"Da geht das Theater wieder los"

Ole Frerks
03. September 201510:44
Zlatko Junuzovic geht bei Werder Bremen in seine fünfte Saisongetty
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Zlatko Junuzovic ist bei Werder Bremen unumstrittener Leistungsträger und Anführer. SPOX sprach mit dem Österreicher über lästige Diskussionen, seinen Verbleib in Bremen und die Anforderungen an einen modernen Mittelfeldspieler. Außerdem: Klartext zur "HSV-Affäre" am Ende der letzten Saison.

SPOX: Herr Junuzovic, Sie mussten mittlerweile viele Fragen zum Thema Freistöße beantworten. Es fehlt aber noch die Antwort auf folgende Frage: Warum klappt es erst seit der letzten Saison? Sie galten vorher nicht als Gott des ruhenden Balls und sind auf einmal explodiert.

Zlatko Junuzovic: Zum einen hatten wir insgesamt viele Standards. Zum anderen, und das ist noch wichtiger, hatte ich in meiner Werder-Zeit erstmals die Möglichkeit, jeden Freistoß zu schießen, den ich wollte beziehungsweise den es gab. Vorher gab es immer mehrere, die sich auch regelmäßig zum Freistoß aufgestellt hatten. Ich glaube nicht, dass ich individuell viel besser geworden bin, was die Schusstechnik angeht. Standards habe ich bei jedem meiner Teams geschossen. Jetzt habe ich einfach mehr Versuche, und von Zeit zu Zeit hat es gepasst. Ich hoffe, das setzt sich in dieser Saison fort.

SPOX: Direkte Freistöße liegen ja nur bei Ihnen, bei Flanken gehört hingegen auch der Abnehmer dazu. Ist es entscheidend, wie lange man sich schon kennt und wie gut das Verständnis füreinander ist?

Junuzovic: Es schadet nicht, sich länger zu kennen. Man kann das Verständnis aber ziemlich leicht trainieren. Man erkennt schnell, dass jeder seinen Weg gehen muss, wenn ein Freistoß oder eine Ecke ansteht. Meine Aufgabe ist es nur, den Ball so gefährlich wie möglich in die Mitte zu bringen, und dann haben wir gute Abnehmer, auch in dieser Saison. Noch wichtiger ist es jedoch, dass wir aus dem Spiel wieder mehr Gefahr ausstrahlen. Dadurch entstehen ja Standards.

SPOX: Offensiv hat sich viel getan, mit Anthony Ujah und Aron Johannsson gibt es ein ganz neues Sturmduo. Wie sehen Sie das Team aufgestellt?

Junuzovic: Ich hoffe, dass sie uns noch viel Freude bereiten werden. Noch ist es zu früh für ein Urteil, da die Abstimmung noch nicht perfekt sein kann, sowohl mit dem Mittelfeld als auch untereinander. Aron ist sehr kurzfristig zu uns gekommen, immerhin hat Anthony schon einige Spiele und Tore gemacht. Klar ist: Wir brauchen unbedingt Tore von beiden. Der Treffer von Aron am Sonntag wird ihm helfen, sich hier schnell zurechtzufinden.

SPOX: Dass die beiden Stürmer aus der Vorsaison weg sind, ist bekannt - vor allem über Franco Di Santo wurde viel geredet. Stiller verlief dagegen der Abgang von Sebastian Prödl. War der Verlust des Abwehrchefs innerhalb der Mannschaft vielleicht sogar wichtiger?

Junuzovic: Ich will das nicht gewichten, wir hätten am liebsten alle behalten. Ich kenne Basti schon sehr lange aus der Nationalmannschaft, er hat damals durchaus eine Rolle gespielt, als ich nach Bremen kam. Wir haben schon sehr lange guten Kontakt, daran wird sich jetzt nichts ändern. Er hat die Entscheidung für sich getroffen, ich wünsche ihm dabei nur das Beste.

SPOX: Sie hatten diese Möglichkeit auch, es gab bekanntlich viele Interessenten. Was hat den Ausschlag gegeben, trotzdem zu bleiben?

Junuzovic: Schwer zu sagen. Ich wollte damals ein positives Zeichen setzen, wir steckten mitten im Abstiegskampf. Ich war davon überzeugt, dass wir uns aus dieser Situation befreien könnten, was Gott sei Dank geklappt hat. Abgesehen davon fühle ich mich einfach wohl in Bremen und mit der Mannschaft. Ich hatte das Gefühl, dass es die richtige Entscheidung für mich ist.

SPOX: Wie wichtig sind für diesen Wohlfühl-Effekt die Fans? Sie haben schon einiges mitbekommen, wie etwa die Aktion "Allez Gruen" oder das Abschiedsspiel für Torsten Frings. Was macht dieser Support aus?

Junuzovic: Einiges. Es gibt hier eine riesige Tradition, dieses alte Klischee vom 'familiären Verein' trifft bei Werder tatsächlich zu. Der Verein ist für die Leute sehr wichtig, man spürt die Spannungen, wenn es nicht gut läuft. Trotzdem unterstützen die Fans uns, man wird nach einem schlechten Spiel nicht auf der Straße beschimpft oder als Versager abgestempelt. Das ist nicht selbstverständlich, da die letzten Jahre für die Fans nicht einfach waren. In guten wie in schlechten Zeiten wird einem hier geholfen, das spielt für uns Spieler eine große Rolle.

SPOX: Sie waren auf dem besten Weg zur Kultfigur der Werder-Fans, als Ende der Saison ein Bericht auftauchte, sie wünschten dem HSV den Abstieg. Ein falscher Bericht. Wie blicken Sie heute darauf zurück?

Junuzovic: Das war leider eine Erfindung der Medien. Ich würde niemandem den Abstieg wünschen. Ich habe damals gesagt, dass ich es meinen Kollegen oder Landsleuten in Stuttgart oder Freiburg wünschen würde, dass sie drin bleiben, weil ich sie persönlich kenne. Daraus zu machen, dass ich Hamburgs Abstieg will, geht zu weit. Man muss mit dieser Form der Berichterstattung wohl leben, aber so kannte ich es vorher nicht. Egal, ob es um den HSV geht oder wen auch immer - mir wäre es sowieso lieber, wenn niemand absteigt.

SPOX: Wie im US-Sport?

Junuzovic: Ja, dort gibt es diesen existenziellen Druck nicht. Wenn ich es mir wünschen könnte, wäre das hier auch so. Wird aber eher nicht passieren, oder? (lacht)

SPOX: Vermutlich nicht... Mit Werder haben Sie diesen Druck selbst erlebt. Was gibt Ihnen Hoffnung, dass die Mannschaft langfristig stabiler wird als in den letzten Jahren?

Junuzovic: Einfach wird es nicht. In der Bundesliga gibt es einige Ausnahmen wie Bayern oder Dortmund, sonst kann jeder jeden schlagen. Das macht Voraussagen für uns schwer. Wir sind in keiner Situation, in der wir uns langfristige Ziele setzen können. Wir müssen in jedem Spiel 100 Prozent abrufen, weil wir es sonst verlieren, egal gegen wen - so einfach ist das. Ich weiß, dass es abgedroschen klingt, aber auf uns trifft es leider zu: Wir müssen von Spiel zu Spiel schauen.

SPOX: Eine Position, von der man sich nun mehr Stabilität als in den letzten Jahren erhofft, ist die des Torwarts. Kehrt mit Felix Wiedwald endlich wieder Ruhe im Werder-Kasten ein?

Junuzovic: Das ist mehr ein Thema für die Medien. Natürlich hatten wir in den letzten Jahren einige Wechsel im Tor, aber in der Mannschaft wird weniger drüber gesprochen, als die Berichterstattung den Anschein erweckt. Mehr habe ich eigentlich nicht zu sagen.

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Seite 2: Junuzovic über die Zehner-Diskussion und die Raute

SPOX: Im Spiel gegen Hertha durfte zudem Maximilian Eggestein erstmals in der Startelf ran - er gilt als großer Hoffnungsträger für die Zehn. Zu Recht?

Junuzovic: Maxi hat eine sehr gute Vorbereitung gespielt und sich seine Chance als 18-Jähriger erarbeitet - das verdient Respekt. Ich finde, er hat seine Sache ordentlich gemacht, obwohl ein Auswärtsspiel zum Debüt sicher nicht einfach ist. Und trotzdem geht das Theater da sofort wieder los.

SPOX: Was meinen Sie?

Junuzovic: Ach, das Gerede über Positionen, Philosophien, Personalien, das immer sofort aufkommt, wenn mal ein Spiel nicht so erfolgreich läuft. Davon darf man sich nicht ablenken lassen. Natürlich gelingt einem so jungen Spieler am Anfang nicht alles, er kann aber nur besser werden, wenn er Spielzeit bekommt. Das gilt für alle unsere jungen Leute, egal wie talentiert sie sind. Es macht daher keinen Sinn, nach ein, zwei Spielen direkt ein Urteil abzugeben, was sie erreichen können.

SPOX: Bremen gilt nicht als ungeduldiges Pflaster, dennoch spielt die Zehn aufgrund der Tradition eine spezielle Rolle. Was denken Sie, woher dieses Phänomen kommt?

Junuzovic: Ja, aber wir sind jetzt in einer ganz anderen Situation. Johan Micoud, Diego oder Mesut Özil - das ist Vergangenheit. Sie alle spielen seit vielen Jahren nicht mehr hier, der Fußball ist seitdem sowieso ein anderer. Es bringt nichts, in der Vergangenheit zu leben oder da irgendwelche Parallelen ziehen zu wollen.

SPOX: Das System - die Raute - ist allerdings dasselbe...

Junuzovic: Mag sein, aber nur nominell. Das System ist jetzt ein anderes als beispielsweise mit Diego. Diesen klassischen Zehner, von dem immer geredet wird, den gibt es heute fast nicht mehr. Die Positionen sind viel flexibler und variabler geworden. Nicht einmal Özil hat in seiner Werder-Zeit einen klassischen Zehner gespielt, er hat eine viel modernere Interpretation der Rolle gezeigt.

SPOX: Wie sieht das Anforderungsprofil an einen modernen Mittelfeldspieler denn aus?

Junuzovic: Heutzutage musst du auf den Außen, defensiv oder offensiv spielen können, immer in der Lage sein, die Position zu wechseln und zu verschieben. Man muss von überall Gefahr ausstrahlen können, nicht von dieser einen vordefinierten Position, die man auf dem Spielbogen verpasst bekommt. Dieser Zehner-Fokus ist einfach nicht mehr zeitgemäß.

SPOX: Sie selbst haben jede Menge Positionen gespielt, bei Werder und auch in der österreichischen Nationalmannschaft. Gibt es da überhaupt eine Art Lieblingsposition?

Junuzovic: Man rätselt hier seit Jahren, wo ich am ehesten hingehöre. In der Nationalmannschaft ist es relativ klar, weil ich einer von drei Mittelfeldspielern in der Zentrale bin. Da kommt dann wieder der Stempel und die Realität: Offiziell spiele ich auf der Zehn, aber ich rotiere sehr viel mit den anderen und weiche mal nach hinten aus, oder gehe mit in den Sturm. Wir wechseln uns da viel ab, nur ist eben alles zentral. Diese Rolle gefällt mir sehr gut, die Abstimmung funktioniert hervorragend. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Bei Werder spielen sie meist auf der linken Halbposition. Fühlen Sie sich dort falsch aufgehoben?

Junuzovic: Nein, das nicht. Ich musste mich ein bisschen dran gewöhnen, das stimmt schon. Ich spiele eigentlich am liebsten zentral, weil man dort am meisten Einfluss auf das Tempo nehmen kann. Die Raute ist aber eben kein 4-2-3-1 wie in der Nati, sondern ein völlig anderes System. Hier spiele ich mehr auf den Außen, das stört mich aber nicht. Ich habe gelernt, wie ich das Spiel dort beeinflussen kann.

SPOX: Ihre Position, die Torhüter oder die Zehner; es scheint, als wären Sie ziemlich gut über die Berichterstattung zum Verein und zu Ihrer Person informiert.

Junuzovic: Die meisten Dinge schaue ich mir an. Gerade dann, wenn es sich um so eine Geschichte wie mit dem HSV geht, auf die ziemlich heftig reagiert wurde. Zu so einem Blödsinn muss ich ja Stellung beziehen und es klarstellen. Generell ist es für mich natürlich interessant, wie ich als Person und Spieler wahrgenommen werde.

SPOX: Bei Werder gehören Sie mit Clemens Fritz nun zu den etabliertesten Akteuren. Hat sich Ihre Rolle dadurch gewandelt? Sind Sie nun mehr als Anführer gefordert?

Junuzovic: Klar, das hat mich in meiner Rolle beeinflusst. Ich habe dadurch mehr Verantwortung, die ich aber gerne übernehme. Ich habe schon deutlich mehr Erfahrungen gesammelt als unsere jüngeren Spieler, deswegen kann ich ihnen mal Ratschläge gegeben. Ich bin ja jetzt schon ein bisschen älter, werde bald 28. Das passt also schon. (lacht)

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Zlatko Junuzovic im Steckbrief