine Grenze für den Verein erreicht?
Heidel: Das ist so, ja. Wir werden keine Millionenstadt mit entsprechenden Möglichkeiten werden. Die weiteren Stellschrauben sind dann eben Transfers. Früher sind unsere Spieler nach Hannover oder Nürnberg gewechselt. Heute gehen sie in der Regel nur noch zu den Top-Klubs - und auch zu anderen Ablösesummen. Kurzum: Die großen wirtschaftlichen Sprünge sind schwierig, aber es gibt noch Möglichkeiten, uns in kleinen Schritten weiter zu verbessern. Wir müssen die Grenzen verschieben.
SPOX: Gibt es in Deutschland einen Verein, der in dieser Hinsicht als eine Art Vorbild für Mainz dienen könnte?
Heidel: Es ist ein anderes Level, aber Werder Bremen hat das über viele Jahre sehr, sehr gut gemacht. Die haben nie über ihre Verhältnisse gelebt, immer gute Transfers gemacht und sogar mit den ganz Großen mitgehalten. Auch vor dem SC Freiburg ziehe ich den Hut. Die sind wirtschaftlich mit ihrem Stadion eigentlich schlechter aufgestellt als wir, machen das aber absolut top. Was Nachwuchsförderung angeht, sind sie uns sogar voraus und auch ein absolutes Vorbild.
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