"Ich bin kein Mario-Götze-Ersatz"

Jochen Tittmar
30. Juli 201512:41
Henrikh Mkhitaryan wechselte 2013 für 27,5 Millionen Euro von Schachtjor Donezk zum BVBgetty
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Henrikh Mkhitaryan ist der teuerste Neuzugang in der Vereinsgeschichte von Borussia Dortmund. Der Armenier geht nun in seine dritte Saison beim BVB - und schwankte bislang häufig zwischen Genie und Wahnsinn. Im Interview spricht Mkhitaryan über seine Jugend in Armenien, den Druck der hohen Ablösesumme und die Gerüchte über seine Zukunft.

SPOX: Herr Mkhitaryan, Sie waren kürzlich im Boxring an der Seite von Arthur Abraham zu sehen, als er gegen Robert Stieglitz gewann. Wie kam es denn dazu?

Henrikh Mkhitaryan: Ich lernte Arthur kennen, als ich in Dortmund unterschrieb. Er ist großer BVB-Fan. Da wir beide aus Armenien kommen, hatten wir schnell einen Draht zueinander und sind mittlerweile gute Freunde. Ich war beim Fight gegen Stieglitz mit dabei, weil ich zuvor noch nie bei einem Boxkampf war und es einmal hautnah miterleben wollte. Es hat mich sehr gefreut, ihn dabei auch siegen zu sehen.

SPOX: Abraham und Sie sind in Deutschland wohl die bekanntesten Armenier, wenn es um Sport geht. Einen höheren Bekanntheitsgrad dürften nur noch die Musiker von "System Of A Down" haben. Können Sie mit deren Klängen etwas anfangen?

Mkhitaryan: Ich kenne die Band und ihre Musik sehr gut, persönlich habe ich sie aber noch nicht getroffen. Sie sind sehr beliebt in meiner Heimat. Mir gefallen besonders die ruhigeren Lieder. Ansonsten sind mir System Of A Down aber zu laut. Hardrock ist nicht unbedingt mein Genre. Ich höre lieber RnB, Pop oder manchmal auch Rap.

SPOX: Auch Sie gehören in Armenien zu den größten Stars des Landes. Aufgewachsen sind Sie aber in Frankreich. Als ihr Vater, der ebenfalls Profifußballer war, im Sterben lag, zog es Ihre Familie wieder zurück nach Armenien. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit noch?

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar sprach im BVB-Trainingslager mit Henrikh Mkhitaryanspox

Mkhitaryan: Ich war damals sieben Jahre alt. Wir hatten nicht nur aufgrund des Todes meines Vaters sehr schwierige Momente zu überstehen. Der Krieg war noch nicht lange vorüber. Es gab kaum Wasser, wir hatten nur zwei Stunden Elektrizität pro Tag und konnten das Licht nicht wie zuvor in Frankreich gewohnt an- und ausmachen. Das waren harte Zeiten für das ganze Land. Ich bin sehr froh, dass wir diese Phase überlebt haben.

SPOX: Wie viel haben Sie in diesem Alter damals von den Zuständen mitbekommen?

Mkhitaryan: Dass die Standards plötzlich andere waren, fiel mir natürlich sofort auf. Allerdings fehlten mir das Verständnis und die Zusammenhänge. Das war womöglich auch ganz gut so, die Kinder gingen deutlich unbekümmerter zu Werke. Als ich älter wurde und kapierte, welche Umstände damals an der Tagesordnung waren, machte es mich auf eine gewisse Art stolz, dass wir uns davon nicht haben unterkriegen lassen.

SPOX: Wie unwirklich erscheint es Ihnen, wenn Sie jetzt als einer der populärsten Menschen Ihres Landes an diese Phase in Ihrem Leben zurückdenken?

Mkhitaryan: In diesem Zusammenhang fällt es mir wirklich schwer, das zu begreifen. Andererseits war ich schon immer der Überzeugung, dass man seine Träume und Ziele erreichen kann, wenn man es wirklich möchte und fest daran glaubt. Ich hatte immer den Antrieb in mir, eines Tages Profifußballer zu werden. Ich bin in einer Fußball-Familie groß geworden und wollte so sein wie mein Vater. Dafür habe ich quasi mein Leben lang gearbeitet. Dass der Traum in Erfüllung ging, ist auch das Resultat dieser jahrelangen Arbeit.

SPOX: In Armenien spielten Sie Ihre gesamte Jugend über in der Fußballakademie des FC Pjunik Jerewan, die den Namen Ihres Vaters trägt. Was haben Sie damals vom großen europäischen Fußball mitbekommen?

Mkhitaryan: Das war einfacher, als Sie es sich jetzt wahrscheinlich vorstellen: Die europäischen Top-5-Ligen waren allesamt bei uns im TV zu sehen. Zwar nur ausgewählte Spiele, aber das reichte. Ich saß täglich vor der Glotze (lacht). Mein Jugendtrainer hat mir oft Bescheid gegeben, wenn abends ein interessantes Spiel im Fernsehen lief. Das hätte ich in den meisten Fällen aber sowieso nicht verpasst. Am Tag darauf haben wir es dann zusammen auf dem Trainingsplatz analysiert und darüber gesprochen, was uns aufgefallen ist. Ich habe immer versucht, mir so viel wie möglich abzuschauen.

SPOX: Wenn Sie so auf dem Laufenden waren, welcher war Ihr Lieblingsklub?

Mkhitaryan: Es gab mehrere Mannschaften, die mir gut gefielen. Ich war aber nie Fan. Es ging mir mehr um die Attraktivität des Spielstils, so dass ich mich bei manchen Teams einfach etwas mehr gefreut habe, wenn deren Partien mal wieder im Fernsehen liefen.

SPOX: Es gibt ein Bild von einer Ihrer Jugendmannschaften in Armenien (siehe rechts), das Ihre Mitspieler und Sie in einem Trikot von Borussia Dortmund zeigt. Welchen Hintergrund hatte das?

Mkhitaryan: Es konnten sich zur damaligen Zeit nur die wenigsten armenischen Vereine leisten, ihre Spieler mit Trikots und Hosen auszustatten. Oft haben die Eltern der Spieler etwas Geld gesammelt und es dem Trainer geben, damit dieser für eine vernünftige Ausstattung sorgte. So kamen bei mir über die Jahre viele unterschiedliche Trikots zusammen: Neben dem des BVB beispielsweise auch welche von der deutschen und niederländischen Nationalelf. Als wir im Dortmunder Trikot spielten und das Foto entstand, gewannen wir das Turnier, das jährlich zu Ehren meines Vaters in Jerewan ausgerichtet wird.

SPOX: Dann gab es da noch das Video "Les yeux dans les Bleus", das laut Ihrer Mutter Ihre Jugend prägte. Eine Dokumentation über das Innenleben der französischen Nationalmannschaft, als diese 1998 die WM gewann.

Mkhitaryan: Ich habe mir diese Videokassette sehr oft mehrmals am Tag angeschaut. Meine Mutter konnte das nicht begreifen (lacht). Ich himmelte Zinedine Zidane an. Es hat mich damals natürlich sehr gefreut, dass das Land, in dem ich zu Teilen aufgewachsen bin, den Weltmeistertitel holte. Durch das Video habe ich viel über den Beruf Profifußballer gelernt.

SPOX: Inwiefern?

Der junge Henrikh Mkhitaryan (M.) im BVB-Trikot in Armenien

Mkhitaryan: Damit meine ich nicht nur Dinge, die auf dem Fußballplatz wichtig sind. Auch das Verhalten der Spieler abseits des Feldes wurde in vielen Facetten gezeigt. Wie bereiten sie sich auf ein Match vor, wie geben sie sich in der Kabine oder gegenüber den Fans, wie nehmen sie zusammen ihre Mahlzeiten zu sich? All das hat mir einen wichtigen Eindruck von Professionalität und Bescheidenheit vermittelt.

SPOX: Nun sind Sie selbst Profifußballer geworden und der Spieler, für den Borussia Dortmund vor zwei Jahren das meiste Geld seiner Vereinsgeschichte hinblätterte. Wie problematisch lief die Anfangszeit in Deutschland, war die Umstellung groß?

Mkhitaryan: Ich hatte kaum Schwierigkeiten, um ehrlich zu sein. Man ist als Fußballer ja auch viel unterwegs, daher hatte ich schon ein Gefühl dafür und konnte ich mich ein wenig darauf einstellen, was mich in Deutschland erwarten würde. Ich musste mich vielleicht ein wenig an die neue Mentalität gewöhnen, aber das ging eigentlich auch zügig. Der Verein stellte mir dazu noch einen Assistenten, der mich zu Beginn bei vielen Dingen unterstützte. Mittlerweile habe ich viele Freunde in Dortmund, auch zahlreiche deutsche.

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SPOX: Ihre Mutter ist technische Direktorin des armenischen Nationalteams, Ihre Schwester arbeitet als Assistentin von Michel Platini bei der UEFA. Wie groß ist Ihr Bezug zur Familie, wie häufig können Sie sich sehen?

Mkhitaryan: Sie besuchen mich beide sehr regelmäßig, beinahe alle drei Wochen. Das hilft mir sehr, damit die Sehnsucht nach ihnen nicht größer wird. Ich bin ein Familienmensch. Ich habe sie gerne um mich herum, da ich dann sehr gut abschalten und neue Energie tanken kann. Das hat auch von Anfang an reibungslos funktioniert. Die größten Probleme hatte ich zu Beginn nur auf dem Spielfeld.

SPOX: Wegen der hohen Ablösesumme?

Mkhitaryan: Ja. Es war zu viel Druck für mich. Jeder redete nur über das Geld, das man für mich bezahlt hatte. Ich bekam mit, dass in den Zeitungen schlecht über mich geschrieben wurde. Das habe ich mir zu sehr zu Herzen genommen, auch wenn es sich nach rund einem halben Jahr wieder gelegt hat.

SPOX: Wie haben Sie das hingekriegt?

Mkhitaryan: Ich habe beschlossen, nicht mehr über die Anfangszeit beim BVB nachzudenken - weil ich eingesehen habe, dass es einfach keinen Sinn ergibt. In die Zeitungen schaue ich auch nicht mehr (lacht). Ich fühle mich jetzt befreit und kann der Mannschaft seitdem mehr helfen, als ich es zuvor konnte.

SPOX: Als Sie nach Dortmund kamen, hatte Mario Götze gerade den Klub verlassen. Viele sahen in Ihnen deshalb seinen direkten Nachfolger. Wäre es in der Theorie besser gewesen, wenn Sie zu einem anderen Zeitpunkt zum BVB gewechselt wären?

Mkhitaryan: Nein, das glaube ich nicht. Ich bin kein Mario-Götze-Ersatz und war es auch nicht. Man kann uns als Spieler kaum vergleichen, das führt ins Leere. Es ist nicht möglich, sich als Spielertyp so zu verändern, dass man den Verlust eines anderen Spielertypen ausmerzen kann. Ich halte es grundsätzlich für schwierig, Spieler miteinander zu vergleichen.

SPOX: Lag es also vielmehr daran, dass Sie sich von eigenen Fehler nur schwer erholen konnten, wie Jürgen Klopp einmal über Sie sagte? Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

Mkhitaryan: Er hat Recht. Ich habe zu oft nachgedacht und hing meinen Fehlern hinterher. Jürgen Klopp und meine Mitspieler machten mir mit der Zeit bewusst, dass ich meine Fehler während des Spiels vergessen und stattdessen einfach immer weitermachen muss, als ob nie etwas gewesen wäre. Zum Nachdenken bleibt im heutigen Fußball keine Zeit, ansonsten ist man zu schnell raus aus einer Partie.

SPOX: Sie blühten im Vorjahr am Saisonende regelrecht auf, bislang spielen Sie auch eine starke Vorbereitung. Hat das auch damit zu tun, dass Sie sich jetzt Ihre eigenen Fehler besser verzeihen können?

Mkhitaryan: Sicherlich nicht nur, aber da dürfte durchaus etwas dran sein. Der größte Unterschied ist: Ich habe mich verändert und als Person mittlerweile besser akzeptiert, dass Fußball ein fehlerbehaftetes Spiel ist. Diese Erkenntnis kann man sogar auf das ganze Leben ausweiten, ohne Fehler geht es auch dort nicht. Man muss sich einfach bewusst machen, dass man vor Fehlern nicht gefeit ist - einzig am Umgang mit ihnen kann man etwas verändern. Ich kann mich ja jetzt immer noch im Anschluss an die Partien mit meinen Fehlern beschäftigen (lacht).

SPOX: Haben Sie davon gehört, dass viele Beobachter sagen: Henrikh Mkhitaryans Leistungen in Dortmund bewegen sich zwischen Genie und Wahnsinn?

Mkhitaryan: Ich habe davon gehört, ja. Im Grunde ist das normal, da man nicht in allen Spielen sehr gute Leistungen abrufen kann. Ich kann nichts anderes tun als zu versuchen, gut Fußball zu spielen. Ich fühle nach jedem Spiel, ob ich gut oder schlecht war. Dazu gibt es im Verein genügend Personen, auf deren Feedback ich Wert lege. Was andere über mich sagen, ist mir egal. Ich kann es sowieso nicht beeinflussen.

SPOX: Thomas Tuchel spricht nur gut über Sie. Wie war denn das erste Treffen mit ihm, nachdem feststand, dass er Klopps Nachfolger werden würde?

Mkhitaryan: Ich habe es sehr genossen. Er wollte mich in erster Linie als Person kennenlernen. Es ging ihm weniger darum, mir vorzustellen, was er als Trainer plant oder wie er vorgehen wird. Wir haben uns angeregt über Fußball unterhalten und sind uns als Menschen nähergekommen.

SPOX: Mit welchen Zielen gehen Sie unter ihm in die neue Saison?

Mkhitaryan: Ich erwarte sehr viel von mir und bin sicher, dass sowohl ich als auch die Mannschaft deutlich besser spielen werden als in der letzten Spielzeit. Durch den neuen Trainer stürzt derzeit noch viel Neues auf uns ein und wir müssen zusehen, uns so schnell wie möglich daran zu gewöhnen. Die Trainingsmethodik, die Analysen, die Ansprache - es hat sich vieles verändert und wird noch eine Zeit lang dauern, bis wir alles verinnerlicht haben. Das sagt ja auch der Trainer selbst. Zum aktuellen Zeitpunkt würde ich sagen, dass alles schon sehr ordentlich aussieht und wir auf einem guten Weg sind.

SPOX: Mit Ihnen in der Startelf?

Mkhitaryan: Mein Platz im Team ist nicht garantiert. Ich muss ihn mir mit jedem Training und jedem Spiel aufs Neue verdienen. Wir wechseln momentan noch oft durch, damit der Trainer sehen kann, wer auf welchen Positionen wie funktioniert. Ich bin selbst gespannt, wo ich am Ende landen werde (lacht).

SPOX: Am liebsten im Zentrum, oder nicht?

Mkhitaryan: Das schon. Wichtiger ist mir aber, überhaupt regelmäßig zum Einsatz zu kommen und dann meine Spielzeit mit guten Leistungen rechtfertigen zu können.

SPOX: Es tauchten im Vorjahr zahlreiche Gerüchte hinsichtlich Ihrer Zukunft auf. Ihr Berater Mino Raiola brachte Sie gegenüber einer bulgarischen Zeitung vermeintlich bei Juventus Turin ins Gespräch. Wie sehen Ihre Gedanken aus?

Mkhitaryan: Zunächst: Ich habe keine Ahnung, wie das damals aufgekommen ist. Mein Berater ist weder Bulgare, noch wohnt er in der Nähe. Die Gerüchte haben mich erstaunt, weil ich zuvor nie gesagt habe, dass ich den Verein wechseln möchte. Sollte das eines Tages einmal der Fall sein, würde ich es auch öffentlich sagen.

SPOX: Was können Sie Stand jetzt sagen?

Mkhitaryan: Dass ich mich in Dortmund wohlfühle und zufrieden damit bin, wie es ist. Die vergangene Saison war schwierig für uns alle, auch für die Psyche. Wir sind jetzt alle besonders motiviert, es besser zu machen. Dieser Teamgeist hat auch mich beflügelt. Ich habe mit dem BVB noch Großes vor.

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